Josef Obergantschnig ist Präsident des Wirtschaftsethikklubs Ethico und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Bank- und Börsenwesen. In seinem "Tagebuch eines Börsianers" schildert der erfahrene Kapitalmarktexperte für die "Kleine Zeitung" seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse in diesem - auch auf dem Börsenparkett - dramatischen Tagen.

Dienstag, 30. Juni: Ruhigere Wochen? Ich glaube nicht ...

Es ist Sommer. Es ist Zeit, einmal durch zu schnaufen. Erholung ist angesagt. Viele von uns freuen sich schon auf den Urlaub oder sind gerade erst entspannt aus dem Urlaub zurückgekommen. 2020 hat uns allen sehr viel abverlangt. Aber können wir uns jetzt wirklich auf ein paar ruhigere Wochen freuen? Ich glaube nicht. Zuviel ist passiert und vieles muss erst aufgearbeitet werden. Aber ich mag mich täuschen.

Das 2. Quartal stand im Zeichen des Schocks. Bis jetzt sind wir noch im Blindflug unterwegs. Das wahre Ausmaß der Corona-Pandemie und des weltweiten Shutdowns wird wir wohl frühestens im 3. Quartal offengelegt. Wie stark sind die Unternehmensergebnisse und das BIP wirklich eingebrochen? Wie viele Arbeitslose können wieder im Arbeitsmarkt integriert werden? Und wie viele Unternehmen werden die Krise überhaupt noch überleben? Fragen über Fragen, die uns wohl auch im Sommer begleiten werden. An den Finanzmärkten wird eine V-förmige Erholung eingepreist. Ob diese wirklich eintritt, werden wir wahrscheinlich erst um den Jahreswechsel abschätzen können. Die Unterstützung der staatlichen Rettungsprogramme und der Liquiditätsschwemme der Notenbanken sind zumindest einmal ein Fundament.

In Bezug auf die Corona-Krise bleibt die wichtigste Frage, wie schnell ein flächendeckend einsetzbarer Covid-19 Impfstoff entwickelt werden kann. Es ist ein wahres Wettrennen der Pharmaunternehmen entstanden, dass etwas an die Goldgräberstimmung erinnert. Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert und Wochen, in denen Jahrzehnte passieren! Das Zitat wird Wladimir Iljitsch Lenin zugeschrieben. Der britische Historiker und Verfasser einer Lenin-Biographie Victor Sebestyen beschreibt ihn als Berufsrevolutionär, Kleinbürger und Tyrann.

Mir liegt es fern, eine Revolution anzuzetteln. Aber eines scheint klar. Wir erlebten in den letzten Monaten einen wahren Umbruch. Die Welt nach der Corona-Pandemie wird mit der Welt vor der Corona-Pandemie nicht mehr vergleichbar sein. Auf diese Tage werden wahrscheinlich noch unsere Kinder und Kindeskinder in ferner Zukunft zurückblicken.

Auch für mich endet heute eine ereignisreiche Zeit. Mein Ziel war es, die ersten 100 Tage des Corona-Crashs in Form eines Tagebuchs aus dem Blickwinkel eines Börsianers zu dokumentieren. Es war eine lehrreiche, herausfordernde und sehr intensive Zeit. Es ist noch sehr früh. Ein Schluck von meinem Espresso. Mit Stolz blicke ich auf die letzten Monate zurück. Wir haben als Gesellschaft viel bewegt. Das stimmt mich positiv und lässt mich mit Zuversicht in die Zukunft blicken.

Danksagung: Es ist vollbracht. Eine unglaubliche Reise ist zu Ende. Ich möchte auch die Gelegenheit wahrnehmen, mich bei Ihnen, lieber Leser zu bedanken. Es war für mich sehr schön und motivierend, mit Ihnen gemeinsam durch diese historischen Tage zu reisen. Ohne Ihren Zuspruch und die aufmunternden Worte hätte ich vermutlich nicht durchgehalten.

Montag, 29. Juni: Mit Pauken und Trompeten

Die neue Woche beginnt. Die europäischen Börsen haben noch geschlossen, während ich frühmorgens meinen Espresso genieße. Der Goldpreis, ein Synonym für ein Sicherheitsinvestment, notiert auf dem höchsten Stand seit über acht Jahren. Angesichts der Coronakrise sind viele Investoren in das Edelmetall geflüchtet. Am Wochenende sorgte der Wirecard-Skandal wieder für Aufsehen. Wenig verwunderlich, schließlich sind ja immerhin nahezu zwei Milliarden Euro unauffindbar.

Mittlerweile sind bereits zwei Haftbefehle ausgestellt und das Unternehmen hat die Insolvenz beantragt. Es verdichtet sich der Verdacht, dass die Finanzmarktaufsicht bereits Anfang 2019 – also rund eineinhalb Jahre vor der Eskalation – einen konkreten Verdacht auf Bilanzmanipulation gehabt haben soll. Es wurde ein Mitarbeiter abgestellt, um der Sache nachzugehen. Bei einem DAX-Konzern und einem Verdacht mit dieser großen Tragweite wäre es angebracht, ein paar Dutzend Experten abzustellen. Die deutsche Bundesregierung schreitet ein und wird - nach Informationen aus dem Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium - vermutlich den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungsoffenlegung (DPR) aufkündigen. Dieser privatrechtlich organisierte Verein kontrolliert im Staatsauftrag die Finanzen. Die Finanzmarktaufsicht (Bafin) hatte der DPR bereits im Februar 2019 den Hinweis gegeben, dass es Ungereimtheiten in der Wirecard Bilanz gebe.

Die DPR scheint dem Manipulationsverdacht aber aufgrund des wiederholten Nachfragens der Bafin erst im Mai 2020 nachgegangen zu sein. Unter einer „Bilanzpolizei“ stellt man sich vermutlich etwas anderes vor. Damit haben wir einen waschechten Bilanzskandal, der Deutschland bis ins Mark erschüttert.

Vergleiche mit dem Energiekonzern Enron tun sich auf. Anfang der 2000er Jahre ging der Energiehändler mit Pauken und Trompeten unter und raubte mir in der einen oder anderen Nacht den Schlaf. Enron erfand Umsätze, die es in der Realität gar nicht gab. Die Gewinne wurden um 1,2 Milliarden Dollar zu hoch ausgewiesen. Es wurden 30 Milliarden Dollar Schulden aufgenommen, die dem Konzern das Genick brechen sollten. Pikantes Detail des Enron-Skandals ist auch, dass sich der CEO als Innovator feiern ließ und sich eine Abfindung von 300 Millionen Dollar auszahlen ließ. Und das kurz bevor beim damals siebtgrößten Unternehmen der USA für immer das Licht ausgehen sollte. Enron hat damals die Aktienkultur schwer geschädigt. Auch der Betrugsfall von Wirecard hat durchaus das Potenzial, der Aktienkultur einen Bärendienst zu erweisen.

Sonntag, 28. Juni: Börsenherz, was willst du mehr ...

Schön langsam neigt sich das 2. Quartal dem Ende zu. Wir haben wahrlich viel erlebt. Im 1. Quartal sind die Unternehmensgewinne noch um 11% gesunken. Mit der anstehenden Berichtssaison, in dessen Rahmen die Unternehmen ihre Ergebnisse für das 2. Quartal publizieren werden, ist der Moment der Wahrheit gekommen.

Eines ist jedem klar: Jetzt kommt’s dicke! Die Frage ist nicht ob, sondern nur wie stark die Gewinne eingebrochen sind. Für den breiten amerikanischen Markt wird bereits ein Einbruch von 40% im Vergleich zum 1. Quartal 2020 eingepreist. Damit wären wir auf einem Niveau von 2011.

An den Börsen sorgen FANG-Aktien seit Jahren für Furore. Darunter fallen Facebook, Amazon, Netflix und Google (Alphabet). Durch die außergewöhnliche Performance haben wir irgendwann einmal Apple hinzugefügt und aus FANG wurde FAANG. Auf den schnellen Blick fällt die Veränderung gar nicht auf. In letzter Zeit erlebt die gute alte Microsoft, die sich bereits in der Internet-Blase großer Beliebtheit erfreuen durfte, ein Revival. Im Jahrestief am 23. März konnte man den Software-Giganten, der sein Imperium auf einem monopolistisch anmutenden Fundament aufgebaut hat, noch um 135 Dollar pro Aktie erwerben. Der Kurs ist Mittlerweile auf mehr als 200 Dollar gestiegen. Das macht immerhin ein sattes Plus von nahezu 50%.

Und schon war es passiert. Aus FAANG wird FANMAG (Facebook, Amazon, Netflix, Microsoft, Apple, Google) und schon ist ein neues Akronym für Erfolg geboren. Wir Börsianer lieben schließlich kryptische Abkürzungen. Wenn man Anfang 2015 100 Dollar in FANMAG Aktien investiert hat, kann man sich gegenwärtig über einen Portfoliowert von 650 Dollar freuen. Allein seit den Tiefständen im März hat sich der Wert um 250 Dollar erhöht. Bei einem Investment in den breiten US-Markt würde im Vergleich dazu der Portfoliowert bei rund 150 Dollar liegen, bei einem Investment in die Nasdaq bei rund 250 Dollar. Das wirkt sich auch auf die Gewichtung in den jeweiligen Indizes aus. FANMAG Aktien repräsentieren bereits 50% der Nasdaq 100 bzw. über ein Fünftel des S&P 500.

Damit die Party weiter geht, werde ich mich jetzt auf eine Google-Recherche begeben, um mich über Notebooks zu erkundigen, auf Amazon einloggen, um mir das neue MacBook Air zu bestellen, mir online ein neues Office-Paket kaufen, mit meinem iPhone das neue Gerät fotografieren, um mit meinem neuen Equipment meine Facebook-Freunde zu beeindrucken und mich abschließend völlig geschafft mit einer Staffel House of Cards auf Netflix zu entspannen. Börsenherz, was willst du mehr!

Samstag, 27. Juni: Der Blick nach vorne ist immer ungewiss ...

Eine ereignisreiche Woche neigt sich dem Ende zu. Die Börsen verabschiedeten sich tiefrot ins Wochenende. Ich freue mich schon darauf, heute einmal die Seele baumeln zu lassen und viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Noch ist es ruhig. Schließlich liegen alle noch friedlich in ihren Betten. Während ich meinen Espresso trinke, stelle ich mir die Frage, welche potenziellen Risiken und Gefahrenherde in den kommenden Monaten auf uns warten könnten.

Das World Economic Forum hat diesbzgl. 31 Risiken definiert. Zehn Risiken betreffen den ökonomischen Bereich, neun den gesellschaftlichen Bereich. Zudem werden noch sechs geopolitische Risiken, vier technologische und zwei umweltspezifische Risiken angeführt. Ein breites Spektrum. Im Vergleich zum Jänner sind durch die Corona-Pandemie wieder ökonomische Aspekte in den Fokus gerückt. Zu Beginn des Jahres war das noch anders. Damals standen noch umweltspezifische Aspekte im Zentrum. Die größte Sorge bereiten den Risikomanagern eine langanhaltende globale Rezession, sowie die hohe Arbeitslosigkeit. Erst dahinter steht die Sorge einer zweiten Corona-Welle. Auf der geopolitischen Seite werden strenge Restriktionen zwischen einzelnen Ländern als Hauptrisiko definiert. Das betrifft sowohl die Reisetätigkeit, aber auch Handelsaktivitäten. Auf der technologischen Seite stehen Cyberattacken ganz oben auf der Liste. Darüber hinaus geht das World Economic Forum auch davon aus, dass die Arbeitslosigkeit aufgrund der technologischen Fortschritte weiter zunehmen wird. Mit den wirtschaftlichen Herausforderungen tritt auch das Nachhaltigkeitsthema etwas in den Hintergrund. Die Autoren sehen ein Risiko darin, dass zu wenig Geld in Maßnahmen gegen den Klimawandel investiert wird. Damit haben wir einen guten Überblick.

Es soll jetzt nicht den Anschein erwecken, dass ich ein ängstlicher Mensch bin oder dass wir einer düsteren Zukunft gegensteuern. Fakt aber ist, dass große Herausforderungen auf uns warten. Das betrifft nahezu jeden Lebensbereich. Ich bin grundsätzlich ein sehr positiver Mensch. Nichtsdestotrotz habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, mich auch mit potenziellen Risiken auseinander zu setzen. Das kann sowohl im beruflichen aber auch im privaten Kontext sehr hilfreich sein. In einem Punkt unterscheiden wir uns wesentlich von Vorgängergenerationen. Viele von uns gehen nicht mehr davon aus, dass es unseren Kindern einmal „besser“ gehen wird. Aber warum ist das so? Der Blick nach vorne ist immer ungewiss. Im Rückspiegel betrachtet schaut es aber oft anders aus.

Freitag, 26. Juni: Stresstests und 100-jährige Anleihen

Die US-Märkte haben sich am Tageshöchststand in den Feierabend verabschiedet. Nach Börsenschluss veröffentlichte Nike schwache Zahlen. In der Nacht wurden auch die Ergebnisse des Banken-Stress-Tests der amerikanischen Notenbank veröffentlicht. Nachdem einige Banken den Stresstest nicht bestanden haben, erteilte die Fed den Instituten strikte Auflagen zur Schonung der Kapitalausstattung.

Österreich hat eine weitere 100-jährige Anleihe mit einem Kupon von 0,85% begeben. Das Emissionsvolumen von 2 Milliarden Euro war vielfach überzeichnet und zog das Interesse der Investoren auf sich. Wenn ein Investor heute 100 Euro investiert, bekommt er jährliche Zinszahlungen in der Höhe von 85 Cent. Vor rund drei Jahren hat Österreich schon einmal eine 100-jährige Anleihe begeben. Damals lag der Kupon noch bei 2,1%. Durch den massiven Rückgang der Zinsen wird diese Anleihe aktuell mit einem Kurs von 194% gehandelt. Das heißt konkret, dass für die 100 Euro Nominale, die ein Investor im Jahr 2117 erhält, er gegenwärtig 194 Euro bezahlen muss. Dafür bekommt man immerhin für 97 Jahre 2 Euro und 10 Cent pro Jahr ausgeschüttet. Mit einer konservativen Bundesanleihe hat man aufgrund des Zinsrückgangs mehr als 25% pro Jahr verdient.

Die Tilgung erfolgt aber mit 100%. Das heißt, der Weg ist durchaus vorgezeichnet. Selbst dann, wenn man fast ein Jahrhundert auf die Auszahlung warten muss. Spannend wird es, wenn man das Thema aus dem Blickwinkel einer Inflationsbereinigung betrachtet. Die Europäische Zentralbank hat ein Inflationsziel von 2%. Sollte die Inflation die nächsten 100 Jahre genau dem Inflationsziel entsprechen, hat ein Investor, der 2017 die 100jährige Anleihe gekauft hat, zumindest den realen Geldwerterhalt gewährleistet. Wenn man diese Woche sein Geld in eine 100-jährige Anleihe investiert, kostet es pro Jahr 1,2% an realem Wert. Der reale Wertverlust beträgt damit über die lange Laufzeit 70% des investierten Betrages. Die Erben, die wahrscheinlich noch nicht einmal geboren sind, werden sich freuen. Zu berücksichtigen ist auch, dass man sich für dieses Investment ein großes Risiko einkauft. Allein in den letzten zwölf Monaten schwankte der Kurs zwischen 148% und 237%. In Anbetracht eines mündelsicheren Investments braucht man da wahrlich starke Nerven.

Aus Staatensicht macht eine so lange Laufzeit durchaus Sinn. Die niedrigen Zinskosten sind damit für ein Jahrhundert fixiert. Das ist dann unser Geschenk an unsere Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel, die unsere Generation nur vom Familienstammbaum kennen wird. Mit besten Grüßen!

Donnerstag, 25. Juni: Das Wetter passt zum Börsengeschehen

Heute Morgen stehe ich mit meinem Espresso auf unserer Terrasse. Der Regen prasselt laut und die Luft ist feucht und kalt. Irgendwie passt das Wetter zum Börsengeschehen. Nach den Anstiegen der letzten Wochen heißt es vorerst, Gewinne mitnehmen. Der Hauptschuldige ist schnell gefunden. In einigen US-Bundesstaaten steigen die Corona-Infektionszahlen weiter.

Die neueste Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeichnet ein düsteres Bild. Die Krise wird heftig und wahrscheinlich schlimmer als alles, was die Mehrheit der Menschen jemals erlebt haben. Die Technologiebörse Nasdaq notiert so weit von der 200-Tageslinie entfernt, wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Die Kluft zwischen der Nasdaq und dem S&P 500 weitet sich weiter aus. Während der S&P 500 seit Jahresbeginn etwas mehr als 5% einbüßte, liegt die Nasdaq mit über 10% im Plus. Der Dow-Jones 30 Industrial liegt sogar mit über 10% im Minus. 2020 gilt: Je weniger Tech, desto schlechter die Performance. Der Performanceunterschied mit mehr als 15% ist sogar so groß wie seit 1983 nicht mehr. Wenn man noch ein bisschen tiefer gräbt, werden die Unterschiede noch größer. Die größten Titel im S&P 500 sind Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und Alphabet (Google). Zusammen repräsentieren sie mehr als ein Fünftel des Gesamtmarktes. Erst danach folgt der Pharmariese Johnson & Johnson mit einer Gewichtung von 1,4% als erstes Unternehmen, welches nicht dem Technologiesektor zuzuordnen ist. Und damit ist ein wesentlicher Teil des S&P 500 auch auf Tech-Titel zurückzuführen. Tech-Titel sind von der fundamentalen Seite her vergleichsweise teuer bewertet. Der S&P 500 ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 21 bewertet. Die Nasdaq ist mit einem KGV von 41 fast doppelt so hoch bewertet. Analysten prognostizieren, dass die Gewinne der Nasdaq-Unternehmen in den kommenden zwei Jahren um mehr als 50% steigen werden, jene der S&P 500 Unternehmen um vergleichsweise geringe 13%. Und das, obwohl auch im S&P 500 Tech-Titel nicht unwesentlich gewichtet sind.

Auch wenn die Prognosen mit großen Unsicherheiten behaftet sind, zeigt sich dennoch ein klarer Trend. Auch bei der Ausschüttungspolitik zeigen sich große Unterschiede. Während der breite Markt eine Dividendenrendite von 2% ausweist, liegt jene der Nasdaq bei lediglich 1%. Grundsätzlich gilt: Wachstumsunternehmen schütten weniger aus, da sie ihre Gewinne lieber in erfolgversprechende Investitionen stecken. Unternehmen im fortgeschrittenen Lebenszyklus dagegen legen den Fokus vermehrt auf eine stabile Ausschüttungspolitik.

Mittwoch, 24. Juni: Gemüter haben sich wieder etwas abgekühlt

An den Börsen haben sich die durch den Wirecard-Skandal erhitzten Gemüter wieder etwas abgekühlt. In den USA geht die Kurs-Rallye weiter. Tech-Aktien sind nach wie vor der große Renner. Die Technologiebörse Nasdaq hat gestern ein neues All-Time-High erreicht. Präsident Donald Trump will der Wirtschaft mit einem weiteren Hilfspaket unter die Arme greifen. Nach dem etwas verpatzten Wahlkampfauftakt braucht er dringend ein paar positive Nachrichten. Immerhin steht nicht weniger als seine Wiederwahl auf dem Spiel. In den Umfragewerten liegt der demokratische Herausforderer schon mehr als 8% voran. Es wird also höchste Zeit.

Interessant ist, dass trotz der Aufbruchsstimmung die „Angstprämie“ immer noch weit über dem „normalen“ Niveau notiert. Trotz des Auseinanderklaffens zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft spricht nach wie vor einiges für Aktien. Da wäre einmal die massive Ausweitung der Notenbankbilanzen. Allein die amerikanische Fed hat seit Ausbruch der Corona-Krise die Bilanzsumme um unglaubliche 70% ausgeweitet und die Märkte defacto mit Liquidität überschüttet. Für eine Investition in eine 10jährige amerikanische Staatsanleihe wurde man - vor nicht allzu langer Zeit - noch mit einer Rendite von 3% entlohnt. Aktuell bekommt der Investor nur mehr 0,7%. Die Notenbank will ein ungewollt starkes Anziehen der langfristigen Zinsen tunlichst vermeiden und beabsichtigt, eine faktische Zinsobergrenze zu implementieren. Mit der sogenannten „Yield-Curve-Control“ verabschieden wir uns vom „freien“ Markt. Ob und wann dieses Instrument zum Einsatz kommen soll, ließ Fed-Präsident Jerome Powell offen. Durch die niedrigen Zinsen ergibt sich ein sehr günstiges Finanzierungsumfeld. Das fördert den privaten Konsum und auch die Investitionen von Unternehmen. Zudem kommt der positive Aspekt zu tragen, dass mit jeder Refinanzierung der Zinsaufwand sinkt. Das betrifft neben Privaten und Unternehmen auch Staaten, Körperschaften oder sonstige Institutionen.

Die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen haben sich in den letzten Wochen deutlich eingeengt. Auch diesbezüglich müssen Investoren der Fed ihren Dank aussprechen. Schließlich hat die Notenbank Einzelanleihen und den Gesamtmarkt in Form von ETFs systematisch aufgekauft. Im Zuge der sinkenden Risikoprämien und dem tiefen Zinsniveau erscheinen Aktien attraktiv. Hinzu kommt eine gute Performance und schon geistert FOMO über das Börsenparkett. Dabei handelt es sich nicht um ein Fabelwesen, sondern um ein Akronym für die Angst, etwas zu verpassen (fear of missing out).

Dienstag, 23. Juni: Wirecard oder "eine Schande, dass das passiert ist" 

Heute morgen haben wir ein kleines Jubiläum. Irgendwie kann ich es gar nicht glauben, dass erst 100 Tage seit dem Corona-Shutdown und dem Beginn dieser Tagebuch-Serie vergangen sind. Es ist in sehr wenigen Wochen mehr passiert, als in manch einem Jahr.

Der Wirecard-Finanzskandal ist das bestimmende Thema dieser Tage. Im schlimmsten Fall wurden Luftschlösser gebaut, im „besten“ Fall ist man Betrügern aufgesessen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) und deren Chef Felix Hufeld kommen im Zuge des Finanzthrillers immer mehr unter Druck. In der Bafin arbeiten 2700 Mitarbeiter und damit mehr als im Gesundheits- oder Wirtschaftsministerium zusammen. Aufgabe der Behörde ist es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem für Bankkunden, Versicherte und Anleger zu gewährleisten.

Als erstes Medium berichtete die Financial Times über frisierte Bilanzen. Anstelle dieser Anschuldigung nachzugehen, hat die Bafin per Allgemeinverfügung Leerverkäufe bei Wirecard verboten. Bei Leerverkäufen (= Short-Selling) werden Wertpapiere, Derivate oder Devisen verkauft, ohne dass der Verkäufer sie zum Geschäftsabschluss besitzt. Short-Seller spekulieren darauf, den Basiswert zu einem späteren Zeitpunkt billiger wieder zurückkaufen zu können. Die Behörde hat auch eine Anzeige wegen Marktmanipulation erstattet. Paradoxerweise nicht gegen Wirecard selbst sondern gegen Short-Seller und Journalisten, die eigentlich auf das Problem aufmerksam gemacht haben.

Man verließ sich offenbar trotz der Gerüchte auf das Testat des Wirtschaftsprüfers, anstelle selbst im Rahmen einer Sonderprüfung einmal nach dem Rechten zu sehen. Bafin-Chef Felix Hufeld wirkt schwer angeschlagen: „Das ist ein komplettes Desaster, das wir das sehen, und es ist eine Schande, das so etwas passiert ist.“

Der Aktienkurs von Wirecard notierte am 17.6.2000 noch bei 99,78 Euro – gestern Abend ging die Aktie mit 14,44 Euro aus dem Handel. Der Börsenwert betrug im August 2018 noch 21,3 Milliarden Euro – aktuell nur mehr 1,8 Milliarden Euro. Felix Hufeld habe noch nie einen DAX-Konzern in einer derart entsetzlichen Situation gesehen. Seiner Ansicht nach brauche es keine regulatorischen Änderungen, sondern es müsse das bestehende Regelwerk einfach anders interpretiert werden. Das klingt nicht wirklich beruhigend. Wichtig wäre es, die letzten Wochen systematisch aufzuarbeiten, Fehler zu identifizieren und sich zu überlegen, wie man diese in Zukunft vermeiden kann. Das würde mehr bringen, als genüsslich einen Sündenbock zur Schlachtbank zu führen.

Montag, 22. Juni: Wer ist Opfer, wer ist Täter?

Heute Morgen lese ich die aktuellen Schlagzeilen, während ich meinen Espresso trinke. Eine Eilmeldung erregt meine Aufmerksamkeit: Wirecard rechnet nicht damit, dass es das Treuhandkonto überhaupt gibt. Unweigerlich stelle ich mir die Frage, wo die 1,9 Milliarden hingekommen sind? Man kann die doch unmöglich verlieren, oder? Damit haben wir einen waschechten Betrugs- und Bilanzskandal, bei dem man paradoxerweise nicht einmal genau sagen kann, wer das Opfer bzw. wer der Täter ist.

Eines ist aber fix. Es gibt viele Verlierer. Da sind einmal gutgläubige Investoren, die einen Großteil ihres Geldes verloren haben und jetzt vor der schwierigen Frage stehen: Bleibe ich investiert oder haue ich den Hut drauf? Dann haben wir noch das Management. Am Freitag warf Markus Braun, der Gründer und Chef von Wirecard, mit sofortiger Wirkung das Handtuch. Der Traum, von der Kommandobrücke aus einen Weltkonzern zu steuern, ist damit jäh geplatzt und wird wohl auf der Anklagebank enden. Dann sind da noch die Mitarbeiter von Wirecard. Viele davon haben ihr Herzblut für das Unternehmen geopfert und dürften sich jetzt wie ein düpierter Ehemann fühlen. Dann haben wir noch Zulieferer und Partnerunternehmen, die um ihr Geld bangen müssen.

