Wann können wir mit künstlicher Intelligenz in Infineon-Chips im autonomen Auto zu Ihnen kommen?

SABINE HERLITSCHKA: Der Audi A 8 hat aktuell den höchsten Grad automatisierter Sensorik.

In Europa sind 4000 Patente für KI, für künstliche Intelligenz angemeldet, in China 8000, in den USA 16.000. Hat Europa die digitale Revolution verloren?

Nein. Als in der Mikroelektronik die Speicher nach China abflossen, setzten wir auf die Leistungselektronik, mit der wir nun mit 18,5 Prozent Weltmarktführer sind. Es kann also gelingen, Stärke aufzubauen.

KI-Unternehmen gibt es aber in den USA 3000, in China 700, in Deutschland gerade einmal 100. Beim EU-Wettbewerbsrat der Wirtschaftsminister schlugen Sie mit diesen Zahlen hörbar Alarm.

Ja, sie zeigen, dass wir in Europa viel zu tun haben. EU-Kommission und Mitgliedsländer müssen die Kräfte bündeln, das Match ist noch nicht verloren.

KI durch Deep Learning, selbstlernende Produktion, wird das neue Voest-Edelstahlwerk in Kapfenberg sowie Ihr neues Chip-Werk in Villach steuern. Zwei Symbolwerke für die Neuerfindung der europäischen Industrie?

Absolut. Unsere 1,6-Milliarden-Investition ist die größte seit Jahrzehnten in Österreich und ein massives strategisches Statement in Europa und weltweit. Wir sind ein globales Unternehmen, aber wir setzen auf unsere Homebase Europa und halten damit wissensbasierte Industrie hoch.

In der globalen Arena herrschen Hauen und Stechen. Der US-Konzern Qualcomm wollte den holländischen Halbleiter-Konzern NXP aufkaufen, in Deutschland schluckten Chinesen Kuka-Robotics. Umgekehrt wurde Infineon der Kauf von Wolfspeed in den USA durch CFIUS, das Prüfkomitee für Auslandsinvestitionen, aus Staatsräson verwehrt. Benötigt Europa auch eine Firewall gegen Hightech-Ausverkauf?

Europa hat das noch nicht, braucht es aber, um essenzielle Schlüsseltechnologien zu behaupten. Ohne die Schlüsseltechnologie Mikroelektronik findet Digitalisierung nicht statt. Da geht es mir nicht so sehr um die einzelnen Unternehmen, sondern um einen geschärften strategischen Blick. Wenn wir in Europa in der Digitalisierung nicht fremdbestimmt sein wollen, brauchen wir die Schlüsselkompetenzen.

In China diktiert die Führung, bis 2025 sollen 75 Prozent der Industrieroboter dort gebaut werden. Der Palo-Alto-Kapitalismus von Google & Co macht mit Daten, was er will. Wie hält Europa mit fairem Wettbewerb dagegen?

China gibt heute mehr Geld aus für Import von Mikroelektronik als für Öl. Es will 150 Milliarden in den Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie investieren. China setzt aus seiner Sicht auf die richtigen Technologien für Wachstum, aber würden wir auch das China Social Credit System mit totaler Überwachung wünschen, gegen das Big Brother ein Weisenknabe war? Für Europa geht es nicht nur um Autonomie, sondern auch um unser demokratisches Gesellschaftsmodell. Technologie kommt meist nicht neutral, sondern mit bestimmten Werten.

Was gehört für Sie neben den allgemeinen Menschenrechten zu Europas Werten?

Unser Verständnis von Demokratie, Chancengleichheit und Vielfalt, die wir hochhalten. China und die USA, das Silicon Valley, wenden Technologie und künstliche Intelligenz anders an, als wir es tun würden.

Nicht zum Schutz der Demokratie, sondern zum Aushebeln.

Das ist sehr zugespitzt formuliert. Bei der Technologie aus dem Silicon Valley sind Daten alles, über jeden Datenschutz hinweg. Bei seinem Auftritt im EU-Parlament hatte man den Eindruck, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nicht wirklich verstand, dass Datenschutz eine so dominante Sorge ist. Wir müssen erkennen, dass es bei der Digitalisierung um einen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wettbewerb geht. Dieser Wettbewerb wird über die Technologie entschieden.

EU-Außenschutz für Technologie - wäre das ein Erfolg für Österreichs EU-Ratsvorsitz?

