"So einen Skandal hat es noch nie gegeben“, sagen Eingeweihte darüber, was seit einer Woche aus der Commerzialbank Mattersburg an die Öffentlichkeit kommt. So klein die Bank gewesen sein mag, so groß ist die Wirkung der kriminellen Energie, die dort herrschte. Die Hälfte der Bilanzsumme von 795 Millionen Euro (2018) war schlicht erfunden, mehr als 400 Millionen an Guthaben bei anderen Banken ein Produkt von Fantasie und Fake.

Das galt auch für Kreditakten. „Der Kunde wusste nicht, dass er einen Kredit hat“, soll Vorstandschef Martin Pucher zugegeben haben. Gegen ihn und die Vorständin Franziska Klikovits wird ermittelt (es gilt die Unschuldsvermutung). Ihre Funktionen wurden am Dienstag aus dem Firmenbuch gelöscht.

Aufsichtsrat auf Tauchstation

Nun fließt das Geld der Einlagensicherung. Wer nicht mehr als 100.000 Euro in der Bank liegen hatte, kommt mit dem Schrecken davon. Anleger mit höheren Guthaben, Unternehmen und Gemeinden können ihre Gelder abschreiben und sich über ein Totalversagen von Aufsicht und Prüfern ärgern.

So wird zu Recht die Frage nach dem Aufsichtsrat gestellt. Den Vorsitz des zehnköpfigen Kontrollgremiums führt Josef Giefing, der 74-jährige Landwirt war von 1998 bis 2000 Bürgermeister von Krensdorf. Aktuell ist er außerdem Vorstand jener Genossenschaft, die zu 79,01 Prozent Aktionärin der Commerzialbank ist.

Auch die anderen Aufseher passen in das Schema von kleinen, in der Region verwurzelten Unternehmern. Die Stellvertreter von Giefing: ein Gastwirt aus Schattendorf und der Inhaber eines Dachdecker-Betriebes. Unangenehme Fragen beantworten sie im Moment nicht, für Anrufer sind sie nicht zu sprechen. Im „Kurier“ wunderte sich Josef Fritz, Chef eines auf die Suche nach Aufsichtsräten spezialisierten Personaldienstleisters: „Höchst erstaunlich, dass eine Bank im Jahr 2020 noch einen solchen Aufsichtsrat hat.“

Die Prüfer im Visier

Verwunderung löste aber auch die TPA aus. Die grundsätzlich angesehene Kanzlei von Wirtschaftsprüfern, die übrigens auch Wirecard Österreich begutachtete, ließ sich von Pucher und Co. von 2006 bis 2018 regelrecht papierln. Die Mattersburger Bank fingierte nämlich auch die Einlagebestätigungen von anderen Banken – und der TPA reichte das offenbar. Hätte sie die Salden bei den Banken selbst abgefragt, hätten die Malversationen längst auffliegen müssen.

Dass sich die TPA als Opfer von Täuschungen sieht, bringt die Geschädigten erst recht gegen sie auf. Und eine Reihe von Anwälten in Stellung: Gestern kündigten zwei Rechtsvertreter eine Sachverhaltsdarstellung an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an. Am Ende geht es um die Frage der Haftung. Unabhängig davon hat die Aufsichtsbehörde der Abschlussprüfer (APAB) eine Sonderprüfung eingeleitet, um festzustellen, ob die TPA korrekt gearbeitet hat.

Hinweise und Kontrollen

Bleibt die Rolle der Finanzmarktaufsicht und der Nationalbank. Warum, fragen Insider mit Verweis auf das regulatorische Meldewesen, machten die guten Zinskonditionen nicht misstrauisch? Fakt ist, dass die Nationalbank – im Auftrag der Finanzmarktaufsicht – in den Jahren 2015, 2017 und 2020 Vorortprüfungen durchführte. Und zweimal, 2015 und 2020, gab es Hinweise durch Whistleblower auf Unregelmäßigkeiten.

Ein Verdacht und eine Anzeige der FMA bei der Staatsanwaltschaft im Jahr 2015 blieben ohne Folgen. Die FMA macht seit 2008 keine wirtschaftlichen Analysen mehr, diese Aufgabe wanderte zur Nationalbank. Dieser geht es aber nicht um das Aufspüren von kriminellen Handlungen, sondern um „die Überwachung der Risikosituation der Kreditinstitute.“ Sie hat das Ausfallrisiko im Auge.

Unternehmen ließen sich blenden

Martin Pucher war nicht allein, aber er steht im Zentrum des Skandals. Sein Aufstieg, vor allem als Chef des SV Mattersburg, war manchen zwar ein Mysterium. Aber im Burgenland galt der Banken- und Fußballzampano als Persönlichkeit, das Netzwerk reichte bis nach Wien.

Seit Platzen des Skandals outen sich täglich Unternehmen, die sich blenden ließen und zweistellige Millionenbeträge in den Wind schreiben müssen. Zuletzt einige Wohnbaugenossenschaften: Sie legten dort in Summe 100 Millionen Euro ein.

Ein Sprecher der betroffenen Wiener Sozialbau AG zur Kleinen Zeitung: „Es hatte den Anschein, dass es sich bei der Commerzialbank um eine seriöse, mit der Realwirtschaft verbundene Regionalbank mit guten Konditionen handelt. Das ist an sich nichts Schlechtes.“