Das ist eine Botschaft an diejenigen, die sagen, dass die Kommission aus blinden, dummen, starrköpfigen Technokraten besteht“ – es waren betont undiplomatische Worte, mit denen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern die Kritik der vergangenen Wochen konterte.

Mit nicht weniger rüden Zuschreibungen stand zuletzt die Wettbewerbspolitik der EU-Kommission im Fadenkreuz. Auslöser war einer der weitreichendsten Fusionspläne der jüngeren EU-Industriegeschichte. Die Zugsparte des deutschen Siemens-Konzerns und jene der französischen Alstom wollen einen gemeinsamen Riesen schmieden. Die Wettbewerbshüter prüfen seit Monaten und machen aus ihrer Skepsis keinen Hehl. Bis Anfang übernächster Woche muss eine finale Entscheidung getroffen werden, zuletzt verdichteten sich aber die Anzeichen, dass Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestagerden Zusammenschluss bereits heute blockieren dürfte. Zu dominant, zu marktbeherrschend würde der neue Zuggigant – zumindest aus dem europäischen Blickwinkel.

"Rückwärtsgerichtete Technokraten"

Die Verbalattacke Junckers ist wohl als Replik auf Siemens-Konzernboss Joe Kaeser zu verstehen, der gemeint hatte, es werde „interessant sein, zu sehen, ob die Zukunft der Mobilität in Europa durch rückwärtsgerichtete Technokraten oder aber von zukunftsgerichteten Europäern bestimmt wird“. Juncker verweist indes darauf, dass die EU-Wettbewerbshüter in den vergangenen 30 Jahren mehr als 6000 Zusammenschlüsse genehmigt haben – und „weniger als 30“ blockiert.

Die Causa „Siemens-Alstom“ reicht aber weiter. Und sie wirft Grundsatzfragen auf. Gemeinsam käme das deutsch-französische Konglomerat mit fast 63.000 Beschäftigten auf einen Jahresumsatz von gut 15 Milliarden Euro. Im Bereich der Signaltechnik wäre man europaweit fast konkurrenzlos. Die EU-Kommission befürchtet, dass sich aus dieser Marktmacht höhere Preise für Züge und Technik und damit Nachteile für Konsumenten und Zulieferer ergeben könnten.

Staatlich orchestrierte Mega-Fusionen in China

Darum geht’s im vertieften Prüfverfahren, daraus speisen sich Skepsis und Kritik. Abwegig sind Befürchtungen dieses Zuschnitts jedenfalls nicht – genau hinzusehen und im Zweifelsfall ein Veto einzulegen, ist nun einmal die Aufgabe der Wettbewerbshüter. Warum also die Aufregung, die über den Unmut aus den Siemens- sowie Alstom-Chefetagen hinausgeht – und auch von der deutschen und französischen Regierung befeuert wird? Das hat mit den globalen Machtverhältnissen zu tun.

Denn auch wenn Siemens-Alstom ein europäischer Gigant wäre, in China thront mit CRRC der Weltmarktführer – der mit mehr als 30 Milliarden Euro Umsatz noch immer gut doppelt so groß ist wie die Zugsparten von Siemens und Alstom zusammen.

Auch CRRC ist – staatlich orchestriert – das Ergebnis einer Mitte 2015 finalisierten Fusion, bereits die Ursprungsfirmen CNR und CSR kamen damals auf jeweils mehr als zwölf Milliarden Euro Umsatz. Noch beschränkt sich das Treiben des chinesischen Zugbauers zu 90 Prozent auf den (für ausländische Anbieter schwer zugänglichen) Heimmarkt. Noch. Denn die staatliche chinesische CRRC drängt nach Europa. Wie aber steht es dann um das Gleichgewicht im Wettbewerb? So lautet eine der bangen Fragen in Europas Industriepolitik. Zumal die Bahnindustrie ja nur eines von vielen Beispielen der längst in Gang gesetzten globalen Machtverschiebungen ist.

"Brauchen europäische Champions"

Die deutsche und die französische Regierung fordern als Antwort auch ein grundlegendes Umdenken in der EU-Wettbewerbspolitik. Nur mit „eigenen europäischen Champions“ – als Beispiel wird gerne das Gemeinschaftsprojekt Airbus genannt – könne man der herandräuenden Megakonkurrenz aus Asien, aber auch aus anderen Erdteilen, auf Augenhöhe begegnen.

Wie auch immer der Poker um die Zugfusion jetzt endet, die grundlegende Debatte um Neuvermessungen in der europäischen Industriepolitik steht erst am Beginn.