Rainer Seele dürfte mit einem lachenden und einem weinenden Auge von seinem Top-Job in der OMV abtreten. Braun gebrannt, meistens mit einem gewinnenden Lachen im Gesicht stand er am Mittwoch das letzte Mal Rede und Antwort, wie es um Österreichs Öl- und Gas-Konzern steht. Dessen drastischer Schwenk zu einem mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Geschäft im Frühjahr vor einem Jahr hatte schwerste interne Turbulenzen bei dem Energieriesen ausgelöst - die wohl auch noch länger nicht ausgestanden sein dürften. 

Seele geht, wie zu erwarten, mit einem Top-Ergebnis. Operativ steht das Unternehmen Seele und Finanzchef Reinhard Florey zufolge so gut wie noch nie da - zumindest, wenn die stark schwankenden Bewertungen voller Lager außen vor gelassen werden. Dann hat Seele seinem Nachfolger Alfred Stern die Latte mit 2,169 Milliarden Euro Ergebnis hoch gelegt. "Das höchste Ergebnis jemals freut mich als scheidender CEO natürlich ungemein", so Seele. Später, als viele persönliche Fragen zu seinem Abschied auf ihn prasseln, ist bei manchen seiner Antworten ein ganz kurzes Kippen in der Stimme zu bemerken.

Klassisches Raffineriegeschäft unter Druck

Er selbst bringt die Zahlen und insbesondere die Borealis-Mehrheitsübernahme auf eine "einfache, kristallklare Formel": "Borealis hat die Ertragskraft der OMV verdoppelt." Tatsächlich präzisiert Finanzchef Reinhard Florey später, dass bereits mehr als die Hälfte des OMV-Nettogewinns von der Petrochemietochter kommen, dessen langjähriger ehemaliger Chef Alfred Stern im September das Ruder der gesamten OMV übernimmt. 

Im traditionellen Öl- und Gasgeschäft gibt es noch viele Corona-Spuren. Das klassische Raffineriegeschäft ist unter Druck. Die Nachfrage nach Kerosin für die Luftfahrtindustrie ist weiter dünn, die Nachfrage nach Heizöl niedrig, sodass die Raffinerieauslastung nur bei  83 Prozent liegt. Während die Petrochemie-Sparte rund 1,1 Milliarden Euro zum Ergebnis lieferte, flossen aus der Sparte Exploration und Production, also Förderung und Verarbeitung, 860 Millionen ein.

Zur urpsrünglich für den heurigen Sommer angekündigten neuen Strategie verwies Seele erwartungsgemäß auf seinen Nachfolger, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er selbst heute völlig anders über die Klimaproblematik denke als noch bei seinem Start in der OMV. "Klimaschutz und die Energiewende sind ein Muss", so Seele wörtlich. "Der Innovationswille der Industrie ist stark". Hatte Seele noch vor drei Jahren in einer bis 2025 definierten Strategie auf eine starke Mengenausweitung gesetzt - dabei vor allem auf russisches Gas - kam wenig später eine Reihe von ersten Schritten in eine mögliche neue Richtung wie beispielsweise die Implementierung einer Re-Oil-Anlage, die aus Plastik Öl rückgewinnt oder eine erste grüne Wasserstoff-Produktion zusammen mit Österreichs größtem Stromerzeuger Verbund. 

Seele: "Nicht jeder Mensch verdient Vertrauen"

Etwas lässt sich Seele dann doch entlocken, mit welchen Gefühlen er nach den mehr als ein Jahr dauernden Grabenkämpfen von Bord geht. Zur Kleinen Zeitung sagte er. "Ich muss ehrlich gestehen, ich freue mich über die Rekordergebnisse und diesen guten Abschied, aber ich habe aufgehört, irgendeine Vergangenheitsbewältigung zu machen, Fragen und Antworten zu finden. Ich habe nur eins gelernt, man sollte in seinem Leben Menschen vertrauen, aber man muss sich auch darauf vorbereiten, dass nicht jeder Mensch das Vertrauen verdient und man Überraschungen erlebt, aber das sollte einen nicht davon abbringen, dass 99 Prozent der Menschen, die man trifft, das Vertrauen verdienen. Auf diesen Punkt konzentriere ich mich, ich schaue positiv in die Zukunft."

Worauf er damit anspielte, dürfte daszerkrachte Verhältnis Seeles zur Upstream-Sparte innerhalb des Konzerns sein. Das Fördergeschäft war immer die traditionell wichtige Basis des gesamten OMV-Geschäfts. Inwieweit dieser elementare Richtungsstreit ausgestanden ist, ließ Seele nicht erkennen, sagte aber allgemein zur OMV: "Diese Zukunft wird eine sehr spannende sein." 

Nicht nur bei ihm persönlich, sondern im ganzen OMV-Vorstand sei in den vergangenen Jahren ein Wandel erfolgt. "Mit Genugtuung" äußerte er sich zur Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2. Schon im zweiten Halbjahr kämen Zinsen aus den rund 800 Millionen Euro, die die OMV zur Finanzierung beigetragen hatte. Rund zwei Milliarden dürften der OMV heuer noch aus Verkäufen zufließen, die Seele betrieben hatte. Offen ist noch der Verkauf der Düngemittelsparte der Borealis, für die es viele Interessenten gebe.