Mehr als ein Jahr nach seiner Verhaftung in Japan ist Carlos Ghosn, ehemaliger Verwaltungsratschef des Autobauers Nissan, getürmt. Illegal verließ er das Land. Wie konnte der 65-Jährige das schaffen? Die Details der hollywoodreifen Flucht kommen nach und nach ans Licht.

Die Ausgangslage

Ghosn wurde in Japan für rund vier Monate ins Gefängnis gesteckt. Im April 2019 kam er auf Kaution und unter strengen Auflagen frei. So verwahrten seine Anwälte drei Pässe des 65-Jährigen, der die libanesische, die brasilianische und die französische Staatsangehörigkeit besitzt.

Einen vierten Pass - ebenfalls französisch - durfte Ghosn aber laut Gerichtsbeschluss behalten. Er musste in einem verschließbaren Etui aufbewahrt werden, den Schlüssel hatten ebenfalls seine Anwälte. Ghosn reiste am 30. Dezember mit einem französischen Pass in den Libanon ein, das zeigen AFP vorliegende Dokumente des Flughafens in Beirut.

Der Weg nach Osaka

Ghosn verließ sein Haus in Tokio am 29. Dezember um die Mittagszeit. Die Überwachungskameras zeigen laut dem japanischen Sender NHK, dass er allein war. Mit dem Schnellzug (Shinkansen) fuhr er ins rund 500 Kilometer entfernte Osaka, die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden. Ob er in Begleitung war, ist noch unklar. In Osaka ließ Ghosn sich mit einem Taxi in ein Hotel in der Nähe des Flughafens Kansai fahren.

Die Flucht aus Japan

Ghosn wurde laut "Wall Street Journal" in einer großen schwarzen Kiste für Audiogeräte versteckt. Diese sei in einem Privatjet verstaut worden, der nach Istanbul flog. Die Zeitung zitiert türkische Ermittler, wonach die Kiste in der Kabine des Jets gefunden wurde. In den Deckel seien Löcher gebohrt worden, damit Ghosn Luft bekam. Japans Verkehrsministerium bestätigte, dass bisher Gepäckkontrollen bei Flügen mit Privatjets nicht zwingend vorgeschrieben waren. Die Kiste war offenbar auch zu groß für den Gepäckscanner am Flughafen Kansai.

Der Privatjet war laut "WSJ" am Samstag aus Dubai kommend in Osaka gelandet. An Bord waren zwei große schwarze Kisten und zwei Helfer - einer von ihnen war Michael Taylor, ehemaliges Mitglied einer US-Eliteeinheit, der jetzt als Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen tätig ist.

Zwischenstop in Istanbul

Der Flieger aus Osaka landete am Montag um 05.15 Uhr auf dem Istanbuler Flughafen Atatürk und parkte in einer Halle. 45 Minuten später startete ein weiterer Privatjet Richtung Beirut. Die Jets gehören beide der türkischen Firma MGN Jet. Die Firma erklärte, einer ihrer Angestellten habe zugegeben, die Papiere gefälscht zu haben, damit Ghosns Name nicht auftauche. Der Angestellte habe "auf eigene Rechnung gehandelt".

Sicher im Libanon

Ghosns Eltern stammen aus dem Libanon. Er kam in Brasilien zur Welt, verbrachte aber den größten Teil seiner Kindheit im Libanon. Er hält sich dort zusammen mit seiner Ehefrau Carole in der Hauptstadt Beirut auf. Japan beantragte zwar einen internationalen Haftbefehl gegen Ghosn. Doch die libanesische Regierung betont, der 65-Jährige sei legal eingereist. Ein Auslieferungsabkommen mit Japan gibt es auch nicht. Auch Frankreich, wo Ghosn lange Chef des Autobauers Renault war, versicherte bereits, es werde ihn nicht ausliefern, sollte er dort einreisen.