Seit Ihrer Bestellung zum Vorsitzenden der Geschäftsführung von Gebrüder Weiss mit Jahresbeginn ist dies eines Ihrer ersten Interviews. Gehört Diskretion zum Kerngeschäft eines so großen privaten Konzerns?
WOLFRAM SENGER-WEISS: Natürlich, denn wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Es ist aber nicht so, dass wir nicht gerne über die Erfolge des Unternehmens oder kritische Themen sprechen würden. 

Die Wurzeln des  Unternehmens reichen 500 Jahre zurück.  In der wievielten Generation führen Sie jetzt?
Ich habe das nie ganz durchgerechnet, aber es ist gut zweistellig.

Ihr Unternehmen hat den Stammsitz in Lauterach in Vorarlberg. Für alle anderen Österreicher ist Vorarlberg ein Mythos und die Unternehmen dort erst recht. Was ist das Vorarlbergische an Gebrüder Weiss?
Wir haben eine lange Tradition in Vorarlberg. Die Wurzeln des Unternehmens gehen auf den Mailänder Boten zurück, der bereits im 15. Jahrhundert zwischen Lindau und Mailand unterwegs war. Vorarlbergisch ist die alemannische Mentalität – schaffe, schaffe, Häusle baue. Es wird mehr gearbeitet als darüber geredet. Das ist die Basis für eine sehr erfolgreiche Industrieentwicklung im Ländle sowie der Ostschweiz und Teilen Süddeutschlands. Ebenso ist eine gewisse Beständigkeit charakteristisch. Wir haben Mitarbeiter, die schon in mehreren Generationen unserem Unternehmen treu sind und das ist auch eine unserer Stärken.

Performance zu Land, Luft und See

2018 steigerte die Gebrüder Weiss GmbH den Umsatz um 8,3 Prozent auf 1,67 Milliarden Euro. Die Zahl der Mitarbeiter stieg um sechs Prozent auf 7112. Wie erzielen Sie das bei den aktuell dramatischen Umbrüchen in der Transportbranche?
Als international führendes Logistikunternehmen haben wir es 2018 geschafft, von der relativ starken konjunkturellen Entwicklung zu profitieren, das Wachstum war organisch. Erreicht haben wir dies mit einer starken Performance im Landverkehr in Zentral- und Osteuropa. Zugleich gab es in der Luft- und Seefracht ein deutliches Wachstum im zweistelligen Bereich. Dieser wurde zum Teil in für Gebrüder Weiss neuen Märkten erzielt.

Gebrüder-Weiss-Vorstand über Zukunft von Transport und Logistik

Wie halten aber Ihre Margen an Steigerung mit, angesichts der Umwälzungen im Geschäft?
Die Margen sind in unserer Branche traditionell nicht so üppig…

Im niedrigen einstelligen Bereich…
Ja, und speziell 2018 sahen wir in unserer Kostenstruktur auch deutliche Steigerungen. Daher waren auch Preiserhöhungen notwendig.

Herausforderung Digitalisierung

An Ihren 150 Standorten haben Sie 2018 insgesamt 50 Millionen Euro investiert. Wieviel davon steckten Sie in die Digitalisierung?
Wir  setzen darauf, uns sowohl physisch weiterzuentwickeln, als auch in die digitale Welt zu investieren. Wir glauben, dass wir uns mit der Kombination aus digitaler und physischer Dienstleistung den besten Nutzen für die Kunden bringen können.

Wo fordert die Digitalisierung Sie am meisten heraus?
Die Digitalisierung bringt Vorteile in der Prozessverbesserung, in der Kommunikation und bei Produktplatzierungen. Herausfordernd ist, dass es neue Spieler am Markt gibt, die schwierig zu klassifizieren sind.

"Uber der Transportbranche"

Wie zum Beispiel Flexport. Ein Unicorn, das gerade eine Milliarde US-Dollar von der Softbank im Silicon Valley gehoben hat und welches das "Uber der Transportbranche" werden möchte. Mit erst 1000 Mitarbeitern, aber 500 Flugzeugen. Sind das Ihre neuen Gegner?
Entwicklungen wie Flexport gibt es auch in anderen Branchen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir im Wettbewerb mit anderen Unternehmen der Logistikbranche stehen und Margen verdienen müssen, um eine langfristige Entwicklung und Arbeitsplätze zu sichern. Firmen wie Flexport haben quasi unendliche Finanzkraft. Der Wettbewerb findet da auf einer ganz anderen Ebene statt. Deren Geschäftsmodell heißt zu wachsen, Markt zu kaufen und damit andere vom Markt zu verdrängen. Es geht darum, als Einziger zu überleben und dann langfristig eine marktbeherrschende Position einzunehmen.

