Die Welle an Reaktionen – kritischen wie zustimmenden – auf seine jüngste Aussage in den „Oberösterreichischen Nachrichten“, wonach die Möglichkeit von Nebenjobs für Arbeitslose (mit einer Zuverdienstgrenze von 475 Euro monatlich) abgeschafft oder stark eingeschränkt werden solle, überraschte AMS-Vorstand Johannes Kopf im Ausmaß, nicht aber in der Tonalität: „Dass es so groß wird, hat mich auch überrascht. Es ist in ein Sommerloch gefallen.“

Bestätigt sieht sich Kopf im Gespräch mit der Kleinen Zeitung durch eine aktuelle Wifo-Studie: „Dieser Zuverdienst kann eine Arbeitslosigkeitsfalle sein und die Arbeitslosigkeit verlängern.“ Arbeitslose blieben demnach länger ohne Job und verdienten nach der Arbeitslosigkeit weniger.

Die Heftigkeit der Reaktionen erklärt er sich durch die soziale Dimension des Themas: „Es sind Menschen darunter, die finden wirklich keinen Job und sind durch den Zuverdienst weniger arm.“ Der Widerspruch zwischen sozialen Anliegen und dem Ziel, Arbeit aufzunehmen, kennzeichne die Arbeitsmarktpolitik generell. „Würde man das Arbeitslosengeld verdoppeln, hat man sofort weniger Armut. Man könnte sagen: großartig. Aber man hat dann auch viel mehr Schwierigkeiten, Menschen in Arbeit zu bringen.“ Würde man umgekehrt das Arbeitslosengeld reduzieren, hätte man mehr Menschen in Beschäftigung, aber auch mehr Armut.“

Kopf freut sich, dass „Minister Kocher diesen Punkt mitnehmen will, wenn im Herbst die Arbeitsmarktreform überlegt wird.“ Er sei schon „gespannt auf die Verhandlungen“.

"Österreich anders als Deutschland"

Der Chef der deutschen Agentur für Arbeit, Detlef Scheele, ließ kürzlich damit aufhorchen, dass Deutschland jetzt „die Arbeitskräfte ausgehen“, es brauche 400.000 Zuwanderer pro Jahr. „Überall werden Fachkräfte fehlen“, alarmierte Scheele. In Österreich sei die Lage jedoch grundlegend anders, erklärt nun Kopf.

Österreich habe, anders als Deutschland, sein demografisches Problem zu einem hohen Maße „wenn schon nicht gelöst, dann massiv erleichtert“. Österreich hatte in den letzten zwölf Jahren sogar mehr als die jährlich 40.000 Zuwanderer (ein Zehntel von Deutschland), „wir werden sie auch weiterhin haben“. Allein zwischen Juli 2009 und Juli 2021 ist das Arbeitskräftepotenzial (Beschäftigte plus Arbeitslose) von 3,654 Millionen auf 4,178 Millionen Menschen gestiegen. Ein Plus von 14,3 Prozent bzw. 523.700 Menschen. Dafür verantwortlich sind neben Zuziehenden aus neuen EU-Ländern wie Rumänien, Bulgarien und Kroatien vor allem Deutsche und Geflüchtete. Die Zahl der Inländer wuchs ebenso.

"Wirtschaftsstandort massiv gestärkt"

Österreichs Wirtschaftsleistung, gemessen am BIP, ist zwischen 2010 und heute um 70 Milliarden Euro gestiegen – „der Wirtschaftsstandort ist also durch diese Zuwanderung massiv gestärkt worden“, sagt Kopf. Das große demografische Problem sei nicht eingetreten: „Wir werden auch weiterhin Zuwanderung haben – und brauchen.“ Fazit: Österreich stehe viel besser da als Deutschland – und im EU-Vergleich sogar "sehr gut", sagt Kopf.

"Wir haben Potenziale"

Der demografische Wandel könne auch in Zukunft bewältigt werden, „weil wir noch Potenziale haben“: vor allem bei Frauen in Teilzeit, mit Personen mit Behinderung, einem späteren Pensionsantritt bei den Älteren, höheren Ausbildungen statt Pflichtschulabschluss, der überregionalen Vermittlung und Zuwanderung.

Es sei daher auch ökonomisch notwendig, „an den Pensionsschrauben“ zu drehen, meint Kopf. Gleichzeitig brauche es „ein Umdenken der Betriebe“, die zwar intensiv nach Personal suchten, aber, so Kopf, einen zu engen Raster hätten: „Wenn ich aber nur nach dem jungen, gesunden inländischen Mann suche, der nicht langzeitarbeitslos ist, dann sind das nur mehr sieben Prozent unserer Kunden.“ Sein Ansatz: „Wenn man das Gold genauer wäscht, findet man eher Arbeitskräfte, die man brauchen kann.“

Dass derzeit so viele Arbeitskräfte gesucht und nicht gefunden werden, liege auch am „wirklichen Wirtschaftsboom“. Dazu komme, dass alles gleichzeitig passiere, etwa die Personalsuche im Tourismus. Momentan gebe es nur noch 14.000 Arbeitslose mehr als vor zwei Jahren, Anfang des Jahres waren es 110.000. Bleibt die Delta-Variante „handelbar, erreichen wir in wenigen Monaten die Zahl vor Corona“, erklärt Kopf.