Die Pandemie brachte viele Wirtschaftsbereiche in kürzester Zeit an den Rand des Ruins, die Regierungen versuchten mit gewaltigen Finanzspritzen, abgesegnet von der EU-Kommission, multiples Kollabieren zu verhindern – doch am Ende blieb so manches auf der Strecke. Etwa die Fluggastrechte der Reisenden, wie nun der Europäische Gerichtshof in einem Sonderbericht feststellt.

Weltweit und auch in der EU wurde der Luftverkehr von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen, nicht zuletzt wegen der unvorhersehbaren und nicht koordinierten Grenzschließungen und Einreisebestimmungen der Mitgliedsländer. Im europäischen Luftraum wurden letztes Jahr rund 7000 Flugverbindungen gestrichen, Millionen von Passagieren waren davon betroffen. Die monatlichen Fluggastzahlen in der EU fielen von 70 Millionen im Januar und Februar 2020 auf nur eine Million im April, was einen Rückgang um 99 Prozent gegenüber April 2019 bedeutete. Das hatte unmittelbare und weitreichende Folgen, wie Annemie Turtelboom, für den Bericht zuständiges Mitglied des Rechnungshofes, nun feststellt: „Zu den zahlreichen Auswirkungen der Pandemie gehört auch, dass die Fluggastrechte in der EU  verletzt wurden", so Turtelboom. „Zwar wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstaltern zu helfen, doch wurde viel zu wenig getan, um die Rechte von Millionen Menschen in der EU zu schützen.“

Zwischen März 2020 und April 2021 pumpten die EU-Länder nicht weniger als 35 Milliarden Euro in die Airlines. Air France und KLM erhielten demnach zusammen mehr als 11 Milliarden Euro, die Lufthansa mehr als 6 Milliarden Euro, TUI, TAP und SAS jeweils mehr als eine Milliarde Euro – und viele andere mehr. Da es sich um Staatshilfen handelte, musste die Kommission dem allen zustimmen – und tat das im Rekordtempo. 54 Beschlüsse über staatliche Beihilfen wurden innerhalb von kaum zwei Wochen nach der Anmeldung angenommen; 23 davon sogar innerhalb einer Woche. Zwar drängte Brüssel durchaus darauf, dass Rückerstattungen bereits gekaufter Tickets an Fluggäste angebracht sei, eine verbindliche Bestimmung blieb aber aus; an sich ist so etwas aber ohnehin über die in der EU geltenden Passagierrechte geregelt.

Geld verloren mit Billigung der Länder

In den ersten Monaten der Krise hätten viele Fluggäste Geld verloren, das ihnen zustand, so die EU-Prüfer. Dies sei sogar mit Billigung der Mitgliedstaaten geschehen: 15 von ihnen, darunter etwa Frankreich, die Niederlande und Belgien, hätten Sondermaßnahmen ergriffen, um Fluggesellschaften und Pauschalreiseveranstalter von ihrer üblichen Rückerstattungspflicht zu befreien. Entgegen dem geltenden EU-Recht hätten sich viele Passagiere gezwungen gesehen, Gutscheine zu akzeptieren. Diese seien jedoch nicht immer gegen die Insolvenz von Fluggesellschaften abgesichert gewesen und hätten Rückerstattungen in weite Ferne rücken lassen. Die Luxemburger Prüfer sprechen von rund 15 Millionen Tickets, die storniert wurden.

Ab Mitte 2020 hätten die Fluggesellschaften dann begonnen, ihren Passagieren die Ticketpreise zu erstatten. In den meisten Fällen habe dies jedoch viel länger gedauert als die gesetzlich vorgeschriebenen sieben Tage für Flugreisende oder 14 Tage für Pauschalreisende (Reisen mit Flug und Hotel). Die Prüfer stellten fest, dass Passagiere, die ihre Tickets nicht direkt bei einer Airline gekauft hatten, mit noch mehr Schwierigkeiten kämpfen mussten. Sie seien oft zwischen Vermittlern (wie Reisebüros) und Fluggesellschaften hin und her verwiesen worden. Daraufhin hätten sie ihr Geld bestenfalls nur zum Teil oder mit großer Verspätung zurückbekommen und schlimmstenfalls gar nicht. Immerhin: Tickets im Gegenwert von rund neun Milliarden Euro wurden erstattet.

800 Millionen Sitzplätze weniger verkauft

Eurostat hat den Gesamtrückgang der Fluggastzahlen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 auf 346 Millionen geschätzt, und für das gesamte Jahr geht die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) von einem Rückgang um 800 Millionen bzw. 67 Prozent aus. Nach Schätzung des Hofes wurden allein zwischen März und Mai 2020 rund 50 Millionen Flugscheine annulliert.

In Erwartung der Herausgabe des Prüfberichtes veröffentlichte die Kommission am Montag eine Art Wunschliste an die Flugunternehmen, die eine Reihe von – oft sehr simplen – Maßnahmen für einen besseren Verbraucherschutz enthält. Verkehrskommissarin Adina Valean sagte, man denke nun über neue, krisenfeste Regeln nach. „Die Forderungen der EU-Kommission sind richtig, aber kommen spät“, moniert Rasmus Andresen (Grüne), Schattenberichterstatter im EU-Parlament: „Wir fordern darüber hinaus auch eine systematische Ahndung von Rechtsverstößen und höhere Strafen bei Nichteinhaltung. Die Fluggesellschaften müssen verstehen, dass es so nicht weitergeht. Viele von Ihnen haben Millionen an Coronahilfen bekommen. Wer öffentliche Gelder einstreicht, darf nicht beim Verbraucherschutz sparen." Die EU-Kommission selbst verfügt nur über begrenzte Mittel zur Durchsetzung der Fluggastrechte, ein entsprechender Vorschlag ist seit 2013 vom Rat nicht angenommen worden.

Die Prüfer haben eine ganze Reihe von Empfehlungen, wie man die Wahrung der Fluggastrechte in Hinkunft besser umsetzen kann. Unter anderem geht es dabei um die Grundinformation: nur 14 Prozent der EU-Bewohner wissen überhaupt, dass es Passagierrechte überhaupt gibt.