Als Gläubiger hat man zwar die Chance, im Falle einer Insolvenz zumindest noch einen Bruchteil der Forderung zu bekommen. Viel dürfte es aber auch nicht sein. Ähnliches gilt für Anleihenkäufer. Auch die wären im Konkursfall dem Eigenkapital vorgereiht. Und dann haben wir noch die Aktionäre. Diese kommen im Insolvenzfall erst dann an die Reihe, wenn alle anderen vorgelagerten Gruppen voll und ganz bedient werden können. Im Regelfall bleibt allerdings nichts über. Wenn man sich einmal überlegt, wie viele Menschen von dem Betrug betroffen sind, kann einem wahrlich der Atem stocken.

Da wären einmal rund 5000 Mitarbeiter und deren Familien. Gerade in der angespannten wirtschaftlichen Lage ist es wahrscheinlich nicht so einfach, rasch wieder eine adäquate Stelle zu finden. Dann hätten wir noch die ganzen Zulieferer. Auch hier stehen Mitarbeiter und deren Familien im Hintergrund. Neben privaten haben auch institutionelle Investoren wie z.B. Pensionskassen oder Versicherungen ihr Geld in Wirecard Aktien oder Anleihen veranlagt. Hinter den Deckungsstöcken stehen wiederum tausende von Menschen, die einmalig oder in Monatsraten ihr Geld ansparen. Die Liste könnte noch weiter fortgeführt werden, aber es zeigt sich schon, dass durch den Betrug Millionen Menschen zu Schaden gekommen sind.

Sonntag, 21. Juni: Nicht der Beste, sondern der Coolste ...

An Tesla scheiden sich die Geister. Die einen lieben Elon Musk`s Firma, die anderen stehen ihr äußerst skeptisch gegenüber. Dieser Tage ist das Unternehmen erstmals über die 1.000 Dollar Grenze gestiegen. Tesla repräsentiert einen Börsenwert von 180 Milliarden Euro und ist damit mehr wert als Volkswagen (84 Mrd.), Daimler (44 Mrd.) und BMW (42 Mrd.) zusammen.

Am Automarkt hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Der deutsche Prof. Gerald Ebel - Experte für immaterielle Vermögenswerte - spricht von einem TESLA-Moment, den momentan viele Branchen erleben. Ein qualitativ hochwertiges Produkt ist aber schon lange kein Alleinstellungsmerkmal. Vielmehr wird es in diesen Tagen vorausgesetzt. Ein gutes Produkt hat sowieso jeder und als Konsument sind die Nuancen der Unterscheidungsmerkmale sowieso schwer fassbar. Nicht immer gewinnt der Beste, sondern der Coolste. Am Beispiel TESLA sieht man, dass es das Unternehmen geschafft hat, ein Werteversprechen abzugeben. Der Kunde kauft kein Auto. Nein, der Kunde trägt mit dem Autokauf dazu bei, die Welt ein stückweit besser zu machen.

Alteingesessene Konzerne, die über Jahrzehnte den Markt diktiert haben, hinken auf einmal hechelnd hinterher. Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit, in der kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Corona-Krise hat den Trend nur verstärkt. Unternehmen sind gefordert, alte Gewohnheiten ad acta zu legen. Das Erfolgsrezept vergangener Tage ist keine Garantie für die Zukunft. Der TESLA-Moment trifft viele Branchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass künftig nur jene Unternehmen erfolgreich sein werden, die neben der Produktqualität auch für ein klares Werteversprechen stehen. Das betrifft aber nicht nur unsere Unternehmen, sondern auch uns als Privatperson.

In einer renommierten deutschen Tageszeitung prangt dieser Tage über einem Artikel die Überschrift „Shoppen ist jetzt erste Bürgerpflicht“. Wie bitte? Wir sollen jetzt alle wieder konsumieren, um die Krise abzufedern und gute Staatsbürger zu sein? Ich habe prinzipiell nichts gegen den Konsum, sehr wohl etwas aber gegen sinnbefreiten Konsum. Dabei steht ganz klar die Quantität im Vordergrund. Qualitative, ökologische oder soziale Aspekt werden dabei völlig unbeachtet gelassen. Und am Ende des Tages brauche ich es nicht einmal. Am besten noch in Form eines Konsumkredites. Der kostet ja eh nichts. Wie heißt es so schön: Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Es wird Zeit, aufzuwachen. Zum eigenen Wohle und zum Wohle der kommenden Generationen.

Samstag, 20. Juni: Dämpfer, satte Gewinne und Filterkaffee

Heute steht ein Wiedersehen mit einem meiner ältesten Freunde aus längst vergessenen Kärntner Tagen am Programm. Während sie gerade im Auto die eineinhalbstündige Fahrzeit antreten, habe ich noch ein bisschen Zeit. Beim Schluck des Espressos kommen mir Erinnerungen an unsere Italienwochen in einer für unsere Kinder prähistorischen Zeit. Damals, ich dürfte so um die 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein, entdeckte ich die Liebe zum morgendlichen Espresso. Im Vergleich zu dem abscheulichen Filterkaffee im Schülerinternat eine absolute Offenbarung.

Durch Reisen in andere Länder lernt man einfach andere Dinge lieben und schätzen. Bleibt die Hoffnung, dass unsere Kinder auch einmal in den Genuss kommen, in ihrer Jugend neue Länder zu entdecken. Mein Freund hatte auch schon sehr früh ein besonderes Faible für Aktien. Allen voran der österreichische Markt hat es ihm angetan. Aber auch da ist er im Laufe der Zeit gewissermaßen von Österreich in die weite Welt hinausgegangen. Und das ist auch gut so. Der österreichische Markt ist ein sehr guter Nischenmarkt mit einigen Weltmarktführern. Aber aus risiko- und ertragsspezifischen Gründen macht es durchaus Sinn, auch hier globaler zu denken. Der gestrige Handelstag ist ein Synonym für diese Entwicklung. Während der deutsche DAX oder der amerikanische S&P 500 rund ein halbes Prozent einbüßten, verlor der ATX mit 2,5% deutlich mehr. Der deutsche DAX hat diese Woche mit dem Wirecard-Problem zu kämpfen. Die Aktie verlor knapp zweit Drittel an Wert und kostete dem DAX damit beinahe 100 Indexpunkte. In diesen Tagen schwinden auch Diversifikationseffekte.

Bisher war es immer möglich, durch die Beimischung von Anleihen das Aktienrisiko etwas abzufedern. In meinen Anfängen in den 1990er Jahren hatte ich frühzeitig gelernt, dass ein richtiger Dämpfer auf der einen Seite im Regelfall einen satten Gewinn auf der anderen Seite bedeutet. Besonders gut hat sich ein simpler 50/50 Mix in Krisenzeiten bewährt. Ein Investment bestehend aus einer 10jährigen Staatsanleihe und amerikanischen Aktien konnte sich gerade in Krisenzeiten wie beispielsweise dem Platzen der Internet-Blase in den Jahren 2001 bis 2003 oder der Finanzkrise 2008 und 2009 besonders positiv hervortun. Auch diesbezüglich ist 2020 anders. Das 50/50 Portfolio verlor 7,6%. Das ist das schlechteste Ergebnis seit 1980. Viele Anleihen werfen negative Renditen ab. Wir bräuchten wieder höhere Renditen, um diesen Effekt verstärkt nutzen zu können. Aber mit dem Dauerfeuer der Notenbanken ist bis auf weiteres nicht damit zu rechnen.

Freitag, 19. Juni: Kopfschmerzen ohne Party und Kater

Heute Morgen wachte ich mit dumpfen Kopfschmerzen auf. Nein, nur um es der Form halber klarzustellen, ich war gestern auf keiner Party und habe auch definitiv keinen „Kater“. Der Grund ist Wirecard und das Wiederauferstehen längst vergessener Probleme. Betrug kann trotz einer straffen Finanzmarkt-Regulierung nie gänzlich ausgeschlossen werden.

Was war passiert? Wirecard ist ein Anbieter für elektronische Zahlungsabwicklung bei Online-Transaktionen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY verweigert nach Manipulationsvorwürfen ein Testat unter Bilanz. Das ist zweifellos die Höchststrafe eines Wirtschaftsprüfers. Pikantes Detail: EY hat die Jahre davor die Bilanzen immer bestätigt. Grund dafür ist die obskure Frage, ob Gelder in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, auch wirklich existieren. Gerüchten zufolge hätte ein Angestellter der BDO Unibank auf den Philippinen Dokumente in dieser Angelegenheit gefälscht. Die 1,9 Milliarden entsprechen in etwa dem Eigenkapital des Unternehmens. Für den DAX-Konzern, der bereits ein weiteres Mal die Vorlage seiner Jahresbilanz für 2019 verschieben musste, droht noch weiteres Ungemach. Der Aktienkurs von Wirecard brach um 80% ein. Aber auch Anleiheninvestoren mussten einen herben Verlust hinnehmen. Der Kurs einer bis 2024 laufenden Euro-Anleihe ist von knapp über 80% auf unter 50% gefallen. Moody’s hat Wirecard auf die Liste zur Prüfung einer Herabstufung gesetzt. Aktuell hat das Unternehmen aber noch eine Baa3-Bonität und damit Investment-Grade-Status. Zudem können Banken, sofern der Wirtschaftsprüfer nicht doch noch den Jahresabschluss unterfertigt, in den nächsten Tagen Kredite im Ausmaß von 2 Milliarden Euro fällig stellen. Eine Insolvenz wäre in diesem Fall wohl unvermeidbar. 

Wirecard sieht sich selbst als Opfer eines „gigantischen Betrugs“. Und gegen Betrug ist wohl niemand gefeit. Enron, Worldcom oder Madoff lassen grüßen. Kursverluste sind individuell. Bei aller Tragik für die betroffen Investoren werden diese nicht durch staatliche Rettungspakete ausgeglichen.Und das ist auch gut so. Am Finanzmarkt muss man damit rechnen, immer wieder einmal von einem derartigen Ereignis betroffen zu sein. Das gehört quasi zum Geschäft. Der einzige Schutz dagegen ist Diversifikation und breite Streuung. Wie heißt es so schön: Setze niemals alles auf eine Karte. Diversifikation ist in der Finanzwelt der einzige „Free-Lunch“. Und den sollten wir uns auch abholen. Denn am Ende des Tages bezahlt der Investor die Zeche der Betrüger.

Donnerstag, 18. Juni: Weltweite Vermögen unter der Lupe

Es ist ein ständiges Hin und Her. Gestern haben die US-Märkte mit dem Tagestief in den Feierabend verabschiedet. Es klingt aber wilder als es war, denn das Minus hält sich absolut in Grenzen. In den USA bahnt sich ein Konflikt zwischen Donald Trump und seinem ehemaligen Berater John Bolton an. Bolton hat ein Buch über die Zusammenarbeit mit dem US-Präsidenten geschrieben. Trump sei wohl ein Narzisst und denke nur an sich selbst und seine Wiederwahl im Herbst. Darüber hinaus hätte Trump den chinesischen Staatschef Xi Jinping gebeten, mehr US-amerikanische Agrarprodukte zu kaufen und ihm damit zur Wiederwahl zu verhelfen. Dafür hat Bolton einen Vorschuss von immerhin 2 Millionen Dollar erhalten. Trump will alles mögliche unternehmen, um eine Veröffentlichung zu unterbinden und will Bolton noch diese Woche anklagen.

Der Global Wealth Report der Boston Consulting Group feiert heuer sein 20. Jubiläum. Im jährlichen Bericht werden Vermögensdaten aus 97 Ländern erhoben. Unter Vermögenswerte zählen Aktien, Anleihen, Fonds, Lebensversicherungen und Pensionsfonds sowie Bargeldguthaben. Immobilien und physisches Gold in Form von Münzen oder Barren werden nicht berücksichtigt. 2019 war für Vermögende ein außergewöhnlich gutes Jahr. Die privaten Vermögen konnten weltweit um 10% zulegen und belaufen sich per Jahresende 2019 auf 226,4 Billionen US-Dollar. Durchschnittlich wuchsen die Vermögen um 5% pro Jahr. In Österreich beläuft sich das Privatvermögen auf 900 Milliarden Dollar. 41% der Privatvermögen wird in sicheren Veranlagungsformen wie z.B. Sparbüchern veranlagt und einem realen Wertverlust konfrontiert. In Deutschland ist das Privatvermögen mit 7,7 Billionen auf einem hohen Niveau – mit einem Wachstum von 6,4% verlor man aber im Vergleich zu anderen Ländern an Boden.

In Europa sind 16,5% des gesamten Privatvermögens in deutschen Händen. Die größten Privatvermögen besitzen US-Amerikaner (94,2 Billionen), China (23,8 Billionen) und Japan (17,7 Billionen). Weltweit gibt es 26 Millionen Millionäre, die mehr besitzen als der Rest der Welt. Die Autoren gehen davon aus, dass die Corona-Krise sich stärker auswirken wird als die Finanzkrise. Für heuer rechnet man im besten Fall mit einer Stagnation. Aufgrund der Asset-Allocation der Reichen, die vermehrt in riskantere Vermögensklassen wie z.B. Aktien investieren, ist in diesem Segment der Obolus größer. Ich bin davon überzeugt, dass es sich langfristig lohnt, auf schwankungsintensivere Vermögenswerte zu bauen. Damit wird aber auch die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer.

Mittwoch, 17. Juni: Unternehmenslenker optimieren Status-Quo

Heute Morgen wachte ich das erste Mal seit drei Monaten wieder einmal in einem Hotelbett in Salzburg auf. Der routinierte Blick auf den Handy-Wecker verrät mir, es ist Zeit. Auch wenn sich viele Dinge gleich anfühlen, wie noch vor wenigen Wochen, ist es doch irgendwie anders. Die Rezeptionistin teilte uns gestern beim Empfang mit, dass wir vor dem Duschen das Wasser ein paar Minuten laufen lassen müssen. Nachdem sich mein Kollege und ich fragend anschauten, erklärte sie uns, dass das Hotel seit März defacto geschlossen ist und das Wasser erst einmal durch die Leitungen rinnen müsse, bevor wir warm Duschen könnten. Wir fragten sie auch, ob wir uns nach unserem Abendtermin mit unserem Auto in die Tiefgarage stellen könnten, sofern alle Parkplätze abends wie üblich belegt wären. Die nette Dame lächelte melancholisch und teilte uns mit, dass wir mit Sicherheit einen Parkplatz bekommen würden. Ganz egal, wann wir kämen. Und sie hatte recht. Außer uns beiden haben wir auch keinen anderen Gast zu Gesicht bekommen. Es wurde uns deutlich vor Augen geführt, dass das Leben heute nicht mehr mit jenem vor dem Corona-Shutdown vergleichbar ist.

Gerade in Städten, in denen sich „normalerweise“ Massen an ausländischen Touristen durch die engen Gassen wühlen, hinterlässt Covid-19 auch wirtschaftlich eine Spur der Verwüstung.

Die Finanzmärkte spiegeln ein anderes Bild. Die Party geht munter weiter. Jay’s und Donald’s Market eben. Der Fed-Chef und der US-Präsident werden die Folgen ihrer Handlungen nicht mehr persönlich spüren. Donald Trump muss sich im Herbst einer Neuwahl stellen und bleibt „bestenfalls“ noch vier weitere Jahre im Amt. Nach insgesamt acht Jahren wäre dann endgültig Schluss. Bei Jerome Powell könnte es noch etwas länger dauern. Irgendwie ist das auch in der Wirtschaft ähnlich. Unternehmenslenker optimieren den Status-Quo.

Der Horizont reicht häufig nicht über die nächste Quartalsbilanz hinaus. Das ist gerade bei befristeten Verträgen ein Dilemma. Schließlich will man in der kurzen Zeit das Optimum für das Unternehmen und damit auch für sich selbst herausholen. Bei Familienunternehmen scheint es anders zu sein. Ziel ist es Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Erfolg für die nächste oder sogar übernächste Generation ermöglichen soll. Die Ausrichtung ist allein schon dahingehend eine ganz andere. Der wichtigste Stakeholder des Firmenlenkers ist vielleicht noch nicht einmal geboren. Es wäre sehr traurig, wenn Covid-19 bei dem einen oder anderen altehrwürdigen Unternehmen das Licht abdreht.

Dienstag, 16. Juni: Italienische Verhältnisse bei US-Verschuldung

Langsam aber sicher kehrt in meinem beruflichen Alltag wieder Normalität ein. Zoom-Meetings werden zunehmend wieder vermehrt von persönlichen Treffen abgelöst. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin mir noch nicht im Klaren, wie meine Arbeitswelt in der Zukunft ausschauen wird. Vermutlich wird es ein Mix aus Altbewährtem und neuen Errungenschaften. Ich persönlich schätze und genieße den persönlichen Austausch. Aber es ist natürlich nicht effizient, wegen einer Besprechung von einer Stunde vier Stunden Reisezeit auf sich zu nehmen.

Die Finanzmärkte eröffneten gestern im tiefroten Bereich. Im Laufe des Tages setzte eine Erholung ein und die großen Märkte konnten sogar noch positiv aus dem Handel gehen. In der Finanzwelt bezeichnet man diese Marktbewegung als „Swing“. Der S&P 500 Future hat gestern einen Swing von 5% nach oben gemacht. Der Grund: Die amerikanische Notenbank und die US-Regierung erhöhen die Schlagfrequenz. Irgendwie kann man sich im Jahr 2020 gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne das Dauerfeuer der beiden Institutionen überhaupt funktionieren soll. Die Fed kündigte an, die Ankaufprogramme weiter auszuweiten. Bisher wurden Unternehmensanleihen-ETFs gekauft. Ein Exchange-Traded-Fund (ETF) ist ein Fondsvehikel, welches den Gesamtmarkt kostengünstig abbildet. Künftig sollen auch individuelle Unternehmensanleihen in der Notenbankbilanz landen. Durch die vielen Käufe entsteht auf der Käuferseite ein Überhang. Dadurch sinken die Risikoaufschläge bzw. „Spreads“ deutlich. Wenn sich Unternehmen Geld über den Kapitalmarkt beschaffen, ersparen sie sich in diesem Umfeld Zinskosten.

Schulter an Schulter mit Fed-Präsident Jerome Powell steht einmal mehr Donald Trump. Der US-Präsident hat angekündigt, ein Infrastrukturprogram über eine Billion Dollar aufzulegen. Der größte Teil des riesigen Investitionsprogrammes soll in den Straßen- und Brückenausbau sowie in den Ausbau des 5G-Netzwerkes fließen. Das entspricht rund 5% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Wie heißt es so schön: Von nichts kommt schließlich nichts! Aber ist das nachhaltig? Im heurigen Jahr dürfte die Staatsverschuldung in den USA um 24% der jährlichen Wirtschaftsleistung ansteigen. Nur zur Erinnerung: Beim Maastricht-Vertrag haben EU-Länder eine 60% -Grenze als solide definiert. Die Verschuldung in den USA wird am Jahresende bei 130% des BIPs liegen. Das ist ungefähr dort, wo Italien heute steht. Die Bonität USA wird von Moody’s und Fitch mit der Bestnote AAA bewertet. Italien mit einem Rating im BBB-Bereich. Da soll sich noch einer auskennen.

Montag, 15. Juni: Sommergewitter? Oder steckt mehr dahinter?

Die Stimmungslage an den Börsen ist mit dem Wetter am Vatertag durchaus vergleichbar. In der Früh gab es strahlenden Sonnenschein, am Nachmittag teils heftige Gewitter. Nach der beeindruckenden Kursrallye wurde der Aufwärtstrend in der Vorwoche jäh unterbrochen. Ob es sich dabei lediglich um ein Sommergewitter handelt? Oder steckt doch mehr dahinter? Das Thema Corona dominiert weiterhin die Finanznachrichten. In den vergangenen Monaten erlebte unsere Branche eine wahre „Umschulungswelle“. Aus Finanzexperten wurden Virologen. In Zeiten der Veränderung kann man gar nicht genug Expertisen haben, oder? An den Märkten kursiert die Angst vor einer zweiten Corona-Welle. Auch wenn die Pandemie in vielen Ländern unter Kontrolle scheint, weisen einzelne Regionen nach wie vor ein exponentielles Wachstum auf.

Die Anzahl der weltweit aktiven Fälle steigt von Tag zu Tag und die Weltgesundheitsorganisation wird nicht müde davor zu warnen, alles auf die leichte Schulter zu nehmen. In der jetzigen Phase sind vor allem weniger entwickelte Länder betroffen, deren Gesundheitssystem im Falle einer Ausbreitung relativ schnell an die Grenzen stoßen werden. Da werden die schockierenden Bilder aus Italien wach. In den USA gibt es eine gemischte Datenlage. Während in New York schön langsam wieder Entwarnung gegeben werden kann, sind lokale Infektionsherde in Arizona und Texas wieder neu entflammt. Wenig verwunderlich, dass auch die Risikoprämien ansteigen.

Das verdeutlicht am besten der Volatility Index (VIX), der die Schwankungsbreite des amerikanischen Aktienmarkts ausdrückt. Der VIX wird von der Chicago Board Options Exchange (CBOE) seit dem Jahr 1993 veröffentlicht. Ein hoher Wert weist auf eine hohe Marktunsicherheit hin. Ein niedriger Wert lässt eine Entwicklung ohne starke Kursschwankungen erwarten. In der Finanzwelt ist der VIX deshalb auch als „Angstbarometer“ bekannt. Für die Terminbörsen ist er von besonderer Relevanz, da er in die Preisberechnung einfließt. Je höher die Volatilität, desto teurer ist beispielsweise eine Absicherung durch eine Put-Option. In den Jahren 2011 bis zum Ausbruch der Corona-Krise lag der VIX in der Bandbreite zwischen 10 und 25. Im März stieg er auf knapp 70 und konnte sich bis Anfang Juni wieder bei 25 einpendeln. In der vergangenen Woche sprang der Angstparameter wieder auf über 40. Das liegt zwar deutlich unter dem Höchstwert vom März aber auch deutlich über dem „Normalbereich“. Ob wir 2020 ein Sommergewitter oder den Beginn einer veritablen Krise erleben, wird uns erst die Zukunft weisen.

Sonntag, 14. Juni: Lohnsummen, Bewertungen & Wahlprognosen

Die US-Arbeitsmarktzahlen sorgten seit Ausbruch der Corona-Krise für großes Interesse. Spannend ist auch, dass in den USA das verfügbare Einkommen in der Corona-Krise gestiegen ist. Ja, Sie haben richtig gelesen. Seit Ausbruch der Krise gibt es mehr als 40 Millionen Arbeitslose und das persönliche Einkommen steigt. Das hängt mit den riesigen Rettungspaketen zusammen. Das Arbeitslosengeld wurde reformiert und Arbeitslose erhalten wöchentlich 600 Dollar. Zum Teil haben Menschen in der Arbeitslosigkeit mehr Geld zur Verfügung als während eines Beschäftigungsverhältnisses. In 36 Staaten liegt die Lohnersatzquote damit über dem wöchentlichen Durchschnittslohn. Die staatlichen Sozialleistungen stiegen um knapp drei Billionen US-Dollar an und überkompensierten damit den Einkommensrückgang. Die Lohnsumme ist im April um 740 Milliarden gefallen.

Bleiben wir noch kurz in den USA. Präsidentschaftskandidat Joe Biden konnte seinen Vorsprung auf Amtsinhaber Donald Trump in den letzten Wochen etwas ausbauen. Laut einer Umfrage liegt er um rund 7% vor Trump. Vor vier Jahren stimmten 89% der schwarzen Wähler für Hillary Clinton. Trump hatte dennoch die Nase vorne, da nur 59,6% der Schwarzen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten. Bei Barack Obamas Wiederwahl im Jahr 2012 betrug die Wahlbeteiligung der Schwarzen noch zwei Drittel und war damit höher als jene der Weißen.

An den Finanzmärkten geht es auf und ab. Aber daran haben wir uns in den letzten Wochen bereits gewöhnt. Die Gewinnschätzungen für 2021, also dem Jahr, in dem bereits eine deutliche Erholung eingepreist wird, liegen in Europa und Amerika in etwa auf dem Niveau von 2019. Eine zweite oder dritte Welle wie während der Spanischen Grippe ist dabei natürlich nicht eingerechnet. Im Jahr 2020 schaut es wenig überraschend noch düster aus. Nach 11% Gewinnrückgang im 1. Quartal wird für das 2. Quartal ein Gewinneinbruch von 39% im Vergleich zum Vorjahr prognostiziert. Die Kurse befinden sich wieder nahe den Höchstständen. Das führt dazu, dass sich die fundamentale Bewertung für Aktien deutlich verteuerte.

Das Kursgewinnverhältnis (KGV) von S&P 500 Unternehmen liegt aktuell bei 23. Das bedeutet, dass ein Investor 23 Dollar für einen Dollar Gewinn bezahlen muss. Ähnlich hoch waren Unternehmen an der Spitze der Dotcom-Blase im Jahr 2000 bewertet. Damals ging man davon aus, dass die Gewinne innerhalb der nächsten zwölf Monate um 18% steigen werden. Im Jahr 2020 wird im besten Fall eine schwarze Null prognostiziert. Dazu fällt mir nur eines ein: Der Markt hat immer recht!

Samstag, 13. Juni: Das treibt die Kurse von Realwerten ...

Heute bin ich bereits wieder sehr früh auf den Beinen. Es ist so ruhig, friedlich und man hört die Vögel laut zwitschern. Seit vielen Jahren bin ich ein notorischer Frühaufsteher. Was anfangs noch eine Überwindung war, ist mittlerweile eine lieb gewonnene Gewohnheit geworden. Morgenstund hat Gold im Mund. Das soll Erasmus von Rotterdam seinem Schüler Christian Northoff geraten haben. Morgens studiert man am besten. Was der bedeutende Gelehrte des Renaissance-Humanismus vor 500 Jahren gesagt haben soll, hat auch heute noch seine Gültigkeit. In meiner Kindheit war ich ein großer Winnetou-Fan. In der verfilmten Romanreihe von Karl May geht es um Indianer, Cowboys und Goldschätze. Seit damals ist Gold für mich das Synonym für Reichtum. An den Finanzmärkten steht das Gold als Synonym für ein Sicherheitsinvestment. Die Ressourcen sind beschränkt.

