Nach dem schweren Erdbeben in Nepal vor einem Monat befinden sich die internationalen Hilfsorganisationen im Wettlauf mit der Regenzeit, die in ungefähr drei Wochen beginnt. "Vor allem in den ländlichen Gegenden ist die Situation kritisch. Die Leute brauchen schnell ein Dach über dem Kopf", sagte Johanna Mitscherlich von der Organisation Care International am Freitag im APA-Interview.

Noch vor dem großen Regen

"Wir müssen sicher stellen, dass die Menschen noch vor der Regenzeit so schnell wie möglich eine Unterkunft finden", sagte Mitscherlich, die sich derzeit in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu aufhält. Momentan wird von den Hilfsorganisationen daher vor allem Wellblech für den Wiederaufbau und Schutz vor dem Monsun verteilt. In Kathmandu würden die Menschen langsam wieder zu ihrem Alltag zurückkehren. "Trotzdem sind nach wie vor viele Zeltstädte zu sehen, denn die meisten Menschen haben Angst, drinnen zu schlafen oder sie haben ihre Häuser verloren", sagte Mitscherlich.

Vor allem die Hilfe in entlegenen Gegenden sei für die Organisationen eine logistische Herausforderung. "Dort ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Alles ist unter Schutt begraben, Landrutsche blockieren die Wege und wir sind teilweise sieben Stunden mit dem Auto und danach vier Stunden zu Fuß unterwegs, um die Menschen zu erreichen", erklärte die Care-Mitarbeiterin. Um die Betroffenen mit Nothilfepaketen, Hygieneartikeln und Plastikplanen für den Monsun zu versorgen, müsse man daher auch mit Trucks und Helikoptern anreisen. "Auf diese Weise konnte nun schon jedes Dorf zumindest einmal erreicht werden. Die Regierung teilt dann ein, welche Hilfsorganisation in welchem Gebiet gebraucht wird", sagte sie.

Rückschlag nach zweitem Beben

Einen großen Rückschlag hätte das zweite starke Erdbeben vor etwas mehr als einer Woche gebracht. "Viele Familien waren zu der Zeit gerade wieder ein wenig auf die Beine gekommen und viele Dörfer hatten bereits Baumaterial aus alten Häusern sortiert und wollten mit dem Wiederaufbau beginnen." Die unsichere Situation belaste auch die Psyche der Nepalesen und Hilfsorganisationen enorm. "Ein ganzes Dorf wartet etwa darauf, dass ihr Werkzeughersteller wieder beginnt zu arbeiten, damit der Aufbau weiter gehen kann. Aber er sagt, dass er das nicht kann, weil er zu große Angst hat. Ein Lehrer hat mir erzählt, dass in zwei Wochen wieder die Schule beginnen sollte. Weil von 24 nur noch zwei Klassenzimmer übrig sind, will er draußen unterrichten, aber er glaubt nicht, dass die Kinder schon für die Schule bereit sind", so Mitscherlich.

Auch für die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen sei die psychische Belastung groß. "Einheimische Kollegen haben selbst Angehörige verloren und viele sind bei kleinen Nachbeben enorm schreckhaft", erklärte Mitscherlich. Positiv überrascht zeigte sie sich vom eifrigen Engagement der Betroffenen. "Sie sagen, dass sie zwar ihre Häuser, aber nicht ihren Mut und ihre Hoffnung verloren haben. Der Gemeinschaftssinn ist beeindruckend, alle wollen zusammen arbeiten und schnell voran kommen." Vorerst gehe es aber darum, die Menschen vor dem Monsun zu schützen. Wenn dieser Ende August abflaut, würden die Häuser und Dörfer wieder gänzlich aufgebaut. "Es ist auf jeden Fall noch ein sehr langer Weg, bis das Land, das auch vorher nicht reich war, wieder auf die Beine kommt", prognostizierte Mitscherlich.

Am 25. April hatte ein Beben der Stärke 7,8 das Himalaya-Land erschüttert. Die Zahl der Toten des Bebens und zahlreicher Nachbeben ist auf mindestens 8.633 gestiegen. Mehr als 100.000 Menschen seien verletzt worden, erklärte die Polizei. Unter den Toten sind auch sechs US-Amerikaner, die beim Absturz ihres Helikopters bei einem Hilfseinsatz starben.