Die Lage ist angespannt und Aussicht auf rasche Besserung besteht nicht. Die Folgen der Coronakrise haben das österreichische Recyclingsystem schwer unter Druck gebracht, Zehntausende Tonnen Kunststoff finden seit Monaten keine Abnehmer, der Schaden geht in die Zig-Millionen. Der Kreislaufwirtschaft drohe der Kollaps, warnen Branchenvertreter angesichts der Situation.

Ausgangspunkt der Misere war der coronabedingte Lockdown im März. Während die Menschen zu Hause mehr Abfall als üblich produzierten, zumal viele die Zeit zum Ausmisten genutzt haben dürften, brach am Markt die Nachfrage nach recycelten Rohstoffen ein. Besonders beim Kunststoff, der in Österreich zu zwei Dritteln in privaten Haushalten anfällt, sei die Lage seither prekär, sagt Werner Knausz, Vorstand der Altstoff Recycling Austria (ARA): „Die Kosten für die Sammlung sind weiterhin hoch, gleichzeitig sind die Einnahmen durch neues In-Verkehr-Bringen wegen des wirtschaftlichen Einbruchs abgestürzt.“

ARA-Vorstand Werner Knausz
ARA-Vorstand Werner Knausz © Ballguide/Nicholas Martin

Verschärft wird das Problem durch die ebenfalls coronabedingt gesunkenen Rohölpreise. Bereits in den vergangenen fünf Jahren war der Preis für neuen Kunststoff um 30 Prozent gesunken, wie der deutsche Verband für Sekundärrohstoffe vorrechnet. Der Corona-Schock hat den Preis weiter gedrückt. So ist eine Tonne neuer Kunststoff in Österreich inzwischen um rund 600 Euro zu haben, während recyceltes Material rund 1200 Euro kostet. Geschuldet ist das auch den hohen Fixkosten, die durch Sammlung, Trennung und Aufbereitung entstehen. Die Folge: Unternehmen setzen lieber auf neu hergestellten Kunststoff als auf wiederaufbereiteten. „Man kann einem Verpackungsunternehmen, das vielleicht ohnehin schon unter Druck steht, auch schwer erklären, lieber doppelt so viel für den Kunststoff zu zahlen“, sagt Knausz, der für getrennte Märkte für Primär- und Recyclingrohstoffe eintritt. „Sonst werden wir dieses Problem nicht los.“

Recycling-Pastik türmt sich

Unter Druck geraten sind sowohl die Betreiber von Sortieranlagen wie auch Recyclingunternehmen. Laut ARA sind allein im Mai rund 40.000 Tonnen Recyclingkunststoff mangels Abnehmer im Kreislauf zurückgeblieben. „Wir sprechen hier von Material, das früher 40 Millionen Euro gekostet hätte und sich jetzt auftürmt und nichts mehr wert ist“, sagt Knausz. Im Juni habe sich die Lage zwar leicht entspannt, aber das Problem bleibe. Laut Knausz werde es „Monate, wenn nicht Jahre“ dauern, um die Verstopfung im System zu beseitigen und den Rückstau aufzulösen. Fraglich, ob das alle beteiligen Unternehmen überleben können.

EU-Ziele wackeln

Damit droht auch Ungemach mit Brüssel. Denn laut dem EU-Kreislaufwirtschaftspaket müssen ab 2025 50 Prozent aller in Verkehr gebrachten Kunststoffe recycelt werden. Österreich ist mit einer aktuellen Quote von 25 Prozent davon noch weit entfernt. Um das EU-Ziel zu erreichen, müsste das Recycling von aktuell jährlich 75.000 Tonnen Kunststoff auf 150.000 Tonnen verdoppelt werden. Zumindest vier weitere große Sortieranlagen wären laut ARA dafür Voraussetzung. Doch unter den aktuellen Bedingungen fehlt im System das Geld für solche Investitionen. Die Konsequenzen einer Zielverfehlung könnten teuer werden.