An den Märkten ist sehr viel Liquidität vorhanden. Das treibt die Kurse von Realwerten wie z.B. das Gold in die Höhe. Das Sicherheitsinvestment hat allein im letzten Jahr mehr als 25% an Wert zulegen können. Auf 10-Jahressicht beträgt das Plus „nur“ 37%. 1969 wurde das Ende des Goldstandards eingeleitet. Der Goldpreis konnte aber erst Anfang der 2000er Jahre so richtig abheben. Interessant ist, dass der Goldpreis inflationsbereinigt auf dem Niveau der 1970er Jahre notiert. In den 1980ern und 1990ern mussten Gold-Investoren erhebliche reale Wertverluste hinnehmen. Besser konnten sich auf 10-Jahressicht Aktien entwickeln. Der globale Aktienmarkt konnte eine Performance von 172% erzielen. Aktieninvestoren konnten sich demnach über eine Wertentwicklung von 10,5% pro Jahr freuen. Beim Gold waren es vergleichsweise geringe 3,2%.

Gerade in der Krise ist es wichtig, auch über genügend finanzielle Mittel zu verfügen. Hierbei gibt es große sektorale Unterschiede. In den USA haben vor allem Einzelhandels-, Tranport- und Tourismusunternehmen eine schwache Kapitalausstattung, die in mehr als 20% nur mehr für 14 Tage reichen wird. Darin berücksichtigt sind keine staatlichen Unterstützungspakete und auch die Umsätze, die nach einer Lockerung der Maßnahmen wieder etwas Geld in die Kassa spielen. Besser ausgestattet sind Finanz- und Versicherungsunternehmen sowie Firmen aus den Sektoren Immobilien und Gesundheitswesen. Es verdeutlicht aber, wie dringend Unternehmen die Unterstützungsmaßnahmen benötigen. Abschließend fällt mir noch ein Zitat einer ehemaligen österreichischen Finanzministerin ein, welches gerade dieser Tage große Bedeutung gewinnt: „Führ mich zum Schotter.“

Freitag, 12. Juni: Unkraut, Kärcher und nachvollziehbare Sorgen

Heute Morgen wälzte ich mich aus dem Bett und mir wurde deutlich vor Augen geführt, dass ich keine zwanzig Jahre alt mehr bin. Meine Muskeln schmerzten, als ich mich auf den Weg vom Schlafzimmer zu meiner geliebten Kaffeemaschine machte. Dagegen konnte auch der Espresso nicht helfen. Der Stein des Anstoßes: Gestern sind meine Frau und ich stundenlang mit dem Kärcher über unsere Terrasse geflitzt, haben Unkraut entfernt und Glasflächen gereinigt. Die Zeit der Blüte und damit auch des Blütenstaubes ist zu Ende. Ein günstiger Moment, um die Terrassenfliesen einmal gründlich zu reinigen. Nach getaner Arbeit war der angesammelte Schmutz entfernt und die Fliesen funkelten wie neu.

An den Finanzmärkten kann man nicht so einfach mit dem Kärcher drüberfahren und den angesammelten Schmutz wegputzen. Die Notenbanken und Staaten kehren mit Rettungspaketen zwar das Börsenparkett oberflächlich, aber der Schmutz und damit die aufgebauten Probleme bleiben. Nach den Kursgewinnen und der entfachten Euphorie machte sich gestern wieder Ernüchterung breit. Jerome Powell, Präsident der amerikanischen Notenbank, setzte den Aktienmarkt unter Druck. Die Fed sieht keine schnelle Wirtschaftserholung und wird den expansiven Kurs bis zumindest 2022 weiterfahren. Jays Market, einmal anders rum. Der Notenbanker klang wesentlich pessimistischer als die US-Regierung und stellt sich damit gegen US-Präsident Donald Trump, der in Anbetracht der bevorstehenden Präsidentenwahl dringend einen optimistischen Ausblick benötigt. Larry Kudlow, Trumps Wirtschaftsberater meinte noch im Vorfeld, dass das Glas mehr als halb voll sei. Im Gegensatz dazu verursache die Krise laut Jerome Powell zudem „hohe Risiken für den mittelfristigen wirtschaftlichen Ausblick“ der weltgrößten Volkswirtschaft.

Die US-Wirtschaft wird seiner Einschätzung nach länger für eine Erholung brauchen, als der Aktienmarkt es gegenwärtig einpreist. Wenig verwunderlich, dass die Enttäuschung an den Börsen groß war und sie im tiefroten Bereich aus dem Handel gingen. Zudem mehren sich die Ängste bezüglich einer zweiten Coronawelle.

Größte Sorge bereitet Powell eine lange Schwächephase am Arbeitsmarkt. Von all jenen, die in den letzten Wochen arbeitslos wurden, würden sicher nicht alle wieder in ihre ursprünglichen Jobs zurückkehren können. Passend dazu mussten auch diese Woche wieder 1,542 Millionen Menschen in den USA erstmals zum Arbeitsamt pilgern. Der Trend nimmt ab, aber seit Mitte März waren es 44,2 Millionen Menschen. Insofern ist Powells Sorge durchaus nachvollziehbar.

Donnerstag, 11. Juni: Ritsch, Ratsch, die Geschichte ist gegessen

Auch im Jahr 2020 bin ich ein großer Bargeldliebhaber. Das bedeutet für mich Freiheit und Anonymität. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber das Bargeld hat für mich eine andere Wertigkeit. Wenn ich bargeldlos bezahle, sitzt bei mir das Geld lockerer. Ritsch, Ratsch und die Geschichte ist gegessen. Einen 100-Euro-Schein aus der Hand zu geben, ist mit größeren „Schmerzen“ verbunden. Das ist natürlich rational nicht nachvollziehbar. Irgendwie passt das gut in unsere Zeit. Nur einen Bruchteil des Geldes gibt es in physischer Form.

In der Vergangenheit wurde die Währung an Gold gekoppelt. Ein Geldschein repräsentiert einen gewissen Gegenwert an Gold und kann im Bedarf auch eingetauscht werden. Dazu muss das Gold aber auch vorhanden sein. Damit war der Geldmenge eine natürliche Grenze gesetzt. Der sogenannte Goldstandard war ab 1880 das anerkannte System in den Industriestaaten. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Einlösepflicht bei vielen Staaten aufgehoben und damit der Goldstandard außer Kraft gesetzt. Nach einer Phase der flexiblen Wechselkurse dauerte es bis 1922, bis man wieder zum ursprünglichen System zurückkehrte. Im Juli 1944 wurde von 44 Staaten das Bretton Woods System beschlossen, welches die Vorteile des Goldstandards mit den Vorteilen eines flexiblen Wechselkurssystems zu kombinieren versuchte. Dieses System wurde bis 1973 aufrechterhalten.

Im Jahr 2020 würden wir alle Grenzen sprengen. Per 31. Dezember 2019 waren 24,06 Milliarden Euro-Banknoten mit einem Gegenwert von 1,29 Billionen Euro im Umlauf. Dazu kommen noch 135 Milliarden Münzen, die einen Wert von 30 Milliarden entsprechen. Seit Beginn des Jahrtausends hat sich der Gegenwert ungefähr verfünffacht. Die beliebteste Banknote ist der 50-Euro-Schein. Mehr als 10 Milliarden 50er sind effektiv im Umlauf. Am reichsten sind die Schweizer. Das Vermögen eines Erwachsenen liegt durchschnittlich bei 564.653 Dollar. Der Durchschnitt wird durch die Super-Reichen etwas verzehrt. Es werden sämtliche Vermögenswerte zusammengerechnet und durch die Anzahl der Personen dividiert. Weltweit gibt es 2.095 Milliardäre, die 8 Billionen US-Dollar besitzen. Das ist mehr als das sechsfache des Gegenwertes der sich in Umlauf befindlichen Euro-Banknoten und Münzen. Beim Median werden alle Personen geteilt und der Wert angegeben, denn ein „Durchschnittsbürger“ effektiv besitzt. Und der liegt in der Schweiz bei 227.891 US-Dollar. Am ärmsten sind die Menschen in Sudan. Erwachsene besitzen durchschnittlich 534 bzw. im Median 218 US-Dollar.

Mittwoch, 10. Juni: Eine nicht unübliche Verschnaufpause

Gestern sind die Märkte tiefrot aus dem Handel gegangen. Nach der Kursrallye der letzten Tage eine nicht unübliche Verschnaufpause. Auch im Hinblick auf die heutige Fed-Sitzung keine allzu große Überraschung. Jerome Powell wird sich darüber äußern, wie schnell sich nach Einschätzung der Notenbank die US-Wirtschaft wieder erholen wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Meldung der US Behörden, die den offiziellen Beginn der Rezession mit Februar 2020 datierten. Also vor dem Lockdown in den USA und Europa. Deutsche Ökonomen wie Lars Feld, Chef der Wirtschaftsweisen geht im Moment von einem V-Szenario aus. Auch der Präsident des Kieler Institutes für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayer strotzt vor Optimismus und prognostiziert einen schnellen Aufschwung.

Der Sommer steht vor der Türe. Wenn wir in fremden Ländern unterwegs sind, haben wir schon ab und an ein Auto gemietet. Kennen Sie die Autovermietung Herz? Herzt Global hat am 22. Mai Bankrott angemeldet und ist unter dem Schuldenturm von 19 Milliarden Dollar zusammengebrochen. Selbst wenn man den Fahrzeugflottenwert von geschätzten 15 Milliarden Dollar abzieht, bleibt immer noch ein beachtlicher Schuldenhaufen über. Würden Sie Geld in das Unternehmen investieren? Ich definitiv nicht. Aber ich hätte es besser tun sollen. Wer am Tag der Bankrottmeldung 10.000 Dollar in Hertz-Aktien „investiert“, hat seinen Portfoliowert lichte Höhen von 125.000 Dollar getrieben. Und das bei einem Unternehmen, das defacto Pleite ist und bei dem die Aktionäre höchstwahrscheinlich komplett leer ausgehen werden. 2020 ist einfach anders! Es werden Aktien bankrotter Unternehmen gekauft, die keinerlei Umsatz generieren. Das ist irgendwie symbolisch für die aktuelle Marktlage und es ist wahrlich kein Einzelfall. Gestern verlor die Hertz-Aktie 24%. Es bleibt aber immer noch ein satter Gewinn über.

Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir unweigerlich eine alte Börsenweisheit in den Sinn. Gier frisst Hirn. Das hat mit einem Investment nichts mehr gemein sondern fällt in den Bereich des Glücksspiels. Dieser Tage wird eifrig gezockt an der Wall Street. Auch die Wertpapierkredite werden rasant ausgeweitet und die Kaufoptionen, mit denen man noch einen zusätzlichen Hebel einbauen kann, erleben einen waren Boom. Ein derartiges Ausmaß haben wir schon seit zehn oder zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Die Euphorie ist groß. Immer mehr driften die „fiktiven“ Börsenkurse mit den „realen“ Fakten auseinander. Das kann noch lange so gehen. Aber irgendwann ist jeder Traum ausgeträumt.

Dienstag, 9. Juni: Börsen erholen sich oder "2020 ist einfach anders"

Gestern ging an den Märkten wieder die Post ab. Naja, nicht überall. Während die europäischen Märkte gestern noch mit einem leichten Minus den Handelstag beendeten, konnten die US Börsen wieder einmal ein Kursfeuerwerk entfachen. Die deutsche Industrieproduktion fällt im April um 25,3 Prozent. Die Bundesbank geht aber davon aus, dass der Tiefpunkt bereits hinter uns liegt und sich die Schockstarre schnell auflösen wird.

Der Dow Jones Industrial Index konnte bereits wieder den höchsten Stand seit Ende Februar erreichen. Auch der breite S&P 500 tat es der Technologiebörse Nasdaq gleich und notiert seit Jahresbeginn wieder im Plus. Und das nach all dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben. 2020 ist einfach anders! Die Börsenkurse sind trotz des größten Wirtschaftseinbruch seit der großen Depression gestiegen. Das führt dazu, dass auch die Bewertungen an den Börsen steigen. Normalerweise passiert das am Ende eines Konjunkturzyklus nach einer Phase des Aufschwungs.

Die Entkoppelung der Finanzmärkte ist mit Sicherheit zu großen Teilen auf die Liquiditätsspritzen der Notenbanken und die staatlichen Hilfspakete zurückzuführen. In den USA spricht man schon von „Jay’s Market“. Das ist in Anlehnung an den Fed-Präsidenten Jerome (Jay) Powell, der die Notenbankbilanz innerhalb weniger Wochen auf 7,2 Billionen US-Dollar aufgeblasen hat. Tendenz stark steigende! Das verzerrte Marktgeschehen löst unter dem einen oder anderen Altmeister wie z.B. Warren Buffet Skepsis hervor. Auch der größte Kapitalverwalter GMO hat seinen Aktienanteil mittlerweile halbiert. In einem Brief an seine Kunden führte der Asset-Manager aus, dass heute die Unsicherheit größer sei als bei früheren Phasen von Euphorie und Tollheit. Noch nie seien Markt und Wirtschaft so weit voneinander abgekoppelt gewesen. Kritiker der expansiven Fed-Politik führen auch ins Rennen, dass es durch die Stützungskäufe keine „echten Märkte“ mehr gebe und die Liquiditätszufuhr ein Anreiz für Blasenbildung und Rekordverschuldung sei.

Der Markt ist berauscht. Der Patient braucht eine immer höhere Dosis. Für mich erleben wir nicht nur „Jay’s Market“ sondern auch „Jay’s Moral Hazard“. Die Party geht weiter. Die Nacht ist fast vorbei. DJ Jay heizt den Menschen kräftig ein. Vergleichbar auch mit Arthur Schnitzlers Spiel im Morgengrauen. Dort versucht Oberleutnant Otto von Bogner Geld aufzutreiben, dass er aus der Firmenkasse entwendet hat. Nachdem alle Leihgeber ausfallen, wird versucht, dass Geld beim Kartenspiel zurückzugewinnen. Das ist 2020 nicht nötig. DJ Jay sei Dank.

Montag, 8. Juni: Es gibt auch viele neue Geschäftsfelder

Wir starten heute in die Woche 13 nach dem Shutdown im März. Wenn ich heute an die Zeit vor Corona denke, erscheint sie mir irgendwie fremd. Beinahe so, als würde man sich einen Film aus längst vergangenen Tagen ansehen. Es ist spannend zu beobachten, wie schnell wir uns an ein neues Umfeld gewöhnen. Denken Sie z.B. an die Schutzmasken. Vor nicht einmal 100 Tagen wirkten sie auf mich äußerst befremdlich. Man sah sie maximal bei ein paar asiatischen Touristen beim Altstadtbummel.

Wenige Wochen später ist es spürbar anders. Es überkommt einem ja fast schon ein mulmiges Gefühl, wenn man ohne Schutzmaske ein Geschäft betritt. Laut Psychologie brauchen wir rund 30 Tage, um uns neue Gewohnheiten anzutrainieren. Dazu hatten wir wahrlich genügend Zeit. Welche davon sollten bleiben und welche sollten wir uns wieder abtrainieren? Ein Schluck von meinem morgendlichen Espresso. Diese Gewohnheit hat auch die Coronazeit gut überstanden. Und das ist auch gut so. Ich bin aber schon sehr gespannt, wie unser Leben in sechs oder zwölf Monaten aussehen wird. Wie werden Wirtschaft und Unternehmen darauf reagieren?Die Karten werden wohl neu gemischt. In einem Jahr wird es neue Gewinner, aber auch neue Verlierer geben. Wir sind alle gefordert. Das betrifft sowohl Unternehmen aber auch uns alle als Privatperson. Es gibt viele neue Geschäftsfelder.

Rotweinproduzenten produzieren auf einmal Desinfektionsmittel oder Hemdenproduzenten Schutzmasken. 2020 ist anders. Die Welt ist im Umbruch.

Bereits im 1. Quartal gingen die Unternehmensgewinne deutlich zurück. Im DAX musste die Deutsche Lufthansa den größten Gewinneinbruch hinnehmen. Der Vorsteuergewinn (EBIT) im Vergleich zum 1. Quartal 2019 von -344 Millionen auf -1,622 Milliarden erodiert. Aber auch Adidas (-93%), Daimler (-78%) oder Volkswagen (-77%) wurden hart getroffen. Im Vergleich dazu viel der Gewinnrückgang bei der Deutschen Bank mit -30% relativ „harmlos“ aus. Aber da ist ohnehin im Vorfeld schon viel passiert. Die Deutsche Bank verzeichnete bereits das vierte Quartal und fünfte Jahr in Folge ein negatives Ergebnis. 2019 türmten sich 5,4 Milliarden Euro an Verlusten auf. Damit kam man der bedrohlichen Dimension des Rekordverlustes im Jahr 2015 schon ziemlich nahe.Die Bank führte einen Großteil der Verluste auf die im Sommer 2019 beschlossene Neustrukturierung zurück. Selbst in den besten Zeiten lag der Gewinn nie über 2 Milliarden Euro. Von der Strahlkraft des einstigen Branchenprimus ist wenig übrig. Ein Trendwechsel 2020 ist für mich schwer vorstellbar.

Sonntag, 7. Juni: Kein „Free-Lunch“ an den Finanzmärkten

Ein Blick in den morgendlichen Spiegel verrät mir, dass ich selbst bei positivem Willen zumindest optisch nicht mehr zu den ganz Jungen zähle. Meine Gedanken schweifen ab und plötzlich befinde ich mich wieder in den 1990er Jahren.

Mit der „Fusion“ der mathematischen Genies Fischer und Black von Goldman Sachs und Myron Scholes von der Standford University war der Einzug der Quants in die Finanzwelt besiegelt. Die gemeinsame Firma wurde 1994 unter dem klingenden Namen Long Term Capital Management (LTCM) gegründet. Zur Entscheidungsfindung werden mathematische Modelle herangezogen. Der Erfolg war quasi vorprogrammiert. Nach zwei erfolgreichen Jahren, in denen die auf Algorithmen basierte Strategie nach Abzug von nicht unerheblichen Gebühren um mehr als 40% zulegen konnte, verwaltete LTCM 6,7 Milliarden US-Dollar. Die Strategie war simpel.

Das Zauberwort hieß Leverage. Der Fonds erhöht das investierte Volumen durch eine Finanzierung. 1997 betrug der Leverage das 19fache des Eigenkapitals. Das Ergebnis: Mit eingezahlten Mitteln von 6,7 Milliarden US-Dollar wurden Wertpapiere um 126,4 Milliarden gekauft. Wenn diese Wertpapiere nur um 1% steigen, macht das einen satten Gewinn von 1,26 Milliarden oder 19% auf das eingesetzte Kapital. Eine wahre Gelddruckmaschine! LTCM verfolgte rund 100 voneinander unabhängige Strategien und hielt mehr als 7.600 unterschiedliche Positionen. Laut den mathematischen Modellen war das Risiko Null. Ein Totalverlust entsprach einer Wahrscheinlichkeit von 0,0000000000000000000001%. Merton und Scholes waren im Oktober 1997 auf ihrem Schaffenshöhepunkt und bekamen in einer feierlichen Zeremonie den Nobelpreis verliehen.

Am 17. August 1998 platzte der Traum. Einige Schwellenländer kollabierten aufgrund eines gefährlichen Mix aus politischer Unruhe, sinkenden Erdöleinnahmen und dem Zusammenbruch des russischen Finanzsystems. Laut den Risikomodellen war ein Tagesverlust von mehr als 35 Millionen US-Dollar „unmöglich“. In der Realität waren es aber 550 Millionen US-Dollar und damit mehr als das 15fache der absoluten Worst-Case-Schätzung. Es folgte ein Flächenbrand, bei dem sogar die amerikanische Notenbank einschreiten musste. Wie hatte es John Maynrad Keynes einst so schön formuliert: „Der Markt ist in der Krise länger irrational, als man solvent bleiben kann!“ Manche Dinge sind einfach zu schön, um wahr zu sein. An den Finanzmärkten gibt es schließlich kein „Free-Lunch“! Aber man wird doch wohl träumen dürfen, oder?

Samstag, 6. Juni: Historische Werte in einer turbulenten Woche 

Für uns Börsianer ging eine ereignisreiche Woche zu Ende. TINA und Bazooka dominieren die Märkte. Die EZB hat heuer bereits kräftig zugekauft. Um die Rettungspakete finanzieren zu können und auslaufende Schulden zu refinanzieren, müssen Euroländer heuer noch 1,3 Billionen Euro Anleihen emittieren. Mehr als die Hälfte der Anleihen werden von der EZB aufgesaugt. Mit über 60% vom geschätzten Emissionsvolumen ist die Quote in Portugal, Finnland, Österreich und den Niederlanden besonders hoch. Italien braucht viel frisches Geld. Hinter Deutschland und Frankreich sind für italienische Anleihen am meisten EZB-Gelder reserviert. Auf den EZB-Büchern landen aber „nur“ 35% der italienischen Neuemissionen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofes hat die Anleihenmärkte nur kurz in Bedrängnis gebracht. Gerade für italienische und spanische Staatsanleihen wurden höhere Risikoaufschläge eingefordert. Die Lage hat sich aber schon wieder deutlich entspannt. Auch die US-Notenbank ließ sich nicht lumpen. Die Bilanzsumme soll bis Jahresende auf 10 Billionen Dollar ansteigen. Der breite S&P 500 Index konnte in den letzten 50 Handelstagen eine Wertentwicklung von 39,6% verzeichnen.

Wir leben in historischen Tagen. Insofern wird es Sie wahrscheinlich wenig verwundern, wenn ich Ihnen sage, dass es sich dabei um den höchsten jemals verzeichneten Wert handelt. Wer hätte im April geglaubt, dass wir am Beginn eines derartigen Bullenmarktes stehen? Ich mit Sicherheit nicht! Interessant ist auch ein historischer Vergleich. Rückblickend konnten alle Perioden, die in den vergangenen 50 Tagen mehr als 20% zulegen konnten, auch in den folgenden sechs und zwölf Monaten zulegen. Durchschnittlich betrug die Wertentwicklung sechs Monate später 10,2% bzw. zwölf Monate später sogar 17,3%. 2020 ist anders. Ob das auch im aktuellen Fall so ist, wage ich zum heutigen Zeitpunkt nicht zu prognostizieren. Das letzte Mal derartig dynamisch steigende Börsen hatten wir im September 2009, in der Blüte der Finanzkrise.

Im Herbst steht die Wahl zum US-Präsidenten auf der Agenda. Es wird wohl ein Zweikampf zwischen Amtsinhaber Donald Trump und dem Demokraten Joe Biden. Biden liegt in den landesweiten Umfragen vorne. Das gilt auch für Wettbüros. Bei einem Dollar Einsatz bekommt man bei einem Sieg Bidens 47 Cent bzw. bei einer Wiederwahl Trump 50 Cent Gewinn ausgezahlt. Es ist keineswegs sicher, dass Donald Trump auch in den kommenden Jahren im Weißen Haus residieren wird. Die Umzugskartons muss er definitiv aber auch noch nicht packen.

Freitag, 5. Juni: Es kam überraschend, sehr überraschend sogar! 

Bazooka, die EZB hat nochmals kräftig nachgeladen. Die Bazooka ist eine rückstoßfreie Panzerbüchse, die von US-amerikanischen Streitkräften im 2. Weltkrieg entwickelt und eingesetzt wurde. An den Finanzmärkten bedeutet Bazooka eine expansive Notenbankpolitik. Durch gezielte Maßnahmen versuchen Zentralbanken, die Märkte zu befeuern. Auch Christine Largarde hat die Bazooka bereits geschultert. Das im März beschlossene 750-Milliarden-Notprogramm wurde nochmals um stolze 600 Milliarden auf 1,35 Billionen Euro aufgestockt.

Die EZB kann damit Staats- und Unternehmensanleihen kaufen und damit die Kurse stützen. Gerade in Zeiten, an denen am Börsenparkett Angst und Panik regiert, ist das von wesentlicher Bedeutung. Viele Marktteilnehmer wollen raus. Und das sofort! Der Flaschenhals ist dünn. Wenn sich auf der anderen Seite keine Käufer einfinden, führt das zu herben Kursverlusten. Und das wiederum treibt die Panik in die Höhe, was wiederum zu weiteren Kursverlusten führt.

Da kommt mir der alte Börsenspruch „Never catch a falling knife“ in den Sinn. Ein Drittel des 750-Milliarden-Programms haben die Notenbanker schon verbraucht. Mit der Aufstockung sorgt die EZB schon einmal vor. Die Deutsche Bundesbank prognostiziert für heuer einen Wirtschaftseinbruch von 7,1%. 2021 und 2022 soll es dann um 3,2% bzw. 3,8% wieder nach oben gehen. Bundesbankpräsident Jens Weimann beurteilt das kürzlich verabschiedete Konjunkturpaket positiv. Die Prognose wurde davor erstellt. Durch das Konjunkturprogramm sei der Ausblick „spürbar günstiger“.

In den USA steht wieder einmal der Arbeitsmarkt im Fokus. Seit Ende März mussten aber 42,6 Millionen Amerikaner erstmals einen Arbeitslosenantrag stellen. Allein im Mai waren es fast 10 Millionen. Am Nachmittag wurde auch die Arbeitslosenrate veröffentlicht. Es kam überraschend, sehr überraschend sogar! Ende Mai ging die Arbeitslosenquote von 14,7% auf 13,3% zurück. Im Vorfeld wurde ein Anstieg auf 20% prognostiziert. Für mich ist es unklar, warum die Arbeitslosenquote im Krisenmonat Mai gesunken ist. Sind so viele Jobs geschaffen worden? Aber was weiß ich schon. 2020 ist definitiv anders. Die amerikanische Nasdaq 100 hat ihr „All-Time-High“ erreicht und der Aufwärtstrend an den Börsen ist intakt. Bazooka wurde erstmals von Draghi 2012 mit den berühmten Worten „What ever it takes“ eröffnet. Bazooka ist auch der Handelsname eines Kaugummis. Dass sich die Rettungsprogramme wie Kaugummi ziehen werden, konnte vermutlich 2012 nicht einmal Mario Draghi erahnen.

