Durch die Lockdowns kam es auch zu Einbrüchen in Bereichen, die für die Werbebranche relevant sind. Wie stark ist das Werbevolumen durch Corona eingebrochen?
MATTHES: 2020 ist der Brutto-Werbeaufwand in Österreich um 4,5 Prozent gesunken: auf 5,85 Milliarden Euro. 4,5 Prozent, das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass es einen massiven Anstieg der Werbung von öffentlicher Hand gegeben hat - so etwas hat es noch nie zuvor gegeben. Die Einbußen teilen sich freilich unterschiedlich auf. Kinowerbung während der Lockdowns komplett unerheblich, Außen- also Plakatwerbung ging um 14 Prozent zurück. Onlinewerbung nahm um sieben Prozent zu, auch Radiowerbung legte zu. Werbetreibende gehen eben dorthin, wo die Menschen sind.

Die stärksten Werbekunden...
MATTHES: ... waren die Supermärkte, die zum Teil überhaupt die einzigen waren, die geworben haben. Die stärksten Werber im Jahr 2020 waren laut Werbebilanz der Rewe-Konzern und Spar. Es folgen Lutz, Hofer und Kika/Leiner. Im Vorjahr, also im zweiten Coronajahr, für das aber noch keine Zahlen vorliegen, dürfte sich der Werbemarkt wieder erholt haben.

Jörg Matthes: Je stärker die Distanz zwischen mir und dem Kommunikator, desto schwieriger."
Jörg Matthes: Je stärker die Distanz zwischen mir und dem Kommunikator, desto schwieriger." © Barbara Mair

Hat Corona die Werbung verändert?
MATTHES: Werbung reagiert stark auf Befindlichkeiten in der Bevölkerung. Sie setzte daher in der ersten Corona-Welle auf Zusammenhalt, Rücksicht und Sicherheit, um den Menschen die Ängste zu nehmen. Motto: Wir schaffen das. Wir sitzen alle im selbe Boot. Bei uns sind Sie sicher. Es ging darum, Nähe und Mitgefühl zu zeigen. Im Sommer 2021 dann wurde die Tonalität positiv emotionaler. Die Werbung griff die Aufbruchsstimmung auf.

Wien-Werbung
Wien-Werbung © wien.gv.at
McDonald's-Plakat während eines Lockdowns
McDonald's-Plakat während eines Lockdowns © McDonald's

Das Werbevideo des Diskonters Penny „Ich wünsch mir, dass du deine Jugend zurückbekommst“ berührte Millionen.
MATTHES: Corona hat in der Bevölkerung ein emotionales Vakuum hinterlassen. Tote, Zahlen, Inzidenzen, Impfungen, Maßnahmen: Viel kalte Kommunikation, der man sich kaum entziehen kann. Da wächst das Bedürfnis nach Emotionen, die in der öffentlichen Kommunikation nicht kommuniziert werden. Werbung hingegen holt dieses Bedürfnis ab. Sie spricht den Menschen aus der Seele, das ist ihr Kalkül: aus einem emotionalen Vakuum Bedürfnisse zu schaffen und Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Diskonter Penny, der gemeinhin nur für billige Preise steht, hat das mit dem Video geschickt gemacht. Solche Werbung führt natürlich nicht dazu, dass alle gleich zu Penny laufen. Aber sie schafft positive Assoziationen zur Marke, die langfristig Vorteile bringen und Penny vom Mitbewerb abheben.

Filmstill aus dem Penny-Video: "Bedürfnis nach Nähe"
Filmstill aus dem Penny-Video: "Bedürfnis nach Nähe" © Screenshot Youtube

In Deutschland haben sich Marken wie Iglo, Hornbach, Durex oder Netto zusammengetan, um für das Impfen zu werben. Mit abgewandelten Slogans à la „Impf in and find out“. Bringt das etwas?
MATTHES: Zu Anfang mag das vielleicht ein Motivator gewesen sein. Mittlerweile ist die Gesellschaft zu polarisiert. Sich impfen zu lassen ist eine fundamentale menschliche Entscheidung. Das macht es auch schwer für die staatliche Impfwerbung, die nicht ohne Grund auf Prominente und auf Menschen „wie Du und ich“ gesetzt hat. Denn: Was einem emotional am nächsten steht, überzeugt einen am meisten. Umgekehrt gilt: Je stärker die Distanz zwischen mir und dem Kommunikator, desto schwieriger.

Hat die Regierung in der Pandemie richtig geworben?
MATTHES: Die Kunst besteht darin, in einer polarisierten Gesellschaft alle zu erreichen. Die Regierung hat das Informationsbedürfnis anfangs gut abgeholt, etwa mit dem Slogan: „Schau auf Dich, schau auf mich.“ Bei der Kommunikation der Maßnahmen war es bisweilen einseitig in Richtung: So ist der richtige Weg und nicht anders.

Ein erhobener Zeigefinger?
MATTHES: Belehrung à la „Ich habe die Wahrheit mit dem Löffel gefressen“ ist eine große Gefahr, sie bringt nichts. Sie wirkt wie ein Bumerang, die Menschen sagen dann: Jetzt erst recht nicht. Überzeugen lässt man sich bei einem Thema, bei dem man nicht so stark involviert ist, bei der Wahl eines Schokoriegels etwa. Aber nicht, wenn es um die Pandemie geht.

Wie haben sich durch Corona die Werbesujets verändert?
MATTHES: Starke körperliche Nähe wird als unangemessen empfunden, solche Bilder gehen nicht mehr. Corona hat die visuelle Kommunikation stark verändert. Themen wie Liebe, Zuneigung, Lebensfreude und Sicherheit resonieren hingegen. Was die Werbekanäle angeht, ist Onlinewerbung weiter im Kommen.