Sie haben Ihr Amt als Präsident des Fiskalrats, „Schuldenwächter der Republik“, zu einer Zeit angetreten, in der Ansprüche an den Staat ins Unermessliche gestiegen sind – wie lösen Sie den Widerspruch auf?
CHRISTOPH BADELT: Ein Widerspruch zu den EU-Vorgaben existiert gegenwärtig nicht, weil es ja eine Ausweichklausel der EU-Kommission gibt. Aber davon unabhängig wird irgendwann nach 2022 sicher die Zeit kommen, in der wir diskutieren müssen, wie wir bei Defizit und Staatsverschuldung in eine Situation der Normalität eintreten, ohne gleichzeitig die Konjunktur abzudrehen. Es ist eine Aufgabe des Fiskalrates Stellung zu beziehen und die Nachhaltigkeit öffentlicher Haushalte im Blick zu haben. Das wird keine leichte Zeit sein – für den Finanzminister nicht, aber auch nicht für die Koalitionsregierung insgesamt, die ja dann ihre unterschiedlichen politischen Werte noch deutlicher herausarbeiten wird müssen.

War es notwendig, dass die EU 2022 ihre Defizit- und Schuldenregeln außer Kraft zu setzen?
Es war erstens notwendig und zweitens realistisch. Die Maastricht-Kriterien gelten ja nach wie vor. Aber die Kommission will keine Verfahren einleiten, wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Das ganze Fiskalregelwerk der Kommission war nicht auf die Bewältigung einer solchen Krise ausgelegt.

Darf die Politik, bis strengere Regeln erneut gelten, weiter mit vollen Händen Geld ausgeben?
Es wird ein schleichender Übergangsprozess sein, in dem man die finanzielle Nachhaltigkeit stärker in den Vordergrund rückt. Im nächsten halben Jahr wird es darum gehen, die Kurzarbeit als eines der teuersten Programme zeigt das schon, vernünftige Regelungen zu finden, um Unterstützungsmaßnahmen auslaufen zu lassen oder so zu fokussieren, dass sie der geänderten Corona-Situation und der Konjunktur Rechnung tragen. Im Herbst wird man sehen, ob wir die Covid-Situation bewältigt haben oder nicht. Dass wir sie ganz bewältigt haben werden, halte ich für ausgeschlossen. Man wird sicher nicht Geld ausgeben können nach dem Motto, wir können’s eh kreditfinanzieren.

Wie bekommt man das aus Mantra „Koste es, was es wolle“ raus aus den Köpfen?
Wenn man den Satz wörtlich nimmt, muss man ihn nicht zurücknehmen. Er heißt nur, solange es eine Gesundheitskrise gibt, gibt man aus, was notwendig ist, um die Krise zu bewältigen. Mit dem Ende der Pandemie ist die Gültigkeit des Satzes auch zu Ende. Dass man sich leicht daran gewöhnt, dass die öffentliche Hand bei Ausgaben großzügig ist und es auf ein paar 100 Millionen Euro mehr oder weniger Schulden auch nicht ankommen würde, steht auf einem anderen Blatt.

Diese Haltung ist vorhanden?
Es würde mich nicht überraschen. Das ist eine Haltung, gegen die der Finanzminister ohnehin schon arbeitet.

Was darf sich der Steuerzahler von Ihnen erwarten?
Ein Auge zu haben auf die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik. Und auch auf die Einhaltung der Regeln, zu denen wir uns international verpflichtet haben. Alles andere folgt daraus.

Wollen Sie „Stachel im Fleisch“ des Finanzministers und anderer, die Steuergeld ausgeben, sein?
Ich weiß gar nicht, ob der Fiskalrat in den nächsten Jahren der Stachel im Fleisch des Finanzministers sein muss, vielleicht ist er eher sein Kooperationspartner. Das ist eine fließende Grenze. Ich werde sicher meinen Schnabel wetzen, wenn ich glaube, dass es aus der Funktion heraus notwendig ist.

Welche Rolle hat der Staat in nachpandemischen Zeiten?
Covid hat gezeigt, wie notwendig es ist, gezielt und rasch zu intervenieren, um eine Krise nicht zum totalen sozialen und wirtschaftlichen Chaos werden zu lassen. Der Sozialstaat hat sich in der Krise bewährt. Nun gilt es in Ruhe zu klären, wann und wie stark sich der Staat wieder zurücknimmt.

Die Abgabenquote lag 2020 bei 42,4 Prozent. Müssen wir uns darauf einstellen, dass es für den Steuerzahler teurer werden wird?
Das Regierungsprogramm geht tentativ von einer Senkung der Abgabenquote aus, das wurde noch nicht revidiert. Die Krise hat die Erreichbarkeit dieses Ziels aber sicher noch einmal schwieriger gemacht.

Wer muss am Schluss die Zeche für diese Megakrise zahlen?
Das Defizit wird ein Stück weit durch den konjunkturellen Aufschwung reduziert. Den Löwenanteil schultern daher die Steuerzahler. Wenn Sie den Schuldenstand schneller reduzieren wollen, wird man entweder Ausgaben senken oder Einnahmen erhöhen. Politisch ist noch lange nicht entschieden, wer am Schluss mehr zu zahlen hat.