Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf Malta auf einen Zehn-Punkte-Plan, um den Flüchtlingsstrom aus dem Süden einzudämmen. Er sieht insbesondere eine stärkere Zusammenarbeit mit Libyen vor. Das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land ist mit Abstand das wichtigste Transitland für Migranten, die von Afrika aus nach Europa wollen.

Um diese Mittelmeerroute zu schließen, soll vor allem die libysche Küstenwache so schnell wie möglich so ausgebildet und ausgerüstet werden, dass sie von Schlepperbanden organisierte Überfahrten in Richtung Europa verhindern kann. Flüchtlinge würden dann zumindest vorerst in dem nordafrikanischen Land bleiben müssen. Sie sollen künftig in Aufnahmeeinrichtungen in Libyen versorgt werden.

Internationale Organisationen sollen dabei unterstützt werden, die Zustände in libyschen Flüchtlingslagern zu verbessern. Die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat soll gefördert und der Grenzschutz zu Libyens Nachbarländern verstärkt werden. 

Hilfsorganisationen üben scharfe Kritik an den Plänen der EU. Eine Zusammenarbeit mit Libyen, die vor allem der Abwehr von Migranten und Flüchtlingen diene, werfe die europäischen Grundwerte über Bord, kritisierte Oxfam. Die Organisation Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband sprachen in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem "Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik".

Auf Distanz zu Trump

Vor dem EU-Gipfel im maltesischen Valletta hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) die US-Flüchtlingspolitik von US-Präsident Donald Trump scharf verurteilt. Die USA hätten eine Mitverantwortung für Flüchtlingsströme durch ihre Interventionen, sagte Kern am Freitag vor dem Treffen. Für die internationale Gemeinschaft sei Trumps Haltung "nicht akzeptabel".

Der Einreisebann gegen Staaten mehrheitlich muslimischer Bevölkerung sei "hochproblematisch", sagte Kern. Man habe Trump an seinen Taten messen wollen. Jetzt habe Trump "Taten geliefert, die besorgniserregend" seien. Im Interview mit der Kleinen Zeitung analyisierte US-Experte Peter Filzmaier die Hintergründe der Unsicherheit in Zusammenhang mit dem Machtwechsel in den USA.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte im Hinblick auf die US-Administration, es gebe "Raum für Erklärungen". Er habe den Eindruck, dass viele dort Europa nicht im "Detail kennen würden".

Die Europäische Union distanziert sich in der Flüchtlingspolitik ausdrücklich von den USA. "Unser Ansatz setzt auf Kooperation und Partnerschaft", sagte die Außenbeauftragte Federica Mogherini am Freitag vor dem EU-Gipfel auf Malta. "Wir glauben nicht an Mauern."

Europa werde aber mit dem Volk und der US-amerikanischen Regierung freundschaftlich verbunden bleiben - "auf Grundlage unserer starken Werte, Prinzipien und Interessen". Man werde pragmatisch im Gespräch klären, wo man zusammenarbeiten könne.

"Dürfen uns nicht mehr verlassen auf die NATO"

Frankreichs Präsident François Hollande hat davor gewarnt, sich bei der militärischen Verteidigung Europas allein auf die von den USA dominierte NATO zu verlassen. "Wer weiß, was der amerikanische Präsident wirklich in Hinsicht auf die transatlantische Allianz und die Lastenteilung will", sagte Hollande. Sie könne nicht der einzige Weg sein.

EU-Staaten wie Polen und Ungarn warnte Hollande davor, eine enge Bindung an die USA der europäischen Zusammenarbeit vorzuziehen. "Staaten sollten daran denken, dass ihre Zukunft zuallererst in der Europäischen Union liegt, als zu denken, dass sie in den bilateralen Beziehungen mit den USA liegt", sagte er. "Es gibt keine Zukunft mit Trump, wenn man sie nicht gemeinsam definiert."

Brexit Thema für Österreich

Mit der britischen Premierministerin Theresa May will Kern vor dem Gipfel den Brexit-Prozess besprechen, weil der Abschluss der Verhandlungen unter die österreichische EU-Präsidentschaft 2018 fallen soll. Es gehe auch um den nächsten EU-Finanzrahmen, und um Kompensationen durch Ausfall des Nettozahlers Großbritanniens. "Wir müssen wissen, was die nächsten Schritte sind", so Kern.

Vor dem Hintergrund der Diskussionen zu Libyen betonte Kern, Europa müsse die Zuwanderung kontrollieren und dürfe nicht den Schleppern die Entscheidung überlassen. Europa habe aber auch die Pflicht, genau hinzuschauen, wie jenseits seiner Grenzen die Zustände in Flüchtlingscamps seien und die Menschenrechtslage aussehe.

Ausgleichsleistungen gefordert

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger fordert einen Ausgleich von EU-Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. "Wenn denn schon die Quote nicht wie von uns erhofft umsetzbar ist, dann müssen diese Länder in anderer Form mehr tun", sagte Oettinger am Freitag dem Deutschlandfunk. Dies könne etwa beim Grenzschutz geschehen. "Jeder muss etwas bringen."

Man müsse es zwar kritisch bewerten, wenn EU-Länder ihre Quote nicht erfüllten, aber auch Verständnis dafür haben. Im Übrigen finanzierten auch diese Länder mit, wenn über den EU-Haushalt mehr Mittel für Flüchtlinge gegeben würden, so Oettinger.

Dass man das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht "eins zu eins" auf ein Land wie Libyen übertragen kann, von wo aus viele Menschen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen suchten, ist Oettinger zufolge unstrittig. In Libyen gebe es keine voll handlungsfähige Regierung, die Herrschaft hätten vielerorts Milizen. "Das ist nicht ein Land, eine Regierung." Europa sei aber dabei, zu testen, ob es zumindest für Teilbereiche des Landes Partner gibt, mit denen man etwas vereinbaren könne. Außerdem gehe es darum, ob die EU das Recht erhalten könnte, am Strand von Libyen das Ablegen von Schlepperbooten zu verhindern. Das Thema Flüchtlingspolitik ist auch eines der bestimmenden beim EU-Gipfel in Malta.

Flammender Appell des EU-Präsidenten

Donald Tusk ist kein Mann der lauten Töne. Doch diesmal richtete der EU-Ratspräsident einen flammenden Appell an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. „Die EU steht vor den gefährlichsten Herausforderungen seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge“, schrieb der Pole vor dem heutigen Gipfeltreffen in Malta in seinem Einladungsbrief.

Russlands aggressive Politik gegenüber seinen Nachbarn, Krieg, Terror und Anarchie im Nahen Osten und in Afrika, Europas Sinnkrise, der Vormarsch des Nationalismus, der Brexit und schließlich der Machtwechsel in den USA – das alles mache „unsere gemeinsame Zukunft unberechenbar“ und erfordere ein „Signal der Einigkeit“: „Vereint stehen wir, getrennt fallen wir“, so Tusk.

Die EU definiert in Malta wohl ihre eigenen Erwartungen an die Zusammenarbeit mit den USA neu. Vor allem aber auch die Migrationskrise steht im Mittelpunkt der Gespräche. Der Druck aus dem Süden wächst, nach der Balkanroute soll auch die Südroute, der Weg insbesondere aus Libyen über Italien, geschlossen werden.