Donnerstag, 4. Juni: Deutsches Feuerwerk und Milliardenpaket

Ein neuer Tag beginnt. Es ist noch kalt. Der Blick Richtung Wald ist mit kleinen, feinen Nebelschwaden durchzogen. Man erkennt zwar den Hintergrund, aber irgendwie ist es noch unscharf. Meine Gedanken schweifen wieder in Richtung Finanzmärkte. Dort geht gerade die Party ab. An der vordersten Front sind Zykliker und Value Aktien. Angetrieben wird das Kursfeuerwerk vom deutschen DAX, der mutig und unbeirrt voranschreitet. Passend dazu verabschiedete die deutsche Koalition ein 130 Milliarden Euro Hilfspaket. Das ist unfassbar viel, aber irgendwie haben wir uns an diese Zahlen schon gewöhnt, oder? Umgerechnet entspricht das rund einem Drittel des österreichischen BIPs. Ein großer Teil des Paketes soll an die Kommunen ausgeschüttet werden. Während es die im Vorfeld heftig diskutierte Kaufprämie für PKWs nicht geben wird, sollen auch Familien mit Steuersenkungen und einem einmaligen Zuschuss von 300 Euro pro Kind unterstützt werden.

Zur Ankurbelung der Wirtschaft soll im 2. Halbjahr auch der Mehrwertsteuersatz gesenkt werden. 50 Milliarden sind für Zukunftsinvestitionen vorgesehen. Es ist beabsichtigt, E-Autos zu fördern und das Netz an Ladestationen deutlich auszubauen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das geschnürte Milliardenpaket alternativlos. Damit reiht es sich nahtlos in die unfassbar hohe Anzahl an verabschiedeten Hilfspaketen in den letzten Wochen ein. Kennen Sie TINA? Nein, das ist keine Bezeichnung eines Hurrikans. An den Finanzmärkten ist TINA ein Akronym für „There is no Alternative!“. Wie oft haben wir das in den letzten Wochen und Monaten gehört?

Der Blick Richtung Freitag ist trüb. Morgen werden die US-Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht. Erwartet wird ein Anstieg der Arbeitslosenrate auf 25%. Das würde bedeuten, dass 50 Millionen Amerikaner keinen Job mehr haben. Der US-Konsument, der einen Großteil des BIPs schultert, wird in die Enge getrieben. Die Börsen lässt das kalt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Höchststände vom Februar noch geschlossen werden sollen. Dann hätten wir ein historisch einzigartiges „V“. Ein drastischer Einbruch mit Verlusten von mehr als 30% gefolgt von einer rasanten Kurserholung. Und das alles in wenigen Wochen! Für die Finanzmärkte ist es klar, dass nach einem historisch einzigartigem Wirtschaftseinbruch auch eine historisch einzigartige Erholung stattfinden wird. TINA sei Dank! Ob die Realität auch so ausschauen wird, wage ich mit dem heute noch trüben Blick auf die nächsten Monate anzuzweifeln. Aber was weiß ich schon. 2020 ist definitiv anders.

Mittwoch, 3. Juni: Nährboden für gesellschaftlichen Sprengstoff

Als ich meinen morgendlichen Espresso auf unserer Terrasse trinke, beobachte ich eine Schwalbe, die ihre Jungen füttert. Eine wichtige Aufgabe von uns Großen ist es, auf unsere Kleinen aufzupassen und ihnen das nötige Handwerkszeug zu geben, um sich selbst erfolgreich durchs Leben schlagen zu können. Meine Tochter hat Anfang Juni ihren 10. Geburtstag gefeiert. Mein Sohn wird nächsten Monat 12 Jahre alt.

Die Aufgabe des Beschützens, die gerade in den ersten Lebensjahren von essentieller Bedeutung ist, verliert zunehmend an Bedeutung. Jetzt gilt es, ihre Talente und Vorlieben zu entdecken, zu fördern und ihnen damit das Rüstzeug für den Arbeitsmarkt zu geben. In wenigen Jahren ist die Schulpflicht vorbei. Es besteht die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen oder die Schullaufbahn weiter zu verfolgen. Mit dem Erlernen eines Berufes hat man 2020 gute Voraussetzungen. Der Facharbeitermangel bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, die vom Angestelltenverhältnis bis hin zum Aufbau eines eigenen Unternehmens reichen.

Durch die Corona-Pandemie ist es schwieriger geworden, eine geeignete Lehrstelle zu finden. Als zweite Option besteht die Möglichkeit, weiterhin die Schule zu besuchen. Mit Ende des Teenager-Alters stellt sich für meine Kinder die Frage, ob und wenn ja, was sie studieren möchten. Die Arbeitsorganisation der Vereinten Organisationen (ILO) spricht schon von der „Generation Lockdown“, die von der Pandemie besonders stark betroffen ist. Demnach haben 17% der 18-29-jährigen bereits ihren Job verloren. Zudem sei der Ausbildungsweg harsch unterbrochen worden, da vieles nur im Notbetrieb läuft. Die Zahl der NEETs dürfte weiter steigen. NEET ist ein Akronym für „Not in Education, Employment or Training”. Vermutlich der Alptraum aller Eltern. Ende 2019 fallen 14% der 15 bis 34jährigen EU-Bürger in diese Gruppe. In Deutschland und Österreich liegt die Quote mit 9% deutlich darunter. Erschreckend finde ich, dass bereits vor dem Shutdown beinahe jeder vierte Italiener ein NEET ist. Es ist für Menschen sehr schwierig, sich keiner Aufgabe widmen zu können.

Das ist Nährboden für gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Sprengstoff. Viele der NEETs von heute sind die Sozialhilfeempfänger von Morgen. Der Trend dürfte sich durch Corona-Pandemie nochmals deutlich verschärfen. Ähnlich der Schwalbenmutter sehe ich es als unsere essentielle Aufgabe, uns um unseren Nachwuchs zu kümmern. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden. Das ist auch 2020 nicht anders!

Dienstag, 2. Juni: Keine Unruhen an Finanzmärkten - noch nicht ...

Das Pfingstwochenende ist vorüber. In Europa waren die Börsen am Pfingstmontag, ausgenommen jener in Deutschland, Österreich, Schweiz, Dänemark und Norwegen, geöffnet. In den USA sorgt der mutmaßliche Mord am 46jährigen Afroamerikaner George Floyd für Unruhen. In 75 Städten brachen Revolten aus und Donald Trump verschärft die „kriegerische“ Rhetorik. Er droht damit, das Militär gegen die Demonstranten einzusetzen und in New York gibt es bereits eine Ausgangssperre.

Die US-Börsen konnten trotz der Unruhen positiv aus dem Handel gehen. 2020 ist anders! Europas Börsen öffneten im negativen Terrain, konnten aber schon bald die Verluste ausgleichen und den Aufwärtstrend der letzten Wochen weiter fortsetzen. Kommen wir nochmals zurück zu George Floyd. Er hätte zu Lebzeiten sicher nie gedacht, posthum solche Berühmtheit zu erlangen. Nach einer Verhaftung drückte ihm der weiße Polizist Derek Chauvin minutenlang sein Knie in den Nacken. Das kostete Floyd das Leben und legte damit ein scheinbar gelöstes Problem schonungslos offen. Im Vorfeld soll er versucht haben, mit einem gefälschten 20-Dollar Schein Lebensmittel zu kaufen. Chauvin wurde des Mordes angeklagt, seine drei am Einsatz beteiligten Kollegen in der Zwischenzeit entlassen. Im Autopsiebericht ist zu lesen, dass Floyd durch eine Erstickung starb. Floyd war bereits in den 1990ern erstmals straffällig geworden und musste bereits mehrmals wegen verschiedener Vergehen eine Gefängnisstrafe absitzen. Vor 155 Jahren wurde die Sklaverei beendet. Vor 12 Jahren wurde mit Barack Obama der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Die aktuellen Ereignisse zeigen aber, dass auch 2020 noch tiefe Gräben zwischen einzelnen ethnischen Gruppen existieren. 13% der US-Bevölkerung haben einen afroamerikanischen Ursprung. In der Corona-Krise haben bereits mehr als 40 Millionen US-Bürger ihren Job verloren. Bei den Weißen haben 38% ihren Job verloren oder zumindest Gehaltseinbußen hinnehmen müssen. Bei den Afroamerikanern waren es 44% und bei den Latinos waren es sogar 61%.

Durch die Krise kann jeder vierte Weiße seine Rechnungen nicht mehr zahlen. Bei den Afroamerikanern ist es beinahe jeder Zweite. Die Spannung zwischen den einzelnen Gruppen ist aufgeladen. Die Finanzmärkte bleiben davon bis jetzt unbeeindruckt. Seit dem Sommer 1968, zu Zeiten eines Richard Nixons, hat die USA nicht mehr eine solche Welle der Gewalt erlebt. Das sorgt an den Finanzmärkten normalerweise für Unruhen. Nicht so im Jahr 2020. Zumindest noch nicht!

Montag, 1. Juni: Im Reich der Milliarden, Billionen und Billarden

Als Börsianer lebt man in einer Welt voller Zahlen. Die Finanzmärkte sind in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen. Die Zahlen sind unvorstellbar groß und schwer zu fassen. Man kann schnell den Überblick verlieren. Davor ist selbst ein Finanzminister nicht gefeit. In meiner heutigen Kolumne möchte ich Sie ins Reich der Milliarden, Billionen und sogar Billarden entführen.

Beginnen wir bei den Silberbeständen, die einen Marktwert von 44 Milliarden Dollar aufweisen. Der Kryptowährungsmarkt ist in den letzten Jahren auf 5.463 „Währungen“ angewachsen und wird von Bitcoin dominiert, deren Marktwert zwei Drittel der 244 Milliarden Dollar beträgt. Die österreichische Wirtschaftsleistung beträgt rund 460 Milliarden, der Schweiz 715 Milliarden und jene Deutschlands 4,04 Billionen Dollar. Der Wert der effektiven Münzen und des Papiergelds beträgt 6,6 Billionen. Rund 7% der Geldmenge existieren in physischer Form. Weltweit gibt es 2.095 Milliardäre, die zusammen 8 Billionen Dollar besitzen. Angeführt wird das Ranking von Amazon-Gründer Bezos mit einem Vermögen von 113 Milliarden Dollar. Die weltweiten Goldreserven belaufen sich auf 197.576 Tonnen mit einem Marktwert von 10,9 Billionen Dollar. 47% der Bestände werden für Schmuck verwendet.

Der globale Aktienmarkt wird mit 89,5 Billionen Dollar bewertet. Das entspricht in etwa dem Welt-BIP. Die größte Börse der Welt ist die New York Stock Exchange, die 31,5% des Marktwertes aller Aktien abdeckt. Gemeinsam mit dem 14,5%igen Anteil der Technologiebörse Nasdaq beträgt der USA Anteil beinahe 50%. Die Börsen in Japan (6%) und Shanghai (5,5%) folgen mit deutlichem Respektabstand. Die globalen Schulden belaufen sich auf 253 Billionen Dollar. 30% entfallen auf Unternehmen, je rund ein Viertel auf Staaten und private Haushalte und knapp 20% auf den Finanzsektor.

Der Immobilienmarkt wird global auf rund 280 Billionen Dollar geschätzt. Mit 78,5% entfällt der größte Bereich auf Wohnimmobilien. Das weltweite Vermögen beläuft sich auf 360 Billionen Dollar. Abschließend kommen wir noch zum Derivatemarkt. Nachdem in diesem Bereich viel außerbörslich gehandelt wird, kann die Größe des Marktes nur geschätzt werden. Und damit sind wir im Bereich der Billiarde angekommen. Der Markt wird auf 1.000.000.000.000.000 Dollar geschätzt. Auf jeden Erdenbürger umgerechnet beträgt unser Immobilienbesitz 35.000 Dollar, unsere Schulden belaufen sich auf 31.600 Dollar und unser Gesamtvermögen beträgt 45.000 Dollar. Und darüber hinaus sitzt jeder von uns auf einem Derivatepaket in der Höhe von 125.000 Dollar!

Sonntag, 31. Mai: Drei Ratingagenturen regieren die Welt

Heute ist Pfingstsonntag. Es wird der 50. Tag nach Ostern mit dem Fest des Heiligen Geistes begangen. Ostern war Mitte April und wir waren mitten in der Shutdown-Phase. Die Stimmung war mies und drückend. Seit damals haben sich die Finanzmärkte aber im Gegensatz zur Realwirtschaft sensationell gut entwickelt. Ob die Performance der Finanzmärkte rückwirkende wie geisterhafte Kursgewinne erscheinen, werden wir wohl erst in der Zukunft beantworten können. Weltweit regieren drei große Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch das Geschehen. Ihre Bonitätsbeurteilung bestimmt im Wesentlichen die Finanzierungskosten der Schuldner.

Die Idee wird John Moody zugeschrieben, der 1909 mit Moody’s die erste Rating-Agentur gründete. Standard & Poors wurde 1941 gegründet und nimmt heute auch unter den „großen Drei“ eine dominierende Rolle ein. S&P hat dieser Tage einen interessanten Rating-Bericht publiziert. Ein AAA-Emittent erhält die bestmögliche Bewertung. Historisch konnte ein Staat das Top-Rating nahezu 20 Jahre halten. An der Investment-Grade Grenze (BBB-Bereich) wird die Veweildauer mit rund 2,5 Jahren schon deutlich kürzer. Grundsätzlich gilt: Je schlechter die Bonität, desto häufiger ändert sich das Rating. Das ist mit der Insolvenzwahrscheinlichkeit begründbar. Es ist unwahrscheinlich, dass ein AAA-Emittent über Nacht pleite geht.

Venezuela war historisch betrachtet der einzige Ausfall eines (ehemaligen) AAA-Emittenten. Festzuhalten aber ist, dass zwischen der Pleite im Jahr 2005 und dem Verlust des AAA-Ratings im Jahre 1982 mehr als zwei Jahrzehnte vergingen. Bei einem B- Emittenten wäre ich mir im Gegensatz dazu nicht mehr so sicher. Insofern ist Vorsicht geboten. Von den 134 aktiv von S&P bewerteten Ländern weisen „nur“ mehr 54% einen Investment-Grade-Status auf. Die letzten Jahrzehnte wurde die Abdeckung deutlich erhöht, das heißt immer mehr Länder haben heute ein Rating - die Bonitätsbeurteilung der Länder hat sich im gleichen Zeitraum aber verschlechtert. 2019 war das achte Jahr in Folge, in welchem zumindest eine Staatspleite mit Argentinien zu beklagen war.

Durch das Niedrigzinsniveau haben sich die Rahmenbedingungen 2019 etwas verbessert, was sich wiederum positiv auf die Rating-Einstufung auswirkt. 18 Heraufstufungen stehen 6 Herabstufungen gegenüber. Durch den immensen Anstieg der Staatsschulden durch die Covid-19 Krise hat sich die Lage deutlich verschlechtert und es ist daher mit einer Herabstufungswelle zu rechnen. Diese werden wir wohl erst im S&P Bericht für das Jahr 2020 oder 2021 präsentiert bekommen.

Samstag, 30. Mai: Es gibt viel zu lernen 

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie komme ich nicht richtig zur Ruhe. Zuviel passiert an den Finanzmärkten. Wir erleben ein ständiges Auf und Ab. Ich bin sehr dankbar dafür, diese turbulente Zeit aktiv miterleben zu dürfen. Es gibt viel zu lernen. Dämme werden gebrochen, Mauern niedergerissen und es wird jeder Stein umgedreht. Ein Veränderungsprozess, der alle Teile der Gesellschaft und Wirtschaft umfasst. Während meinem morgendlichen Espresso muss ich an die düsteren Analysen der EZB denken.

Die Notenbank hat die Finanzstabilität der Eurozone überprüft und einige Gefahrenherde aufgedeckt. Die EZB prognostiziert einen Anstieg der Verschuldung der Eurostaaten von 86% auf 103% des BIPs. Die Fonds- und Versicherungsbranche könnte mit großen Vermögensabflüssen zu kämpfen haben, die in Kombination zu sinkenden Margen auf die Unternehmensgewinne drücken. Durch die steigende Verschuldungsquoten steigt auch das Risiko im Unternehmenssektor. Das könnte zu Ratingverschlechterungen und höheren Finanzierungskosten führen. Und schlussendlich leiden die Bankbilanzen unter den niedrigen oder gar negativen Zinssätzen. EZB Vizepräsident Luis de Guindos weist darauf hin, dass die Pandemie auf die Ertragsaussichten der Banken und die öffentlichen Finanzen negativ auswirken. Das müsse proaktiv angegangen werden, damit das Finanzsystem die wirtschaftliche Erholung auch weiterhin unterstützen kann. Wer die diplomatische Sprache der EZB versteht, weiß, was das bedeutet. Für mich klingt das nach der Ruhe vor dem Sturm. Insofern lohnt es sich, einmal einen Blick auf die europäische Bankenlandschaft zu machen. Durch die wirtschaftlich unsicheren Zeiten steigt die Gefahr, dass mehr Kredite nicht mehr bedient werden können. Im 1. Quartal ist die Risikovorsorge auf das 5,6fache des Durchschnittswertes gestiegen.

Die Aufsichtsbehörden haben bereits im März Erleichterungen für den Bankensektor verabschiedet. Neben den regulatorischen Entlastungen zeigt auch die Dividendeneinbehaltung eine positive Wirkung. Auf der Kreditseite ist das Wachstum für Konsumkredite deutlich gesunken, jenes für Immobilien leicht gesunken und jenes für Unternehmenskredite deutlich gestiegen. Das Nettoergebnis der Banken ist im 1. Quartal um 80% eingebrochen. Es ist aber auch festzuhalten, dass nur eine Minderheit der Banken in die Verlustzone gerutscht sind. Es sieht also im Großen und Ganzen nicht so schlecht aus. Wobei durchaus große Herausforderung warten und man die aufgedeckten Gefahrenherde sicher nicht einfach so wegwischen kann.

Freitag, 29. Mai: Europa und USA, Kluft geht weiter auseinander

Die Woche neigt sich dem Ende zu und das Pfingstwochenende steht unmittelbar bevor. Heute werde ich noch einen Ruhetag einlegen. Es ist schön, wieder zuhause zu sein. An den Finanzmärkten geht die Kluft zwischen Europa und Amerika weiter auseinander. Während der technologielastige Nasdaq-Composite seit Jahresbeginn ein Plus von 4% vorweisen kann, liegt der US-Aktienmarkt mit 7% und der europäische Markt mit rund 20% im Minus.

An den Börsen werden seit Mitte Mai auch verstärkt die zyklischen Branchen Industrie, Automobil und Rohstoffe gekauft. Die defensiven Branchen, wie Pharma oder Versorger, die seit Jahresbeginn deutlich vorne liegen, hinken in den letzten Wochen hinterher. Ein Blick noch auf die Untergewinne. Die sich dem Ende zuneigende Berichtssaison beschert den US-Unternehmen einen Gewinneinbruch von 20%. Das Ausmaß des Einbruchs war in der Finanzkrise mehr als doppelt so hoch. Das 2. Quartal mit dem globalen Shutdown ist aber noch nicht eingebucht. An den Märkten herrscht der „Risk-On“-Modus. Angesichts der tiefen Zinsen kein Wunder.

Für den Kauf einer deutschen Bundesanleihe mit einer 10jährigen Laufzeit muss der Käufer 0,45% bezahlen. Auch das österreichische Pendant notiert im negativen Terrain. So macht Schuldenmachen Spaß, meinen Sie nicht auch? In Deutschland sorgt der Kampf um den Daimler-Konzern für Aufsehen, da zwei chinesische Investoren um Einfluss und Prestige ringen. Bejing Automotive Group (BAIC), ein Staatsunternehmen, investierte im Juli 2019 2,4 Milliarden Euro für einen 5%igen Unternehmensanteil. Mittlerweile sind diese nur mehr 1,74 Milliarden wert. Bereits Anhang 2018 hat der Autobauer Geely und sein Gründer Li Shufun 10% Daimler Anteile für 7,5 Milliarden Euro erworben. Nach den herben Kursverlusten sind diese heute aber nur mehr 3,4 Milliarden Euro wert.

Beide Investoren vereinen herbe Kursverluste. Auf ihren Heimatmärten sind sie aber angeblich Konkurrenten, die keinerlei gemeinsame Pläne schmieden. Ein Verkauf macht für beide Investoren aufgrund der Kursverluste wenig Sinn. Durch ein Nachkaufen würde sich der Einstandskurs deutlich reduzieren. BAIC hat bereits im Dezember angekündigt, den Anteil auf 10% aufstocken zu wollen. Am liebsten würde man Li Shufun als größten Einzelaktionär ablösen. Im Jahr 2015 lag die Marktkapitalisierung noch bei stolzen 105 Milliarden Euro. Heute sind Daimler-Aktien um ein Drittel ihres Höchstkurses zu haben. Das zieht finanzkräftige Käufer an. Daimler ist kein Einzelfall. Droht gar der Ausverkauf Europas?

Donnerstag, 28. Mai: Warum hast du nichts dagegen getan?!

Heute konnte ich das Krankenhaus bereits wieder verlassen. Meine Routine-OP ist gut verlaufen und ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mich bei den Ärzten, Krankenschwestern und dem gesamten Krankenhauspersonal zu bedanken. Die OP, die medizinische Versorgung und auch das ganze Rundherum war hervorragend. Gerade nach den Herausforderungen nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist das gar nicht hoch genug einzuschätzen.An den Finanzmärkten werden die verabschiedeten Rettungspakete gefeiert. Die Aktienmärkte sind tief im grünen Bereich. Die Zinsen sind auf historischen Tiefständen und im Bereich der guten Bonitäten müssen Investoren sogar Geld dafür bezahlen, dass der Kreditnehmer ihr Geld nimmt. Das sind wahrlich seltsame Zeiten, in denen wir leben, meinen Sie nicht auch? Das spielt den Regierungen aber durchaus in die Hände. Schließlich bekommt man den Schuldenberg zum Null-Tarif. Japans Regierung hat die Hilfspakete auf 2 Billionen Euro oder 40% des BIP’s verdoppelt.

Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentiert den finalen und im Vorfeld heftig diskutierten EU-Wiederaufbauplan. Mit den anberaumten 750 Milliarden Euro, davon sind 500 Milliarden Euro nicht rückzahlbare Zuschüsse, wird sogar der viel kritisierte Macron-Merkel Plan übertroffen. Italien ist der große Nutznießer und erhält 172 Milliarden Euro, davon 82 Milliarden als nichtrückzahlbaren Zuschuss. Auch Spanien erhält 77 Milliarden an Zuschüssen und 63 Milliarden an Krediten. Deutschland und Österreich erhalten nur Zuschüsse im Ausmaß von 29 bzw. 4 Milliarden Euro. Zur Finanzierung werden Anleihen mit einer 30jährigen Laufzeit begeben, deren Rückzahlung erst 2028 beginnen wird. Zudem sollen neue Einnahmequellen, also Steuern, wie z.B. eine Digitalsteuer oder eine CO2-Steuer, erschlossen werden. Der Titel des Fonds „Next Generation EU“ könnte nicht passender sein. Meine Kinder werden bald 12 und 10 Jahre alt.

2058, wenn die Anleihen vollständig zurückgezahlt oder refinanziert werden müssen, sind sie 50 und 48 Jahre und damit wesentlich älter als meine Frau und ich heute. Mir ist vollkommen klar, dass man in dieser Krise Geld in die Hand nehmen muss. Es steht wahrlich viel auf dem Spiel. Für politische Entscheidungsträger scheint es ein Fass ohne Boden zu sein. Ich möchte mich schon jetzt bei meinen Kindern und ihrer Generation dafür entschuldigen. Es würde mich nicht wundern, wenn ich eines Tages mit der Frage konfrontiert werde: „Hast du das nicht mitbekommen? Warum hast du nichts dagegen getan?!“

Mittwoch, 27. Mai: Zurück auf das glitschige Börsenparkett

Die Finanzmärkte erlebten ein fröhliches Frühlingserwachen. Von „Sell in May and go away“ kann 2020 zumindest keine Rede sein. Mit dem heutigen Tag dürfen die ersten Händler nach zwei Monaten wieder auf das glitschige Börsenparkett der New Yorker Börse NYSE. Vorausgesetzt sie fahren nicht mit der U-Bahn an die Wall Street und sie haben kein Fieber. Es herrscht eine Maskenpflicht und eine strenge Mindestabstandregel für die handelnden Akteure. JP Morgan Chase, die größte Bank Amerikas, geht davon aus, dass bis auf Weiteres maximal die Hälfte der Büros besetzt sein werden.

Die Großraumbüros, in denen Finanzexperten Schulter an Schulter ihren Geschäften nachgehen, sind nicht dafür ausgelegt, die neuen Abstandregeln einzuhalten. Großbanken benötigen mehr Büroflächen. Und das kann in einer Stadt wie New York teuer werden. Aber nicht nur die Finanzbranche befindet sich im Umbruch. In der Welt wimmelt es mittlerweile von Globalisierungsskeptikern. Carmen Reinhart, Harvard-Professorin und neue Chefvolkswirtin der Weltbank, äußerte sich dazu in einem Interview: „Ohne melodramatisch zu sein, aber Covid-19 ist der letzte Sargnagel für die Globalisierung.“ Nach jahrzehntelanger Euphorie macht sich nun eine gewisse Globalisierungsmüdigkeit breit.

