G etanzte Biographien sind ja eigentlich so etwas wie Ihre Spezialität.

JOHANN KRESNIK: Kann man so sagen. Aber es geht nie um eine chronologische Erzählung, sondern um einen politischen Inhalt. Bei "Francis Bacon" steht dessen spannende Persönlichkeit im Zentrum und warum er gemalt hat, wie er gemalt hat. In einer früheren Arbeit über Goya hat mich seine Wandlung vom Hofmaler zum Staatskritiker interessiert, oder bei Ulrike Meinhof ihre Verbundenheit mit der RAF.

Sie machen jetzt schon viele Jahrzehnte Ihr "choreographisches Theater". Warum bestehen Sie auf dieser Bezeichnung?

KRESNIK: Ich war immerhin der erste, noch vor Pina Bausch, der versucht hat, die Formen des modernen Tanzes dafür zu verwenden, eine Aussage ohne Text zu machen.

Sie wollten immer politisches Theater machen, aber ist es noch das richtige Medium für politische Statements? Es gibt doch viel schnellere und direktere Medien?

KRESNIK: Ich finde trotzdem, dass das deutsche Theater - in Österreich kenne ich mich nicht so gut aus - wieder politischer und krasser werden muss als in den 70ern. Es ist viel zu sanft heute, es gibt keine Kritik mehr am politischen System.

Was ist mit dem reinen Tanz?

KRESNIK: Die Ausbildung der Tänzer ist heute viel besser geworden, viel professioneller, wie im Fußball. Es gibt großartige Choreographen, ich sehe wunderschöne Bewegungen, tolle Tänzer, nur die Inhalte fehlen mir. Choreographen haben heute große Probleme, etwas dramaturgisch umzusetzen.

Sie waren für viele Kritiker stets ein zuverlässiger Meister der Provokation.

KRESNIK: Ich habe garantiert nie versucht zu provozieren. Ich habe immer versucht, die Wahrheit zu sagen, so wie ich sie sehe. Ich habe mich auch nie von Kritikern beirren lassen. Ich war zwar immer das Enfant terrible, aber das war alles Quatsch.

Aber Sie hatten schon insgeheim Spaß an den verstörten Kritiken?

KRESNIK: Wenn die Kritiker sich über mich aufgeregt haben, schon. Ich habe mir nichts gefallen lassen. Ich war einer der wenigen Choreographen, der sich getraut hat, mit Politkern oder Kritikern zu streiten.

Sie funktionieren in der Zwischenzeit wie eine Marke. Man weiß, wofür Sie stehen, und so werden Sie nicht mehr als so provokant wahrgenommen wie früher. Irritiert Sie das? KRESNIK: Im Februar habe ich ein Stück in Heidelberg gemacht über die Kunstsammlung des Deutschen Hans Prinzhorn, das war ein Arzt in den 20er-Jahren. Er hat Kunst von psychiatrischen Patienten gesammelt hat, ähnlich wie die Gugging-Künstler. Der Herr Prinzhorn hatte durchaus nazistische Anklänge, aber er war kein Nazi aus dem Bilderbuch. Und wenn ich dann im Stück nicht gleich behaupte, der Prinzhorn war ein Nazi, schreiben die Kritiker, ich bin nicht mehr provokant. Aber ich kann doch nicht eine Behauptung aufstellen, die nicht stimmt.

Sind Sie zahmer geworden?

KRESNIK: Überhaupt nicht! Aber so ist es: Wenn ich nicht unheimlich reinhaue, so dass Blut fliesst, sagt man ich bin zahm geworden. Ich bin zum Teil provokanter geworden. Im Stück über Prinzhorn standen vierzig alte Menschen auf der Bühne, nackt. Interessanterweise empfanden gerade die jungen Zuschauer das als ziemlich provokant. Denn es ist schwierig, einen alten und fetten Mann anzuschauen oder eine alte dürre Frau. Es wirft Fragen auf. Aber die Kritiker wollen, dass ich provoziere mit Behauptungen wie: Weg mit dem Kapitalismus, her mit dem Sozialismus!

Apropos: Bei der KPÖ sind Sie noch immer Mitglied?

KRESNIK: Ja, warum sollte ich denn austreten? Ich habe schon vor Jahrzehnten gesagt, dass diese Demokratie keine Demokratie ist, sondern es wird einem vorgeschrieben, was man machen soll. Die Industrie und die Banken machen mit uns, was sie wollen. Die Politiker reagieren nicht. Ein aktuelles Beispiel Griechenland: Wie konnte dieses Land jemals in die EU kommen? Da war doch niemals eine wirtschaftliche Basis vorhanden.

Wie geht es dort weiter?

KRESNIK: Griechenland wird zur Drachme zurückkehren. Es wird uns allen schlechter gehen. Das System wird implodieren, denn man kann nicht ungestraft ununterbrochen Schulden machen.

Zufällig weilen Sie gerade in Ihrer Heimat Kärnten, die ja auch stark verschuldet ist.

KRESNIK: In Kärnten gab es immer Korruption und man hat nie darüber geredet. Hätte ich früher gesagt, der Haider ist schwul, hätte man mich mit einem nassen Fetzen erschlagen, obwohl es jeder wusste. Es gibt in Kärnten einen berühmten Spruch: "Drüber reden wir nicht!"

Könnten Sie sich vorstellen, wieder ständig in Kärnten zu leben?

KRESNIK: Schwierig. Ich bin einfach die großen Städte gewohnt.

Keine Sehnsucht nach der alten Heimat?

KRESNIK: Nein, ich wollte mir dort ein Haus bauen, wo ich geboren wurde, als Urlaubsort, für meine Familie und Freude. Es ist wunderschön hier.

Haben Sie denn Zeit für Urlaub?

KRESNIK: Die nächsten vier Jahre bin ich schon wieder verplant, ich habe so viele Anfragen für Uraufführungen. Etwa in Ingolstadt über eine Geliebte von Brecht, Marieluise Fleißer.

Ein tolles Thema für Sie.

KRESNIK: Mich hat immer fasziniert, wie der das gemacht hat, dass alle Weiber für ihn da waren.

Aber Sie gelten ja auch als frauenaffin.

KRESNIK: Jajaja.

Sie haben mittlerweile auch viel Routine. Ist Ihnen je langweilig?

KRESNIK: Nur, wenn ich nix zu denken habe oder nix zu trinken oder allein auf die Petzen gucke.

Was hätten Sie eigentlich gern gemacht außer Theater und Tanz?

KRESNIK: Ich wäre Maler geworden. Der kürzlich verstorbene Maler Franz Ringel war mein Schulfreund.

Worauf kommt es Ihnen im Leben an?

KRESNIK: Ich wollte immer auf etwas aufmerksam machen. Ich will die Aufmerksamkeit im Theater. Den Widerspruch.

Was möchten Sie Ihren fünf Kindern mitgeben?

KRESNIK: Gebt nicht auf und lasst euch nicht von Vorschriften treiben! INTERVIEW: BARBARA FREITAG