Manchmal kennt man sie gar nicht. Und doch verbringt man seinen Alltag ganz in ihrer Nähe – oft nur durch eine dünne Wand getrennt: die Nachbarn. Sich einen Gang, eine Terrasse oder Garten zu teilen, kann Menschen verbinden. „Eine gute Nachbarschaft bringt eine Vielzahl an Vorteilen mit sich“, sagt Gerlinde Rohrauer vom Fonds Gesundes Österreich. Seit 2012 arbeitet sie dort an dem Projekt „Gesunde Nachbarschaft“.

Auch Erhebungen zeigen, dass sich gute Beziehungen im Wohnumfeld positiv auf geistige, aber auch körperliche Gesundheit auswirken: „Soziale Kontakte und ein Zugehörigkeitsgefühl führen nicht nur dazu, dass wir uns wohlfühlen, sondern halten auch gesund“, sagt die Expertin. Dabei spielen auch die Nachbarn eine große Rolle.

Insgesamt scheinen die Österreicher sehr oft einwandfrei mit den Menschen von nebenan auszukommen. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage gaben 37 Prozent an, ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn zu haben. 14 Prozent sprachen sogar von einer freundschaftlichen Beziehung.

Das Krisenjahr scheint dies noch verstärkt zu haben. So gab rund ein Drittel an, dass sich das Verhältnis zu den Nachbarn im letzten Jahr sogar verbessert hat. „Grund dafür kann sein, dass man sich gegenseitig unter die Arme gegriffen hat und zum Beispiel für jemanden einkaufen ging, der nicht hinauskonnte“, sagt Rohrauer.

Aber boten die Monate, die man ausschließlich zu Hause verbrachte, nicht auch Anlass für viele Konflikte in der Nachbarschaft? Die Rechtsanwälte Ute Hammerschall aus Klagenfurt und Michael Lassnig aus Villach konnten keinen Anstieg der Klagen bemerken: „Wo es Streit gibt, geht es um die immer gleichen Themen: Grenzfragen, Lärmbelästigung oder zu hohe Bäume direkt am Zaun.“

Auch die Umfrage gibt dem recht. Nur vier Prozent gaben an, dass sich die Nachbarschaftsbeziehung kürzlich aufgrund von Lärmbelästigung oder anderen Streitfragen verschlechtert hat. Geht man Nachbarschaftsverhältnisse aber richtig an, können laut der Expertin auch solche Konflikte vermieden werden. Hier die wichtigsten Tipps der Expertin.

  • Kennenlernen. Wie kann man sich bei den Nachbarn bekannt machen, wenn man gerade frisch eingezogen ist? Um anfängliche Schwierigkeiten zu vermeiden, rät die Expertin, vorab anzukündigen, wenn man in den kommenden Tagen mit Bohrer und Hammer ans Werk geht. Ansonsten sollte man sich nicht aufdrängen und Kontakte einfach passieren lassen – so zum Beispiel dann anläuten, wenn man gerade Essen übrig hätte, ein Packerl entgegengenommen hat oder etwas ausborgen möchte.
  • Begegnung fördern. Soll man dem Nachbarn während des Urlaubs den Schlüssel für die eigene Wohnung überlassen oder besser vorsichtig sein? „Vertrauen passiert nicht sofort, es entsteht über Kontakt“, sagt Rohrauer. Man könne daher nicht erzwingen, sich von Anfang an wohlzufühlen, aber den Austausch bei Begegnungen pflegen und auf Wunsch vertiefen. Das gelinge auch durch gemeinsame Projekte: „Dafür braucht es immer eine Person, die sich verantwortlich fühlt und das in die Hand nimmt.“
  • Gemeinsamkeiten. Um Zusammengehörigkeit zu schaffen, brauche es auch örtliche Gegebenheiten, die das fördern: „Das kann eine Gemeinschaftsterrasse oder einfach der gemeinsame Gang oder ein Bankerl im Hof sein“, so die Expertin. Diese Orte können gemeinsame Aufgaben mit sich bringen und auch Raum für den Austausch schaffen. „Freundschaften entstehen meist dann dort, wo man Gemeinsamkeiten entdeckt – so etwa Hobbys, die Sprache, aber auch ähnliche Sorgen und Ängste.“
  • Nähe und Distanz. Menschen sind sehr unterschiedlich – auch wenn sie im selben Haus leben. „Es ist ganz zentral, die Grenzen des anderen zu respektieren“, sagt die Expertin. Während der eine
    gerne schnell Kontakte knüpft und stundenlang plaudert, braucht der andere vielleicht mehr seine Ruhe. Rücksichtnahme sei daher der Schlüssel zu einem guten Zusammenleben. Geht es um Privatsphäre, scheint laut einer aktuellen Umfrage auch das Alter eine Rolle zu spielen. Je älter die Befragten waren, desto besser kennen sie ihre Nachbarn. Junge Erwachsene scheinen eher Anonymität zu schätzen: Jeder Zehnte der 18- bis 39-Jährigen gab an, die Nachbarn nicht zu kennen und das auch so beibehalten zu wollen. „In einer Nachbarschaft kommen unterschiedliche Bedürfnisse zusammen, die man respektieren sollte.“
  • Unterstützung. Sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, fördert ein gutes Gefühl unter den Nachbarn. Das müssen nicht immer große Gesten sein. Nimmt der Mensch von nebenan gelegentlich Pakete entgegen, füttert die Katze oder gießt die Pflanzen, könne das entlastend sein und Wohlbefinden fördern. Auch hier gilt es aber, die Grenzen des anderen zu respektieren und einen gemeinsamen Rhythmus zu finden.
  • Konflikte klären. Überall da, wo Menschen zusammenkommen, gibt es natürlich auch Reibflächen, denn ganz vermieden werden können Konflikte nie. „Damit man eine Eskalation verhindert, ist es wichtig, Dinge gleich anzusprechen“, sagt Rohrauer. „Man muss auf die anderen zugehen und ein bisschen hineinspüren, was geht und was vielleicht zu viel ist.“ Zu Streit komme es vor allem dort, wo unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderstoßen: „Die einen fühlen sich vielleicht schnell eingeschränkt, wenn es einmal lauter ist. Das Gegenüber ist hingegen irritiert davon, wenn es immer gleich zu einer Beschwerde kommt“, so die Expertin. Sucht man das Gespräch, solle man erklärend statt bevormundend vorgehen: „Zum Beispiel kann ich bei Ruhestörung darauf hinweisen, dass mein Schlafzimmerfenster genau in die Richtung der Lärmquelle geht.“ Dann sei es an allen Betroffenen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die ein Zusammenleben ermöglichen, bei dem niemand zu kurz kommen muss.

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