Es begann als Blödelei bei der 40er-Geburtstagsfeier eines Freundes vor 15 Jahren“, erzählt der Grazer Diakon Werner Figo. „Jetzt werden wir alt, haben wir uns damals gesagt und uns gefragt, wie wir uns die eigene Zukunft vorstellen angesichts eines Generationenvertrags, der nicht mehr so richtig funktionieren kann“, sagt er. Nach dem Durchspielen diverser Möglichkeiten bis hin zu einer fast klösterlichen Gütergemeinschaft gemeinsam älter werdender Menschen kam der Denkkreis freilich bald zum Schluss, dass jeder am besten so autonom wie möglich wohnen sollte, aber in einem Haus, das möglichst viel Miteinander erlaubt. Das genaue Wie und Wo wurde für die Gruppe von etwa 12 Personen rund um Werner Figo in den Folgejahren zu einem Dauerthema, bei dem man sich auch von einem Soziologen beraten ließ. Die Gleichgesinnten machten sich schließlich auch auf die Suche nach konkreten Möglichkeiten einer Umsetzung und organisierten sich als Verein „Solidarität im Alter“, kurz „SIA“ genannt.

Die Ansicht von Nordwesten. Der bestehende Pfarrhof wrude mit drei neuen Gebäuden, die miteinander verbunden sind, ergänzt.
Die Ansicht von Nordwesten. Der bestehende Pfarrhof wrude mit drei neuen Gebäuden, die miteinander verbunden sind, ergänzt. © Helmuth Pierer

2014 wurde SIA mit der Diözese Graz-Seckau als Bauträger und der Pfarre Schutzengel in Graz-Eggenberg als Standort fündig und hatte nach einem geladenen Architekturwettbewerb mit Hofrichter-Ritter-Architekten auch die idealen Planer für den Wohnbau zur Hand. Der Name des Projekts: „Haus Rafael“. Die Zielgruppe: Menschen in der „Nachkinderphase“ ab 50 Jahren.

Der Neubau dockt ostseitig an den Altbestand an.
Der Neubau dockt ostseitig an den Altbestand an. © Helmuth Pierer

Veronika Hofrichter-Ritter und Gernot Ritter erweiterten den bestehenden Pfarrhof durch drei Einzelbaukörper mit Holzlattenfassade, in denen gerade die Schwellen- und Zwischenbereiche eine besondere Bedeutung bekamen: Stiegenhaus und Gänge sind hier als großzügige, lichtdurchflutete Begegnungs- und Aufenthaltsräume mit Parkettboden ausformuliert. Fünf Monate nach der Schlüsselübergabe füllen auch langsam Sofas und Sitzgruppen den Raum. Hier kann man jederzeit Gesellschaft haben - muss aber nicht. „Man muss bewusst aus seiner Wohnung hinausgehen, um seine Nachbarn zu treffen“, erklärt Gernot Ritter, warum auch so viel Wert auf blickgeschützte Loggien gelegt wurde.

Gemeinschaftsterrasse vor der Gemeinschaftsküche.
Gemeinschaftsterrasse vor der Gemeinschaftsküche. © Helmuth Pierer


Wer Gesellschaft sucht, findet im Parterre eine Gemeinschaftsküche, die für Haus- und Familienfeiern zur Verfügung steht. Eine gemeinsame Bibliothek, Werkstatt, Fitnessraum und Sauna begünstigen das Miteinander.

Grundriss Erdgeschoß. Drei neue (miteinander verbunde) Blöcke, die an den (umgebauten) Altbestand auf der Ostseite andocken.
Grundriss Erdgeschoß. Drei neue (miteinander verbunde) Blöcke, die an den (umgebauten) Altbestand auf der Ostseite andocken. © Hofrichter-Ritter

Die Wohnungen sind allesamt barrierefrei, auch die Bäder sind leicht für den Rollstuhl adaptierbar. Dank bodenebener Fenster in den meisten Wohnräumen hat man auch, wenn man das Bett hüten muss, noch einen feinen Ausblick. Wobei klar gesagt werden muss: SIA, das ist weder betreutes Wohnen noch ein Pflegeheim, und es ist mit einer Miete von 11 Euro pro Quadratmeter (samt Betriebskosten) kein Low-Budget-Programm.

