Noch vor 20 Jahren war reifer Wein in der Steiermark kaum ein Thema. Warum haben Sie es aufgegriffen?

ALOIS GROSS: Es gibt noch ein paar historische Keller in der Region, die ein Archiv voll gereifter Weine haben. Wenn man das Glück hat, einen raren Wein zu verkosten, will man es wieder erleben.

Beim Kosten hat es "zoom" gemacht?

JOHANNES GROSS: Ja, es ist faszinierend. Es gibt Weine aus der Gegend, die mehr als 80 Jahre alt sind und so frisch schmecken, als wären sie erst fünf. Nur große Weine können so lange reifen. Wir knüpfen nun an dieses Thema an.

Sprechen wir hier von Rotwein?

MICHAEL GROSS: Nein, von Weißwein. Leider ist noch immer in den Köpfen verankert, dass man nur Rotwein lagern kann und Weißwein rasch trinken sollte. Wir wollen dem Wein die Zeit geben, die er braucht, um ihn am Höhepunkt noch einmal zu präsentieren. Das heißt aber nicht, dass er nicht weiter lagerfähig ist.

Wie stellt man einen Weißwein her, der ein großes Lagerpotenzial hat?

M. GROSS: Rund 70 Prozent der Weine weltweit fallen damit schon einmal aus dem Schema. Sie sind nicht länger als etwa drei Jahre trinkbar. Das sind zumeist Weine, die industriell produziert werden.

J. GROSS: Reifer Wein ist durchwegs von Hand gemacht. Um ihn so weit zu bringen, muss alles stimmen - das fängt bei der Planung des Weingartens, der Auswahl der richtigen Rebsorte und den Kulturmaßnahmen an. Es reicht nicht, einen Doppler Schankwein herzustellen und abzuwarten, bis er älter wird. Und: Es braucht eine gewisse Ideologie, man darf anfangs nicht auf die Rendite schauen.

Welche Menge können Sie für die Lagerung beiseitelegen?

A. GROSS: Wir produzieren etwa 300.000 Flaschen Wein pro Jahr und können vielleicht 10.000 bis 20.000 Flaschen weglegen. Nicht jeder Jahrgang ist gleich gut geeignet - das bestimmt die Natur. Erst wenn der Wein die erste wilde jugendliche Phase abgelegt hat, kann man sagen, welches Potenzial er wirklich hat.

Was passiert während der Jahre in der Flasche?

M. GROSS: In wärmeren Jahrgängen nehmen die Weine eine wellenförmige Entwicklung - es gibt viele Hochs und auch Tiefs. In kühleren ist die Entwicklung linear und nicht so bewegt.

Was darf man erwarten?

J. GROSS: Man kann es gut mit der Entwicklung eines Menschen vergleichen. Von der Kindheit über die Pubertät hin zu einem erwachsenen jungen Menschen. Dann zu Ausgeglichenheit, Ruhe und Souveränität. Ein Gespräch mit einem 50- oder 60-Jährigen wird anders verlaufen als mit einem 20-Jährigen, weil er einfach anders tickt.

A. GROSS: Ein junger Wein macht Spaß, ein gereifter auf seinem Höhepunkt beeindruckt, ein ausgelagerter Wein fasziniert. Das ist die Königsdisziplin. Wenn man Weinfreak ist, dann kommt man einfach unweigerlich in die Situation, sich mit gereiften Weinen zu befassen. Wenn eine Flasche perfekt gereift ist, ist das eines der ganz großen Highlights im Genussleben. Voraussetzung ist natürlich, dass man die perfekten Lagerbedingungen schafft.

Die da wären?

J. GROSS: Ob es nun im Sommer 15 Grad und im Winter 8 Grad hat, macht nicht ganz so viel aus - man stelle sich eine lichtgeschützte Ecke in einer Speis oder im Keller vor. Doch es darf keine großen täglichen Temperaturschwankungen geben. Ideal sind die historischen Lagerräume von acht Metern unter der Erde im Kalkstein, aber auch mit Klimaschränken und -räumen kann man gute Bedingungen schaffen. Je nach Leidenschaft ist alles offen - es kann ein recht intensives Hobby werden.

Wenn man gern frische Weine trinkt ...

A. GROSS: ... dann sollte man das auch tun. Das ist auch für den Markt relevant. Mit reifem Wein ist der eigene Entwicklungs- und Reifeprozess verbunden. Ein simpler Vergleich: Meist wird Käse vor dem Ablaufdatum gegessen, ein Käsefreak würde das niemals tun. Auch wir haben eine Weiterentwicklung genommen - wir haben den Willen zu sagen: Unsere Weine sind lagerfähig. Wir wollen, dass sie auch gereift getrunken werden. Nachdem es sich wirtschaftlich so entwickelt hat, dass den Part der Lagerung weder der Fachhandel noch die Gastronomie übernehmen, muss das der Produzent tun.

Wozu passt gereifter Wein?

A. GROSS: Der Frühling und Sommer fordern die Leichtigkeit, das Verspielte, Lebendige. In den kühleren Jahreszeiten greift man lieber zu kräftigeren, gereiften Weinen. J. GROSS: Mein Zugang ist ein anderer. Wenn meine Frau Nudeln mit Fleischsauce kocht und jeder an Rotwein denkt, probiere ich einen Weißwein. Entscheidend ist, dass es schmeckt. Ich trinke diese Weine ungern allein und am liebsten zum Essen.

Wie groß soll Ihr Archiv noch werden?

M. GROSS: Langfristiges Ziel wäre es natürlich, etwa 50 Prozent der Produktion einzulagern.

J. GROSS: Warten wir's ab. Alles ist möglich.