Beim Klimagipfel in Glasgow haben 31 Länder und elf Autobauer unterschrieben: 2035 sollen auf den großen Märkten alle Neuwagen emissionsfrei sein. Warum bezeichnen Sie dieses Papier als weltfremd?
JÜRGEN ROTH: Man kann nicht ein Verbot von Verbrennungsmotoren in den Raum stellen, wenn man noch kein Szenario für Alternativen hat.

Die E-Mobilität?
Ich sage nicht, dass es nicht die mittel- bis langfristige Zukunft ist, dass viele E-Fahrzeuge fahren. Aber der Bestand an E-Autos in Europa beträgt derzeit ein Prozent. Wir haben auf der anderen Seite 300 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, in Österreich sind es 7,5 Millionen. Weltweit 1,4 Milliarden. Der überwiegende Anteil der Fahrzeuge wird auch nach 2030 noch mit Verbrennern unterwegs sein.

Weil es so viel Strom nicht geben wird, schon gar nicht aus erneuerbaren Quellen?
Allein Österreich braucht, um von derzeit 78 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen auf 100 Prozent zu kommen, 27 Terawattstunden zusätzliche erneuerbare Energie. Das sind 55 neue Wasserkraftwerke, 1200 neue Windräder und zwei Millionen Quadratmeter neue Fotovoltaik. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges, denn wir wollen die Industrie, den Handel und die Raumwärme auch mit Strom betreiben, das ist noch einmal das Zehnfache dessen, was wir uns schon vorgenommen haben.

Und dabei steigen die Strompreise schon jetzt . . .
Auch, weil wir CO2-Zertifikate zusätzlich darauf einheben und weil wir in naher Zukunft nie genug erneuerbaren Strom haben werden, um all die Gelüste zu stillen.

Ihre Alternative lautet: E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe. Die waren bisher für Anwendungen in der Luftfahrt und im Schiffsverkehr Thema, weniger für den Straßenverkehr.
Es gibt noch viele andere Anwendungen, etwa bei Pistengeräten oder Traktoren, die dort, wo sie eingesetzt werden, nicht laden können. Ein Streitthema ist der Straßenverkehr. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, haben wir ein riesengroßes Thema mit dem weltweiten Fahrzeugbestand. In großen Teilen der Welt gibt es nicht genug Strom für das tägliche Leben, geschweige denn für eine E-Auto-Flotte. In E-Fuels sehen viele die Chance, mit einem blauen Auge aus dem Klimadilemma herauszukommen. Wenn es uns gelingt, in den Verbrennungsmotor ein CO2-neutrales Produkt anstatt fossilen Treibstoffes einzusetzen, wo ist das Problem?

Noch gibt es wegen der energieintensiven Herstellung ein Problem mit der Effizienz. In Graz baut die AVL 2022 eine Produktionsanlage zu Testzwecken. Wird sie das Problem lösen?
Wir werden beweisen, dass wir in noch nie dagewesener Form und Effizienz diese Kraftstoffe herstellen können. Unser Verfahren ist um 37 Prozent effizienter als jene Anlage, die Porsche in Chile baut, ich behaupte, wir sind weltweit Technologieführer.

Was ist mit der Skalierbarkeit? Auch die E-Fuels-Produktion benötigt erneuerbare Energie.
Dazu kann man überall auf der Welt dorthin gehen, wo viel Sonne, Wind und Platz ist. Man muss nur die Anlagen bauen, keine neue Infrastruktur, keine neuen Leitungen, keine neuen Autos. Nur die Anlagen. Zeitlich ist das ein großer Vorteil. Zwischen 2025 und 2030 könnte man weltweit hunderte Anlagen errichten, die jeweils ein paar hundert Millionen Liter sauberen Treibstoff liefern.

Die Politik fährt in die komplett andere Richtung – und ein Teil der Industrie fährt mit.
Die Industrie hat keine andere Wahl. Will sie die Flottenziele im Hinblick auf den CO2-Ausstoß erreichen, muss sie auf E-Mobilität setzen. Wenn man genau liest, tun das die Hersteller aber nur für Europa und nicht für die ganze Welt, liest man noch genauer, machen dies nur europäische Hersteller. Toyota, Subaru, Mazda zum Beispiel sehen das schon wieder anders. Die Politik soll Ziele vorgeben, aber nicht den Weg. In einer Marktwirtschaft soll sich das Bessere durchsetzen. Wir dürfen nicht so schnell alles auf ein Pferd setzen. Wir werden noch den ganzen Blumenstrauß an technologischen Möglichkeiten brauchen, um die Klimaziele zu erreichen. Doch die EU hat nur einen einzigen Plan, der heißt Batterieelektrifizierung.

Werden Sie als Obmann des Energiehandels in der Wirtschaftskammer derzeit oft auf die Energiepreise angesprochen?
Die Entwicklung ist nicht positiv. Aber: Die Energiepreise waren in der Coronakrise gemessen an der Kaufkraft so niedrig wie nie zuvor. Jetzt steigen sie stark an, auch weil die Wirtschaft extrem stark aufgeholt hat. Bei Treibstoffen kommt die Teuerung relativ rasch bei den Konsumenten an, bei Strom und Gas dauert das, da es Jahresverträge oder leitungsgebundene Verträge gibt. Da kommt also leider noch etwas. Für eine Wohnung mit einer Stromrechnung von jetzt 50 Euro wird der Strom, wenn der Börsenpreis so bleibt, in eineinhalb Jahren 150 Euro kosten. Das ist sozial nicht mehr leicht verträglich.

Soll die Politik wie in anderen Ländern die Mehrwertsteuer senken oder streichen?
Ja, wenn man es fair macht und nicht auf dem Rücken der Branche. Gerade aber hat die Politik ein CO2-Paket beschlossen, das alle trifft, die einen Verbrenner fahren. In Zeiten wie diesen sollte es keine Belastungen geben, sondern der Deckel auf dem Topf bleiben.