War das Stahlgeschäft des 112 Jahre alten Unternehmens Klöckner so massiv bedroht, dass Sie vor dem Untergang die digitale Flucht nach vorne antraten?

GISBERT RÜHL: Nicht direkt vor dem Untergang, aber als wir vor über vier Jahren mit der digitalen Transformation begonnen haben, taten wir das vor dem Hintergrund, dass wir in der Industrie unter hohen Überkapazitäten leiden und unter Preisdruck stehen, vor allem bei Commodity Produkten, die 50 Prozent unserer Produkte ausmachen. Wir brauchten also ein Geschäftsmodell, welches längerfristig in die Zukunft gerichtet ist und auskömmlichere Margen ermöglicht.

Sie gründeten mit Kloeckner-i einen Online-Verkauf. Der revolutionäre zweite Schritt war aber die Gründung von XOM, einer Industrieplattform, auf der auch die Konkurrenz handeln kann.

Ja, das ist ein ungewöhnlicher Schritt. Wir hatten von vornherein die Idee einer Industrieplattform, weil wir sagten, nur das bringt wirklich Effizienz, wenn der Kunde einen Zugang zu sämtlichen Stahl- und Metallprodukten hat. Wenn sich der Kunde mit zehn verschiedene Onlineplattformen verbinden muss, dann hat er eigentlich keinen richtigen Vorteil. So aber hat er einen Zugang und dann die Möglichkeit, Preise zu vergleichen. Das war die Idee. Es war aber natürlich klar, dass das Thema auch intern nicht einfach zu transportieren ist.

Wie haben Sie Ihren eigenen Stammleuten im Verkauf erklärt, dass ihnen sogar auf der eigenen Online-Plattform die Konkurrenz das Geschäft angreift?

Zuerst haben wir die eigene Plattform Kloeckner-i aufgebaut mit inzwischen 90 Leuten. Die haben wir auch geöffnet, aber nur für komplemetäre Produkte. Das war noch zu erklären, dass man dem Kunden ein größeres Angebot bietet.

Die Industrieplattform XOM haben Sie abseits des Duisburger Stammhauses in Berlin mit lauter Digital Natives hochgezogen.

Ja, da war völlig separat. XOM hat inzwischen 40 Mitarbeiter. Als Voraussetzung für die digitale Transformation haben wir für eine hierarchiefreie Kommunikation Yammer eingerichtet, wie ein internes facebook, wo Mitarbeiter auch mit mir direkt in Kontakt treten können.

Jetzt macht KlöCo bereits 25 Prozent vom Umsatz online. Wann erreichen Sie 50 Prozent?

Wir machen insgesamt 6,3 Milliarden Euro Umsatz, haben 2017 über eine Milliarde online gemacht und 2018 Jahr war die die Zielsetzung 25 Prozent - die wir per Ende des Jahres erreichen. Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2022 60 Prozent online zu machen. Im Grunde genommen wird auf Sicht alles online gehen. Ich glaube nicht, dass in zehn Jahren - auch in unserer Branche - noch irgendwas offline läuft, sondern jeder wird die Geschäfte online abwickeln.

An der Plattform XOM, die Klöckner mehrheitlich gehört, verdienen Sie bald mehr, als mit dem eigenen Stahlhandel?

Wir sind noch dabei, XOM aufzubauen und hochzuskalieren und natürlich nimmt es einen Teil der Margen. Da eine Plattform im Grunde keine Assets hat, kann sie ohne inkrementelle Kosten wachsen.

Was passiert mit erübrigten "analogen" Mitarbeitern?

Stahl ist nicht komplett digitalisierbar. Es muss immer noch jemand geben, der den Stahl bereit hält, anarbeitet und liefert. Allerdings wird man insgesamt in einer Volkswirtschaft dazu weniger Mitarbeiter benötigen als bisher.

XOM ist quasi ein Amazon für Stahlprodukte. Wollen Sie es auf andere Branchen übertragen?

Wir haben XOM schon als Material Plattform gegründet. Da werden auch Plastikteile verkauft. Mit der Chemieindustrie sind wir im Gespräch.

Wo sonst sehen Sie den größten Digitalisierungsdruck?

Den größten Druck sehe ich im Moment in der Automobilindustrie, und zwar nicht nur wegen E-Cars und Dieselmotoren, sondern auch wegen neuer Mobilitätskonzepte in Verbindung mit digitalen Technologien. Das wird für die deutsche Automobilindustrie enorme Konsequenzen haben. Bei Google ist man mit Mobility-Konzepten extrem weit. Da sehe ich hier einen kritischen Rückstand.

Klöckner hat sich als deutsches Unternehmen etwas zugetraut, was man sonst aus dem Silicon Valley erwartet. Was erwarten Sie von einer selbstbehaupteten europäischen Industriepolitik?

Ich sehe das in der Tat kritisch. Wenn man sich bei Themen wie Artificial Intelligence im Silicon Valley oder in China bewegt, dann spielt Europa keine Rolle in der Diskussion. Dort wird in AI um ein Vielfaches mehr investiert, als in Europa. Wir müssen aufpassen, dass der Abstand nicht zu groß wird.