Bei allen Problemen sind mit der Globalisierung auch einige Erfolgsgeschichten eng verwoben. Allein im letzten Jahrzehnt ist die Weltwirtschaft um 43% gewachsen. Ein Großteil dessen ist auf Schwellenländer zurückzuführen. Durch die Globalisierung wurden auch viele Arbeitsplätze geschaffen. Das betrifft Industrie- und Schwellenländer gleichermaßen. Allein in der Europäischen Union existieren 36 Millionen Arbeitsplätze, die von Exporten in Drittländer leben. Festzuhalten ist aber auch, dass nach dem rasanten Wachstum des Welthandels in den 1990ern die Entwicklung seit Beginn des Jahrtausends stagniert. 1990 betrug das internationale Handelsvolumen knapp 40% des globalen BIPs. 30 Jahre Später ist die Relation auf 60% gestiegen.

Kritiker führen an, dass die Globalisierung von Großkonzernen schamlos ausgenutzt wir, um Steuern zu vermeiden und Umweltgesetzte bewusst zu umgehen. Gerade die aktuelle Krise hat uns die Abhängigkeit von anderen Staaten spüren lassen. Es ist wichtig, die Grundversorgung auch im Krisenfall gewährleisten zu können. Damit verbunden ist ein zumindest teilweiser Entglobalisierungsprozess. Das Pendel scheint sich zugunsten der Globalisierungsgegner gedreht zu haben. Und damit neigt sich vermutlich eine wirtschaftliche Ära dem Ende zu.

Dienstag, 26. Mai: Schrecken ohne Ende oder Kurzfrist-Schock?

Heute werde ich mich in einem Grazer Krankenhaus einer Routine-Operation unterziehen. Vorab wurde ein Covid-19 Test durchgeführt. Zu meinem Glück habe ich keine Erfahrungen mit Krankenhäusern. Auf mich macht es einen professionellen Eindruck. Mein ursprünglicher Termin hätte bereits Ende März stattfinden sollen. Das war gerade zur Blütezeit der Krise in Italien.

Überfüllte Krankenhäuser, überarbeitete Ärzte und mangelnde Ausstattung schockierten die Welt. Davon ist heute nichts zu sehen. Keine Spur von Panik, Überarbeitung und Hektik. In dieser Situation bin ich froh, die gute medizinische Versorgung in Österreich nutzen zu können. Auch an den Finanzmärkten war vor 60 Tagen die Stimmung sehr düster.  Die Aktienmärkte notierten auf den Tiefständen. Panik machte sich breit. Seit damals konnten Aktien aber eine beeindruckende Rallye hinlegen und mehr als 20% zulegen. 2020 gibt es nur eine einzige Branche, die mit +4% eine positive Performance aufweisen kann. Es wird Sie wahrscheinlich nicht wundern, dass es sich dabei um die Pharma-Aktien handelt. Auch Tech-Unternehmen (-5%) entwickelten sich in diesem Umfeld „gut“. Alle anderen Segmente weisen zumindest ein zweistelliges Minus aus. Spannend ist, wenn man das Jahr in Bären- und Bullen-Zyklen untergliedert. Zwischen 19. Februar und 16. März verlor der europäische Aktienmarkt 34% an Wert. Am besten schnitten die Branchen Pharma (-24%), Nahrungsmittel (-28%) und Konsum (-30%) ab. Grundsätzlich sind das alles defensive Branchen. Zu den größten Verlierern gehören Tourismus (-49%), Energie (-46%) sowie Banken und Versicherungen (je -43%). In der seit 16. März andauernden Aufwärtsbewegung konnten Technologie-Aktien die beste Wertentwicklung verzeichnen und nahezu ein Drittel zulegen. Interessanterweise zählen auch Energie (+31%) und Rohstoffe (+30%) zu den Gewinnern. Dabei handelt es sich um zyklische Branchen und gegenwärtig erleben wir definitiv keine Hochkonjunktur. Am geringsten fiel das Ausmaß bei Banken (+1%), Immobilien (+8%) und Versorger (+12%) aus.

Es wird von den Märkten bereits wieder viel Positives und eine V-förmige Erholung eingepreist. Der Gewinneinbruch führt zu einer fundamental teureren Bewertung der Unternehmen. Ein Comeback der Wirtschaft und der Unternehmensgewinne scheint also unmittelbar bevorzustehen. Dem „V“ sei Dank. Ob der Corona-Crash der Beginn einer Periode unter dem Motto „Schrecken ohne Ende“ oder nur ein kurzfristiger Schock sein wird, wage ich aber nicht zu prognostizieren. 

Montag, 25.Mai: In China arbeiten 99 Prozent der Betriebe wieder

Die Corona-Krise nahm in China ihren Anfang. Die Ausbreitung der Pandemie ging über Europa und erreichte letztendlich auch den amerikanischen Kontinent. Der Shutdown erfolgte demnach zeitversetzt und verursachte einen in unserer Generation noch nie zu beobachtenden Einbruch.

Die Industrieproduktion des 1,4-Milliarden-Einwohner-Landes ist im Dezember noch um 6,9 Prozent gewachsen. Im Jänner und Februar 2020 ist sie um jeweils 13,5 Prozent eingebrochen. Bereits im März wurden die Maschinen wieder hochgefahren. Auf Jahressicht war man nur mehr um 1,1 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Positiv ist, dass mit April das Wachstum bereits wieder mit 3,9 Prozent deutlich im Plus liegt.

Mittlerweile arbeiten 99 Prozent der Unternehmen in China wieder. Allerdings nicht mit Volldampf. Das Auslastungsniveau ist erst bei 85 Prozent des Vorkrisenniveaus. Auch die Einzelhandelsumsätze sind im 1. Quartal deutlich gefallen. Nachdem die Wachstumsrate im Dezember noch bei 8 Prozent lag, folgte zu Jahresbeginn ein 20-prozentiger Einbruch. Im März und April lag man immer noch um 15,8 Prozent bzw. 7,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Der Konsument braucht anscheinend länger, um sich zu erholen. Wen wundert’s?

Der wirtschaftliche Ausblick ist düster. 2020 sind wir weltweit mit einem historischen Wirtschaftseinbruch gepaart mit einem explosionsartigen Anstieg der Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die globale Arbeitszeit ist um 10,5 Prozent eingebrochen. Mehr als 2,2 Milliarden Menschen oder zwei Drittel aller Angestellten sind davon betroffen. Wenig überraschend, dass in diesem Umfeld die Einzelhandelsumsätze etwas hinterherhinken.

Spannend finde ich auch die Entwicklung des Stromverbrauches, der in China um mehr als ein Viertel eingebrochen ist. Im April haben wir schon wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Ähnliches gilt für das inländische Frachtvolumen. Nach einem drastischen Rückgang um nahezu zwei Drittel befinden wir uns im April wieder auf dem Vorkrisenniveau. Interessant sind auch die Erfahrungswerte deutscher in China tätiger Unternehmen.

Für Volkswagen war der schlimmste Monat der Februar. Siemens spricht von einem vielversprechenden April und BMW sieht in China eine robuste Nachfrage. Auch der Chemiekonzern BASF sieht die Auftragslage in China wieder anspringen. Der Markt bleibe weiterhin interessant. Selbst dann, wenn andere Länder einen Teil ihrer Wertschöpfungskette wieder zurückholen sollten. Wird es eine V-förmige Erholung? Ein scharfer Einbruch, gefolgt von einer raschen Erholung. Oder wird es, wie befürchtet, doch ein L? Ein scharfer Einbruch und ein Dahindümpeln auf tiefem Niveau.

Sonntag, 24. Mai: Chinas Strategie beruht auf drei großen Säulen

In China tagt der chinesische Volkskongress mit 3000 Delegierten. Die Zusammenkunft ist ein Zeichen, dass China die Krise überwunden hat. Der größte Widersacher im Streit um die weltweite Vormachtstellung ist die USA. Präsident Donald Trump scheut keine Gelegenheit, den mittlerweile lästigen Kontrahenten in die Schranken zu weisen.

Von China ging die aktuelle Krise aus. Ironischerweise kann Staatspräsident Xi Jinping auch aus der Corona-Pandemie einen strategischen Vorteil für China ziehen. Es werden Hilfsgüter in viele Teile der Welt geliefert und im Gegensatz zu Trump tritt er als großer Spender der WHO auf. Das schafft Sympathiepunkte und wirkt im Gegensatz zu den pauschalen Schuldzuweisungen eines Donald Trumps sehr gut überlegt. China hat in den letzten Jahrzehnten einen kontinuierlichen Aufholprozess gestartet. Alles begann mit einem kühnen Industrialisierungsprogramm eines Mao Zedong Ende der 1950er Jahre. Das Ziel war ambitioniert und schien zum damaligen Zeitpunkt äußerst unrealistisch. Schließlich wollte ein unbedeutender Bauernstaat eine führende Rolle in der Welt einzunehmen. Xi Jingping gibt sechs Jahrzehnte nach Mao die Strategie unter dem Motto „China First“ aus. Das erinnert mich irgendwie an Donald Trumps „America First“. Die Strategie beruht auf drei großen Säulen. China gab bekannt, dass eine massive Aufrüstung geplant ist. Der Rüstungsetat soll um 7% angehoben werden, wohingegen die gesamtstaatlichen Ausgaben rückläufig sind. Die Neue Seidenstraße ist ein Prestigeprojekt Chinas. Das Programm umfasst mittlerweile ein Finanzvolumen von 6,5 Billionen US-Dollar und soll noch weiter ausgebaut werden. Das entspricht ungefähr der Hälfte der jährlichen BIPs Chinas oder um 30% mehr als der jährlichen Wirtschaftsleistung Japans.

Als dritte große Stoßrichtung hat sich China zum Ziel gesetzt, die Technologieführerschaft der USA zu brechen. Um das zu verwirklichen, wurde ein Hightech-Programm ins Leben gerufen und mit 1,4 Billionen US-Dollar dotiert. Themen wie künstliche Intelligenz, ein Ausbau des 5G-Netzes oder auch die innerchinesische Infrastruktur stehen auf der selbstauferlegten Agenda. Mich fasziniert es, wie strategisch die Entscheidungsträger in China vorgehen. Sie setzen in ihrer Strategie auf Zukunftsthemen, setzen sich hohe Ziele und schaffen die Rahmenbedingungen, um auch konsequent an deren Umsetzung zu arbeiten. America oder China First? Ich weiß nicht, wie das Match ausgeht. Ich stelle mir aber gerade die Frage, ob ich meine Kinder zum Chinesisch-Kurs anmelden soll?

Samstag, 23. Mai: Der vorsichtige Kaufmann und der Lieferservice

Heute haben wir das erste Mal seit März wieder Gäste zu Besuch. Natürlich unter Einhaltung der strengen Vorgaben der Regierungsvorgaben. Als ich an der Türe stehe und meine Schuhe anziehe, um meine Einkäufe am Bauernmarkt zu erledigen, klingelt unser ausgesprochen freundlicher Postbote an der Türe. Es werden zwei Pakete geliefert, die meine Frau bestellt hat. Wie lange liefert die Post eigentlich auch schon am Samstag aus? Irgendwie hat die Corona-Krise auch unser Einkaufverhalten verändert. Der Lieferservice liegt voll im Trend. Das bestätigt auch unser zum Bersten voller Altpapier-Container. Nachdem die Einkäufe erledigt und einmal verstaut sind, setze ich mich auf meinen gewohnten Platz auf unserem Esstisch.

Bei einer Internet-Recherche stoße ich auf eine interessante Auswertung einer der Analyseplattform 1010Data, die das Konsumverhalten von US-Konsumenten auf Basis einer Analyse Ihrer Kredit- und Bankomat-Einkäufen von fünf Millionen Amerikanern analysiert hat.

Besonders stark boomt der Bereich der Lebensmittellieferungen des Einzelhandels. Diese sind im Vergleich zum Vorjahr um 420% gestiegen. Per Ende Februar, also vor dem Covid-19 Shutdown, betrug das Wachstum „nur“ 23%. Im Bereich Retail sticht die Bekleidungsindustrie hervor. Der E-Commerce Bereich ist im Vergleich zu 2019 um 52% gefallen. Die Lager mit der Frühjahrs- und Sommerkollektion sind voll. Aber in Covid-19 Zeiten spielt der Sommer-Dresscode für viele Konsumenten eine untergeordnete Rolle. Besonders stark betroffen ist auch der Reisesektor. Kreuzfahrten sind seit Februar um 87% eingebrochen. Fluglinien, Autovermietungen und Hotels müssen sich mit ähnlichen Zahlen auseinandersetzen. Die US-Regierung musste bereits eingreifen und die schwer angeschlagene Flugzeugindustrie mit einem 85 Milliarden Dollar Paket retten. Auch Restaurants mussten deftige Einbußen hinnehmen. Besonders stark betroffen ist der Luxusbereich „Fine Dining“. Ein Fünf-Gänge Menü eines Haubenkochs lassen sich wahrscheinlich die wenigsten nach Hause liefern. Dieser Bereich ist auf Jahressicht um 88% eingebrochen, wohingegen der Fast-Food-Bereich „nur“ um 21% zurückging. Eigentlich unvorstellbare Zahlen.

Ein vorsichtiger Kaufmann soll immer auch mit dem schlimmsten rechnen. Aber damit? Bis unsere Gäste eintreffen, heißt es für mich noch Gemüse schnipseln. Heute gibt es Tortillas. Ein Hauch von Mexiko schwebt über Graz. Passend dazu mit steirischem Weißwein oder steirischem Bier. Gepaart mit netten Menschen ist das ein wahrlich schöner Ausblick, meinen Sie nicht auch?

Freitag, 22. Mai: Wer zahlt, schafft an! Oder: Die Suche nach dem Impfstoff

Heute bin ich wieder sehr früh auf den Beinen. 2020 scheint das Jahr zu sein, in dem der Heimaturlaub wieder hoch im Kurs steht. Politiker vieler Länder preisen den Heimaturlaub an. Touristen füllen schließlich die gähnend leeren Kassen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das für einige Europäer heuer eine interessante Alternative ist.

Ich liebe meinen frühmorgendlichen Espresso. Das Dolce Vita schaut alleine zuhause im Morgengrauen aber definitiv anders aus, als in einer mit lautstark und wildgestikulierenden Italienern gefüllten Espresso-Bar im tiefsten Italien. Wahrscheinlich geht es ausländischen Österreich-Urlaubern auch so – meinen Sie nicht auch? Suchen Sie einmal nach dem Film „Das Fest des Huhnes“ im Internet.

Eine Studie vom Ifo- und Helmholtzinstitut hat sich mit den Corona-Maßnahmen auseinandergesetzt. Politiker sind 2020 schwer gefordert. Auf der einen Seite geht es darum, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Ziel ist es, die Reproduktionszahl gegen Null tendieren zu lassen. Nur das ist unrealistisch. Wichtig ist es vor allem, dass die Zahl unter dem Wert von 1 liegt. Denn dann breitet sich die Pandemie nicht weiter aus. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass eine Verschärfung oder zu lange Aufrechterhaltung von strengen Maßnahmen einen enormen wirtschaftlichen Schaden mit sich bringt.

Paradoxerweise führt eine zu schnelle aber auch eine zu langsame Lockerung zu deutlich höheren Kosten. Der goldene Mittelweg ist gefragt. Und genau den attestieren die Studienautoren Deutschland. Eine Durchseuchung der Bevölkerung würde die Lage entspannen, ist aber unrealistisch. Laut groben Schätzungen liegt die Dunkelziffer der Covid-19 Infizierten in Deutschland und Österreich bei 2 Prozent. Ein „normales“ Leben wird daher erst wieder mit einem Covid-19 Impfstoff möglich sein.

Die USA hat ihre Fühler bereits Richtung Europa ausgestreckt. Donald Trump verkündete lauthals, dass man sich bei insgesamt 14 Impfstoff-Projekten beteiligt habe. Gestern wurde bekannt, dass auch der britische Pharmakonzern AstraZeneca mit 1,2 Milliarden Dollar „unterstützt“ wird. Objekt der Begierde ist ein bereits weit fortgeschrittener Covid-19-Impfstoff. Sicherheitshalber wurden auch schon 300 Millionen Präparate vorreserviert. Bis dahin muss sich Trump wohl noch mit einem Malaria-Mittel begnügen. Bei 328 Millionen US-Bürgern könnte im Erfolgsfall nahezu die gesamte Bevölkerung geimpft werden. Und wer als erster zum Zug kommt, scheint auch klar. Wer zahlt, schafft an!

Donnerstag, 21. Mai: "Geldgeschenke" als Bekenntnis zur EU

Heute ist ein Feiertag. An diesem Donnerstag wollten meine Familie und ich ursprünglich nach Italien pilgern. Ein paar Tage am Meer können wahrlich Wunder bewirken. Aber 2020 ist irgendwie anders. Insofern verbringen wir ein paar erholsame Tage zu Hause. An den Finanzmärkten ist die Luft auch etwas draußen. Anscheinend freuen sich viele auf das verlängerte Wochenende.

Am Mittwoch Abend wurde noch verkündet, dass sich Deutschland mit 25% an der Lufthansa beteiligt. Dem nächsten Urlaubs-Trip steht also nichts mehr im Wege. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron präsentieren einen Vorschlag zu einem europäischen Wiederaufbaufonds. Deutschland und Frankreich sind zwei mächtige EU-Länder. Deutschland alleine steht für ein Viertel der EU-Wirtschaftsleistung, Frankreich trägt immerhin 17,4% zum EU-BIP bei. Die beiden größten Wirtschaftsräume repräsentieren zusammen mehr als 40% der EU-Wirtschaftsleistung.

Nehmen wir noch die Nutznießer Italien (12,8%) und Spanien (8,9%) hinzu, die sich positiv gegenüber den Merkel-Macron-Plänen äußerten, sind vier der fünf größten Wirtschaftsräume der EU bereits im Boot. Das entspricht immerhin nahezu zwei Drittel des EU-BIPs. Der Wiederaufbaufonds ist mit 500 Milliarden Euro veranschlagt. Ziel des kreditfinanzierten Fonds ist es, von der Corona-Pandemie schwer getroffene Regionen zu unterstützen. Dazu zählt die medizinische Versorgung, der Vorratsaufbau medizinischer Ausrüstungen und die Bereitstellung von Impfstoffen. Zudem soll die digitale Wirtschaft gestärkt, der 5-G-Ausbau vorangetrieben sowie auch klimaspezifische Akzente gesetzt werden. Schließlich verfolgt die EU das ambitionierte Ziel, bis 2030 den CO2-Ausstoß zu halbieren und bis 2050 sogar klimaneutral zu sein.

Kritiker des Plans stößt vor allem auf, dass die Gelder in Form von Zuschüssen und nicht als Kredite gewährt werden. Diese sind nicht rückzahlbar und damit als „Geldgeschenke“ zu bewerten. Immerhin ist das ein klares Bekenntnis Deutschlands und Frankreichs zur EU. Die Gelder sollen mittels Anleihen der EU aufgestellt werden. Die Rückzahlung soll aus dem EU-Haushalt durch Mitgliedsbeiträge erfolgen. Zu den größten Kritikern gehören neben Österreich (2,9% des EU-BIPs) die Niederlande (5,8%) sowie die Nordländer Dänemark (2,2%) und Schweden (3,4%). Von der wirtschaftlichen Macht ein Kampf David gegen Goliath. Die Kritiker stehen für knappe 15% des BIPs wohingegen die Befürworter mehr als den vierfachen wirtschaftlichen Beitrag leisten. Wer da wohl gewinnen wird?

Mittwoch, 20. Mai: Trump und Powell, eine besondere Beziehung

US-Präsident Donald Trump und US-Notenbankbank Präsident Jerome Powell pflegen eine besondere Beziehung. Jerome Powell ist Jurist und Finanzbeamter. Seit dem Jahr 2012 ist er Mitglied des „Federal Reserve Board of Govenors“. Powell wurde von Donald Trump zum Fed-Präsidenten nominiert und bekleidet seit Februar 2018 das ehrwürdige Amt. Die beiden gehören wahrscheinlich zu den mächtigsten und einflussreichsten Menschen der Welt. Anfänglich tolerierten und akzeptierten sich die beiden Alpha-Tiere zumindest nach außen.

Spätestens 2019 kippte ihre Beziehung aber merklich. Die US-Leitzinsen lagen noch bei 2,5%. Powell kündigte an, mit Zinssenkungen die Konjunktur unterstützen zu wollen. Trump forderte die Fed auf, aktiver zu werden. Die Maßnahmen seien zu „lasch“. Powell reagierte verschnupft. Ist die altehrwürdige Notenbank zum Spielball des Präsidenten mutiert? Er ließ dem Präsidenten via Medien ausrichten, dass die Notenbank sehr sorgfältig die Situation beobachten und die Notenbank unabhängig reagieren werde. Trump ließ das kalt. Er gab regelmäßig „Ratschläge“ und untergrub damit die Autorität der Notenbank. Schließlich zogen 2019 bereits dunkle Wolken am Wirtschaftshorizont auf.

2020 steht Trump zur Wiederwahl und da kann er keinen stotternden Konjunkturmotor gebrauchen. Wie aber kann die Notenbank mit einer Leitzinssenkung die Konjunktur ankurbeln? Niedrige Zinsen bedeuten niedrige Zinskosten für Kreditnehmer. Dadurch sollen Unternehmen und Private zu mehr Investitionen angeregt werden. Soweit die Theorie. Irgendwann verpufft die Kraft der Leitzinssenkung. Bei derartig günstigen Finanzierungskosten dürfte eine weitere Zinssenkung wohl nur die wenigsten zu weiteren Investitionen durch den Kauf von Konsum- oder Vermögenswerten animieren. Eine aussichtsreiche Investition ist in den letzten Jahren wahrscheinlich nur sehr selten am Finanzierungsumfeld gescheitert.

Durch die Rahmenbedingungen steigen die Verschuldungsquoten sowie auch die Vermögenspreise zum Teil in schwindelerregende Höhen. Das kann in manchen Bereichen zu einer Blasenbildung führen. Aber das dürfte Donald Trump im Wahljahr ziemlich egal sein. Der Leitzins liegt bei knapp über Null. Jerome Powell hat die guten „Ratschläge“ Trumps noch nicht vergessen und fühlt sich genötigt, selbst die Initiative zu ergreifen. Bereits zum dritten Mal innerhalb von nur einer Woche forderte er fiskalpolitische Maßnahmen, um die Corona-Krise zu bekämpfen. Ich bin schon gespannt, wie das Ping-Pong-Spiel der Alpha-Männchen weiter gehen wird.

Dienstag, 19. Mai: Unter dem Motto: Pack die Badehose ein!

An den Märkten nahm die Volatilität deutlich ab. Mit steigender Zuversicht beginnen Investoren, ihre Cash-Bestände abzubauen. Aktienseitig stehen die Sektoren Technologie und Gesundheitswesen im Fokus. Im Zinsbereich bleiben geldmarktnahe Investments begehrt, große Zuflüsse verzeichnen aber auch Anleihen mit schlechterer Bonität.

Spannend finde ich auch den Zusammenhang zwischen der Bonität und der Performance. Aktien mit einer guten Bonität zählen zu den Krisengewinnern und konnten seit Ausbruch der Covid-19 Krise sogar Kursgewinne erwirtschaften. Je schlechter die Bonität, desto schlechter auch das Veranlagungsergebnis. Während Aktien mit einer AA-Bonität um 10% zurückgingen, verloren BBB-Emittenten rund 30%. Noch herber traf es High-Yield Emittenten. Der Kurs eines B-Emittenten verlor im Jahr 2020 durchschnittlich mehr als die Hälfte seines Wertes. Gutes war gut und schlechtes war schlecht. Von der makroökonomischen Seite her dominieren wenig überraschend negative Nachrichten.

Die US Industrieproduktion ist z.B. im April um 11,2% gefallen und verzeichnete den größten Monatsverlust der 101-jährigen Geschichte. Wachstumszahlen werden sukzessive nach unten revidiert. Für die Weltwirtschaft beispielsweise von -3,1% auf -3,5%. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne und -ausschüttungen. In den USA werden die Aktienrückkäufe um 371 Milliarden Dollar und damit um 50% im Vergleich zum Vorjahr zurückgehen. Für den Gesamtmarkt wird erwartet, dass um 23% oder 398 Milliarden Dollar weniger Dividenden ausgeschüttet werden. Und für Europa rechnen Analysten, dass das EBIT um 30% und die Gewinne pro Aktie um 45% zurückgehen werden.

Gerade bei schlechteren Bonitäten wird mit einem starken Anstieg der Unternehmenspleiten gerechnet. Laut Einschätzung der Rating-Agenturen werden 13% und damit mehr als jedes Zehnte Unternehmen 2020 nicht überleben. Investoren haben das Jahr 2020 bereits abgeschrieben und blicken voller Zuversicht auf 2021. In Tagen wie diesen hilft es schon einmal, den Blick nach vorne zu richten. Volkswirte gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft 2021 um 6,6% wachsen wird. Die Euro-Zone mit 8,1% sogar mehr als die USA mit „nur“ 6,1%. Am Arbeitsmarkt gibt es eine deutliche Entspannung. Die Arbeitslosenrate sollte sowohl in den USA aber auch in Europa wieder unter die 10%-Grenze Fallen. Irgendwie kommt es mir vor, als würde ich an einem grauen Novembertag vom Sommerurlaub am Meer träumen. 2021 steht unter dem Motto: Pack die Badehose ein!

Montag, 18. Mai: Des Kreditnehmers Freud, des Sparers Leid!

Mit dem heutigen Tag nehmen die Schulen wieder den Betrieb auf. Während unsere Tochter erstmals seit Mitte März mit ihrer geschulterten Schultasche frühmorgendlich unsere Wohnung verlässt, muss sich unser Sohn noch bis morgen gedulden. An den Finanzmärkten läuft vieles virtuell und digital. Die Börsen haben sich zu Computerbörsen verwandelt. Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie sind damit überschaubar, da alle Geschäfte elektronisch abgewickelt werden können. Der klassische Parketthandel, an dem sich Wertpapierhändler tummeln und lautstark um Kurse feilen, wurde an nahezu allen Börsen eingestellt. An Computerhandelsplätzen, wie z.B. XETRA, können Marktteilnehmer ihre Aufträge ohne Rücksicht auf den Kontrahenten platzieren.

