Sie sagten, in der Krise müssten wir alle den Gürtel enger schnallen. Ziehen wir bereits am Gürtel?

GABRIEL FELBERMAYR: Wenn wir die Staatsverschuldung, die wir jetzt deutlich hochfahren, wieder eindämmen müssen, wird das Gürtel enger schnallen flächig notwendig werden. Bisher ist es ungleich verteilt: Wir haben stark betroffene Branchen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und Branchen, wo das nicht der Fall ist – etwa Banken und Versicherungen oder auch den Baubereich. Für diese Bereiche kommt die Belastung erst.

Auch jene, die die Krisenbewältigung bisher nicht in der Brieftasche spüren, werden zur Kasse gebeten?

Der Öffentliche Dienst wird etwa durch niedrigere Lohnsteigerungen beitragen müssen. Man muss sich auch fragen, ob die Sozialversicherungsbeiträge stabil bleiben können oder ob man angedachte Ausgabenprogramme wird fortsetzen können. In den nächsten Jahren werden die Budgets enger. Weil das, was man jetzt ausgibt, dann fehlen wird.

Am Anfang sprach man von einem V-förmigen Krisenverlauf: schneller Absturz, rasche Erholung. Das scheint nicht einzutreten – warum nicht?

Das, was nicht eintritt, ist das symmetrische V – dass ein starker Abschwung von einer genauso steilen Gegenbewegung begleitet wird. Aber es ist immer noch ein V: Es gibt einen klaren Tiefpunkt, den wir in Österreich und vielen Ländern hinter uns gelassen haben. Aber es geht langsamer zur Normalität zurück.

Warum erholt sich die Wirtschaft langsamer als erwartet?

Die heimische Konjunktur hängt über die Exporte massiv an der internationalen Konjunktur. Wir haben im März nicht erwartet, dass so viele Exportmärkte schlechter performen als Österreich oder Deutschland. Was wir auch unterschätzt haben: Das Ausmaß der Konsumzurückhaltung – selbst jetzt noch, wo wieder vieles möglich ist. Wir haben eine unglaubliche Sparflut. Das Geld ist da, jedenfalls im Durchschnitt. Aber die Menschen geben es nicht aus, weil sie Angst vor der Zukunft haben.

Es heißt immer wieder, diese Krise sei unvergleichbar. Was macht diese Krise anders?

Typischerweise werden Wirtschaftskrisen durch das Platzen einer Blase verursacht, wie zuletzt 2008. Krisen, die aus dem Wirtschaftsgeschehen herauskommen. Was jetzt passierte, ist eine Naturkatastrophe. Deswegen ist Gerede, dass das eine Krise der globalen Marktwirtschaft sei, ein Unfug. Das ist wichtig – denn das stützt auch die Vorstellung eines V. Weil es keine Kernfäule im System gibt. Die Wirtschaft sollte nach der Krise in ihre alten Pfade zurückfinden, wenn man sie denn lässt – was übrigens nicht überall sinnvoll ist.

Was macht diese Krise noch anders?

90 Prozent der ungefähr 200 Länder in der Welt haben eine Rezession. 2009, bei der letzten Krise, war die Welt zweigeteilt. Schwellen- und Entwicklungsländer hatten recht robustes Wachstum, während die Industriestaaten stark schrumpften. Jetzt liegt die Nachfrage überall am Boden. China kommt vielleicht mit einer schwarzen Null um die Ecke – aber das reicht natürlich nicht.

Sie bezeichneten China dennoch als Gewinner der Krise – wie sehr verschieben sich die Gewichte der Weltwirtschaft?

Dass sie sich verschieben, ist klar. Das BIP der USA und der EU kann um bis zu 10 Prozent sinken, jenes Chinas bleibt gleich. Das bedeutet, dass sich der Bedeutungsgewinn Chinas heuer beschleunigt.

In dieser Krise wird oft nach dem Staat als Retter gerufen. Wann muss sich der Staat wieder zurückziehen?

