Corona ist ein "Boost" für den Online-Handel, aber es hätte möglicherweise noch schlimmer kommen können, wie es angesichts wochenlang geschlossener Geschäfte zu vermuten gewesen wäre. Denn noch immer geben die Österreicher neun von zehn Euro im stationären Handel aus. Die "magische" Grenze von zehn Prozent Anteil am gesamten Umsatz im Handel hat das Online-Shopping 2020 von 9,9 auf nun 11,3 Prozent deutlich übersprungen. Laut EU-Shopping-Report haben die Österreicher für 8,4 Milliarden Euro Online-Umsatz gesorgt. Das waren 1,2 Milliarden Euro mehr als 2019. 4,4 Millionen Menschen klickten in Österreich 2020 auf "Kaufen", 300.000 mehr als 2019. Damit kauften 66 Prozent der Menschen auch online, zuvor waren es 62 Prozent gewesen.

Die ausgabefreudigsten Altergruppen sind übrigens die 25- bis 34-Jährigen, bei ihnen liegt der Online-Anteil an den Ausgaben im Handel bei 15,2 Prozent, gefolgt von den 16- bis 24-Jährigen mit 14,9 Prozent und den 35- bis 44-Jährigen mit 14,6 Prozent. 7,3 Prozent ihrer Konsumgüterausgaben entfallen bei den 55- bis 64-Jährigen auf den Online-Handel. Nur noch 4,3 Prozent sind es bei den 65- bis 74-Jährigen.

"Zwei Kanäle stehen stabil nebeneinander"

Die Tendenz der Online-Umsätze ist nach Einschätzung der Handelsexperten Christoph Teller und Ernst Gittenberger weiter deutlich steigend - vor allem mit dem Blick auf die Einkaufsgewohnheiten in Skandinavien. In Finnland fließen bereits knapp 17 Prozent aller Handelsumsätze über das Web. Trotzdem sehen die Forscher für die Zukunft des stationären Einzelhandels hierzulande keinesfalls schwarz. "Diese zwei Kanäle stehen in Österreich sehr stabil nebeneinander," so Teller, der als Professor dem Institut für Handel an der Linzer Kepler-Universität vorsteht. Dass die Entwicklung in Österreich relativ gebremst verlaufen sei - nämlich genau im Durchschnitt der gesamten Entwicklung in der EU - sei nicht zuletzt der sehr hohen Ladedichte zu verdanken. 

Spitzenreiter Deutschland, Frankreich, Spanien

Die Deutschen sind der Studie zufolge Europas Schwergewicht beim Online-Shopping. Von den 266,5 Milliarden Euro, die der Onlinehandel bereits europaweit auf sich vereint - übrigens ein Zuwachs von 55,6 Milliarden Euro - entfällt mit 79 Milliarden rund ein Drittel auf Deutschland. Zu den drei Spitzenreiten gehören außerdem Frankreich und Spanien. Am unteren Ende bei dem EU-Vergleich steht Rumänien. In den Ländern mit bisher geringen Online-Umsätzen sind dafür die Zuwächse sehr kräftig ausgefallen.

Oft schnappt "Amazon-Erwartungsfalle" zu

"Es wird sehr situativ entscheiden, welcher Einkaufskanal gewählt wird," sagt Ernst Gittenberger, Leiter des internationalen Centre of Retail an Consumer Research. "Wir passen unser Verhalten der Lebensituation an." Onlineeinkauf sei ein Zieleinkauf, beim Betreten eines Geschäfts gehe es um Inspiration. Idealerweise würden sich beide Welten miteinander verbinden. Nur gibt es da derzeit noch ein Dilemma: "Die Amazon-Erwartungsfalle". So nennen die beiden Wissenschaftler die Tatsache oder auch Ungerechtigkeit, dass das persönliche Einkaufserlebnis stark am hochprofessionellen und dominanten Marktführer gemessen wird. "Neu Eintretende haben es irrsinnig schwer," so Teller. Die teilweise überzogenen Erwartungen würden immer stärker auch den stationären Handel durchdringen. "Mit diesen neuen Anforderungen müssen sich die Unternehmen auseinandersetzen," mahnt er.

""Kaufhaus Österreich' hatte einen Wert"

Das Gute an den Mega-Plattformen sei die Sichtbarmachung des Angebots lokaler Händler. Von der gescheiterten Plattform Kaufhaus Österreich nur ansatzweise ein Österreich-Amazon zu erwarten, diese Anforderung sei niemals erfüllbar gewesen, so Teller und Gittenberger.  Handelsobmann Rainer Trefelik stimmt in dem gemeinsamen Online-Pressegespräch übrigens nicht in den Negativ-Kanon zum "Kaufhaus Österreich" ein: "Allein die Aussage, regional einzukaufen, hatte einen Wert," betont er.  

Trefelik fordert die komplette Gastronomie-Öffnung

Weil viele Händler die teilweise dramatischen Ausfälle ihrer stationären Umsätze aber gar nicht durch Online-Angebote wettmachen können, wie Trefelik anführt, fordert er weitere Unterstützung für die Branche. Angesichts der bevorstehenden Öffnung von Hotellerie und Gastronomie plädiert er vehement für ein komplettes Aufsperren der Gastronomiebetriebe bei entsprechenden Eingangstests. Er persönlich sehe keinen Sinn darin, gerade den Schulbetrieb wieder voll hochzufahren, obwohl im Juni das Schuljahr praktisch gelaufen sei, der Gastronomie aber nur den Gartenbetrieb zu erlauben. "Das passt für mich nicht zusammen," so Trefelik.

Das traurigste Kapitel der vergangenen Wochen sei übrigens gewesen, dass das Verkaufsverbot bestimmter Sortimente etwa bei den Diskontern während des Lockdowns in Ostösterreich gar nicht funktioniert habe. 

Für den Transformationsprozess, stationäres und Online-Angebot professionellst zu verbinden, brauche es über die Krise hinaus Hilfen, so Trefelik. Er zollte den bestehenden Initiativen wie "go online" Lob, sie müssten aber weiter ausgebaut werden und nachhaltig bestehen bleiben. Trefelik: "Wir brauchen diese Begleitung als Dauerzustand."

Dass Amazon umgekehrt immer öfter Stores an den besten Adressen in großen Städten platziert, hat laut Handelsforscher Teller übrigens vorerst "PR-Charakter". Teller: "Ob da ein fundierter Rollout dahinter steht, bleibt noch zu vermuten."