Schon vor der Krise war der Fachkräftemangel eine Wachstumsbremse. Im erwarteten Aufschwung könnte das Problem trotz weiterhin sehr hoher Arbeitslosigkeit wieder voll aufschlagen. Jetzt geht die Industriellenvereinigung in die Offensive und fordert die Installierung einer eigenen Fachkräfteagentur. Ein Frontalangriff auf das AMS, das derzeit das größte Qualifikationspaket seiner Geschichte auf den Boden bringt, um diesen drohenden Engpass zu verhindern, sei das nicht, betont IV-Präsident Georg Knill. Die IV wünscht sich einen Start nach dem Sommer. Wie gut und konkret der Plan bereits mit den Ministerien Arbeit, Wirtschaft und Finanzen akkordiert ist, blieb bei der Pressekonferenz noch offen. Grundsätzlich steht die IV allerdings im engsten Kontakt mit der Regierung.

IV-Chefökonom Christian Helmenstein geht schon in der ersten Aufschwungphase von 20.000 bis 30.000 Fachkräften aus, die in Unternehmen fehlen. "Wenn der Aufschwung zwei bis drei Jahre anhält", so Helmenstein, "wird dieser Mangel eine sechsstellige Dimension annehmen." Knill zufolge will bereits ein Drittel der Industrieunternehmen wieder Personal aufbauen, "nur noch jeder 33. Betrieb will abbauen". Die IV kann sich dabei auf regelmäßige Konjunktur-Umfragen bei den Betrieben stützen.

Europa als Wachstumsnachzügler

Die Ambition einer bloßen Rückkehr der Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau reiche für Österreich nicht, mahnt Helmenstein. Europa sei im Vergleich mit China und den USA ohnedies ein Wachstumsnachzügler. Österreich könne die Rolle des "Star-Performers in der Industrie in Europa einnehmen, wenn man sie lässt." Corona habe in vier wesentlichen Bereichen zu "Schäden am Wachstumsfundament" geführt: Die Corona-Hilfen hätten zu einem großen Teil auf die Konservierung alter Strukturen abgezielt, es sei das Paradoxon hoher Arbeitslosigkeit in Kombination mit dem Riesenproblem Fachkräftemangel entstanden, die Krise habe viel Eigenkapital vernichtet und die Staatsschuldenquote um 20 Prozentpunkte erhöht, die binnen einer Dekade durch Ausgabenkontrolle wieder abgebaut werden müsse. 

Der Forderungskatalog, den die IV daraus ableitet, ist lang: Die Wiedereinführung eines Investitionsfreibetrages von 30 Prozent der getätigten Investitionen. Das würde etwa sieben Prozent Investitionsprämie entsprechen. Die in der Pandemie aufgelegte Investitionsprämie, deren Topf kürzlich noch einmal angefüllt wurde, ist zeitlich begrenzt.

"Lohnnebenkosten senken"

Weiters plädiert die IV für eine Lohnnebenkostensenkung über mehrere Hebel. In Summe sollen die Lohnnebenkosten von derzeit knapp 27 Prozent um vier Prozentpunkte sinken. Laut IV bietet sich dafür die Unfallversicherung an, die mit 1,2 Prozent seit Jahrzehnten unverändert seien, obwohl die Zahl der Arbeitsunfälle um 40 Prozent gesunken sei. Der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) biete sich ebenfalls an - der Anteil beträgt 3,9 Prozent, die Arbeitslosenversicherungs-Beiträge seien mit sechs Prozent ebenfalls sehr hoch. In Deutschland betragen sie 2,4 Prozent. Die Körperschaftssteuer KÖSt für Unternehmen müssen von 25 auf 21 Prozent sinken. Die Forderungen sind grundsätzlich nicht neu. Dass die Regierung sich dazu im Detail äußert, gilt als unwahrscheinlich, ist doch ihr wichtigstes Großprojekt nach der Corona-Krise eine umfassende Steuerreform mit starken ökologischen Komponenten.

Wie die Idee der Fachkräfteagentur in der Politik ankommt, ist noch unklar. Knill zufolge soll sie als "Kompetenzzentrum" fungieren, das zwischen Wirtschafts-, Arbeits- und Finanzministerium angesiedelt sei. Die IV stellt sich eine finanzielle Ausstattung mit einigen Millionen Euro vor. Wichtig sei, einen "Kompetenzatlas" zu erstellen, was die Industrie brauche. Eine gar nicht unähnliche Idee hatte bereits einmal Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) in Ankopplung an die Ansiedlungsagentur ABA ersonnen. Arbeitsminister Martin Kocher war für eine Stellungnahme vorerst nicht erreichbar. Lob kombiniert mit leiser Kritik kommt von den IV-Vertretern etwa zum jüngst vorgestellten Aktion Sprungbrett für Langzeitarbeitslose. Das Projekt könne einen substanziellen Beitrag leisten, aber im AMS sei auch auf konsequente Vermittlung von Arbeitslosen abzustellen und die Eingliederungsbeihilfen könnten speziell auf bestimmte Gruppen abgezielt ausgeweitet werden.

"Österreichs Industrie ist Teil der Lösung"

Zeitgleich mit der IV hatten auch der WWF und Global 2000 zu einer Pressekonferenz eingeladen, bei der die beiden Umweltschutzorganisationen mit der Unterstützung von 245 Unternehmen, die etwa 62 Milliarden Euro Umsatz repräsentieren, auf einen "Green Deal" für Österreich pochten. Zentrale Forderung ist ein konkreter Ausstiegsplan für fossile Energien. Die Wirtschaftskammer reagierte sehr positiv auf den Vorstoß. Man erwarte ebenfalls von der Regierung, beim Umstieg technologieoffen zu sein und mit Förderungen und Steuererleichterungen Anreize zu schaffen. Eine Sorge teilt WKÖ-Generalsekretär Karl-Heinz Kopf mit IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: Zu lange Verfahrensdauern für den Bau der benötigten Stromleitungen.

Die Industrie schlägt einen Dekarbonisierungsfonds vor, der im Laufe der nächsten Jahre mit Milliarden den Transformationsprozess unterstützen soll. Österreich habe sich eines der ambitioniertesten Klimaziele gesetzt, so Knill. "Österreichs Industrie ist Teil der Lösung", versprach er. Allerdings brauche die Umstellung realistischerweise Zeit.