Lange gab es an diesem Film kein Vorbeikommen: Über zwölf Jahre drehte Richard Linklater sein sensibles Coming-of-Age-Meisterstück "Boyhood" und lieferte damit den außergewöhnlichsten Beitrag zur Filmpreissaison, die am 22. Februar mit der 87. Oscar-Verleihung ihren krönenden Abschluss erfährt. Einer aber könnte dem sechsfach nominierten Werk in den Königskategorien die Show stehlen: "Birdman".

Mit neun Nominierungen und damit den meisten Preischancen - ex aequo mit Wes Andersons "Grand Budapest Hotel" - zieht Alejandro Gonzalez Inarritus Hollywoodsatire "Birdman" ins Rennen. Weil Beobachter Andersons märchenhafter Erzählung rund um einen Chefconcierge im osteuropäischen Fantasieland Zubrowka einzig Preise für Produktions- und Kostümdesign zutrauen, verlagert sich der Zweikampf anderweitig. In gleich fünf Kategorien stehen sich "Boyhood" und "Birdman" gegenüber - allen voran in den Königskategorien "Bester Film" und "Beste Regie".

Uneinig

Heimste "Boyhood" anfangs noch souverän zahlreiche Kritikerpreise ein, holte "Birdman" zuletzt bei den als Oscar-Vorboten geltenden Verleihungen der Schauspieler-, Produzenten- und Regisseursverbände die Hauptpreise. Mit einem Golden Globe wurden beide ausgezeichnet - als bestes Drama respektive als beste Komödie. Wer bei der Vergabe der wichtigsten Filmpreise weltweit als großer Gewinner aussteigt, darüber sind sich Beobachter uneinig und geben auch Wettbüros, die beide derzeit knapp hintereinander, aber mit klarem Abstand zu ihren Konkurrenten reihen, keinen Aufschluss.

So oder so: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Independent-Produktion die Top-Trophäe holt, ist groß. Unter den acht als "Bester Film" nominierten Produktionen stammen nur zwei von großen Filmstudios - Ava DuVernays überraschend nur zweifach nominiertes Bürgerrechtsdrama "Selma" und Clint Eastwoods umstrittenes Scharfschützen-Plädoyer "American Sniper" mit sechs Preischancen.

Kontrovers

Beide Filme wurden in den vergangenen Monaten kontrovers diskutiert, letzterer ist mit bis dato über 360 Mio. Dollar Kinoeinnahmen weltweit auch der einzig wahre Blockbuster in der Runde, die zudem die britischen Dramen "The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben" über den Mathematiker und "Enigma"-Codeknacker Alan Turing (acht Nominierungen) und "The Theory of Everything - Die Entdeckung der Unendlichkeit" über die erste Ehe des Ausnahmephysikers Stephen Hawking (fünf Nominierungen) sowie "Grand Budapest Hotel" und das Musikdrama "Whiplash" (fünf Nominierungen) einschließt. Christopher Nolans Sci-Fi-Blockbuster "Interstellar" schaffte es wie Bennett Millers Wrestler-Drama "Foxcatcher" zwar auf fünf Nennungen, nicht aber in den erlesenen Kreis der "Besten Filme".

Wenig Überraschungen

So unklar das Rennen zwischen den Produktionen, so wenig Raum für Überraschungen lassen heuer die Schauspielkategorien zu. Bei den Nebendarstellern scheint Patricia Arquette als alleinerziehende Mutter in "Boyhood" ebenso fix gebucht wie J.K. Simmons als sadistischer Musiklehrer in "Whiplash". Hochkarätige Konkurrenten wie die zum 19. Mal nominierte Meryl Streep ("Into the Woods") oder Robert Duvall ("Der Richter") dürften durch die Finger schauen. Die Trophäe für die beste Hauptdarstellerin wiederum wird - beim fünften Oscar-Anlauf - voraussichtlich an Julianne Moore gehen. Mit ihrer Darstellung einer an Alzheimer erkrankten Universitätsprofessorin in "Still Alice" wird sie Anwärterinnen Reese Witherspoon ("Der große Trip - Wild") und Marion Cotillard ("Zwei Tage, eine Nacht") ausstechen.

Einzig bei den Hauptdarstellern darf nicht ausgeschlossen werden, dass Ex-"Batman"-Star und nunmehriger "Birdman"-Überflieger Michael Keaton dem bereits vielprämierten Eddie Redmayne die Ehre wegschnappt - und damit seinem eigenen Comeback die Krone aufsetzt. Mit der Verkörperung des an den Rollstuhl gefesselten, brillanten Physikers Stephen Hawking in "Die Entdeckung der Unendlichkeit" vereint der bereits mehrfach ausgezeichnete, 33-jährige Brite Redmayne aber dann doch zu viele von der Academy geliebten Elemente.

Moderator

Nach dem berühmten "Oscar-Selfie" und der Pizza-Verteilaktion von Moderatorin Ellen Degeneres im Vorjahr liegt es heuer an Neil Patrick Harris, die berühmten Saalgäste und die mehr als eine Milliarde Fernsehzuseher weltweit zu unterhalten. Von der ersten Oscar-Moderation des "How I Met Your Mother"- und Broadway-Stars ist jedenfalls die eine oder andere Tanz- und Gesangseinlage wie von Vorgängern wie Hugh Jackman und Billy Crystal zu erwarten.

Ebenfalls zum musikalischen Programm tragen Interpreten Oscar-nominierter Songs wie u.a. Common und John Legend mit "Glory" ("Selma") und Adam Levine mit "Lost Stars" ("Can A Song Save Your Life") bei. Auch Komiker Jack Black und die Schauspielerinnen Anna Kendrick ("Into the Woods") und Jennifer Hudson ("Dreamgirls") wurden als Showacts angekündigt. Als hochkarätige "Presenter" stehen aktuell nominierte Schauspieler wie Benedict Cumberbatch ebenso auf der Bühne wie die Vorjahresgewinner Cate Blanchett, Matthew McConaughey, Jared Leto und Lupita Nyong'o.