Der italienische Ex-Premier Enrico Letta hat im Konflikt um die Corona-Bonds scharfe Kritik an Österreich geübt. Die ablehnende Haltung Österreichs und der Niederlande sei "verantwortungslos", sagte Letta der französischen Tageszeitung "Le Figaro" (Samstagsausgabe). "Das Virus hat nichts mit dem Defizit oder den Schulden zu tun, und es betrifft uns alle", betonte der sozialdemokratische Politiker.

"Die selbst ernannten Tugendhaften beschuldigen die anderen wieder einmal, zu viel auszugeben", kritisierte Letta. "Das ist verantwortungslos seitens eines Gründungsstaates wie der Niederlande, die Großbritanniens Rolle als 'Doktor No' einnehmen möchten, oder Österreichs", sagte der Finanzexperte, der von 2013 bis 2014 italienischer Regierungschef war und dabei den Konsolidierungskurs seines Vorgängers Mario Monti fortsetzte.

Der Italiener schrieb die ablehnende Haltung der beiden Nettozahler-Länder der Tatsache zu, dass sie noch nicht so stark vom Virus betroffen seien."Die Niederlande oder Österreich haben eine Position eingenommen, die sich sicher innerhalb von 20 Tagen ändern wird, wenn sie dann selbst die Situation haben werden, die andere Staaten jetzt durchmachen. Also wozu noch warten?"

Vielmehr brauche es auch Eurobonds

Es reiche nicht, dass die Europäische Zentralbank die jeweiligen nationalen Konjunkturpakete geldpolitisch begleite. Vielmehr brauche es auch Eurobonds, die ohnehin nicht sehr kostspielig wären. "Sie würden weniger kosten als das, was Deutschland selbst in die eigene Wirtschaft pumpen will."

Letta stellte zugleich in Abrede, dass die Corona-Bonds nur von den ärmeren Mitgliedsstaaten gewünscht würden. Schließlich hätten sich der Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch Irland, Luxemburg oder Slowenien angeschlossen. Den Widerstand Deutschlands sieht Letta nicht als größtes Problem, weil in der Krise Bundeskanzlerin Angela Merkel sowohl innen- als auch europapolitisch wieder "im Mittelpunkt" stehe. "Ich erwarte, dass sie eine Mediatorenrolle spielen wird."

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte warnte indes eindringlich vor Tatenlosigkeit in der Coronakrise. Sollte die EU nicht sofort Maßnahmen ergreifen, müssten die nächsten Generationen die "immensen Kosten einer zerstörten Wirtschaft" tragen, sagte er der Wirtschaftszeitung "Sole 24 Ore" (Samstagsausgabe). Es brauche einen außerordentlichen Wiederaufbauplan für Europa, so Conte. In Anspielung auf den Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete er die Corona-Bonds dabei als "European Recovery Bonds".

"Ich vertrete eine stark leidende nationale Gemeinschaft und kann keine Verzögerungen erdulden. In Italien, sowie in anderen EU-Mitgliedsstaaten müssen wir tragische Entscheidungen ergreifen. Wir müssen jedoch zugleich verhindern, dass Europa tragische Fehler begeht. Sollte Europa nicht in der Lage sein, dieser epochalen Herausforderung Stand zu halten, würde Europa vor Augen unserer Bürger seine Existenzberechtigung verlieren", warnte der italienische Regierungschef.

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich vor dem EU-Gipfel am Donnerstag an die Spitze der Corona-Bonds-Befürworter gestellt hatte, will nicht aufgeben. "Wir werden diese Krise nicht ohne eine starke europäische Solidarität in Bezug auf Gesundheits-und Haushaltsfragen überwinden", sagte er. Die Summe des geplanten "gemeinsamen Schuldeninstruments" sei zweitrangig, man müsse ein Zeichen setzen, sagte er italienischen Zeitungen am Samstag. Trotz der "Zurückhaltung" Deutschlands und anderer Länder "müssen wir diesen Kampf fortführen", betonte er.

Maurer sagte, dass es in der jetzigen Situation "jedenfalls europäischen Zusammenhalt" brauche. "Euro- oder Corona-Bonds sind eine Möglichkeit für eine solidarische Lösung, möglicherweise gibt es andere Antworten", sagte sie der Tiroler Tageszeitung" (Samstagsausgabe). "Wir dürfen Italien und Spanien jedenfalls nicht alleine lassen", betonte sie.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dementierte indes Medienberichte, wonach die Brüsseler Behörde solche Anleihen auflegen könnte, etwa um die Arbeitslosenversicherungen der Mitgliedsstaaten zu unterstützen. "Da gibt es ganz klare rechtliche Grenzen, das ist nicht der Plan. Daran arbeiten wir nicht", sagte von der Leyen in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Die deutsche Christdemokratin äußerte zugleich Verständnis für die Position de Regierung in Berlin. Hinter dem "Schlagwort" der Corona-Bonds stehe "eher die größere Frage der Haftung. Und da sind die Vorbehalte in Deutschland, aber auch in anderen Ländern berechtigt", sagte sie.

"Sind mit unserem Euro-Rettungsschirm gut aufgestellt"

EU-Budgetkommissar Johannes Hahn versuchte indes Befürchtungen zu zerstreuen, dass die beispiellose Schuldenpolitik der EU-Staaten zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise eine neue Eurokrise auslösen könnte. "Nein, da sind wir mit unserem Euro-Rettungsschirm gut aufgestellt, da sind noch 410 Milliarden Euro drin", sagte Hahn der "Kronen Zeitung" (Samstagsausgabe). "Was ein Problem werden könnte, sind die Nicht-Euro-Staaten."

Von der Leyen äußerte im dpa-Interview Sorge um den Zusammenhalt der Europäischen Union. "Wir haben anfangs in den Abgrund geschaut", räumte sie etwa ein, dass das Schengen-Abkommen durch die Grenzkontrollen vor dem Kollaps stand. Ihr legendärer Vorgänger Jacques Delors, der die Brüsseler Behörde von 1985 bis 1995 führte, sieht die EU gar in eine Existenzkrise. "Das Klima, das zwischen den Staats- und Regierungschefs zu herrschen scheint, und die mangelnde europäische Solidarität stellen eine tödliche Gefahr für die Europäische Union dar", erklärte Delors am Samstag.

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