Die Börse garantiert die Abwicklung nach dem Prinzip Geld gegen Ware (Wertpapier). An den Finanzmärkten rücken die Dividenden erneut in den Fokus. Mehr als 10% der im Russel-1000 gewichteten Firmen werden 2020 ihre Dividenden aussetzen oder zumindest reduzieren. Das entspricht in etwa dem Niveau von 2008 und 2009. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Anzahl der Unternehmen, die die Dividendenzahlung komplett aussetzen, deutlich höher ist. US-Investoren weisen eine höhere Aktienaffinität als Europäer auf. Die durchschnittliche Aktienquote ist sowohl bei institutionellen, aber auch privaten Investoren deutlich höher. In den USA besitzen immerhin mehr als ein Viertel der Bevölkerung Aktien, wohingegen in Österreich oder in Deutschland die Aktionärsquote im einstelligen Prozentbereich liegt. Interessant ist, dass selbst in der konservativen Schweiz die Aktienquote mehr als doppelt so hoch ist. US-Unternehmen tragen diesem Punkt Rechnung und schütten Dividenden im Gegensatz zum Rest der Welt quartalsweise aus. Eine Parallele zur quartalsweisen Zinsausschüttung.

Laut dem Deutschen Aktieninstitut hängt der Aktienbesitz auch stark vom Einkommen ab. Bei Menschen mit einem Einkommen von weniger als 2.000 Euro liegt die Quote bei 5%, bei mittleren Einkommen (2.000 bis 3.000 Euro) bei 13%. Im Vergleich dazu besitzt beinahe jeder Dritte mit einem Einkommen von mehr als 4.000 Euro Aktien. Wenig überraschend ist die Aktienquote bei Männern höher als bei Frauen. Durch das niedrige Zinsniveau ist davon auszugehen, dass die Kluft zwischen arm und reich weiter auseinander gehen wird. Denn selbst zur Gewährleistung des realen Geldwertes ist eine Aktienquote im aktuellen Marktumfeld unumgänglich. Des Kreditnehmers Freud, des Sparers Leid!

Sonntag, 17. Mai: Eine gewisse Ähnlichkeit mit Fußballtabellen

Heute ist Sonntag. Ein Tag der Ruhe. Ein Tag, an dem ich die Gedanken schweifen und Ereignisse Revue passieren lassen kann. In meiner gestrigen Kolumne stand das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Fokus. Wenn ich so darüber nachdenke, hat das BIP auch irgendwie etwas Sportliches. Höher, schneller, weiter – das ist die allgemeine Doktrin. Wie stark war das Wachstum, wie hoch ist das BIP in absoluten Zahlen oder wie viel zum BIP hat jeder Bürger beigetragen. Der Ländervergleich hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Fußballtabellen, meinen Sie nicht auch? Das BIP wird auch häufig als Referenzgröße herangezogen, um die Verschuldungshöhe eines Staates darzustellen.

Laut den europäischen Maastricht-Kriterien wurde das Ziel definiert, dass die Staatsverschuldung maximal 60% des BIPs betragen sollte. Die größten fünf Wirtschaftsräume der EU sind Deutschland (24,7%), Frankreich (17,4%), Italien (12,8%), Spanien (8,9%) und die Niederlande (5,8%). Lediglich Deutschland (59,8%) und die Niederlande (48,6%) schaffen es per Ende 2019, die selbst auferlegte Quote nicht zu überschreiten. Alle anderen großen europäischen Länder liegen schon vor den Covid-19 Belastungen über der 60%-Grenze.Österreichs Beitrag zum EU-BIP liegt bei 2,9%. Die Verschuldungsquote von 74% liegt deutlich über dem angepeilten Zielwert.

Ist das BIP aber wirklich eine aussagekräftige Referenzgröße? Irgendwie drängt sich der Vergleich auf, als würde ein Unternehmer seine Verschuldungsquote mit dem Unternehmensumsatz messen. Auf EU-Ebene werden rund 46% vom BIP auch wirklich eingenommen. Der größte Einnahmepunkt sind Steuern. Ein nicht unerheblicher Teil der Einnahmen ist bereits verplant, aber aus meiner Sicht wäre das eine bessere Referenzgröße als das BIP. Selbst dann, wenn sich dadurch die Quoten mehr als verdoppeln. Die Österreichische Nationalbank (OeNB) wird ab Mai einen wöchentlichen BIP-Indikator für Österreich veröffentlichen.

Der konjunkturelle Tiefpunkt wurde Ende März erreicht, wo das BIP um 25% unter dem Vorjahreswert lag. In der Woche vom 4. Mai war der Verlust gegenüber dem Vorjahr „nur“ mehr 11%. Darin sind auch einige Nachholeffekte enthalten, da mit dieser Woche deutliche Lockerungen aufgetreten sind. Die kumulierten Verluste seit Mitte März belaufen sich laut OeNB auf 12,1 Milliarden Euro. Das klingt bei einem BIP von 375 Milliarden noch nicht viel. Es ist aber davon auszugehen, dass Woche für Woche noch einiges dazukommen wird.

Samstag, 16 Mai: Das Flimmern der Zahlen ...

Als Börsianer liebt man das Flimmern der Zahlen. Es braucht einige Zeit, sich im Zahlengewirr zurechtzufinden. Eine einfache Regel habe ich frühzeitig gelernt. Grüne Zahlen stehen für eine positive und rote für eine negative Entwicklung. Um von der Entwicklung einer Einzelaktie auf den Gesamtmarkt schließen zu können, werden Indizes wie z.B. der deutsche DAX oder der österreichische ATX berechnet. Zur Messung der wirtschaftlichen Aktivität wird häufig das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße herangezogen.

Dieser Indikator wurde von Simon Kuznets in der großen Depression der 1930er Jahre entwickelt und war der erste Hilfsindikator der Wirtschaftspolitik. Das BIP gibt im Wesentlichen den Gesamtwert aller Güter- und Dienstleistungen an, die innerhalb eines Referenzzeitraums von einer Volkswirtschaft erwirtschaftet wurden. Das BIP weist damit einen klaren Vergangenheitsbezug auf und ist demnach ein Blick in den Rückspiegel. Es sagt nichts darüber aus, wie konkurrenzfähig der Wirtschaftsraum im internationalen Vergleich ist. Der Indikator wird auch häufig als Wohlstandsindikator herangezogen. Aber repräsentiert das BIP wirklich den Wohlstand eines Landes? Sagt diese Art von Wohlstand wirklich etwas über die Lebensqualität der Bürger aus?

Aus meiner Sicht gehören andere Themengebiete, wie z.B. Bildung, Umwelt, Familie, Kultur, Wissenschaft, Arbeitsmarkt oder Rechtssicherheit auch dazu. Die Liste könnte man zweifelsohne noch lange fortführen. Bereits im Jahr 1972 hat der Club of Rome das BIP als alleinigen Indikator der Wohlstandsmessung scharf kritisiert. Um dies zu untermauern, möchte ich ein exemplarisches Beispiel anführen. Ein Staat könnte versuchen, sich durch geringe Umweltstandards oder unfaire Bezahlung „Vorteile“ im Vergleich zu anderen Ländern zu verschaffen. Lokal tätige Unternehmen werden im Vergleich zu Konkurrenten in anderen Ländern dadurch erhebliche Preisvorteile haben. Das BIP wird sich demnach wahrscheinlich gut entwickeln. Ganz im Gegensatz zum Wohlbefinden der Bevölkerung.

Abschließend möchte ich noch ein Detail der Berechnungsmethodik anführen. Seit 2014 wird die Methodik der EU an jene der Vereinten Nationen angepasst. Damit einhergehend gab es einige Änderungen. Besonders stark kritisiert wurde, dass die Schattenwirtschaft mit aufgenommen wurde. Durch die Hinzurechnung von Schwarzarbeit, Schmuggel, Drogenhandel und Prostitution hat sich das BIP zwar nur marginal aber doch erhöht. Ob sich dadurch der Wohlstand eines Landes verändert, bezweifle ich aber zu tiefst.

Freitag, 15. Mai: Ob das langfristig gut geht?

Heute Morgen trete ich wieder den Weg ins Büro an. Das Leben nimmt zunehmend Fahrt auf. Die Aktivität auf den Straßen hat bereits deutlich zugenommen. Die US-Aktienmärkte gingen auf den Tageshöchstständen raus. Eine Entspannung im Handelsstreit mit China zeichnet sich ab. Auch die Börsen in Europa und Asien sind im grünen Bereich. Der Handelsfloor der New York Stock Exchange (NYSE) wird am 26. Mai zumindest teilweise wieder öffnen. Ein weiterer Schritt in die Normalität.

Irritierend finde ich die Aussagen des Fed Präsidenten von Minneapolis. „Geld in den Taschen von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist das, was wir jetzt brauchen.“ Die Arbeitslosenrate liege nicht bei den amtlichen 14,7% sondern bereits auf 24% oder 25%. Seit Mitte März verlieren jede Woche zumindest 3 Millionen US-Bürger ihren Job. Der Trend ist zwar seit Ende März rückläufig, in Summe sind aber bereits 36,5 Millionen Amerikaner betroffen. Der US-Konsument ist eine tragende Säule der US-Wirtschaft und zeichnet sich für rund zwei Drittel des BIPs verantwortlich. Im ersten Schritt werden wahrscheinlich die Konten überzogen und Kreditkartenschulden angehäuft. Ob das aber langfristig gut ist, wage ich zu bezweifeln. Die Asiatische Entwicklungsbank prognostiziert einen globalen BIP-Einbruch von 5,8 bis 8,8 Billionen US-Dollar. Das ist immerhin 6,4% bis 9,7% der Weltwirtschaftsleistung.

Einen Vorboten lieferte heute das Statistische Bundesamt. Im 1. Quartal ist das deutsche BIP um 2,2% gesunken. Der private Konsum und Exporte waren rückläufig. Die Unsicherheit vor einer zweiten Infektionswelle und vor dem dauerhaften Verlust des Arbeitsplatzes wirken dämpfend, werden sich aber erst mit den Zahlen für das 2. Quartal so richtig entfalten. In Europa lassen die Covid-19 Zahlen eine schrittweise Öffnung und Lockerung der Maßnahmen zu. Ähnliches gilt für die USA. Im Juni werden Staaten, die 61% zum US-BIP beitragen, wieder hochfahren. Seit den 1980ern brach der Aktienmarkt nur viermal mehr als 30% ein. Es waren der 1987er Crash, die Dot.Com-Blase, die Finanzkrise und der Corona-Crash. Das gute vorweg. Bisher konnte er sich immer erholen. Noch nie in den vergangenen 150 Jahren wurden die Tiefstände in einer so kurzen Zeitspanne erreicht. 2020 ist irgendwie anders. Die wirtschaftlichen Folgen dürften schlimmer ausfallen als in der Finanzkrise. Es stellt sich damit die Frage, ob es das wirklich schon gewesen war und die Börse die Covid-19 Krise bereits nach wenigen Wochen abgehakt hat? Ich halte es britisch: Abwarten und Tee (Espresso) trinken.

Donnerstag, 14. Mai: Auf der Suche nach dem goldenen Tipp

Heute ist der Tag der Heiligen Corona. Dabei handelt es sich um eine frühchristliche Märtyrin und der Patronin des Geldes, der Fleischer und der Schatzgräber. Corona bedeutet auf deutsch „Krone“ und das wiederum ist die Bezeichnung vieler Währungen. Insofern ist es naheliegend, dass Corona das Patronat der Geldangelegenheiten zugesprochen wird. Schatzgräber im herkömmlichen Sinn gibt es im 21. Jahrhundert wahrscheinlich nur wenige. An den Börsen dieser Welt tummeln sich aber mit Sicherheit einige von ihrer Zunft. Immer auf der Suche nach dem goldenen Tipp und dem schnellen Geld.

Diesen Teil der Marktteilnehmer würde ich aber in die Rubrik der Zocker und Glücksspieler einordnen. An den Börsen dieser Welt hat sich die Stimmung wieder etwas eingetrübt. Die US-Märkte gehen am Tagestief raus und auch Europas Börsen öffnen im tiefroten Bereich. Dr. Anthony Fauci, Berater und renommierter Immunologe, hat den Märkten eine kalte Dusche verpasst. Er warnte vor einer zu schnellen Abkehr der Eindämmungsmaßnahmen. Durch eine zu schnelle Öffnung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Infektionswelle und diese würde noch mehr Leid und Tote bringen. Zudem meldete sich der Fed-Chef Jerome Powell zu Wort und zeichnete ein düsteres Bild. Obwohl Prognosen sehr unsicher seien, sind die Abwärtsrisiken sehr hoch. Die US-Wirtschaft benötige dringend weitere fiskalpolitische Impulse, um einen langfristigen wirtschaftlichen Schaden abwenden zu können. Im Mai beginnt die Dividendensaison. Unternehmen schütten Teile der Gewinne an die Aktionäre aus. Mehr als 80% der Aktien in Deutschland und der Schweiz halten an ihrer Dividendenpolitik trotz der Corona-Krise fest.

Eine andere Strategie verfolgen Unternehmen in England oder Schweden, wo mehr als die Hälfte der Unternehmen eingestellt oder zumindest verschoben haben. Die Europäische Zentralbank hat Banken bereits aufgefordert, Dividenden und Aktienrückkäufe zur Vergütung von Aktionären temporär auszusetzen, um die eigene Kapitalbasis zu stärken. Auch Regierungen haben die Ausschüttungen von staatlichen Hilfen daran gekoppelt, dass keine Dividenden ausgeschüttet werden dürfen und die Managerboni deutlich reduziert werden. Das ist ein Aspekt, den ich aus moralischen Gründen durchaus nachvollziehen kann. Es ist unvorstellbar, dass ein generationenübergreifendes Familienunternehmen in Zeiten einer großen Krise an Gewinnausschüttungen denkt, oder? Abschließend bleibt noch zu bitten: Heilige Corona, steh uns bitte bei.

Mittwoch, 13. Mai: Wie die Gesteinsschichten des Grand Canyon

Die Finanzmärkte sind gegenwärtig in eine Konsolidierungsphase eingetreten. Nach den heftigen Kursverlusten im März konnte ein Großteil der Verluste bereits wieder aufgeholt werden. Der technologielastige Nasdaq-Composite ist Jahresbeginn sogar im Plus und US-Aktien notieren bereits wieder auf dem Niveau vom August 2019. An den Finanzmärkten scheint der Optimismus wieder zurückgekehrt zu sein.

Ganz im Gegensatz zur Realwirtschaft. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hat bereits angedeutet, dass die makroökonomischen Indikatoren in vielen Ländern deutlich schlechter aussehen, als die ohnehin schon pessimistischen Prognosen. Der IWF wird daher im Juni den Wirtschaftsausblick voraussichtlich noch einmal reduzieren müssen. Das ist eine harte Ansage, die den Ernst der Lage verdeutlicht. Die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft klaffen wie die Gesteinsschichten des Grand Canyon auseinander. Interessantes bringt auch eine Umfrage zum Konsumverhalten der US-Bürger im April zu Tage. 45% der Konsumenten mit einem Jahresbruttogehalt von weniger aus 50.000 Dollar wollen weniger ausgeben. Bei Personen mit einem Jahresgehalt von mehr als 150.000 Dollar sind es schon 67%.

Je höher das Einkommen, desto mehr werden die Ausgaben zurückgefahren. Von der Steuerseite hat der Staat durchaus Einflussmöglichkeiten und kann die Zielgruppe bewusst steuern. Um vermehrt reichere Bevölkerungsschichten zu belasten, bieten sich z.B. Vermögenssteuern, Kapitalertragssteuern, Erbschaftssteuern oder Immobiliensteuern an. Dahingehend ist die Hebelwirkung allerdings gering. Die breite Masse kann durch ein Heben oder Senken der Umsatzsteuer belastet werden. Dieser Steuer kann sich nahezu niemand entziehen, schließlich will das eigene Leben auch finanziert werden. In Österreich wurde in den vergangenen Tagen die Steuer auf nichtalkoholische Getränke von 20% auf 10% reduziert.  Ziel ist es, der angeschlagenen Gastronomie zu helfen.

Saudi-Arabien leidet unter dem Ölpreisrückgang und hat im Gegensatz dazu die Mehrwertsteuer verdreifacht, um Budgetlöcher zu stopfen. Gerade ärmere Bevölkerungsschichten verwenden einen hohen Teil ihrer verfügbaren Mittel für die Finanzierung ihres Lebens. Darunter fallen z.B. Wohnungskosten oder auch Lebensmittel. Je höher das Einkommen, desto geringer ist also die Be- oder Entlastung einer Mehrwertsteueränderung. Und im Gegensatz zur Vermögensbesteuerung ist eine Steuerflucht in ein Steuerparadies nicht möglich.

Dienstag, 12. Mai: Was sind eigentlich ESG-Investments?

Heute morgen sitze ich mit meinem Espresso auf unserem Küchentisch. Mein Blick schweift aus dem Fenster und bleibt am saftigen Grün der Wiese kleben. Grün ist auch die Farbe des nachhaltigen Investierens. Der Bereich des nachhaltigen Investierens rückt immer mehr in den Fokus der Investoren. Global betrachtet werden rund 30 Billionen US-Dollar nachhaltig investiert. Ziel ist es, durch die bewusste Steuerung von Finanzmitteln einen positiven Beitrag zu leisten. Aber was ist eigentlich nachhaltig?

Diese Frage ist nur sehr individuell zu beantworten. Im Finanzbereich spricht man von einem ESG-Investment. „E“ steht für Environment oder Umwelt, „S“ für Soziales und „G“ für Governance oder Unternehmensführung. In Europa wird der Fokus klar auf den Bereich „E“ gelegt. Dieser Bereich kann z.B. durch den CO2-Beitrag des Portfolios im Vergleich zu einem Referenzindex abgedeckt werden. Im angelsächsischen Raum liegt der Fokus eher im Bereich der Unternehmensführung. Interessant sind auch die Unterschiede in Europa. Während beispielsweise in Frankreich Atomenergie als grüne Energie eingestuft wird, ist sie in Österreich oder Deutschland aus nachhaltiger Sicht ein „No-Go“.

Als Portfoliomanager hat man im Wesentlichen drei unterschiedliche Möglichkeiten ethisch- nachhaltigen Aspekten Rechnung zu tragen. Man kann Schlechtes ausschließen, Gutes fördern oder mit Unternehmen in einen Dialog eintreten, um positive Aspekte zu fördern. Im Bereich der Ausschlusskriterien können auf Länderebene Themen wie das Militärbudget, Anwendung der Todesstrafe, hohe Korruption oder die Verletzung von Menschenrechten abgedeckt werden. Auf Unternehmensebene können auch viele Ausschlusskriterien angewendet werden. Darunter fallen Themen, wie z.B. Massenvernichtungswaffen, Agrogentechnik oder Nuklearenergie.

Im Bereich Gutes fördern, werden jene Unternehmen ausgewählt, die sich unter nachhaltigen Gesichtspunkten besonders hervorheben. Sei es durch ihre Produkte, ihre Unternehmensführung oder auch durch ihren sozialen Beitrag. Nachhaltigkeit per se ist gewissermaßen ein Wohlstandsthema. Grundsätzlich steigt die Bedeutung mit dem Entwicklungsgrad einer Volkswirtschaft. Durch die Covid-19 Krise stehen wir vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Dadurch rücken andere Themen in den Fokus. Durch die EU-Regulative ist der Trend Richtung Nachhaltigkeit aber klar vorgezeichnet. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Bereich weiter an Bedeutung gewinnen wird. Und das ist gut so.

Montag, 11. Mai: Lockerungen, Rettungsschirme und Selbstschutz

Das Leben nimmt schön langsam wieder an Fahrt auf. Mit dem heutigen Tag werden die Corona-Maßnahmen in vielen Ländern Europas gelockert. Die Finanzmärkte starten gemächlich in die neue Woche. Die befürchtete Herabstufung Italiens durch die Rating-Agentur Moody’s blieb aus. Die japanische Regierung hat angekündigt, einen neuen Rettungsschirm verabschieden zu wollen. Dabei sollen Unternehmen, die mit starken Umsatzeinbußen und hohen Mietpreisen sowie Studenten, die ihre Teilzeitjobs aufgrund der Corona-Krise verloren haben, unterstützt werden.

In Südkorea sind erstmals Mai-Zahlen veröffentlicht worden. In den ersten 10 Tagen gingen die Exporte um 46,3% bzw. die Importe um 37,2% gegenüber dem Vorjahr zurück. Positive makroökonomische Zahlen sind in den nächsten Monaten wohl nicht zu erwarten. An den Finanzmärkten ist auch der aufkeimende Streit zwischen China und den USA wieder verstärkt in den Fokus gerückt. China hält aktuell rund 1,1 Billionen US-Dollar Treasury Bonds. Das Volumen der gehaltenen Staatsanleihen hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als vervierfacht. China ist damit hinter Japan der zweitgrößte Gläubiger der USA. China hat damit durchaus einen Vermögenswert mit Drohpotenzial in eigenen Händen. Wenn China jetzt beginnen würde, die Märkte mit amerikanischen Staatsanleihen zu schwemmen, könnte das für erhebliche Marktturbulenzen sorgen. Eines scheint fix. China will künftig den Fokus verstärkt auf Diversifikation der Devisenreserven legen und wird den Anteil an US-Staatsanleihen in den kommenden Jahren reduzieren. Diese Handlung ist gewissermaßen auch ein Selbstschutz.

Es halten sich Gerüchte, dass die Trump-Regierung erwäge, ihre Verbindlichkeiten gegenüber China als Vergeltung für dessen „Corona-Schuld“, einfach zu annullieren und nicht zurück zu bezahlen. Wenn das wirklich eintrifft, würde das die Finanzmärkte wahrscheinlich bis ins Mark erschüttern. Die Rating-Agenturen Fitch und Moody’s bewerten die USA mit einem „AAA“-Rating. Auch S&P, der dritte im Bunde, vergibt mit „AA+“ eine hervorragende Note.

Wenn jetzt „willkürlich“ entschieden wird, welchem Gläubiger die USA das Geld zurückzahlen wird, hätte das einen brutalen Vertrauensverlust zur Folge. Gerade dann, wenn es sich bei dem Land um die USA handelt. Der daraus resultierende Schaden ist nicht abzuschätzen. Das dürfte selbst für Donald Trump eine zu heiße Kartoffel sein. Die USA wird wahrscheinlich erneut mit der Zollkeule in den Handelskrieg mit China ziehen.

Sonntag, 10. Mai: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not

Die Gewinner des Jahres 2020 sind schnell ausfindig gemacht. Investoren, die ihr Geld in US-Staatsanleihen oder Gold angelegt hatten, können sich seit Jahresbeginn über zweistellige Wachstumsraten freuen. Besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurde nahezu der gesamte Rohstoffsektor. Der Bloomberg Commodity Index verlor heuer bereits mehr als 20%. Im Gegensatz zu Aktieninvestments kam es im April aber zu keiner Erholung. Das ist irgendwie eigenartig, da ja beide Asset-Klassen sehr konjunktursensitiv sind. Der Rohstoffpreis notiert damit ungefähr auf dem Niveau des Jahres 2009.

Ein langfristig orientierter Investor hat damit in einer Dekade mit einem Rohstoffinvestment real Geld verloren. Innerhalb des Rohstoffsektors gibt es große Divergenzen. Während Edelmetalle zulegen konnte, verloren der Agrarsektor und Basismetalle knapp 20%. Im Energiesektor haben sich die Kurse 2020 mehr als halbiert. Besonders getrieben wurde diese Entwicklung vom Ölpreisverfall. Ein Indiz dafür, dass es um die wirtschaftliche Lage alles andere als gut bestellt ist. Die Preisentwicklung ist aber nicht nur für Investoren sondern auch für einzelne Staaten von großer Bedeutung. Vor allem für jene, die einen großen Anteil der Einnahmen aus Rohstoffexporten beziehen. Da hätten wir z.B. Venezuela, das 97% der Deviseneinnahmen durch den Verkauf von Öl und anderen Rohstoffen einnimmt. Das BIP ist bereits im ersten Quartal um 27% zurückgegangen. In absoluten Beträgen ist die Wirtschaftsleistung des Landes seit 2014 um mehr als 40% geschrumpft und liegt nur unwesentlich über dem Niveau von 2007. In Kombination mit einem Budgetdefizit in der Höhe von 30% und einer Inflationsrate von 2.430% steht das 32 Millionen Einwohnerland am wirtschaftlichen Abgrund. Aber auch andere lateinamerikanische Länder wie Argentinien, Brasilien, Chile oder Peru weisen eine hohe Rohstoffintensität auf.

Derzeit besitzen 65 Länder aktive Staatsfonds, die per Ende 2019 Vermögenswerte von 8,3 Billionen US-Dollar verwalteten. Gespeist werden diese von „Rohstoffländern“ oder Staaten mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen. Der größte Brocken entfällt auf China mit 2,6 Billionen US-Dollar. Aber auch andere Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate (1,2 Billionen USD) oder Norwegen (1,0 Billionen USD) haben beträchtliche Vermögen angespart. Viele ärmere Länder aus Asien oder Lateinamerika haben keine Rücklagen angehäuft und dadurch verschärfte Bedingungen. Wie heißt es so schön: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

Samstag, 9. Mai: In Europa geht die Kluft weit auseinander

Die Branchenzusammensetzung der Aktienindizes hat sich gewandelt. In Europa ist der Healthcare-Sektor im Vormarsch. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Gewichtung auf 18% verdoppelt. Entgegen dem amerikanischen Trend ist der Technologiesektor im MSCI Europa „nur“ mit 6% gewichtet. Das ist zwar immer noch doppelt so viel wie noch vor fünf Jahren, zeigt aber einmal mehr die europäische Problematik auf. Zu Zeiten meines Berufseinstieges dominierte der Bankensektor die globalen Indizes. Im breiten europäischen Index war der Finanzsektor vor der Finanzkrise noch mit 23% gewichtet.

