Gabriel Felbermayr packt in eine Minute Sprechzeit etwa doppelt so viel wie ein normaler Zeitgenosse. Da geht es dann aber nicht um das Herunterrattern einer banalen Hitliste wie beim einstigen Showmaster Dieter-Thomas Heck, sondern um komplexe weltwirtschaftliche Zusammenhänge. Außenhandel ist sein Spezialgebiet, die Globalisierung  kennt er aus wissenschaftlicher Sicht wie seine Westentasche. Und oft genug überrascht der 44-Jährige mit sehr kritischen Einschätzungen, die so gut wie nie in die üblichen politischen Schubladen passen.

Insofern darf Österreich die Rückkehr eines stark in Deutschland geprägten Wissenschaftlers erwarten, der sich kaum ein Blatt vor den Mund nehmen wird. Erst kürzlich hatte er etwa die deutsche Regierung kritisiert, weil er die Ausrichtung der Corona-Hilfen an Umsatz und Fixkosten als zu wenig treffsicher erachtet und stattdessen dafür plädiert, das Eigenkapital von Unternehmen zu stärken. Weil er im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschafts- und Energieministers sitzt, verfügt er über gute Kontakte in Berlin.

Als unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump der Handelskrieg nicht nur mit China eskalierte, sondern auch die EU hart traf, war der Ökonom ein gefragter Berater. Obwohl er ein glühender Verfechter des Freihandels und Gegner zu starker staatlicher Reglementierung ist, sprach er sich klar für angemessene Gegenzölle aus, damit die US-Politik "kein Griff in unsere Taschen" werde. Wenn es in den nächsten Monaten um eine "globale Steuerreform" geht, um die derzeit gerungen wird, dürfte sich Felbermayr vermutlich noch häufiger zu Wort melden.

In Kiel dem Institut für Welthandel vorzustehen, bedeutet wohl für die meisten Ökonomen im deutschsprachigen Raum, im Karriere-Zielhafen eingelaufen zu sein. Felbermayr soll hier viel bewegt haben, in der öffentlichen Wahrnehmung war das Institut unter ihm so präsent wie schon lange nicht mehr. Trotzdem hält es den Oberösterreicher nicht mehr im äußersten Norden Deutschlands, wo das private Andocken für Zugereiste nicht einfach ist. Bis 2024 wäre Felbermayrs Vertrag gelaufen.

Der Favorit wurde einstimmig gewählt

In Kiel bedauert man sein vorzeitiges Ausscheiden. Er selbst führt dezidiert auch private Gründe für seinen Wechsel nach Wien an. "Für meine Entscheidung zum Wechsel nach Wien spielten neben beruflichen auch persönliche und familiäre Gründe eine Rolle," so Felbermayr in einer Mitteilung des Instituts. Für die Nachfolge von Christoph Badelt galt Felbermayr als Favorit. In zwei Vorstellungsrunden stach er alle Konkurrenten aus, wurde einstimmig gewählt. Das Wifo will er ausbauen, erklärte er in einer ersten Stellungnahme des Institutes. Aktuell beschäftigt das Institut 120 Mitarbeiter (in Vollzeitstellen gerechnet etwa 100), 60 davon sind Ökonomen. 

Aufgewachsen ist Felbermayr in Steyr. Nach der Matura in Schlierbach  studierte er in Linz Volkswirtschaft und Handelswissenschaften. Einem kurzen Abstecher nach Florenz für das Doktorat folgte die Karriere in Deutschland, die mit einer ersten Professur in Hohenheim bei Stuttgart begann. Die prägendsten Jahre dürften jene in München gewesen sein, wo er von 2010 bis 2019 am renommierten Ifo-Institut der Abteilung Außenhandel vorstand, bevor er nach Kiel wechselte.

Felbermayr tritt am 1. Oktober die Nachfolge von Christoph Badelt im Wifo an. Badelt, der Ende Februar 70 Jahre alt wurde, ist seit 2016 Wifo-Chef. Er geht als emeritierter Professor zurück an die Wirtschaftsuniversität Wien, der er viele Jahre vorstand, und will sich sozialpolitischen Themen forschen.