Die Journalistin Ingrid Brodnig (32) hat digitale Themen als Schwerpunkt. In ihrem ersten Buch „Der unsichtbare Mensch“ beschrieb sie, wie die Anonymität im Internet die Gesellschaft verändert. In „Hass im Netz“ ging es um Hetze und Mobbing. Ab 20. Juni ist ihr drittes Buch im Handel: „Lügen im Netz“.


Frau Brodnig, in Ihrem neuen Buch sprechen Sie vom „Informationskrieg“. Worin besteht dieser Krieg?
Die Bezeichnung stammt aus den USA, wo sowohl im rechten als auch linken Lager unseriöse Webseiten mit Desinformation gegeneinander ankämpfen. Auch in Europa herrscht in Wahlkampfzeiten ein Kampfzustand: Falschmeldungen nehmen zu, ihre Reichweite wird immens. Die erfolgreichste Meldung in sozialen Medien zum Beispiel zum Verfassungsreferendum in Italien war komplett erfunden.


Nun gab es zu allen Zeiten Falschmeldungen, auch in klassischen Medien. Warum ist die aktuelle Entwicklung gefährlicher?
Die Intensität und die Reichweite sind das Problem. Ein Teil der Bevölkerung driftet schlimmstenfalls in die Vorstellung ab, dass die Demokratie kaputt ist und Wählen nichts mehr bringt. Dazu gibt es im Netz wechselseitige Bestätigungen in sogenannten Echokammern, jeder Widerspruch fehlt. Wenn sich Menschen nur mit Gleichgesinnten umgeben, radikalisieren sie sich, die Mitte geht verloren.


Ist die Verhinderung von Fake News, Hasspostings etc. eine öffentliche Aufgabe? Oder sind die privaten Betreiber von Plattformen in die Pflicht zu nehmen?
Es muss beides sein. Wenn im Kaffeehaus ein Mann eine Frau sexistisch anpöbelt, kann man auch erwarten, dass der Kaffeehausbetreiber zu dem Mann sagt, verlassen Sie dieses Lokal! Wenn es strafbare Übergriffe gibt, ist es Aufgabe der Behörde, das zu verfolgen. Genauso ist es auch im Netz. Die Betreiber von Webseiten sind jetzt schon verpflichtet, strafbare Inhalte zu entfernen, sobald sie gemeldet werden. Das passiert viel zu wenig. Selbst ganz schlimme Sachen – Gewaltvideos, Holocaust-Leugnungen etc. – bleiben teils sehr lange stehen.


Jetzt gibt es Versuche, neues Recht zu schaffen, etwa in Deutschland ein „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Ist das sinnvoll?
Das geplante deutsche Gesetz ist schon Hardcore. Große Plattformen sollen bis zu 50 Millionen Euro zahlen, wenn sie strafbare Inhalte nicht entfernen. Die Idee ist, dass globale Unternehmen wie Facebook, die Milliardengewinne machen, eine Strafdrohung erst ernst nehmen, wenn es teuer wird. Die Gefahr bei überbordenden Regelungen ist, dass andere Grundrechte leiden. Hier zum Beispiel besteht das Risiko, dass man ins andere Extrem kippt und zu viel gelöscht wird. Ein Ausweg wäre ein Anhörungsrecht für Betroffene, bevor Facebook etwas entfernt.


Was können die klassischen Medien gegen Fake News tun?
Faktenchecks bringen viel. In Frankreich hatte es große Auswirkungen, wenn Falschbehauptungen Marine Le Pens von offizieller Seite oder von traditionellen Medien richtiggestellt wurden. Zudem muss den Menschen die Kompetenz zum kritischen Urteil stärker vermittelt werden.


Jugendliche konsumieren digitale Medien intensiv, worauf sollten sie achten?
Viele Fälscher sind extrem faul, sie klauen alte Bilder aus dem Internet und stellen sie in einen neuen Zusammenhang. Da kommt man durch eine Google-Bildersuche leicht drauf. Solche Tricks sollten zum Beispiel im Unterricht vermittelt werden. Bei Fotos muss man generell skeptisch sein. Viele Fälschungen funktionieren über emotionalisierende Bilder. Darüber sollte auch jeder Lehrer, der Deutsch, Geschichte oder Englisch unterrichtet, informiert sein.