Flexport sagt: Wir haben eine Plattform, wo jeder Kunde zu jeder Sekunde sieht, wo seine Ware auf der Welt unterwegs ist.
Das ist ja nicht besonders innovativ. Der Unterschied ist, dass Firmen wie Flexport eigentlich IT-Firmen sind. Wir sind Spezialisten, die Logistik verstehen, und die den Kunden in diesem service-intensiven Bereich einen Mehrwert bieten. Natürlich sind wir gefordert, ähnliche digitale Angebote zu erbringen. Was wir zum Beispiel in puncto Sendungsverfolgung (Track & Trace) auch bereits tun.

Preiskampf auf der letzten Meile

Besonders auf der letzten Meile, im Paketdienst. Da sind Sie ja ein Riese mit Ihrer Beteiligung an DPD, das 2018 rund 50 Millionen Pakete auslieferte.
Wir sind sehr erfolgreich unterwegs als Teil des DPD-Systems in Österreich und auch Marktführer im B2B-Bereich. Das ist die reine Paketschiene. Selbes gilt für die speditionellen Zustellungen im Home Delivery-Bereich. Hier ist Gebrüder Weiss mit rund 900.000 Sendungen Marktführer in der Region. Schwere und sperrige Waren wie Waschmaschinen, große TV-Geräte und Möbel werden im Zweimann-Handling nicht nur zum Endkunden geliefert, sondern können auch dort angeschlossen bzw. montiert werden. Das wird gut angenommen.

Im KEP-Bereich sind Sie zugleich Amazon-Dienstleister und Konkurrent. Wie geht es Ihnen dabei mit der Marktmacht von Amazon?
Ich sehe das so: Die Zustellung – auch auf der letzten Meile – kostet Geld. Diese muss ausreichend bezahlt werden, um alle Beteiligten entlang der Kette entsprechend leben zu lassen. Wenn Firmen mit hoher Marktmacht kommunizieren, Logistik würde nichts kosten, dann ist das ein Problem. Speziell, wenn diese in ihren eigenen Reihen produzieren. Das ist eine Form der Marktverzerrung.

Wenig Erfolg für Drohnen

Was sind Ihre Zukunftskonzepte für die letzte Meile? Drohen? Autonome E-Autos?
Es gibt verschiedene innovative Ideen wie etwa eine Zustellung mit Drohnen. Dies wird in der breiten Umsetzung meiner Ansicht nach aber voraussichtlich wenig Erfolg haben. In Wien gab es einen Versuch mit einer GüterBim, der jetzt wieder eingestellt wird.

Aber die Innenstädte sind ja deswegen so verstopft, weil die Lieferdienste mit den Klein-LKW überhand nehmen. Warum schreitet man da nicht zu Lieferplattformen?
Diese Kausalität würde ich in der Deutlichkeit nicht sehen. Schließlich fahren ebenso viele Handwerker oder Private mit ihren Fahrzeugen in die Innenstädte.

E-LKW und ihr Öko-Fußabdruck

Aber die E-Mobilität wird sich jedenfalls auf der letzten Meile durchsetzen? Immer mehr Städte haben Dieselverbote, die Schüler streiken schon auf die Straße. 
Ob die E-Mobilität die richtige Antwort auf unsere Mobilitätsanforderungen ist, wird sich erst herausstellen. Im Moment ist E-Mobilität aber eine sehr gute Antwort für die Innenstädte, weil keine Schadstoffe vor Ort erzeugt werden. Ob aber die E-Mobilität in der gesamten CO2-Betrachtung besser ist als herkömmliche Systeme, müssen Experten beurteilen.

Sie meinen den ökologischen Fußabdruck bei der Batterieherstellung?
Absolut. Wenn man sich die gesamte Kette anschaut, ist das sicher kritisch zu betrachten.

Setzen Sie bereits Elektro-LKW ein?
Wir haben 2018 den Probebetrieb mit einem E-LKW gestartet. Da sind wir durchaus Vorreiter. Wir tun das, um Erfahrungen zu sammeln. Bisher lässt sich sagen, dass die Fahrzeuge nur eingeschränkten Radius haben. Auch kostenmäßig ist der Einsatz nicht tragfähig.

Man tauscht Ladekapazität gegen Batteriegewicht?
Nicht nur das. Unser Geschäft lebt von Flexibilität. Man kann diese Fahrzeuge aber nur für sehr spezifische Linien einsetzen. Parallel dazu gibt es in Österreich keine ausreichende politische Unterstützung für dieses Thema. In Deutschland hingegen wurde eine Mautbefreiung für E-LKW umgesetzt. Das wäre der richtiger Weg, solche innovative Ideen brauchen Unterstützung. Solche Ansätze sehe ich leider in Österreich sehr wenige.

