Zum ersten Mal seit seiner Wahl zum serbischen Präsidenten im April des Vorjahres wird Aleksandar Vucic heute zu einem Besuch in Wien erwartet. Zum Auftakt des Staatsbesuches wird Vucic von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit militärischen Ehren begrüßt werden. Am frühen Nachmittag wird Vucic auch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz zusammenkommen. Hier der serbische Präsident im Interview:

Herr Präsident, was führt Sie heute aus Belgrad auf Staatsbesuch nach Wien?

ALEKSANDAR VUCIC: Österreich ist für uns eines der wichtigsten Länder, und das ist keine Phrase! Alle berühmten Serben sind von ihrer Ausbildung oder ihrem politischen Leben her mit Wien oder anderen Städten in Österreich verbunden. Wir Serben fühlen uns in Österreich zu Hause, das hätten wir auch umgekehrt gern. Bei meinem Besuch gibt es drei Schlüsselthemen: die Hilfe Österreichs auf unserem Weg in die EU; zweitens wollen wir die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stärken. Drittens geht es um den Einfluss Österreichs auf die gesamte Region auch als Mitglied der EU. Da da geht es um eine gemeinsame Politik für einen friedlichen, stabilen Balkan.


Wo steht Serbien auf dem Weg in die Europäische Union?

Die Aussagen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben unsere Motivation gestärkt, weil wir einen Zeitrahmen bis 2025 bekommen haben, natürlich unter der Voraussetzung, dass wir schwierige Reformen durchführen. Das zeigt erstmals den Wunsch der EU, Serbien als Mitglied zu akzeptieren. Zu den Reformen zählen die Stärkung des Rechtsstaates und eine Verbesserung der Wirtschaftslage, wobei durchaus Erfolge gibt. Zwei Jahre hintereinander haben wir bereits einen Budgetüberschuss, während wir die Arbeitslosigkeit von 26 auf zwölf Prozent mehr als halbiert haben. Deutlich verbessert haben wir auch das Investitionsklima. Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zur EU sind die Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina.

Wie steht es um die Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo?

Ich spreche immer von den Beziehungen zwischen Serben und Albanern, weil die Serben im Kosovo die aufgezwungene Unabhängigkeit nie akzeptiert haben. Bei den Gesprächen zwischen Belgrad und Prishtina gibt es einige positive Aspekte. Wir reden miteinander. In den vergangenen fünf Jahren gab es keine Todesfälle durch ethnische Konflikte, wenn ich den Mord am Politiker Oliver Ivanovi(´c) im Jänner beiseitelasse, den bisher unbekannte Täter begangen haben. Positiv ist auch, dass der Austausch von Personen, Waren und Kapital irgendwie funktioniert. Ungelöst ist, dass die Albaner den Kosovo als unabhängigen Staat erleben, während das die Serben nicht tun. Nach der serbischen Verfassung ist der Kosovo Teil Serbiens. Wichtig ist, dass beide Seiten Kompromisse machen und es zu einer Lösung kommt, die beiden Völkern eine sichere Zukunft garantiert. Anderenfalls wird das zu einer weiteren Destabilisierung der zur Festigung eines eingefrorenen Konflikts führen. Eine Lösung kann nicht darin bestehen, dass die Albaner alles und die Serben nichts bekommen.

Wie kann eine Lösung dann aussehen?

Es muss eine Vereinbarung zwischen Serben und Albanern sein , die die EU, die USA, China und andere Großmächte unterstützen. Doch vor allem müssen Serben und Albaner eine Lösung finden. Denn was haben die Albaner bisher von ihrer Unabhängigkeit? Sind sie wirklich unabhängig? Und wo können sie als unabhängiger Staat auftreten? Weder in der Uno noch in der Interpol und der Unesco, weder in Moskau, Peking noch in Neu Delhi. Sie sind nur von der Hälfte der Welt anerkannt. Daher müssen wir eine Lösung finden, mit der die Albaner zufrieden und wir Serben weniger unzufrieden sind.

Rechnen Sie damit, dass Serbien die Beziehungen zum Kosovo erst knapp vorm EU-Beitritt wird regeln müssen oder schon weit früher, etwa im Jahre 2019?

Im Interesse der Serben und Albaner ist eine Lösung so rasch wie möglich. Ob wir die Kraft dazu haben, wird man sehen. Eine Lösung wäre ein historischer Erfolg; ein Misserfolg hieße eine weitere vergebene Chance auf dem Balkan, was leider nichts Neues wäre.

Wie steht es um die demokratische Entwicklung Serbiens? Die Opposition ist schwach, nach Ihrer Wahl zum Präsidenten gab es Proteste, Journalisten klagen über mangelnde Medienfreiheit.

Drei Monate nach dem Ende der nicht besonders massiven Demonstrationen haben die Oppositionsführer zugegeben, dass es keinen Wahlbetrug bei der Präsidentenwahl gegeben hat. Ich glaube, dass Serbien ein demokratisches Land ist, aber dass wir noch viel an der Stärkung unserer Demokratie arbeiten müssen. Das gilt auch für das Vertrauen in die Institutionen. Was die Medienfreiheit betrifft, so ist unser Interview ein Beispiel dafür. Ich habe davor keinerlei Frage wissen wollen. und ich antworte auch auf alle kritischen Fragen unserer Medien. Über die Unfreiheit klagen meistens jene Journalisten, die am freiesten sind mit ihren Beleidigungen und ihren erfundenen Geschichten. Natürlich gibt es auch Möglichkeiten einer Verbesserung, doch daran müssen wir gemeinsam arbeiten.