Der Wachmann am Mayr-Melnhof-Fabrikstor trägt den Colt in Wildwestmanier. "Wie viele Patronen?" "Doce" – zwölf, sechs sind außen am Halfter angesteckt. "Smith & Wesson, calibre 38", erklärt der Mann der Guarda Privada stolz. Hochsicherheit auch im malerischen Stadtkern von Cali, das unter Tropenhitze liegt.

Kleine Gruppen der Guarda Militar patrouillieren mit Maschinenpistolen zwischen der Kathedrale San Francisco und dem Kolonialhaus der einstigen Tabakgesellschaft. Als Besucher fühlt man sich in dieser Stadt nicht nur von der Virgen de la Merced behütet, die sich im 1536 datierenden Convento mit einem goldbehangenen König der Llama-Kultur im Museo de Oro nebenan die Geschichte der Stadt teilt, die den brutalen Konquistadoren des Drogenhandels zum Opfer fiel.

Doch das mörderische Cali-Kartell der Drogenbarone ist jetzt zerschlagen und den über 50 Jahre währenden Krieg mit den FARC-Rebellen zähmt man in einem Friedensprozess. "Allein der Friedensschluss hat eine enorme psychologische Wirkung in Kolumbien erzeugt", sagt der österreichische Wirtschaftsdelegierte Hans-Jörg Hörtnagl. "Seit dem Frieden haben wir das Gefühl, dass wir ein größeres Kolumbien haben", erklärt Fabian Ortiz Sandoval von der Ansiedlungsgesellschaft Procolombia.

32,5 Prozent Exportplus

So wird das 50-Millionen-Einwohner-Land Kolumbien zusehends zum Boom-Land für Auslandsinvestitionen und Exporte. Aus Österreich sind die Exporte in das 13,5 Mal größere südamerikanische Land 2017 um 32,5 Prozent auf 130,5 Millionen Euro gestiegen. "Kolumbien tätigt gerade gewaltige Infrastrukturinvestitionen, da können sich österreichische Unternehmen große Chancen ausrechnen", sieht der Kärntner Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Mandl mit einer Unternehmerdelegation vor Ort Potenzial. Im Oktober nimmt eine steirische Wirtschaftsmission mit Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl den Wachstumsmarkt in Augenschein.

Salsa im Mayr-Melnhof-Werk

In Cali sorgt steirischer Forstadel für Karton statt Kartell. Schon 2011 wagte sich die Mayr-Melnhof Packaging hierher, übernahm zwei lokale Gesellschaften und produziert mit 260 Mitarbeitern Kartonverpackungen für Kunden von Nestlé und Mondelez (Milka) bis Dr. Oetker und McDonald’s. "Den Mindset zu ändern, war das Schwierigste. Wir arbeiten hier nach den Qualitätsstandards, die in Österreich vorgeschrieben sind", sagt Werksdirektor Fernando Pereira Navarro stolz an der Seite seiner Heidelberg Speedmaster, dem Flaggschiff seiner neun Druckmaschinen. Der rundliche Peruaner lässt im straff strukturierten Werk überall die Parole "20-20" ausschildern. "Wir wollen bis 2020 die Produktivität um 20 Prozent steigern." Schon jetzt steuert der Betrieb in Cali 30 Millionen Euro zum MM-Konzernjahresumsatz von 2,34 Milliarden Euro bei sowie zum operativen Konzerngewinn von 215 Millionen Euro "einen positiven Beitrag", wie Pereira versichert.

130 Euro verdienen die Lagerarbeiter im Monat, 400 Euro ein Drucker, 4000 das Management. Bei der Recycling-Anlieferung abseits der stampfenden Druckmaschinen gibt es zu 45 Grad Hitze auch noch heiße Rhythmen. "Salsa steigert die Leistung um 15 Prozent", setzt der Werkschef auf die Leidenschaft der Calenos. Cali sieht sich als Welthauptstadt des Salsa. In der begünstigten Zona Franca Parque Sur hat sich unter anderem der indische Motorraderzeuger und Puch-Partner Hero angesiedelt. Überall im Land dürfen Unternehmen 50 Prozent der Steuer direkt in Infrastruktur stecken.

Richtungsentschidung bei der Wahl

100 Euro sind atemberaubende 340.000 Pesos Colombianos, die Inflation ist aber auf vier Prozent gesunken, das Wirtschaftswachstum auf 1,8 Prozent gestiegen, Tendenz nach oben. Der von Präsident Juan Manuel Santos eingeleitete Friedenprozess, in dem die "Kommission der Wahrheit" die Kriegsjahre aufarbeiten soll, ist mit entscheidend für das Investitionsklima. Wer die Präsidentenwahl am 27. Mai und die zweite Runde gewinnt, ist offen. Mitte-links-Kandidat Gustavo Petro holt gegenüber dem konservativen Ivan Duque auf. "Kolumbien ist gespalten. Es braucht einen pragmatischen Präsidenten", sagt Österreichs Botschafterin in Bogotà, Marianne Feldmann. "Bis 2004 gab es 3000 Entführungen pro Jahr. Lange fehlte eine Pädagogik des Friedens, aber jetzt gibt es ein neues Kolumbien. Der Agrarbereich hat ein unglaubliches Potenzial, es fehlt die Konnektivität."

Strabag baut 180 Kilometer Autobahn

"Früher kontrollierte die FARC ein Drittel des Landes, jetzt werden überall Straßen, Häfen, Flughäfen gebaut", so Hörtnagl. Im Untergrund sind daher statt Guerilla Tunnelbauspezialisten aus Kärnten und aus Tirol gefragt. Die Strabag baut 180 Kilometer Autobahn, Andritz ist bei Wasserkraft engagiert, 60 Prozent des Trinkwassers von Bogotà fließt durch Gugler-Turbinen. Gleich zwei Ministerien für Digitalisierung treiben Glasfaser-Ausbau und Digitalisierung der Betriebe voran.

Agrartropenzentrum CIAT

Der Drogenhandel hat sich trotz Zerschlagung der Kartelle nun quasi auf KMU-Ebene seit zehn Jahren verdoppelt. Für die Kokabauern ist alternativer Anbau ein Thema. Hier setzt man im Agrartropenzentrum CIAT bei Cali an. In einer Gendatenbank sind 67.000 Sorten an Bohnen, Marioka und tropischen Futterpflanzen gesammelt. Mit Monsanto arbeite man nicht zusammen, bald aber mit Crispr-Cas9-Methode für Bioscience. Die hohe Biodiversität, so Laborchefin Marcela Santaella, sei das größte Asset für Kolumbiens Zukunft und bedeutend für die Ernährung der Welt.

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