Asche streut sich Herbert Diess vor diesem Publikum nicht allzu viel aufs Haupt. Ganz dicht vor ihm, nur etwas mehr als eine Armlänge entfernt, sitzen unter den gut 50 prominenten Gästen auch zwei Männer, die Herbert Diess ein bissl Gas geben oder auch heftig einbremsen können – wenn sie wollen. Die beiden Cousins Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch, beide Enkel des Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche und als Mehrheitseigentümer Schlüsselfiguren des Weltkonzerns, spitzen beim Wiener Salon der Kleinen Zeitung die Ohren. Ihr Mienenspiel verrät nicht allzu viel, wenn der oberste Volkswagen-Lenker Sätze wie „Das Auto hat die besten Jahre noch vor sich“ in die Runde schickt, den Diesel verteidigt und die Wolfsburger Konzernzentrale als Beamtenapparat outet. Hier und da nicken die Cousins freundlich Richtung Podium. Diess, der österreichische Staatsbürger mit dem „bayerischen Sound“, wie es Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung, ausdrückt, ist im Gespräch ein flotter Fahrer.

„Hoffe, dass es keinen weiteren Rechtsruck gibt“

Wie er Österreich aus der Wolfsburger Distanz sieht? „Sebastian Kurz hat es geschafft, die extreme Rechte zu integrieren und zu kanalisieren. Das ist gelungen, das ist besser als in Deutschland.“ Er hoffe aber, „dass es keinen weiteren Rechtsruck in Österreich gibt“. Sich selbst sieht der Topmanager, der auch einen deutschen Pass hat, vor allem als Europäer. Jedes europäische Land sei zu klein, um in der Welt ernsthaft mitzubestimmen. „Die einen sind zu klein, die anderen wissen es nicht“, so Diess. Wozu Österreich gehöre? „Zu beiden“, kratzt der drahtige 60-Jährige bei seinem ersten Medienauftritt in Wien mit hintergründigem Witz die Kurve auf vertrauteres Terrain. Der einstige Bosch- und BMW-Manager, seit drei Jahren bei VW in der Chefetage und seit dem Frühjahr im Chefsessel, will die Krise infolge des Abgasskandals sowie den „großen Wandel“ in der Automobilindustrie, der ganze Geschäftsmodelle infrage stelle, auch als Chance nützen. Die scharfe Wende Richtung E-Mobilität werde etwa demnächst auch Motoren- und Getriebewerke massiv treffen.

Im Gegenzug werde künftig die immer komplexere Software für Autos aus dem Konzern selbst kommen müssen, Gleiches gelte für „Deep Learning“ oder künstliche Intelligenz, eine Voraussetzung für autonomes Fahren. „Da ist Deutschland nicht Weltmarktführer“, meint Diess trocken. „Wir werden sehr schnell lernen müssen.“ Kooperationen seien hier ein Thema. Diess: „Risiko und Aufwand zu verteilen, ist sicher besser.“ Auch vor dem Hintergrund der neuen Player – ob nun aus China oder aus dem Silicon Valley.

"Auto muss mehr bleiben als ein Transportmittel"

Seinen plakativen Spruch vor Journalisten, dass die Konzernüberlebenschancen bei 50:50 lägen, strapaziert Diess in Wien vor seinen prominenten Eigentümern nur kurz. „Wir haben derzeit keinen Rückstand“, so sein Befund. „Aber sind wir in zehn Jahren noch führend?“ Eine rhetorische Frage offenbar. In Zeiten von Umbrüchen sei es auch seine Aufgabe, „wachzurütteln“, so Diess, der auch festhält: „Eigentlich müsste in zehn oder 15 Jahren das wertvollste Unternehmen der Welt wieder ein Automobilunternehmen sein.“ Die Fähigkeit des Konzerns, drei oder viermal im Jahr ein völlig neues Werk irgendwo auf der Welt hochzufahren, also gute Entwicklungen schnell zu skalieren, sei dafür eine gute Voraussetzung. „Da kann es schon sein, dass wir vorn sind.“ Das nun viel höhere Tempo im Konzern treffe vor allem die Zentrale in Wolfsburg, diese müsse sich „dramatisch ändern“. Was sich dagegen nicht ändern dürfe, formuliert Diess fast wie die Umkehrung einer Angst: „Das Auto muss mehr bleiben als ein Transportmittel von hier nach da.“

"Verfahren werden uns noch Jahre beschäftigen"

Zum Abgasskandal liefert Diess in Wien keine Neuigkeiten aus erster Hand. Schließlich sind längst die Gerichte am Zug. Diess: „Die Tausenden von Verfahren weltweit werden uns noch Jahre beschäftigen.“ 27 Milliarden Euro musste Volkswagen seit Herbst 2015 für die Schadensbegrenzung aufwenden. Die neue Musterklage deutscher Verbraucherschutzverbände, die auf Schadenersatz wie in den USA abzielt, kommentiert Diess nur knapp: „Die Fahrzeuge sind gesetzeskonform.“

Abgesänge auf den Diesel hält er für verfrüht, „bei großen Autos und langen Strecken würde ich immer Diesel empfehlen“, zudem brauche man den Selbstzünder, um die geforderten CO2-Grenzwerte erreichen zu können.