Projektinitiator Werner Figo im Stiegenhaus, das hier zusätzlicher Wohnraum ist.
Projektinitiator Werner Figo im Stiegenhaus, das hier zusätzlicher Wohnraum ist. © Oliver Wolf

Die Altersspanne der Bewohner liegt aktuell zwischen 54 und 84 Jahren, ein Drittel ist berufstätig, der Großteil sind Frauen und sie haben ihr neues Zuhause (mit fünf Ausnahmen) ohne Partner bezogen. „Die Altersdurchmischung ist wichtig, damit das Projekt funktioniert - ebenso wie die Bereitschaft, sich in die Wohngemeinschaft einzubringen“, sagt Figo, der in den Bewerbungsgesprächen mit Mietinteressenten folgerichtig immer wissen wollte, wie sich der einzelne seinen ganz persönlichen Solidarbeitrag vorstellen kann.

Langsam wird der Vorraum eingerichtet...
Langsam wird der Vorraum eingerichtet... © Oliver Wolf

Wie tragfähig dieses Konzept tatsächlich ist, wird die Zukunft weisen. Erste Erlebnisse stimmen zuversichtlich: „Eine der Bewohnerinnen stand mit Sack und Pack früher als geplant in der Wohnung und hatte deshalb noch keinen Strom. So schnell konnte man gar nicht schauen, da hatten die Nachbarn schon mit Verlängerungskabeln Strom in ihre Wohnung gebracht. Die haben sich vorher noch nie gesehen! In einem anderen Fall war eine Waschmaschine kaputt, auch da wurde sofort ausgeholfen“, erzählt Figo.

Erika Klöckl war mit ihrer alten Wohnung schon länger nicht zufrieden. Im Haus Rafael fühlte sie sich schnell verwurzelt.
Erika Klöckl war mit ihrer alten Wohnung schon länger nicht zufrieden. Im Haus Rafael fühlte sie sich schnell verwurzelt. © Oliver Wolf

Erika Klöckl (67) hat dieses Konzept ebenfalls zugesagt: „Weil man hier jederzeit Gesellschaft haben kann, man muss aber nicht“, erklärt sie, wie wichtig ihr die Rückzugsräume sind. Was sie besonders freut: „Ich bin in dieser Gegend aufgewachsen, Schutzengel ist gewissermaßen meine Urkirche, auch wenn ich lange woanders gewohnt habe.“ In ihrer alten Wohnung habe sie sich schon lange nicht mehr wohlgefühlt. „Bei einem Spaziergang habe ich dann zufällig gesehen, dass hier gebaut wird, und mich um eine Wohnung beworben.“

Elisabeth Elmer verkleinerte ihren Wohnraum im Haus Rafael und bekommt mehr Besuch als je zuvor
Elisabeth Elmer verkleinerte ihren Wohnraum im Haus Rafael und bekommt mehr Besuch als je zuvor © Oliver Wolf

Ein paar Wohnungen weiter kommt Elisabeth Elmer (66) nach 24 Jahren in ihrem alten Zuhause mit Gartenanteil erst langsam in ihrem 50-Quadratmeter-Apartment im Haus Rafael an. Nach schwerer Krankheit im Vorjahr war ihr die alte Wohnung aber einfach zu viel Arbeit. Es ging nicht mehr. „Ich habe lang nach einer anderen Wohnung gesucht und muss sagen: Das Konzept hier ist stimmig.“ Wenngleich sie jetzt weniger Platz habe als früher, kämen auch von ihrer Familie jetzt alle viel häufiger vorbei. Und für große Familienfeiern gibt es ja die Gemeinschaftsküche im Parterre. Aber das alles muss sich erst noch so richtig einspielen. Der Anfang ist schon einmal gemacht. Alle 27 Wohnungen sind vergeben.