Seit damals hat der Bankensektor massiv an Bedeutung verloren. Aktuell sind Banken „nur“ mehr mit 7% gewichtet. Die Branchenstruktur führte dazu, dass europäische Aktien im Vergleich zu amerikanischen Unternehmen trotz fundamental billigerer Bewertung deutlich an Boden verloren. Die Gewinne in Europa liegen Ende 2019 weniger als 2% über den Niveaus von 2007. Verglichen mit den 15% in Asien oder den 90% der S&P 500 Unternehmen. Nur weil Unternehmen gute fundamentale Kennzahlen haben, lässt das trotzdem nicht Scharen an Investoren herbeieilen. Im S&P 500 dominieren FAAMG Aktien, die aktuell 20% des Gesamtmarktes ausmachen. Mit Facebook, Amazon, Apple, Microsoft und Alphabet (Google) handelt es sich dabei ausschließlich um Tech-Unternehmen. Der europäische Stoxx-600 werden GRANOLAS am stärksten gewichtet. Gemeint sind die Unternehmen Glaxosmithkline, Roche, ASML, Nestle, Novartis, Novo Nordisk, L‘Oreal, LVMH, Astrazeneca, SAP und Sanofi. Die Gewichtung beläuft sich auf 24% und reicht vom Luxusgüterhersteller bis zum Healthcare-Unternehmen. Einzelne Länder haben politisch völlig unterschiedlich auf die Krise reagiert. Besonders „aggressiv“ geht die USA vor.

Das Budget-Defizit wird 2020 auf 3,8 Billionen Dollar oder um 18,7% des BIPs ansteigen. Das wäre in Europa undenkbar. Bisher ist das US-Defizit noch nie über die 10% Schwelle gestiegen. Auch das verdeutlicht das Ausmaß der gegenwärtigen Krise deutlich. Ein höherer Schuldenstand wird frei Haus gleich mitgeliefert. In Zeiten des Niedrigzinsniveaus aber (noch) kein Problem. In Europa geht die Kluft zwischen den einzelnen Ländern weiter auseinander. Während Länder wie Italien bereits jetzt mit hohen Schuldenquoten und damit geringeren Handlungsspielräumen kämpfen, ist die Situation in anderen Ländern wie Deutschland oder Österreich noch relativ „komfortabel“. Welche Strategie sich langfristig als erfolgreicher herausstellen wird, wird uns wohl erst die Zukunft weisen.

Freitag, 8. Mai: Was verbirgt sich hinter dieser Zahl?

Traditionellerweise ist der erste Freitag des Monats aus Börsensicht ein besonders wichtiger. Streng genommen ist es nicht der erste Freitag, aber am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, sind andere Themen im Vordergrund gestanden . Mit Spannung erwarten Journalisten, Investoren und Fondsmanager die Zahlen, die pünktlich um 14:30 über die Bildschirme flimmern. Seit dem Jahr 1998 starre ich nun Monat für Monat auf diese Zahlen. Das sind mittlerweile 264 Mal. Aber so nervös wie heute war ich noch nie.

In Zeiten der Corona-Pandemie wird die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigen. Am Vormittag lag die Arbeitslosenquote noch bei 4,4%. Das ist durchaus überschaubar, oder? Diese Zahl repräsentiert allerdings den Wert per 31. März 2020. Und da war die Welt in den USA noch in Ordnung. Die Bureau of Labor Statistics (BLS) veröffentlicht die Arbeitslosenraten seit dem Jahr 1948. Der absolute Höchstwert lag bei 10,8%. Aber was verbirgt sich genau hinter dieser Zahl? Die dahinterliegende Zahl basiert auf einer Schätzung. Seit 1940 wird eine Umfrage unter 60.000 US-Haushalten mit rund 110.000 Personen durchgeführt. Die USA wird in 2000 Sub-Samples untergliedert, innerhalb dieser die Umfrageteilnehmer ausgewählt werden. Bei jeder dieser monatlichen Umfragen wird ein Viertel des Samples verändert, um eine gewisse Stabilität vorweisen zu können. Als unemployed oder arbeitslos werden jene Personen erfasst, die aktuell arbeitslos, auf Jobsuche und auch verfügbar sind. Alle diese drei Kriterien müssen erfüllt werden. Das kann das Bild doch deutlich verfälschen. Gerade dann, wenn in wirtschaftlichen schlechten Zeiten die Chance auf einen Job sehr gering sind. All jene, die innerhalb der letzten 4 Wochen nicht aktiv einen Job gesucht haben, werden nämlich in dieser Statistik nicht erfasst. Schließlich werden nur die „aktiv“ Suchenden auch wirklich in die Statistik aufgenommen. Eines ist schon im Vorfeld fix. Die Arbeitslosenrate wird explodieren und den bisherigen Höchstwert deutlich übertreffen. Die Initial Jobless Claims werden jeden Donnerstag veröffentlicht.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben immerhin 33,5 Millionen Amerikaner einen Erstantrag zur Arbeitslosenunterstützung gestellt. Das sind 22% der arbeitenden Bevölkerung. Am Nachmittag ist es endlich soweit. Die Unsicherheit und das bange Warten hat ein Ende. Die Arbeitslosenrate ist von 4,4% auf 14,7% explodiert. Ein Irrsinn – aber überrascht hat es trotzdem niemanden! 2020 ist schließlich anders.

Donnerstag, 7. Mai: Na ja, wen wundert’s? 

Es ist fünf Uhr morgens. Die kalte Morgenluft wirkt belebend und unterstützt die aufputschende Wirkung meines Espressos. Mein gewohntes Umfeld hat mich wieder. Nach einem Tag in der „Freiheit“ ist mein Wirkungskreis für heute wieder zwischen dem Laptop am Esstisch und der Kaffeemaschine in der Küche begrenzt. An den Finanzmärkten trübte sich die Stimmung in den späten Handelsstunden etwas ein. Die Kampfrhetorik rund um den Konflikt China/USA in Bezug auf den Ursprung des Corona-Virus sorgte für miese Laune.

Der stellvertretende Vorsitzende der US-Notenbank Richard H. Clarida dämpfte die Euphorie und verpasste den Märkten zudem eine kalte Dusche. Er verkündete, dass es ab jetzt an der Politik liege, für weitere Stimulationspakete zu sorgen, die die Wirtschaft so dringend benötige. In Europa sieht Frankreichs Notenbankchef und EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau die Europäische Zentralbank weiter unter Zugzwang, die Inflation zu erhöhen. Na ja, wen wundert’s? 2020 ist anders! Ein brummender Wirtschaftsmotor hört sich anders an. Ein japanisches Szenario mit niedrigen Zinsen, hohen Schulden einer sehr niedrigen Inflation und geringen Wachstumsraten wird immer wahrscheinlicher. Japan ist nach den USA und China immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und kommt seit Ende der 1980er Jahre nicht mehr so richtig auf Touren. Der hohe Schuldenberg, der sich bereits auf 238% der jährlichen Wirtschaftsleistung beläuft, belastet. In Europa sorgt die Verschuldung in Italien bereits für Sorgenfalten. Diese liegt aber „nur“ bei 135%. Tendenz stark steigend. Wie passt das zusammen? Die japanische Notenbank hält knapp 50% der ausstehenden Staatsanleihen. Laut Angaben des Ministeriums werden weniger als 10% der Staatsschulden vom Ausland gehalten. In Italien ist der Anteil doppelt so groß. Italiens Glück ist damit deutlich enger mit ausländischen Geldgebern verwoben, als jenes von Japan. Zudem fehlt Italien die „eigene“ Notenbank, sowie die Möglichkeit, mit Währungsabwertungen gegen die Krise anzukämpfen. Insofern wenig verwunderlich, dass Ministerpräsident Giuseppe Conte so vehement Corona Bonds fordert.

Auch die USA benötigt dringend Geld, um die Stimulationsprogramme finanzieren zu können. Im 2. Quartal sollen 3 Billionen US-Dollar an neuen Anleihen begeben werden. Das ist mehr als die Gesamtverschuldung Italiens. Die Renditen beginnen sich schön langsam wieder nach oben zu bewegen. Die US-Fed steht wahrscheinlich aber schon in den Startlöchern, um etwaige Löcher zu stopfen.

Mittwoch, 6. Mai: Vertraute Gesichter und steigende Ölpreise

Heute ist ein großer Tag. Nach einer langen Zeit darf ich mein Home-Office wieder einmal verlassen. Ich freue mich schon sehr darauf, meine Kollegen und langjährige Wegbegleiter wieder persönlich zu treffen und in vertraute Gesichter zu blicken. Nach all den Wochen fühlt es sich aber irgendwie seltsam an. Ob es nur mir so ergeht? Die Finanzmärkte sind passend dazu in Party-Laune. Selbst der Ölpreis konnte in den letzten Tagen deutliche Kurssprünge verzeichnen.

Nach all den Kursverlusten ist das wahrlich wie Balsam auf die Wunden. An den Märkten keimt die Hoffnung auf, dass die Kürzungen der OPEC+ im April endlich greifen und die Überkapazitäten schnell abgebaut werden können. Ich persönlich bin diesbezüglich noch etwas skeptisch. Ein Nachfrageschub von der Wirtschaftsseite ist nur bei einer signifikanten Erholung zu erwarten. Und die sehe ich beim besten Willen (noch) nicht. Insofern prognostiziere ich - zum Leidwesen aller Umweltschützer - noch länger billigere Preise an den Tankstellen vorzufinden. Der Paukenschlag, den wir gestern vom Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe erhalten haben, ist an den Märkten relativ rasch verpufft. Das Anleihenkaufprogramm sei zwar nicht verfassungskonform, allerdings steht der weiteren Aktivität der EZB wenig entgegen. Schließlich fehlt nur die Begründung seitens der Notenbank in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der getätigten Maßnahmen. Und diesbezüglich bin ich guter Dinge, dass die Notenbanker das mit guten Argumenten untermauern können. Sollte die Deutsche Bundesbank wirklich ausscheren müssen, betrifft das rund ein Viertel des Kaufprogrammes.

Betroffen davon wären vor allem Peripheriestaaten wie Italien oder Spanien, die in diesem Falle wohl mit höheren Renditen und damit auch höheren Finanzierungskosten konfrontiert werden würden. Diese Woche wurde von der Rating-Agentur S&P eine Analyse der Herabstufungen veröffentlicht. Durch die Corona-Pandemie und den Ölpreisverfall waren vor allem die Sektoren Energie und Banken mit einer Rating-Verschlechterung konfrontiert. Knapp 150 Banken und nahezu ebenso viele Energieunternehmen wurden herabgestuft. Wenn man das allerdings in Bezug auf die Anzahl der Emittenten bezieht, führen die Automobil- und Medienbranche das Feld an. Mehr als 80% des Auto- und rund 75% der Medienunternehmen wurden bereits zurückgestuft. Neben dem Reputationsverlust gehen für die betroffenen Unternehmen damit auch erhöhte Fremdkapitalkosten einher. Und das wird zusätzlich den Druck auf die Bilanzen erhöhen.

Dienstag, 5. Mai: Geld muss auch zurückgezahlt werden ...

Gerade haben wir die erste Home-Schooling Einheit hinter uns gebracht. Während meine Kinder eine kurze Pause machen, bleibt mir Zeit mich mit den Finanzmärkten näher auseinander zu setzen. Alles wird gut. Das trifft zumindest auf US-Aktien zu, die sich gestern am Tageshöchststand in den wohlverdienten Feierabend verabschiedeten.

Europa hat es weniger gut erwischt. Nach dem saftigen Minus zum Wochenstart sind die Finanzmärkte heute zumindest einmal im grünen Bereich. Diese Kluft wird auch bei einer Betrachtung seit Jahresbeginn deutlich sichtbar. Der S&P 500 verlor 12%, der deutsche DAX mit 21% nahezu doppelt soviel und der österreichische ATX mit 33% nahezu dreimal so viel. Ein Blick auf die Zinslandschaft. Beim Kauf einer 10jährigen Deutschen Bundesanleihe bezahlt der Investor gegenwärtig -0,6%. Das ist um 0,4% mehr als noch zu Jahresbeginn. Das deutsche Bundesverfassungsgericht verkündete heute Vormittag sein Urteil, dass die Anleihenkäufe der EZB zum Teil gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen. Die Auswirkungen sind noch umstritten.

Noch mehr sind die Renditen 10jähriger US-Staatsanleihen gefallen. Aktuell werfen sie eine Rendite von +0,6% ab, das ist um 1,3% weniger als Ende 2019. In Anbetracht dieser Renditen kein Wunder, wenn die Investoren vermehrt in schlechtere Bonitäten drängen. Im April konnten sich Unternehmensanleihen durchaus behaupten und nach den Kursverlusten im März eine anschauliche Wertentwicklung verzeichnen. Viele Unternehmen berichten von der Schwierigkeit, sich in der aktuell schwierigen Lage zu refinanzieren. Ausgenommen davon sind US-Unternehmen mit einem Investment-Grade-Rating. Das sind jene Anleihen, die von Rating-Agenturen mit einer „guten“ Bonität bewertet werden. Im Jahr 2020 haben diese rund 700 Milliarden US-Dollar eingesammelt. Interessanterweise entfielen davon 264 Milliarden allein auf den Monat März, wo die Corona-Krise erst so richtig ausbrach. 2020 wurden damit um 63% mehr emittiert als im Vorjahreszeitraum. Das zeigt zum einen die Robustheit des Investment-Grade Segments und das Vertrauen der Anleger. Für High-Yield Unternehmen ist es deutlich schwieriger. Nur 2% der Neuemissionen kommen aus diesem Bereich.

Allerdings wird der High-Yield Bereich in den nächsten Monaten durch die bevorstehende Herabstufungswelle deutlich anwachsen. Zum anderen ist aber auch festzuhalten, dass sich die Fundamentaldaten der Unternehmen damit verschlechtern. Denn eines ist klar. Am Ende des Tages muss das Geld auch zurückgezahlt werden.

Montag, 4. Mai: Abwechselnd ins Büro und ein Jubiläum

Heute schreibe ich die 50. Kolumne – insofern feiern wir ein kleines Jubiläum. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Passend dazu erleben wir einen Schritt in die Normalität. Ab heute werden meine Frau und ich abwechselnd zwischen Büro und Home-Office hin- und herwechseln. Unsere beiden Kinder, die in unterschiedliche Schulen gehen, sind noch zwei Wochen zuhause. Die Klassen wurden geteilt. In den verbleibenden acht Schulwochen haben unsere Kinder lediglich sechs gemeinsame Schultage. Die Einteilung ist selbst auf Rückfrage nicht verhandelbar. Insofern eine weitere Herausforderung, die in den nächsten Wochen auf uns wartet.

Schwenken wir vom Mikrokosmos meiner Familie in die große, weite Finanzwelt. Die Berichtssaison ist im vollen Gange. Die Gewinne der S&P 500 Unternehmen sind um rund 12% „eingebrochen“. Das ist der stärkste Rückgang seit der Finanzkrise 2007 bzw. 2008. War das schon alles? Im 4. Quartal 2007 gingen die Gewinne um 29% zurück, im 4. Quartal 2008 sogar um 46%. Es gibt aber zu damals einen wesentlichen Unterschied. 2020 sind bisher nur sehr wenige Unternehmen in die Verlustzone abgerutscht. Der große, globale flächendeckende Shutdown fand scheibchenweise statt und begann in vielen Ländern erst im März. In den Ergebnissen sind damit zumindest zwei Monate Normalbetrieb inkludiert.

Im April wurde defacto die Welt heruntergefahren. Insofern ist davon auszugehen, dass gerade das 2. Quartal eine tiefe Kerbe in die Unternehmensbilanzen schlagen wird. Das Ergebnis bekommen wir erst im Juli präsentiert. Normalerweise setzen Analysten die Prognosen bewusst eher tief an. Der Markt freut sich schließlich über positive Überraschungen. Die Gewinnerwartungen für den Index konnten 44 Quartale in Folge die Prognosen übertreffen. 2020 ist diese stolze Serie nun gerissen. Interessant finde ich auch noch einen Vergleich mit der Finanzkrise. Die Gewinne der Unternehmen sind damals auf Indexebene in Europa und Amerika um rund 40% eingebrochen. Die Aktienkurse sind damals um mehr als 50% gefallen. 2020 haben Aktien in der ersten Phase rund 1/3 ihres Wertes verloren, mittlerweile konnten knapp zwei Drittel der Verluste aber schon wieder aufgeholt werden. Der IWF spricht vom größten wirtschaftlichen Einbruch seit den 1930ern. Es würde mich sehr freuen, wenn wir das Schlimmste an den Finanzmärkten bereits gesehen hätten. Überzeugung schaut aber definitiv anders aus.

Sonntag, 3. Mai: Mein Espresso und der Weg der Bohnen

Am Sonntag schlafen meine Kinder normalerweise etwas länger. Ich bin ein notorischer Frühaufsteher und genieße es, ein paar Stunden Zeit zum Nachdenken zu haben. Es ist ein kalter Morgen heute. Gerade lasse ich einen Espresso mit meiner vollautomatischen Kaffeemaschine herunter. Ein wohltuendes Geräusch, wenn das Mahlwerk die Bohnen zerkleinert und eine heiße, schwarze Flüssigkeit in meine Tasse rinnt.

Der Kaffee ist sicher weit gereist, ehe er den Weg in meine Tasse gefunden hat. Kaffee wird in 50 Ländern weltweit angebaut. Der größte Produzent ist Brasilien, der etwas mehr als ein Drittel des weltweiten Rohkaffees produziert. Weltweit leben rund 125 Millionen Menschen von der Kaffeeindustrie.  Viele davon sind Kleinbauern-Familien, die sich durch den Kaffeeanbau ernähren. Diese Familien sind häufig sehr arm und nach Abzug der Produktionskosten bleibt wenig übrig. Bis der Kaffee in die Regale kommt, durchläuft er zahlreiche Zwischenstationen. Am Ursprung, also beim Bauern, der die Bohnen anpflanzt, pflegt und erntet, bleibt nur ein geringer Anteil des Kaffeeumsatzes über. Alleine fehlt oft der Zugang zu den Märkten.

Durch den Zusammenschluss einiger Kaffeebauern zu Verbänden haben sie mehr Möglichkeiten. Sie können sich gegenseitig unterstützen, die Produktqualität durch Erfahrungsaustausch erhöhen und auch gemeinsame Absatzwege finden. Ich kann nur hoffen, dass mein Aufpreis auch wirklich beim Kaffeebauern ankommt. Durchschnittlich bekommen Kaffeebauern weniger als 5 Cent pro Tasse. Die Industriestaaten profitieren von der Produktion in ärmeren Ländern. Spitz formuliert könnte man auch anführen, dass wir unseren Wohlstand auf dem Rücken ärmerer Länder bauen. Das sieht man auch am globalen Fußabdruck. Die Industrienationen verbrauchen die weltweiten Ressourcen innerhalb von lediglich 7 Monaten.

Gemeint sind natürlich dabei nicht alle Ressourcen, sondern der Anteil, der sich innerhalb eines Jahres wieder regenerieren kann. Der Rest geht auf Kosten der Zukunft. Wenn die gesamte Welt den amerikanischen Traum leben würde, würden wir 5 Planeten benötigen. Der sogenannte Erdüberlastungstag ist jener Tag, an dem die Ressourcen verbraucht sind. Im Vorjahr war das Ende Juli der Fall. Zum Zeitpunkt meiner Geburt, also vor etwas mehr als vier Jahrzehnten reichten die globalen Ressourcen noch bis Anfang November. Das sind die Schattenseiten der Globalisierung. Mit der Globalisierung sind definitiv viele Vorteile verbunden. Die Frage muss aber erlaubt sein, ob sie in dieser Form auch zukunftsträchtig ist.

Samstag, 2. Mai: Zum Schutz künftiger Generationen

Heute ist der erste Samstag im Wonnemonat Mai. Da kommt mir die alte Börsenweisheit „Sell in May and go away“ in den Sinn. Ob das auch 2020 ein guter Rat ist, kann ich seriöser Weise natürlich nicht beantworten. Nachdem die Börsen heute ohnehin geschlossen haben, möchte ich mich heute mit dem Thema Moral näher auseinandersetzen.

An den Finanzmärkten gibt es den Begriff Moral Hazard. Damit ist das moralische Risiko oder die moralische Versuchung gemeint. Unternehmen oder Personen können sich aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos verhalten und versuchen, ihren eigenen Gewinn zu optimieren. Ein Beispiel: In den Vorstandsetagen kann das Grundgehalt durch variable Gehaltsbestandteile noch deutlich erhöht werden. Als Vorstand bekommt man normalerweise einen Fünfjahresvertrag. Um das Unternehmen strategisch in die Zukunft zu führen, müssen natürlich auch Risiken eingegangen werden. Problematisch sehe ich es allerdings, wenn nicht die Unternehmenszukunft im Fokus stehen sollte sondern die subjektive Bonus-Optimierung. Das wäre ein klassischer Fall von Moral-Hazard. Die Geschäftsführung geht Risiken ein, die ein schlechtes Chancen-Risiko-Verhältnis aufweisen. Wenn es aber gutgeht, steht ein exorbitant großer Gewinn in Aussicht und damit natürlich auch entsprechende Bonuszahlungen. Es gibt mittlerweile unzählige Studien, dass die Finanzkrise 2008 zumindest teilweise auf Moral-Hazard zurückzuführen ist. In den USA stehen einige Hilfspakete für die krisengeschüttelten Airlines ante portas. In Summe stehen 50 Milliarden Dollar im Raum. Die Airlines haben akute Liquiditätsprobleme und stehen in der Kritik. In den letzten Jahren haben sie 42,5 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe ausgegeben. Das ist analog der Dividende auch eine Art „Aktionärsvergütung“. Es wurde allerdings verabsäumt, Reserven zu bilden. Das Ausmaß der Aktienrückkäufe entspricht nahezu dem staatlichen Hilfspaket. Das Jahr 2020 steht zweifelsohne im Zeichen der Corona-Pandemie. Ein Hilfs- und Rettungspaket jagt das nächste.

Der Begriff Moral-Hazard ist natürlich auch auf politische Entscheidungsträger anwendbar. Der „Bonus“ ist die Wiederwahl und es stellt sich die Frage, wer einem näher steht. Der Wähler von heute oder der Wähler von morgen. Nervös werde ich, wenn ich lese, dass der Generationenvertrag jetzt neu ausverhandelt werden müsse. Insofern ist hierbei sicherlich viel Fingerspitzengefühl von Nöten. Zum Schutz auch künftiger Generationen.

Freitag, 1. Mai: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Heute ist der Tag der Arbeit. Die Ursprünge reichen bis ins Jahr 1856. Damals gab es Massendemonstrationen der Arbeiterschicht, um den Achtstundentag durchzusetzen. 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zum Generalstreik aus, um den Achtstundentag durchzusetzen. Blenden wir nach Chicago auf den Haymarket, wo August Spies am 1. Mai 1886 eine Rede hielt. Es folgte ein mehrtägiger Streik. Ein paar Tage später eskalierte die Gewalt. Nachdem die Polizei eine Versammlung stürmte, warf ein Unbekannter eine Bombe. Das anschließende Gefecht geht als „Haymarket Affair“ in die Geschichte ein. Es wurden mehr als 200 Arbeiter verletzt und knapp 30 Menschen getötet. Die Verschwörer wurden festgenommen und durch den Strang hingerichtet. Im Jahr 1889 wurde der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen.

In Österreich finden die Kundgebungen seit dem Jahre 1890 statt. Die große Veranstaltung am Wiener Rathausplatz fällt heuer aus. 2020 ist anders. Durch die Covid-19 Pandemie werden nicht nur die Mai-Aufmärsche abgesagt, sondern auch die Zahl der Arbeitslosen in schwindelerregende Höhen getrieben. Dazu kommen Kurzarbeit und die Existenzprobleme der Kleinunternehmer. Der globale Shutdown hat uns auch gezwungen, unsere Arbeitsweise zu verändern. Home-Office und Videokonferenzen sind plötzlich salonfähig geworden und wir haben in manchen Bereichen eine brutal steigende Lernkurve erlebt.

Ich bin davon überzeugt, dass sich viele dieser Errungenschaften auch in unserem Arbeitsleben nach Covid-19 wiederfinden werden. Es ist aber auch klar, dass nicht jeder im Home-Office sein Arbeitspensum verrichten kann. In Fabriken kommen immer mehr Industrieroboter zum Einsatz. Diese sind „Corona-resistent“ und benötigen keinen zusätzlichen Schutz. Selbst im Falle eines Shutdowns kann die Produktion weiterlaufen. Für 2020 und 2021 werden rund eine Million Industrie-roboter weltweit installiert. Mehr als zwei Drittel davon in Asien. Es ist davon auszugehen, dass die Durchdringung auch in den Folgejahren weiter ansteigt. Die Arbeitswelt definiert sich gerade neu. Das betrifft sowohl die Arbeitsweise, den Arbeitsort als auch die Arbeitszeit. Die Erfolgszutaten lauten: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Bei aller Problematik ist 2020 damit auch die Chance, einen Veränderungsprozess einzuleiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass das viel Positives mit sich bringen kann. Sowohl für den Arbeitnehmer aber auch für den Arbeitgeber.

Donnerstag, 30. April: Tech-Giganten und eine aggressive Fed

Der April neigt sich dem Ende zu und die Investoren können zufrieden auf die letzten Wochen zurückblicken. Die Finanzmärkte feierten nach den Kursverlusten im März ein beeindruckendes Comeback. Gestern legte Fed-Präsident Powell nochmals nach. Die Fed bleibt klar der aggressiven Linie treu.