Autonome LKW nicht die Lösung

Wann setzen Sie den ersten autonomen LKW auf Österreichs Straßen ein?
Ich denke, technisch könnte dieser jederzeit fahren. Das ist eher eine Genehmigungsfrage. Ob es wirklich die Lösung unserer Probleme ist, ist fraglich. Soweit ich weiß, hat sich Daimler aus dem Projekt, bei dem ein zweites Fahrzeug an elektronischer Deichsel einem ersten Fahrzeug folgt, zurückgezogen. Es hat diesbezüglich in Europa offenbar keinen großen ökologischen Mehrwehrt gesehen.

Andere Unternehmen – wie Otto Versand – arbeiten mit Start-ups zusammen und lassen in Australien und Nevada autonome LKW im Testbetrieb fahren. An solchen Konzepten, auch mit Start-ups, arbeiten Sie auch?
Meiner Ansicht nach liegt es in der Verantwortung der Automobilhersteller, sich darüber Gedanken zu machen. Was immer es dann an Möglichkeiten gibt, werden wir gerne einsetzen. Natürlich arbeiten wir mit Start-ups zusammen. Es gibt hier durchaus viele Ansatzpunkte mögliche Technologien zu übernehmen und für unsere Prozessverbesserungen einzusetzen.

Könnnen Sie etwas aus der Ideenküche der Gebrüder Weiss mit Start-ups verraten?
Wir haben kürzlich eine Zusammenarbeit mit Cargometer gestartet. Hier geht es um dynamische Vermessung von Waren bei der Entladung. Das sind Technologien, die wir gerne einsetzen und wo wir auch einen Mehrwert sehen.

Inwieweit arbeiten Sie schon mit papierloser Fracht?
Prinzipiell sind unsere Transporte sehr oft papierlos. Das heißt, es gibt nur elektronische Frachtpapiere. Im LKW-Verkehr ist dies absolut üblich. Im Überseebereich und gerade im grenzüberschreitenden Bereich hingegen gibt es sehr oft noch gesetzgeberische, versicherungs- oder bankentechnische Vorgaben, die Papier erfordern.

Im Shipping-Bereich hat sich Maersk, die größte Reederei der Welt, mit IBM in einem Joint-Venture verbündet, um auch global die papierlose Fracht einzuführen. Darauf stellen Sie sich auch schon ein?
Unbedingt. Wir beschäftigen uns mit solchen Themen und es werden Gespräche mit den Zuständigen dieser und anderer Plattformen geführt. Es gibt auch hier nicht nur eine Lösung, sondern verschiedene. Bestimmte Systeme sind heute weltweit etabliert. Bei der Heterogenität der Länder werden solche Änderungen nicht einfach umsetzbar sein.

Tunneleffekte für die Schiene

Zwei Drittel des Gütertransports passieren noch immer auf der Straße, Tendenz steigend.  Was verändert sich in Österreich für die Transportbranche, wenn der Semmering- und der Koralmtunnel fertig sind?
Die Laufzeiten werden sich etwas verbessern.

Eine deutliche Umschichtung auf die Schiene ist nicht zu erwarten?
Schauen Sie, die Schiene wird genutzt, wo diese funktioniert, den Kundenanforderung entspricht und wo auch Kapazitäten vorhanden sind. Wenn dadurch zusätzliche Kapazitäten entstehen, werden diese gerne eingesetzt. 

Österreich liegt im globalen Logistik-Performance-Index der Weltbank eigentlich super – an viertbester Stelle weltweit. Muss sich Österreich anstrengen, diesen Indexplatz zu behalten?
Unbedingt. Das sind Indikatoren, die auch weltweit gesehen werden. Und auf dieser Basis fällen Firmen weltweit ihre Entscheidungen darüber, wie und wo sie ihre Logistik organisieren und Schwerpunkte setzen wollen. Hier ist es ganz wichtig, Österreich speziell auch als Plattform für Südosteuropa zu positionieren.

Zukunft der 11.000 Branchenfirmen

Jetzt gibt es noch 11.000 Spediteure und rund um die Branche angesiedelte Unternehmen in Österreich. Haben diese kleinen Unternehmen bei Digitalisierung und Marktbedingungen mit Amazon eine Zukunft?
Solange es den physischen Transport noch gibt – und ich glaube, den wird es noch sehr lange geben – wird es entsprechende Strukturen brauchen. Gerade für Kleinunternehmen ist diese physische Leistung auf der letzten Meile eine etablierte Aufgabe, eingebettet in ein digitales Kommunikationskonzept. Wir leben in einer Branche, wo wir schon immer große Wettbewerber am Markt hatten, die einen herausgefordert haben.