Der Staat kann den Leuten Geld überweisen, aber das erzeugt kein nachhaltiges Wachstum – das muss aus dem Produktivitätswachstum der Unternehmen kommen. Der Staat unterliegt drei Grenzen. Die eine: Wie sehr kann er mit Stabilisierungsprogrammen die Konjunktur beleben? In einem gewissen Ausmaß geht das. Aber je größer die staatlichen Pakete werden, desto stärker sind die Mitnahmeeffekte. Die zweite Grenze: Der Staat kann nicht beliebig Schulden machen. Diese Grenze muss man im Auge behalten. Es wird immer gefährlicher, je höher die Staatsverschuldung ist. Die dritte Grenze: Je stärker der Staat eingreift, umso mehr verzerrt er den Wettbewerb.

Der Ärger der Billigairlines Ryanair & Co. über staatliche Milliarden-Rettungspakete etwa für Lufthansa und AUA ist also nachvollziehbar?

Absolut. Die Luftfahrtbranche ist am krassesten. Aber das gilt auch für die Fixkostenzuschüsse. Da sind wettbewerbsverzerrende Schwellenwerte eingezogen. Das kostet am Ende Wachstum. Weil Unternehmen, die kaum Umsatz, aber hohe Fixkosten haben, vom Staat besonders gepäppelt werden. Das ist nicht nur ungerecht, sondern ökonomisch problematisch.

Wann muss sich der Staat wieder zurückziehen?

Wir haben am Anfang einer Weggabelung einen falschen Weg beschritten. Es wäre sehr viel klüger gewesen, hätte man gesagt, man ersetzt von Staats wegen verlorene Betriebsüberschüsse, zumindest teilweise. Nicht mit Krediten oder Eigenkapital, sondern genauso, wie der Staat Kurzarbeitern Geld gibt, als Zuwendung. Dann hätte man weder die Wettbewerbsverzerrung noch die Sorge von einer Insolvenzwelle gehabt. Wir haben das im April vorgeschlagen und waren leider zu spät dran. Da waren die Pflöcke schon eingeschlagen.

Jetzt geht es darum, Staatskapitalismus zu verhindern?

Ja, und trotzdem die Unternehmen vor Insolvenz retten, die eigentlich gesund sind. Ein Weg, wie das gelingen kann: Kredite, die der Staat gewährt hat, in richtige Zuschüsse verwandeln, nicht in Eigenkapital. Denn davor würde ich warnen – damit, dass der Staat mitredet, haben wir gerade in Österreich keine guten Erfahrungen gemacht. Das ist korruptionsanfällig. Dafür muss es dann aber wohl Änderungen im EU-Recht geben.

Deutschland senkt befristet die Mehrwertsteuer allgemein, Österreich nur sehr begrenzt. Wer macht es besser?

Österreich hat die Mehrwertsteuersenkung nicht mitgemacht, darüber bin ich froh. Sie unterstellt etwas Falsches: Man muss die Massenkaufkraft steigern. Es ist aber nicht so, dass die Einkommen massiv eingebrochen wären. Sonderzahlungen für Arbeitslose und Familien wie Österreich helfen dort, wo das Geld knapp ist.

In Österreich bekommen Arbeitslose nur eine Ersatzquote von 55 Prozent des Nettoeinkommens – ist das klug?

Nein. Es ist gut, zunächst hohe Ersatzraten – es können 75 Prozent sein – zu haben und diese relativ mutig, etwa alle drei Monate, abschmelzen zu lassen. Das verstärkt Anreize, sich um neue Jobs zu kümmern.

Würde die Wirtschaft einen zweiten Lockdown überstehen?

Ein zweiter Lockdown wie wir ihn von März bis Mai hatten, wäre für viele Branchen tödlich und für die Psychologie ein echter Schlag. Ich glaube aber nicht, dass es so weit kommen wird. Wir sollten in der Lage sein, Ausbrüche lokal einzugrenzen. Die Maßnahmen werden leichterer und regionalspezifischer sein. Selbst wenn die zweite Welle massiv kommt, bin ich zuversichtlich, dass wir sie mit geringeren ökonomischen Schäden managen können.

Wie sehr trifft die Insolvenz des Finanzdienstleisters Wirecard den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Sie wirft vor allem den Finanzmarktstandort Deutschland zurück. Für die deutsche Finanzmarktaufsicht ist das ein Super-Gau. Das Vertrauen in diese Art von Investment wird lange Zeit beeinträchtigt sein.