Angeschrieben wird bei Mutter Natur von vielen Ländern auf dieser Erdkugel. Bisher zweifelten die wenigsten an ihrer Geduld und Nachsicht. Ein paar Wirbelstürme und Erdbeben hier und da. Sonst scheinen der Dekadenz unserer schnelllebigen Zeit keine Grenzen gesetzt zu sein.
Ihre Schulden begleichen möchte hingegen Caroline Po­wer. Sie sorgte mit ihren Fotos in sozialen Netzwerken vor einigen Wochen für einen Weckruf. Die Fotografin, die auf ihrer Facebook-Seite normalerweise die schillernde Artenvielfalt der Unterwas­serwelt dokumentiert, stieß bei einem Tauchgang vor der Küste Honduras’ nämlich auf Müllmengen von unvorstellbarem Ausmaß. Um Powers Heimatinsel Roatán, ein malerisches Paradies in der Karibik, breitet sich nämlich der Teufel in Form eines Teppichs aus Plastik aus. Dort schwimmen Unmengen von Plastikgabeln an der Oberfläche, Verpackungen und Sackerln tummeln sich neben Flaschen. Angaben zu der Größe solcher Ansammlungen divergieren stark. Manche Forschungen sprechen von staatengroßen Teppichen.
Was diesen Müll eint, ist die Haltbarkeit im Ökosystem, fachsprachlich Persistenz genannt. Ein Plastiksackerl braucht laut Forschung rund 20 Jahre, um abgebaut zu werden, eine Plastikflasche hingegen sogar 450 Jahre. Laut einer Studie der Ellen MacArthur Foundation werden rund acht Millionen Tonnen Plastik jährlich ins Meer befördert. Bereits 150 Millionen Tonnen befinden sich laut dieser Untersuchung insgesamt in den Weltmeeren. Umgerechnet bedeutet dies, dass auf drei Kilogramm Fisch ein Kilogramm Plastik kommt. Ein Ende der Vermüllung ist nicht in Sicht.

Caroline  Power  rüttelte die Welt mit  ihren Fotos auf facebook wach:  www. facebook.com/caroline.power3
Caroline Power rüttelte die Welt mit ihren Fotos auf facebook wach: www. facebook.com/caroline.power3 © Caroline Power


Am 11. April war bereits Schluss. An diesem Tag im laufenden Jahr wurde in Österreich der sogenannte „Overshoot Day“ begangen. Das ist der Tag, an dem der Anteil aller „fairen“ Ressourcen des jeweiligen Landes aufgebraucht wurde. Jeder Tag, der über diesen Stichtag hi­nausgeht, wird auf Kosten von Mutter Natur gelebt.
Doch nicht jeder kann leben wie die globale Minderheit, die in Saus und Braus schwelgt und damit (auch) verschwendet und gefährdet. Den Dritte-Welt-Ländern etwa fehlen dafür paradoxerweise eben diese Ressourcen. Kopf oder Zahl? Hirn oder Profit? Die Erde ist, so scheint es, wirklich eine Scheibe.

Ausgerechnet Länder, die viele andere Probleme haben – wie Bangladesch, Myanmar, Tansania oder Kenia –, setzen in diesem Zusammenhang Zeichen. Dass sie als Erste Polyethylentaschen verboten haben, wissen die wenigsten. Auch wenn in Europa immer öfter Geld für das Plastik­sackerl verlangt wird, verlagert sich das Problem nur, es löst sich nicht auf. Die westliche Welt in Form von Europa und den USA produziert rund 40 Prozent des globalen Kunststoffes. In China sind es sogar 45 Prozent. Der gefährliche Dualismus von Wirtschaft und Umweltschutz scheint in naher Zukunft nicht vereinbar zu sein. Die führenden Exportnationen scheinen sich allzu oft aus der Verantwortung zu nehmen, auch wenn sie als eigentliche Normträger in der Weltwirtschaft auftreten.