Die Vorschläge für ein Foreign Direct Investment Screening für ausländische Investitionen liegen detailliert auf dem Tisch. Bundeskanzler Kurz kennt diesen Punkt. Konkret bedeutet es, dass man bei Akquisitionen ein Screening zur Sicherung der strategischen Interessen Europas vorsieht. Wir brauchen das, um den Technologieausverkauf aus Europa zu verhindern. Wir müssen unsere Werte schützen und deshalb die Technologie.

Facebook wird höher bewertet als die gesamte deutsche Automobilindustrie. Muss man Datenriesen wie Google und Facebook zerteilen, wie es der US-Ökonom Scott Galloway fordert?

Europa muss sich seine eigenen Datenräume bauen, damit wir nicht abhängig sind. Da haben auch die Nutzer eine Verantwortung. Wenn alles auf Facebook gestellt wird und wir in Europa zugleich ein strenges Datenschutzsystem haben, dann klafft eine große Lücke. Jeder hat es selbst in der Hand, ob und was er auf Facebook stellt. Das müssen wir auch den Kindern in der Schule vermitteln.

Braucht Europa eine andere Forschungsentschlossenheit - auch mit Erhöhung des nationalen EU-Beitrages von 1,0 auf 1,11 Prozent des Inlandsprodukts?

1300 Milliarden Euro sind derzeit von der EU-Kommission für den neuen Finanzrahmen vorgeschlagen, davon sind von der EU-Kommission 100 Milliarden für Forschung und Innovation vorgesehen. Das EU-Parlament hat 120 Milliarden empfohlen, ein Expertenbericht schlägt 160 Milliarden vor. Das halte ich für angemessen. Derzeit sind noch immer 60 Prozent des EU-Budgets für Strukturfonds und Landwirtschaft vorgesehen - das hat Gründe, doch die Herausforderung für Europa muss veranlassen, den Finanzrahmen stärker auf Forschung und Innovation auszurichten. Parallel muss auch die Zusammenarbeit forciert werden, um etwa bei künstlicher Intelligenz ab 2020 auf 20 Milliarden Euro Budget zu kommen.

Die digitale Welt wird nicht alle mitnehmen. Sind Sie für bedingungsloses Grundeinkommen?

Nein. Arbeit ist mehr als Gelderwerb. Arbeit ist Teil der Identität und stiftet Sinn. Ein Pilotversuch in Finnland wird nicht fortgesetzt.

Arbeit ist ein Schlüssel zur Integration. Wie kann sie auch mehr Wissen nach Europa bringen?

Es sind richtige Überlegungen, die Außengrenze Europas zu schützen. Es kann nicht in der Entscheidung von Schleppern liegen, wer nach Europa kommt. Da müssen wir in Europa das Heft in der Hand haben. Zugleich herrscht massiver Fachkräftemangel. Als Infineon haben wir derzeit 200 offene Stellen und wollen 1000 Stellen mittelfristig aufbauen. Vielen Betrieben fehlen Fachkräfte, weil es gesellschaftlich nicht gelingt, ausreichend Begeisterung für Technik zu vermitteln. Die Rot-Weiß-Rot-Karte - insbesondere in der aktuellen Form - reicht nicht.

Das liegt aus Ihrer Sicht als Biotechnologin auch an einer Wissenschafts-Skepsis in Europa, die auch im EU-Gerichtsurteil zur Kontrolle der Genschere CRISPR/Cas9 zum Ausdruck kam?

Man muss vermitteln, dass es nicht nur „fancy“ ist, die neueste Technik zu nutzen, sondern dass Technikausbildung hochattraktive Jobchancen eröffnet. Wir selbst beginnen damit in unserem internationalen Kindergarten, da ist die Begeisterung bei den Kindern hoch, auch bei den Mädels.

Chiptechnologie wandert in den Körper. Transhumanisten erzählen, wie sich ein Chip mit allerlei Funktionen unter der Haut anfühlt. Wo ziehen Sie die Grenze?

Auch das sehe ich pragmatisch. Am Ende muss jeder selbst entscheiden können. Doch sollte man nicht zu große Luftschlösser bauen. Jeder hat heute fast alles auf dem Smartphone. Was passiert, wenn Sie's verlieren?

Digitale Detox erster Klasse.

Jede Technologie hat hre Vor- und Nachteile, das muss jeder für sich abwägen. Moderate digitale Detox, vor allem im Sommer, hat schon Vorteile.