Zweieinhalb Monate nach dem Einmarsch russischer Truppen hat die Ukraine die Lieferungen von russischem Gas in Richtung Europa reduziert. Über das besonders umkämpfte ostukrainische Gebiet Luhansk floss seit Mittwochmorgen kein russisches Gas mehr in Richtung Westen, wie übereinstimmend aus ukrainischen und russischen Quellen hervorging. Größere Auswirkungen auf die Versorgung Mittel- und Westeuropas hat das nach Behördenangaben bisher aber nicht.

In Österreich kamen die Gaslieferungen aus Russland vorerst unvermindert an, man sei aber "auf den Ernstfall vorbereitet", hieß es aus dem Energieministerium von Leonore Gewessler (Grüne). Der Druck in den Gasleitungen liege auf Normalniveau, heißt es aus dem Ministerium. Der Gastransport nach Österreich läuft über unterschiedliche Leitungen, ein großer Teil davon fließt auch über unterschiedliche Pipelines in der Ukraine. Die von der Ukraine angekündigte Einstellung des Transports betreffe nur einen Teil des ukrainischen Leitungsnetzes, betont man im Klimaschutzministerium. Über eine Verdichterstation in der Region Luhansk werde laut Berichten tatsächlich kein Gas geliefert. Andere Teile des Leitungsnetzes in der Ukraine seien aktuell jedoch nur gering ausgelastet. Die betroffene Gasmenge lasse sich deshalb voraussichtlich über andere Leitungen durch die Ukraine sowie über Nord Stream 1 ersetzen.

"Die Gazprom hat angekündigt die Lieferverträge weiterhin zu erfüllen", heißt es aus dem Ministerium. "Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Ankündigungen nicht stimmen. Klar ist aber - Russland führt Krieg. Wir können uns auf Russland nicht verlassen." Das Klimaschutzministerium habe deshalb umfassende Pläne für den Ernstfall vorbereitet. "Sollten sich Auswirkungen auf die österreichische Gasversorgung ergeben, werden wir die notwendigen Schritte setzen."

"Versorgungssicherheit ist weiterhin gewährleistet"

Auch die Gasversorgung Deutschlands war stabil, wie die Bundesnetzagentur in ihrem täglichen Lagebericht meldete. "Die Versorgungssicherheit ist weiterhin gewährleistet", hieß es. Die Gasmengen, die über die Ukraine im bayerischen Waidhaus ankommen, seien infolge der Transit-Reduzierung gegenüber Dienstag um gut 25 Prozent zurückgegangen. "Diese Mengen werden aktuell durch höhere Flüsse insbesondere aus Norwegen und aus den Niederlanden ausgeglichen", so die Behörde. Auch sei kein nennenswerter Anstieg der Großhandelspreise zu verzeichnen.

"Ddas ist ja noch unklar"

Das deutsche Wirtschaftsministerium hielt sich mit Prognosen zunächst zurück. Aktuell sei die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet, betonte eine Sprecherin. Die Füllstände der Gasspeicher stiegen aktuell auch weiter. Aktuell seien diese zu 38,6 Prozent gefüllt. "Was jetzt morgen passiert oder in einer Woche - das ist ja noch unklar", sagte die Sprecherin. Man könne aus der aktuellen Entwicklung noch keine Schlüsse für die Zukunft ziehen, auch Voraussagen zu Preisentwicklungen seien nicht möglich.

Der Großteil des russischen Gases erreiche Deutschland ohnehin über eine andere Pipeline, Nord Stream 1. Ein Ausweichen auf die fertig gestellte Pipeline Nord Stream 2, die am Ende nicht in Betrieb genommen wurde, schloss die Sprecherin aus. "Nord Stream 2 ist nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wirklich gestorben, und da denkt jetzt keiner daran, hierauf auszuweichen."

Fall von "höherer Gewalt"

Der russische Staatskonzern Gazprom hatte wenige Stunden zuvor bestätigt, dass am Mittwoch nur 72 Millionen Kubikmeter Gas durch die Ukraine in Richtung Westen fließen sollen. Am Vortag sei das Auftragsvolumen noch bei 95,8 Millionen Kubikmetern gelegen. Aufträge für die im Grenzgebiet gelegene Messanlage Sochraniwka, die Teil der Sojus-Pipeline ist, würden nicht mehr angenommen, hieß es vom ukrainischen Netzbetreiber OGTSU. Die Begründung: Russlands Besatzung mache die Kontrolle der Anlage und die der Verdichterstation Nowopskow unmöglich. OGTSU sprach von einem Fall "höherer Gewalt".

Russlands Energieriese Gazprom hielt dagegen, man habe "keinerlei Bestätigungen über Umstände höherer Gewalt" erhalten. Die Ukrainer hätten in den vergangenen Wochen ganz "ungestört" in Sochraniwka gearbeitet. Die nun wegfallenden Lieferungen stattdessen direkt an den Punkt Sudscha durchzuleiten, der auf russischem Territorium nahe dem ukrainischen Gebiet Sumy liegt, sei technisch nicht möglich, hieß es am Dienstagabend aus dem Moskauer Konzern. Die Ukraine hatte das vorgeschlagen. Ob ein Ersatz über andere Routen möglich ist, ließ Gazprom zunächst offen.

"Verpflichtungen werden erfüllt"

Der russische Staatskonzern bekräftigte einmal mehr, alle seine Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden zu erfüllen. Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow betonte: "Russland hat immer zuverlässig seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt und hat weiter vor, sie zu erfüllen."

Die vertraglich mögliche maximale Auslastung des russischen Gas-Transits über die Ukraine liegt bei 109 Millionen Kubikmetern täglich. Den Angaben aus Kiew zufolge können nun bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter pro Tag wegfallen. Die Ukraine bezieht aus der Durchleitung des russischen Gases wichtige Durchleitungsgebühren - und mahnte Gazprom an, diese auch weiter wie vereinbart zu zahlen.

Russland hat vor zweieinhalb Monaten das Nachbarland Ukraine angegriffen. Besonders in der Ostukraine gibt es schwere Kämpfe. Am Dienstag erklärte das russische Militär dann, gemeinsam mit prorussischen Separatisten bis an die Verwaltungsgrenzen des Gebiets Luhansk vorgedrungen zu sein.