Wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Kindern und Karriere zum Thema, schwenkt der Blick gern Richtung Skandinavien. Gerade Schweden wird als Referenzgröße für einen diesbezüglich funktionierenden Sozialstaat herangezogen. „Ja, es ist viel Wahres dran“, bestätigt Adriana Lender. Die ehemalige Generaldirektorin der Nationalen Agentur für Sozialversicherung in Schweden (Försäkringskassan) verweist aber auf die lange Geschichte und die intensive politische Arbeit, die es gebraucht hat, um dieses Benchmark-Niveau zu erreichen.

Die Anfänge des heutigen Erfolgsmodells liegen über ein halbes Jahrhundert zurück. Damals schwenkte der Staat als Folge eines akuten Arbeitskräftemangels auf einen Kurs um, der den Einstieg von Frauen in den Arbeitsmarkt gezielt förderte. Dafür wurde das Kinderbetreuungsangebot ausgebaut, es blieb aber für die Eltern kostengünstig. „Anfangs zielte man darauf ab, dass beide Elternteile arbeiten gehen können“, erklärt Lender, „heute versteht man es als Recht des Kindes, in eine Vorschule gehen zu können.“

Das öffentliche Bewusstsein unterscheidet sich diesbezüglich entscheidend von jenem in Österreich, wie eine aktuelle Werte-Analyse der Universität Wien zeigt: Während in Österreich 48 Prozent der Befragten finden, dass Kinder darunter leiden, wenn die Mutter berufstätig ist, liegt dieser Wert in Schweden bei nur 15 Prozent.

Schwedens pragmatischer Zugang

Das führt im Alltag zu gravierenden Unterschieden, wie ein Ländervergleich anhand weniger Zahlen zeigt (siehe Beispiele links und rechts). Das hat zum einen mit einem grundsätzlich anders aufgesetzten Sozialsystem zu tun. So ist in Österreich die soziale Absicherung stärker an eine Erwerbstätigkeit gebunden, während in Schweden ein eher universalistischer Zugang mit einer Art Grundversorgung dominiert. Im Gegensatz zu Österreich ist auch das hierzulande beliebte Teilzeitjob-Modell in Schweden wenig verbreitet. „Weil es am Ende eine niedrigere Pension zur Folge hat“, beschreibt Lender den pragmatischen Zugang Schwedens. Damit erspart man sich auch die Debatte, dass sich die Halbtagsjobs während der Corona-Beschränkungen teilweise als „Falle“ für Frauen herausgestellt haben, weil Kinderbetreuungsaufgaben daheim (Homeschooling) automatisch und verstärkt auf die Mütter übergegangen sind.

Dass schwedische Männer parallel dazu stärker als ihre österreichischen Kollegen Karenzmodelle in Anspruch nehmen, stimmt zwar. Bei genauerer Analyse müssen verbreitete Vorzeigequoten von 90 Prozent aber relativiert werden. Diese Werte beziehen sich vor allem auf die erste Zeit nach der Geburt. Das Recht auf eine Halbe-halbe-Lösung für die maximal 16-monatige Karenz gibt es zwar, aber eben auch die Möglichkeit, die Anteile dem Partner zu übertragen, womit es sich am Ende bei einem Verhältnis von 70:30 Prozent zugunsten der Mütter einpendelt. Immer noch mehr als in Österreich, wo nur rund 19 Prozent der Väter in Karenz gehen.

„Das wäre politischer Selbstmord“

Die Bindung an den Arbeitgeber bleibt aber intensiv. Fast alle füllen die Differenz zwischen Karenzgeld und ursprünglichem Gehalt freiwillig. „Weniger zu zahlen, kann sich ein Arbeitgeber heute nicht mehr leisten“, erzählt Lender, die auf Einladung der Jungen Industrie Steiermark zuletzt das schwedische Modell ausleuchtete.

Auch das Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen ist in Schweden dichter und die Kosten sind im Vergleich zum Einkommensniveau niedriger. So kommt eine monatliche Ganztagesbetreuung für ein Kind auf 140 Euro, für das zweite auf 100 und für das dritte Kind auf 50 Euro, wobei Kinder zwischen einem und sechs Jahren ein Recht auf einen Betreuungsplatz haben. „Das wird auch so umgesetzt“, sagt Lender. Zwar wird immer wieder an kleinen Stellschrauben gedreht, um das System auf aktuelle Entwicklungen anzupassen – zuletzt in Bezug auf die Unterstützung von kinderreichen Migrantenfamilien. An einen generellen Kurswechsel denkt aber keine Partei. „Das wäre politischer Selbstmord“, sagt Lender.