Welche große Lehre kann man derzeit schon aus der Krise ziehen?
HARALD MAHRER: Bedrohungsszenarien sind ernst zu nehmen. Die Möglichkeit großer Naturkatastrophen oder Blackouts. Dafür braucht es Vorsorgepläne, inklusive strategischer Lagerbestände. Es kann nicht alles rein dem Spardruck unterworfen sein. Das bedeutet mehr Made in Europe. Für uns eine gigantische Chance.

Eine zweite Infektionswelle träfe Österreich nicht mehr so?
Beim Learning im Umgang mit der Krise, der Interaktion über alle Sektoren gehört Österreich vermutlich zu den Top drei Ländern in Europa. Die Dänen haben es sehr gut gemacht. Die Deutschen je nach Bundesland.

Hat sich die Wirtschaftskammer mit der Drehscheiben-Funktion für die finanziellen Hilfen an Unternehmen übernommen?
Im Gegenteil. Wir machen es besser, als es jeder andere gekonnt hätte. Wir haben über 180.000 Betriebe schnell unterstützt, das meiste passiert voll automatisiert. Die Organisation funktioniert exzellent, alle machen einen Topjob.

Die führenden Wirtschaftsforscher erwarten einen Einbruch der Exporte um zehn bis 15 Prozent. Deckt sich das mit dem, was Sie von den Unternehmen hören?
Natürlich wird bei den Exportzahlen heuer ein Minus davorstehen. Wie groß es wird, ist schwierig zu sagen. China wird trotz Corona ein Plus beim Wirtschaftswachstum haben. Eine Frage ist, wie schnell erholt sich die US-Wirtschaft. In Italien – für uns ein wichtiger Markt – werden wir mit einer Exportinitiative einen Schwerpunkt setzen, um jeden Auftrag, jede Ausschreibung kämpfen. Wir gehen gerade jetzt in neue Chancenmärkte, Zentralkaukasus, West- und Ostafrika.

Wann werden die Exporte wieder zum Konjunkturmotor?
2021 sehen wir den ersten Teil eines starken Comebacks. Eine Steuerreform soll die Inlandskaufkraft ankurbeln. Für die Nachfrage nach Investitionsgütern haben wir die Investitionsprämie und Abschreibungsmöglichkeiten, wie wir sie vorher noch nie mit einer Regierung vereinbaren konnten, als Anreize gesetzt.
Die Investitionsprämie ist befristet, die gibt es nur heuer.
Wichtig war, die Entscheidungen nicht auf 2021 zu verschieben. Die neue degressive Abschreibung ist ein Dauerrecht. Wir haben bewusst sehr spezifische Sachen vorgezogen, weil sie sofort wirken sollen.

Harald Mahrer
Harald Mahrer © APA/HERBERT P. OCZERET

Würde man nicht ein ganzes Bündel brauchen?
Würden wir alles sofort auf den Tisch legen, würden Unternehmen sehr selektiv investieren. Thermische Sanierung, Fotovoltaik-Programm, das wirkt unmittelbar. Da haben Christoph Badelt (Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Anm.) und Martin Kocher (Chef des Instituts für Höhere Studien, Anm.) enorm geholfen mit Empfehlungen für kurzfristige, mittel- und langfristige Maßnahmen. Plusminus sind die Maßnahmen entlang dieses Pfades strukturiert.

Die Arbeitslosigkeit wird laut Wifo und IHS das gravierendste Problem. Die Gewerkschaft ist mit einem Arbeitszeit-Modell für vier Tage aus der Deckung gekommen. Was will die Wirtschaftskammer?
Das Vier-Tage-Modell jedenfalls nicht. Das ist nach wie vor eine Arbeitszeitverkürzung bei fast vollem Lohnausgleich. Und das ist in einem Hochlohnland wie Österreich denkunmöglich. Eine alte Idee zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt.

Sie verhandeln gerade mit der Gewerkschaft ein Kurzarbeits-Nachfolgemodell. Könnte es so sein wie bei der AUA, das Kurzarbeit über zwei Jahre vorsieht?
Da sind wir uns mit der Gewerkschaft einig, dass es die noch länger brauchen wird. Kurzarbeit mit Qualifizierung und Requalifizierung zu verbinden, das halte ich für hochintelligent. Daran hat auch die Arbeitnehmerseite großes Interesse. Wir brauchen mehr Qualifizierung für die digitale Transformation, nicht kürzeres Arbeiten durch die Hintertür.

Es gibt eine Lehrstellenkrise, der Bonus lindert das kaum.
Die haben wir, zum Teil anders als in der Öffentlichkeit bekannt. Es gibt viel weniger Nachfrage, im Handel sind 3000 Lehrstellen offen. Wir fahren jetzt große Informationsoffensiven. Es wäre fatal, einen ganzen Jahrgang zu verlieren. Wir haben aber wie bei der Arbeitslosenproblematik ein Grundproblem: die Mobilität.

Was würden Sie unter aktiver Arbeitsmarktpolitik verstehen?
Eine große strategische Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Mobilitätsoffensive.

Ist das AMS gut genug für die Krisenbewältigung? Schon vorher war die Arbeitslosigkeit hoch.
Das AMS kann immer nur in einem vorgegebenen Rahmen handeln. Ich glaube, es braucht einen anderen Rahmen, was Zumutbarkeit und Mobilität betrifft. Seit Jahren Tabuthemen.

In Österreich gibt es enormes Privatvermögen. Wie könnte man davon etwas in die Wirtschaft, in Bildung und Ausbildung holen?
Man könnte Privatstiftungen, die einen Teil ihres Geldes philanthropisch verwenden, Steueranreize bieten. Da ist in Deutschland zum Beispiel sehr viel in Richtung Forschung passiert. Über die Bildungs- und Innovationsstiftung des Bundes wäre eine große Skalierung möglich. Da müsste die Republik mutig sein und attraktive Steuerabsetzmöglichkeiten bieten. Für einen Steuerbonus sollte überhaupt jeder für Bildungsinitiativen spenden können. Auch Sozial- oder Bildungsanleihen wären Modelle, die wir jetzt ausprobieren sollten.

Ein Megaproblem der Unternehmen in dieser Krise ist geringes Eigenkapital. Das Thema ist uralt. Warum haben alle versagt?
Weil wir als Volkspartei schon lange keine Alleinregierung mehr gehabt haben.

Eine sehr einfache Antwort.
Aber die Wahrheit. Für die Zukunft gilt: Wir arbeiten gerade daran, mit großen Investoren und Partnern aus dem deutschsprachigen Raum, mehrere Eigenkapitalfonds aufzubauen. Da werden sich erstmals potente Unternehmer und Unternehmerinnen zusammentun und anderen Unternehmen helfen. Der Bedarf ist da.