Was die Fotos von Caroline Power so interessant macht, ist der Blick einer gewöhnlichen Bewohnerin, die weder in Verbindung mit etwaigen Umweltorganisationen steht noch in der Vergangenheit mit einem ähnlichen Appell in die Öffentlichkeit trat oder auf sich aufmerksam machte. Die Grenzen der Verwundbarkeit unseres Ökosystems wirken hier wesentlich unmittelbarer, die oft totgeschwiegene Parallelwelt nimmt glaubwürdige Formen an. Die großen Veränderungsprozesse zwischen Meer und Kunststoffen spielen sich fernab unserer natürlichen Alltagsperspektive ab. Das Plastik sammelt sich oftmals an entlegenen Orten, wird von Wind und Wetter verstreut. Die weithin sichtbaren Plastikteppiche zersetzen sich durch den Einfluss von UV-Licht. Aus kleinen Plastikerzeugnissen werden dann Mikroteilchen. Diese werden von Fischen für Nahrung gehalten und enden in deren Mägen. Welche Auswirkungen diese Plastikteilchen für den Menschen haben können, ist noch weitgehend unerforscht.

Ein Lösungsansatz für das weltweite Kunststoffproblem im Meer stammt vom 20-­jährigen Niederländer Boyan Slat. Für sein Forschungsprojekt „Ocean Clean-­up“ wurde ihm die Auszeichnung für „Best Technical Design“ verliehen. Slat möchte mit einer Art Wasserstaubsauger Barrieren in den Ozeanen errichten. Ein Großteil der zerkleinerten, unkenntlich gewordenen Plastikteilchen sinkt mit der Zeit jedoch, wie vorhin beschrieben, als Mikroplastik auf den Meeresgrund. Das Reinigen mithilfe von großen Anlagen im Meer gestaltet sich somit schwierig. Zudem wird bei dem Versuch, Müll aus dem Meer zu filtern, wertvolle Biomasse entfernt, was wiederum negative Effekte auf das Ökosystem zur Folge hätte.

Auch Caroline Power sucht nach Lösungen. Ethik und Moral seien jedoch definitiv keine Argumente für die Mehrheit“, erklärt sie. „Die meisten Firmen auf Roatán wissen sehr wohl, wie schlecht es um unseren Planeten steht. Trotzdem verwenden sie weiterhin Plastik und Styropor.“ Das Problem ist in den Augen der Fotografin der niedrige Preis. Eine übergreifende wirtschaftliche Schranke könnte das Konsumverhalten nachhaltig verändern. Erste Erfolge konnte Caroline Power bereits verbuchen, wie sie ihre mittlerweile deutlich angewachsene Mitstreitergemeinde auf Facebook wissen lässt.

Die Regierung von Honduras arbeitet an einem Säuberungspaket, gemeinsam mit Guatemala, das mit verschmutzten Flüssen zum Problem beiträgt. Doch neben zahlreichen positiven Rückmeldungen zeigt sich ebenso deutlich, wie lange der Weg zur Veränderung noch dauern wird. So verläuft sich die selbst deklarierte NGO „Roatan Marine Park“, die für den Erhalt und Schutz der Küstenregion gegründet wurde, in Widersprüchlichkeiten. Die Power-Fotos seien am offenen Meer und nicht in der unmittelbaren Umgebung der kostbaren Strände aufgenommen worden. Die Müllteppiche seien das direkte Ergebnis einer großen Regenfront. Die Insel habe kein generelles Müllproblem. Klärende Sätze zum Plastikproblem sucht man vergebens. Caroline Powers Initiative zeigt dabei ein zentrales Pro­blem auf: die immer wiederkehrende Vertagung lösungs­orientierter Überlegungen im Zeitalter der Beschleunigung. Weltweite Probleme müssen Interessen des Einzelnen weichen. Bis ein Umdenken eintritt, wird weiter angeschrieben werden. Und weiter fotografiert werden müssen.