An wen denken Sie?
In Europa sind das sehr stark die Post- und Bahnbetriebe. Die Mitglieder der Branche haben gelernt, auch mit denen umzugehen.

In Deutschland heißt es, würden bis 2025 rund 200.000 LKW-Fahrer fehlen. Wie finden Sie genug gute Fahrer?
Man muss diesen Beruf attraktiv halten. Wir befinden uns in einer Phase, in der es nicht ausreichend Menschen für die notwendigen Aufgaben gibt. Gewisse Dienstleistungen werden dann nicht mehr erbracht werden können. Vielleicht sind die autonomen LKW ein Teil der Lösung.

Diese würden einen Mangel beheben und keine Arbeitsplätze kosten?
Es könnte eine gewisse Ergänzung darstellen.

Abbiegeassistent: Sicherheit geht alle an

Bei Ihren LKW sind selbstverständlich Abbiegeassistenten eingebaut?
Verkehrssicherheit ist ein ganz wichtiges Anliegen für uns und auch für die Branche. Jeder Unfall  ist tragisch. Wenn technische Hilfsmittel ausgereift sind, werden wir diese selbstverständlich einsetzen. Bereits jetzt haben wir erste Abbiegeassistenten in unseren Fahrzeugen eingesetzt. In punkto Sicherheit sind alle Verkehrsteilnehmer gefragt – auch Fußgänger, Fahrrad-, PKW-, Moped- und Straßenbahnfahrer müssen Verantwortung übernehmen. Und auch der Straßenerhalter hat Gefährdungspunkte richtig zu beurteilen.

Das Transportwesen ist ja eine in der öffentlichen Wahrnehmung oft sehr kritisch wahrgenommene Branche. Lärm, Abgasentwicklung stehen im Fokus, dabei bringen die LKW Dinge, die die Leute brauchen. Warum gelingt dieser Imagetransfer nicht?
Ich glaube, er ist besser gelungen, weil durch die Anforderungen des E-Commerce die Menschen eher verstehen, was es bedeutet, die Ware auch physisch zu bekommen.

Durch E-Commerce sind wir auf dem Weg zu einer Verschickungsgesellschaft. Über den Irrsinn der vielen Rücksendungen  wundern Sie sich selbst, obwohl Sie auch davon profitieren?
Ökologisch geht es leider nicht in eine sehr sinnvolle Richtung, weil die Menschen das Gefühl haben, es kostet eh nichts und alles ist permanent verfügbar. Ich glaube, viele Bestellungen wären durchaus zu bündeln. Es würde vielleicht reichen, gewisse Bestellungen einmal in der Woche zu liefern. Den Wahnsinn des Rücksendens wird die Gesellschaft für sich beantworten müssen.

Wie wichtig ist für Sie der Süden Österreichs? In Kärnten haben Sie zuletzt 4,5 Mio Euro investiert.
In der Steiermark, aber auch in Kärnten gibt es durchaus eine starke Industriekomponente. Daher haben wir dort wichtige Standorte, wo wir mit unseren Kunden gemeinsam interessante Logistiklösungen entwickeln. Diese unterscheiden sich von gewissen digitalen Plattformen, so dass Gebrüder Weiss nicht nur den ganz großen, sondern auch mittleren und kleineren Unternehmen einen Mehrwert bieten kann.

Seidentrasse mit großem Potenzial

Ist die neue Seidenstraße für Sie ein großes Thema?
Die Entwicklung Richtung Zentralasien findet sehr stark statt und Gebrüder Weiss sieht hier weiteres Potenzial. Ich komme gerade aus Georgien zurück, wo wir vor einer Woche an unserem Standort in Tiflis ein weiteres Logistikterminal eröffnet haben. Der Standort stellt für uns eine wichtige Plattform für den Kaukasus und weiter Richtung Zentralasien dar. Das zweite Thema ist die Verlängerung der Breitspurbahn bis nach Österreich. Österreich hat das geographische Dilemma nicht im Besitz einer höherwertigen Infrastruktur mit einem Hafen zu sein. Ich glaube, dass mit einer möglichen Anbindung an die Breitspur ein ähnlicher Akzent gesetzt werden könnte. Und dass sich rund um die bereits bestehende Infrastruktur sehr viel mehr an Service und Dienstleitung entwickeln könnte. Lieber möchte ich die Wertschöpfung nach Österreich bekommen, als dass wir am Schluss mit Transit enden.