Österreichs Wirtschaft hat in den vergangenen Monaten eine regelrechte Aufholjagd gestartet und in vielen Branchen wird bereits vom "Vorkrisenniveau" gesprochen. Weit weg vom Vorkrisenniveau ist allerdings die Zahl der Insolvenzen. Im zweiten Quartal gab es laut Statistik Österreich 580 Fälle. Im ersten Halbjahr wurden 1065 Insolvenzen registriert, gegenüber dem Vergleichszeitraum vor der Coronakrise ergibt sich ein Minus von 57,2 Prozent. Am stärksten Betroffen sind die Baubranche und der Dienstleistungssektor.

"Im Vergleich zu einem normalen Jahr werden uns rund 3000 Insolvenzen fehlen", erklärt Franz Blantz, Insolvenzexperte beim Alpenländischen Kreditorenverband (AKV). "Außerdem beobachten wir derzeit eine merkwürdige Entwicklung. Wurden 2019 noch rund die Hälfte der Insolvenzen von den Firmen selbst eingebracht, gibt es derzeit fast nur Gläubigeranträge."

Blantz vermutet, dass Unternehmen in Schwierigkeiten in einer Art Warteposition verharren würden. "Man merkt auch, dass Finanzämter und auch Krankenkassen sich noch zurückhalten." Ab Oktober dürften aber hier die ersten Forderungen eintrudeln. Beim AKV rechne man daher Anfang 2022 bei den Insolvenzen mit einem Nachholeffekt.

Kleine Firmen unter Druck

Optimistischer wird die Lage beim Inkasso-Unternehmen Intrum eingeschätzt. "An die große Insolvenzwelle glauben wir nicht. Es mag sein, dass es drei vier kleinere Wellen kommen. Nach allem Anschein waren die staatlichen Hilfen so gut und ausreichend, dass es vielen Unternehmen über die Zeit hinweggeholfen hat", erklärt Marc Knothe, Intrum-Geschäftsführer für Österreich und Deutschland.

"Aber es gab natürlich klarer Krisenverlierer wie den stationären Handel, Taxiunternehmen oder Restaurants und Hotels." Generell seien kleine Unternehmen stärker unter Druck gestanden, sagt Knothe. "In unserem Payment Report gaben 65 Prozent der kleineren Firmen an, dass sie längere Zahlungsziele von Großunternehmen akzeptieren mussten. Vor der Krise lag der Wert bei 55 Prozent."

Untereinander hätten kleinere Firmen hingegen die Zahlungsziele nicht nach hinten verschoben. Vielmehr nutzten viele dieser Firmen die Staatshilfen dazu, Forderungen schneller zu bezahlen, erklärt der Inkasso-Spezialist.

Mehr Schutz für private Schuldner

Eine ähnliche Entwicklung beobachte auch AKV-Experte Blantz, allerdings bei Privatpersonen. "Nach dem ersten Lockdown wurden vor allem kleine Forderungen schneller beglichen. Verbraucher hatten im Vorjahr einfach weniger Ausgaben."

Für private Schuldner ändert sich derzeit auch wieder einiges. Bisher ging der Weg in die Privatinsolvenz vom Schuldner aus. Künftig können auch Gläubiger nach einer misslungenen Exekution einen Antrag auf ein sogenanntes "Gesamtvollstreckungsverfahren" stellen. Das Gericht stellt dann die "offenkundige Zahlungsunfähigkeit" fest und veröffentlicht das auch in der Edikt-Datenbank. Dadurch werde der Betroffene zum gläsernen Schuldner, erklärt Blantz.

"Das schützt vor allem die Schuldner. Denn solange dieses Verfahren läuft, können keine neuen Schulden dazukommen." Allerdings schwäche das die Rechte neuer Gläubiger, erläutert Blantz anhand eines Beispiels. "Bekommt ein Schuldner nach dem Edikt-Eintrag einen Fernseher auf Ratenzahlungen geliefert, hat der Verkäufer gleich zwei Probleme. Erstens kann er die Forderung nicht eintreiben und zweitens kann das Gericht sogar den Fernseher versteigern und damit die Forderungen der Altgläubiger begleichen." Kommt es dann in Folge zu einer Privatinsolvenz, bekäme der Verkäufer nur noch die vereinbarte Insolvenzquote.

In dem Zusammenhang erinnert der Inkasso-Manager Knothe daran, dass es sich bei diesen Schulden ja oft um offene Rechnungen bei Unternehmen handle. Also um Geld, das eigentlich in den Wirtschaftskreislauf gebracht werden sollte. "Wir sehen uns hier als Brücke zwischen Unternehmen und demjenigen, der dem Unternehmen das Geld schuldet und dort eine nachhaltige Zahlungsvereinbarung zu treffen." Das helfe vor allem kleinen Unternehmen, für die das Geld sonst unter Umständen verloren wäre.