Die Tech-Giganten Facebook, Microsoft und Tesla legten nachbörslich überraschend gute Zahlen vor und positive Nachrichten von Gilead Sciences, einem Wirkstoffkandidaten gegen Covid-19, sorgten für kräftigen Rückenwind. Als sichere Häfen für Euro-Investoren fungieren der Schweizer Franken, der US-Dollar, der japanische Yen und der chinesische Renminbi. Gegen diese Währungen wertete der Euro seit Jahresbeginn ab. Gegen alle anderen wesentlichen Währungen konnte der Euro an Wert gewinnen. Besonders stark haben die Ölwährungen, also der russische Rubel und die norwegische Krone, Federn lassen müssen. In der letzten Dekade erlebten wir eine wahre „Asset-Price-Inflation“. Vermögenswerte, ganz egal ob Immobilien oder Wertpapiere, verzeichneten starke Preisanstiege. Und zwar deutlich mehr als die Inflation oder das Wirtschaftswachstum. Der S&P 500 ist in der letzten Dekade fünfmal stärker gestiegen als die US-Wirtschaft. Rund die Hälfte der Performance ist mit Unternehmensergebnissen untermauert. Der Rest basiert auf einer teureren Bewertung und Dividendenausschüttungen. Die Kursanstiege europäischer Aktien war nur halb so groß wie jene von US-Unternehmen.

Bei einem Blick auf die Kontribution wird klar, warum das so ist. Nur 6% der Kursanstiege sind mit Ergebnisverbesserungen zu begründen. Der Rest basiert auf einer teureren Bewertung und der Dividendenauszahlung. Die Umsätze der Unternehmen sind stark gestiegen. Nach der Finanzkrise ist der Anteil der MSCI World Unternehmen, deren Umsätze um mehr als 8% auf Jahresbasis angestiegen ist, von 30% auf über 50% gestiegen. Besonders gut entwickelten sich Tech-Aktien. Die Marktkapitalisierung der im Technologie-Index Nasdaq Comp. gewichteten Unternehmen entspricht in etwa jener des MSCI Worlds exkl. USA. Vor 10 Jahren waren es nur 25%.

Technologieunternehmen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Deren Leitunternehmen gehören längst zu den am teuersten bewerteten Unternehmen der Welt. Wir erlebten ein für Aktien ausgesprochen günstiges Umfeld. Expansive Notenbanken, ein florierendes wirtschaftliches Umfeld, fortschreitende Digitalisierung und ein niedriges Zinsumfeld. Bin schon gespannt, was wir in 10 Jahren über die 2020er Jahre zu berichten haben.

Mittwoch, 29. April: Ein bisschen Normalität kehrt zurück

Heute Nacht wälzte ich mich unruhig hin und her. Irgendwie konnte ich keine Ruhe finden. Aber auch daran habe ich mich in den letzten Wochen gewöhnt. Seit Mitte März sind meine Familie und ich in Isolation. Das ist eine unfassbar lange Periode. Von der Dauer her ist das mehr als 10% des Jahres 2020. Es erfüllt mich mit Freude, dass sich die scharfe Lockdown Phase dem Ende zuneigt.

Wie wird unser Leben in den kommenden Wochen ausschauen? Es fühlt sich irgendwie wie ein Neustart an. Die Herausforderungen bleiben, aber zumindest ein bisschen Normalität kehrt wieder zurück. An Normalbetrieb ist aber sicher noch nicht zu denken und die Spuren der Covid-19 Pandemie werden uns in Form von Mundmasken oder dem Mindestabstand wahrscheinlich noch länger begleiten. Die US-Märkte haben sich am Tagestief in den Feierabend verabschiedet. Der Tech-Gigant Google präsentierte nachbörslich die Quartalszahlen und konnte außerbörslich deutlich zulegen. Die Google-Mutter Alphabet macht trotz der aktuellen Krise Umsatz. Das Ergebnis: Zwei starke Monate zum Jahresbeginn und ein Einbruch der Werbeeinnahmen im März. Aber zumindest etwas besser, als von Analysten erwartet. Auch für das zweite Quartal wird mit einem schwachen Ergebnis gerechnet. Es ist anzunehmen, dass das ein Sinnbild der Berichtssaison sein wird.

An den Finanzmärkten hat im April der Bulle das Kommando übernommen. In den letzten drei Monaten konnten die Branchen Pharma, Technologie und der Lebensmittelhandel den Gesamtmarkt deutlich übertreffen, wohingegen sich die Segmente Banken, Energie und Medien vergleichsweise schlecht entwickelten. Europäische Bankaktien haben in den letzten drei Monaten 24% gegenüber dem Gesamtmarkt verloren und notieren derzeit bei lediglich 40% ihres Buchwertes so „billig“ wie seit 40 Jahren nicht mehr. Durch die Covid-19 Krise wird wieder spürbar mehr eine führende Rolle des Staates eingefordert. Für viele Menschen rücken Solidarität und Sozialstaat in den Vordergrund und verdrängen damit Freiheitsgedanken und die Konkurrenzgesellschaft. Der Staat, der Retter in der Not.

Jüngstes Beispiel: Die Rettung oder doch nicht Rettung der Lufthansa. Besonders „hilfsbereit“ sind die USA.Für heuer wird ein Budgetdefizit von 19,2% erwartet. Zur Erinnerung. Die Stabilitätsgrenze für den Euroraum wurde einst mit einem Defizit von 3% festgelegt. Die Eurozone ist mit einem zu erwarteten Defizit von 9,5% zwar deutlich „konservativer“ als die USA. Mancher „Maastrichter“ wird beim Anblick dieser Zahlen wohl trotzdem unruhig auf seinem Sessel hin und her rutschen.

Dienstag, 28. April: Der ehrliche Weg

Korruption hat es im wirtschaftlichen Leben schon immer gegeben und wird es vermutlich auch immer geben. Grundsätzlich gilt, dass mit zunehmendem Entwicklungsgrad eines Landes die Korruption abnimmt. Die Covid-19 Pandemie stellt uns vor viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme und ist ein Nährboden, auf dem Korruption gut gedeihen kann. Anti-Korruptionsexperten weisen bereits darauf hin, dass die globalen Rettungspakete förmlich dazu einladen, die Rahmenbedingungen etwas zu „strecken“ und zum eigenen Vorteil zu nutzen. Auch die Staatengruppe gegen Korruption (Greco), ein Gremium des Europarates, warnte davor, dass die Korruption im Gesundheitssektor deutlich zunehmen könnte. Das Ausmaß und der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Die Schätzungen belaufen sich auf weltweit eineinhalb Billionen Dollar pro Jahr. Nur 12 Staaten dieser Erde weisen eine höhere jährliche Wirtschaftsleistung auf. Unglaublich, oder? Als Börsianer ist man zwangsläufig auch mit dem Thema Korruption konfrontiert. Spätestens dann, wenn man seine Fühler auch nach den Schwellenländern ausstreckt.

Ein Emerging-Markets-Anleihen-Fondsmanager hat mir erzählt, dass der Kupon einer Anleihe Ende der 1990er Jahre auf dem Weg zur Auszahlungsstelle „gestohlen“ wurde. Der Fonds und damit seine Investoren fielen um die Zinszahlung um, da sich irgendwer die Zinszahlung eingesteckt hatte. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie fassungslos der Fondsmanager gewesen sein muss, als er davon erfuhr. 2020 ist das undenkbar. Wobei ich mich selbst korrigieren muss. Undenkbar ist an den Finanzmärkten gar nichts. Das haben wir spätestens 2020 gelernt. Als Investor muss man aber nicht zwangsläufig in Unternehmen von Schwellenländern investieren, um vom höheren Wirtschaftswachstum profitieren zu können.

Durch die Globalisierung sind die großen Unternehmen dort tätig, wo sie erhöhtes Wachstum und Geschäftspotenzial sehen. Die MSCI World Unternehmen erwirtschaften mehr als 20% ihrer Umsätze in Schwellenländern. Der Unternehmenssitz ist aber in einem Industrieland und als Investor genieße ich damit die erhöhte Rechtssicherheit. Das Thema Korruption wird man wahrscheinlich nie eliminieren können. Auch wenn es für den einen oder anderen naiv klingen mag, bin ich der festen Überzeugung, dass langfristig nur der ehrliche Weg zum Erfolg führen wird.

Montag, 27. April: "Bullischer Start" in die Börsenwoche

Neue Woche, neues Glück. Heute erleben wir einen bullischen Start in die Börsenwoche. Die Covid-19 Zahlen sind weiter rückläufig und viele Länder wälzen Pläne, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Selbst im krisengeschüttelten New York sollte es langsam wieder losgehen. In den frühen Morgenstunden hat zudem die japanische Notenbank verkündet, weiterhin aggressiv japanische Staatsanleihen zu kaufen. Und zwar ab sofort auch ohne Limit.

In dieser Woche stehen außerdem noch Sitzungen der US-Fed am Mittwoch und der EZB am Donnerstag auf der Agenda. Auch die Berichtsaison nimmt so richtig Fahrt auf. Heute Morgen starteten bereits die Deutsche Bank und Bayer mit Zahlen über den Erwartungen, wohingegen Adidas verlautbaren musste, dass das Ergebnis um 93% eingebrochen sei. Im Laufe der Woche folgen u.a. noch die Tech-Granden Google, Amazon und Apple sowie BASF oder auch die Erste Bank. Analysten gehen davon aus, dass die Erträge in Europa heuer um 45% einbrechen werden. 2021 wird eine Erholung von 40% erwartet.

Blöderweise allerdings von einer niedrigeren Basis. Der negative Zinseszinseffekt sozusagen. Wenn das zutrifft, liegen wir 2021 immer noch 23% unter dem 2019er Ergebnis. Bis wir das Vorkrisenniveau erreichen, dürfte also noch viel Wasser die Mur hinunterfließen. Ein Blick über den Atlantik. Für US-Unternehmen wird mit einem Gewinneinbruch in der Höhe von 33% gerechnet. Wenn die Gewinne im Folgejahr um 55% steigen, wären US-Unternehmen im Gegensatz zu den europäischen Unternehmen wieder über dem Vorkrisenniveau.

Die Divergenz ist im Wesentlichen mit der unterschiedlichen Branchenstruktur zu begründen. An den Börsen dominieren der Bulle und der Bär das Geschehen. Woher die symbolischen Begriffe, die seit Jahrhunderten so eng mit den Börsen verwoben sind, wirklich stammen, ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Es könnte daran liegen, dass der Bär von oben nach unten schlägt und der Bulle mit seinen Hörnern von unten nach oben stößt. Einen weiteren Erklärungsversuch liefert der spanische Autor Don Joseph de la Vega, der im Jahre 1688 das wohl älteste Buch der Börse schrieb.

Der Autor fühlte sich beim Besuch der Börse in Amsterdam an südamerikanische Stierkämpfe erinnert, die in manchen Arenen Bullen gegen Bären antreten ließen. Der Titel des ältesten Börsenbuches der Welt lautet: Die Verwirrung der Verwirrungen. Manche Dinge ändern sich anscheinend nie. Besser könnte man wohl auch die Geschehnisse des Jahres 2020 kaum zusammenfassen.

Sonntag, 26. April: Eine unfassbar große Zahl ...

Heute ist Sonntag. Zeit für ein kurzes Resümee. Japan zeigt es uns seit Ende der 1980er Jahre vor. Uns erwartet ein Umfeld aus tiefen Zinsen, niedrigen Wachstumsraten und geringer Inflation.Für Investoren gestaltet sich das Umfeld besonders schwierig. Schließlich gilt es am Ende des Tages ja immer noch, Erträge zu erwirtschaften. Der gesamte Anleihenmarkt beläuft sich auf knapp 100 Billionen US-Dollar. Das ist mehr als die jährliche Weltwirtschaftsleistung oder dem fünffachen BIPs der EU. Eine unfassbar große Zahl.

Der größte Anteil, also etwas mehr als zwei Drittel des Gesamtvolumens, entfällt auf Staatsanleihen. Tendenz stark steigend. Rund 25% der Staatsanleihen weisen gegenwärtig eine negative Rendite auf. Für mehr als 80% der Staatsanleihen wird der Investor mit weniger als 1% entlohnt. Das alles natürlich vor Kosten und Steuern. Insofern wenig verwunderlich, dass verstärkt in Risikoinvestments gedrängt wird. Der Grenznutzen weiterer Zinssenkungen der Notenbanken tendiert gegen Null. Es ist daher zu erwarten, dass diese mit „alternativen“ Maßnahmen, wie Anleihenkäufen den Markt zu stützen versuchen. Die Bank of Japan (BoJ) ist mittlerweile sogar schon bereit, Aktien zu kaufen. Die G-3 Notenbanken, also die US-Fed, die EZB und die BoJ haben seit Februar ihre Bilanzsummen um über 3 Billionen US-Dollar aufgeblasen. Besonders aktiv war die amerikanische Notenbank, die Ihre Bilanzsumme seit Februar um 50% erhöht hat. Da sprechen wir immerhin von stolzen 2,2 Billionen US-Dollar. Japan nähert sich mittlerweile einer Verschuldungsquote in Relation zum BIP von 250% an. Ein Großteil wird von der eigenen Notenbank sowie heimischen Investoren gehalten.

Der Aktienmarkt konnte bereits die Hälfte der Covid-19 Verluste aufholen. Die Analysten haben die Gewinnerwartungen in den letzten Wochen deutlich zurückgenommen. Und zwar viel schneller als noch zu Zeiten der Finanzkrise 2008. Die Rezession, der massive Anstieg der Arbeitslosenzahlen und die Auswirkungen der Covid-19 Krise auf die Konsumenten wird eine tiefe Kerbe in die Unternehmensbilanzen schlagen. Wenn man als Investor langfristig den realen Geldwerterhalt bewerkstelligen will, wird man an einem Aktieninvestment wohl nicht vorbeikommen. Selbst dann, wenn sich die gegenwärtig neutrale Bewertung aufgrund der zu erwarteten Gewinneinbrüche verteuern sollte. Abschließend noch ein Blick zu den Rohstoffen. Das Gold erfreut sich als „Kriseninvestment“ großer Beliebtheit und erreichte diese Woche auf Euro-Basis ein neues Allzeithoch.

Samstag, 25. April: Irgendwie gruselig, meinen Sie nicht auch?

Diese Woche verdonnerte die deutsche Finanzaufsicht Bafin den weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock zu einer Geldstrafe. Der Konzern habe gegen gesetzliche Meldeschwellen bei der Stimmrechtsabgabe verstoßen. Die Strafe: 744.000 Euro. Das dürfte BlackRock aus der Portokasse bezahlen. Die Investment-Branche ist massiv im Umbruch. Seit gut 10 Jahren erfreuen sich sogenannte Index-Fonds oder ETF’s großer Beliebtheit. Nachdem es über längere Zeiträume nur sehr wenigen Fondsmanagern gelingt, nachhaltig nach Kosten den Referenzindex zu übertreffen, greifen immer mehr Investoren auf die kostengünstigere Variante zurück.

Der Index-Anbieter hat die Aufgabe, den Gesamtmarkt abzubilden. Der mit Abstand größte Anbieter ist BlackRock Inc (iShares), die Ende 2019 rund $7,0 Billionen verwalteten. Dahinter folgen Indexpionier Vanguard mit $5,6 Billionen und State Street mit $2,9 Billionen auf den Plätzen zwei und drei. In Summe verwalten die Big-Three, die rund 80% des Marktes repräsentieren, rund $15,5 Billionen. Damit werden bereits 30% der Aktienvolumina passiv veranlagt. Das Geschäftsmodell ist einfach. Die Anleger geben den Investmenthäusern Geld, die dieses in Aktien veranlagen und den Index nachbilden. Dafür erhalten sie eine Managementgebühr. Durch die massiven Zuflüsse der letzten Jahre ist auch der Einfluss deutlich gestiegen. Die großen Big-Three halten rund 22% der S&P 500 Unternehmen. Im Vergleich dazu betrug der Anteil 2008 „nur“ 13,5%. Der Einfluss steigt mit jedem zusätzlichem Veranlagungsdollar. Die Investmenthäuser können beispielsweise durch die Ausübung der Stimmrechte die Unternehmensstrategie maßgeblich beeinflussen. Auf den Hauptversammlungen können eigene Vertreter in den Aufsichtsrat gesetzt oder auch Vertrauenspersonen in der Chefetage platziert werden. Ein breites Aktienportfolio besteht aus vielen Unternehmen unterschiedlicher Branchen, die in vielen Ländern dieser Welt ihre Geschäfte machen.

Durch die Vernetzung dieser Unternehmen halten die Big-Three ein flächendeckendes, global wirkendes Steuerungsinstrumentarium in den eigenen Händen. Was passiert, wenn die Investmentgesellschaften bei zwei konkurrierenden Unternehmen wesentliche Anteile halten? Wem fühlen sich die Vorstände bei kritischen Entscheidungen verantwortlich? Dem Aktionär oder doch Indexanbieter? Was passiert bei Übernahmen, wenn einem sowohl der Übernehmer als auch das Übernahmeziel zu wesentlichen Anteilen gehören? Das sind nur exemplarische Fragen, die weit über wirtschaftliche Aspekte hinausgehen. Irgendwie gruselig, meinen Sie nicht auch?

Freitag, 24. April: Einstimmung auf schwere Zeiten

Zwei Frauen bewegen die Märkte. Da wäre zum einen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel., die den Appell an die EU-Mitglieder richtete, in großen Dimensionen zu denken. Die Finanzmärkte nahmen es wohlwollend zur Kenntnis. Wenn selbst die konservative Angela Merkel bereit ist, die Geldschatulle noch weiter zu öffnen, steht weiteren Hilfspaketen nichts mehr im Weg. Und dann hätten wir noch Christine Largarde, ehemalige Direktorin des IWF und seit November 2019 Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Largarde stimmte die EU Minister auf schwere Zeiten ein und deutete an, dass die EU Wirtschaft um bis zu 15% einbrechen könnte.

Ein Blick aus dem Fenster und ich sehe einen Bauern mit dem Traktor über seine Wiese fahren. Einer der größten Traktorenproduzenten ist Deere. Normalerweise verlässt alle 3 Minuten ein Traktor das Förderband. Aktuell „nur“ alle 8 Minuten. Das hängt sowohl mit dem Shutdown aber auch mit den erhöhten Sicherheitsanforderungen zusammen.

Passend dazu wurde auch der Einkaufsmanager-Index (PMI) für Europa veröffentlicht. Hier werden die Einkaufsmanager (Purchasing Manager) über ihre Einschätzung befragt und das Ergebnis auf einer Skala von 0 bis 100 aufgetragen. Alles über 50 bedeutet eine Expansion, alles unter einem Wert von 42 eine Rezession. Das Positive vorab. Viel tiefer können die PMIs nicht mehr fallen. Einer Trendumkehr steht also nichts mehr im Wege. Der Europa-Einkaufsmanager-Index für Dienstleistungen liegt im April bei 13,5 Punkten. Im März lag er noch bei 29,5 Zählern. Etwas besser ist die Stimmung beim verarbeitenden Gewerbe. Die Stimmung bei den Dienstleistungsunternehmen ist wenig verwunderlich zappendüster.

Heute Vormittag wurde auch der IFO Geschäftsklima-Index, einer der bedeutendsten Frühindikatoren Deutschlands, veröffentlicht. Die Münchner Wirtschaftsforscher kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Der Index stürzt auf ein historisches Tief. Ölfirmen sind nach wie vor stark unter Druck. Für eine Refinanzierung müssen Unternehmen aus dem High-Yield Bereich gegenwärtig rund 15% berappen. Das ist um 6% mehr als Unternehmen anderer Sektoren mit vergleichbarer Kreditwürdigkeit. Seit Jahresbeginn hat sich der Aufschlag für Energietitel im Vergleich zum Gesamtmarkt versechsfacht. Wenn das so weitergeht würde es mich nicht wundern, wenn bei dem einen oder anderen Ölunternehmen trotz der Hilfspakete das Licht ausgeht.

Donnerstag, 23. April: Rückeroberung und historische Einbrüche

Heute habe ich mein Arbeitszimmer von meinem Sohn zurückerobert. Es ist wohltuend, wieder auf meinem angestammten Platz zurückkehren zu können. Mein Schreibtisch steht am Fenster mit Blick ins Grüne. Die Sonne scheint auf die Bäume des Waldes. Normalerweise verbringen wir um diese Zeit ein schönes, verlängertes Urlaubswochenende im Warmen. Das können wir uns, wie so viele andere Menschen, bis auf weiteres abschminken.

Wir Konsumenten sind eine tragende Säule der Wirtschaft. In den USA sind gut zwei Drittel des BIPs auf den Konsumenten zurückzuführen. Durch Covid-19 wird das Konsumverhalten nachhaltig beeinträchtigt. Laut einer aktuellen Umfrage von McKinsey wollen die Konsumenten in vielen Ländern in der nächsten Zeit weniger konsumieren. Besonders eng schnallen den Gürtel die Kanadier, die den Konsum um 40% zurückschrauben wollen. Es gibt aber auch ein paar Ausnahmen. Menschen in Indien, China oder auch Portugal planen in den nächsten Wochen etwas mehr zu konsumieren. Die Frage stellt sich damit, welche Branchen neben dem Tourismus am stärksten betroffen sind. Dazu gehört die gesamte Leistungskette. Also von der Airline bis hin zur Bar in der Nachbarschaft. Der US-Tourismus wird im April im Vergleich zum Vorjahr um 87% weniger einnehmen! Es ist davon auszugehen, dass selbst im Dezember die Einnahmen noch zumindest um ein Drittel unter dem Vorjahresergebnis liegen werden. Für 2020 dürfte sich der Gesamtverlust der Branche auf eine halbe Billion belaufen. Das ist mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung Österreichs. Apropos BIP: Das Wifo schärft nach und erwartet den historisch höchsten Wirtschaftseinbruch in Kombination mit einer Rekordarbeitslosigkeit. Schwer getroffen und angeschlagen ist auch die Industrie. Das reicht vom Automobilsektor bis hin zu Maschinenbauunternehmen.

Zu den Gewinnern zählt mit Sicherheit die Digitalwirtschaft. Alles, was hilft, kontaktlos zu arbeiten, boomt. In den letzten Wochen haben wir uns an Videokonferenzen und Webinare gewöhnt und unsere digitale Kompetenz stark verbessert. Auch die Medizintechnik gehört zu den Gewinnern. Rund um den Globus wird versucht, medizinische Güter zu horten und die Lager aufzufüllen.

Durch den globalen Shutdown wird auch mehr in die eigene „Home-Entertainment-Infrastruktur“ investiert. Also alles quasi vom Flatscreen bis zur Dolby Surround Anlage. Resümierend ist festzuhalten, dass nahezu keine Branche von der Covid-19 Krise verschont bleibt. Aufgrund der deutlich gesunkenen Nachfrage sind auch die Inflationserwartungen in Europa auf ein neues Allzeittief gefallen. Der Markt rechnet also wenig überraschend mit einer tiefen Rezession.

Mittwoch, 22. April: Willkommen in der Realität

Irgendwie komme ich mir vor wie in einem Schlaraffenland. Free Money, Free Debt und jetzt auch noch Free Oil. Wow! In den USA werden zudem diese Woche auch noch die 1200 US-Dollar Checks verteilt, um die Bürger beim Konsum zu unterstützen. Klingt irgendwie nach einem surrealen Fantasy Film, oder? Aber nein, willkommen in der Realität des Jahres 2020. Der Ölpreis dominiert die Schlagzeilen. Die Lager platzen aus allen Nähten und es will und will sich einfach kein Käufer für das Öl finden. Durch den globalen Shutdown ist die Nachfrage um ein Drittel eingebrochen. Bereits im März waren mehr als 76% der Lagerflächen belegt. Tendenz stark steigend.

Ein Öltanker kostete im Februar noch 20.000 Dollar pro Tag. Mittlerweile hat sich der Tagessatz mehr als verzehnfacht. Der Ölpreis ist ein guter Konjunktur-Frühindikator. Der Juni Kontrakt fiel gestern um fast 25% und erhöht damit den Druck auf die Ölländer und Energieunternehmen weiter. Für ein ausgeglichenes Budget brauchen z.B. Saudi Arabien einen Ölpreis von 85 oder der Iran von 65 US-Dollar. US-Präsident Trump verspricht, der US-Ölindustrie mit Geldern unter die Arme zu greifen. Die USA sind mittlerweile vor Russland und Saudi-Arabien der größte Erdölförderer der Welt. Fracking sei Dank. Bei diesem Vorgang wird unter hohem Druck ein Gemisch aus Sand, Wasser und Chemikalien in den Boden gepresst, um Erdöl aus undurchlässigen Gesteinsschichten fördern zu können.

In Deutschland und Österreich sowie in vielen anderen Ländern auch, ist dieser Vorgang aus umweltspezifischen Aspekten ein absolutes No-Go. Für die US-Wirtschaft bedeutet Fracking Unabhängigkeit von den Ölstaaten. Die Ölproduzenten können aufgrund des drastischen Ölpreisverfalls aber nicht einfach die Leitung zudrehen und auf bessere Zeiten warten. Die Produktion läuft munter weiter. Der Preis pro Liter Barrel variiert je nach Bodenbeschaffung und liegt bei zumindest 40 US-Dollar. Beim aktuellen Ölpreiskurs natürlich ein brutales Verlustgeschäft. 2020 ist irgendwie anders. Ich trinke einen Schluck von meinem morgendlichen Espresso. Wunderbar. In jungen Jahren war der Espresso ein beliebter Muntermacher nach einer langen Nacht.

Irgendwie kommt es mir vor, als würde ich an den Finanzmärkten 2020 auch ein berauschendes Fest erleben. Es macht einen Mega-Spaß. Ein Bier geht noch, kein Problem. Ein Hilfspaket hier, ein Rettungsschirm dort. Und die Party geht weiter. Selbst mit dem Wissen, dass man den Kater nach einer durchzechten Party-Nacht am Morgen danach furchtbar bereuen wird.

Dienstag, 21. April: Contango beherrscht die Terminmärkte

Irgendwie sollte ich mich bereits daran gewöhnt haben, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben. Es ist früh am Morgen und ich kann es immer noch nicht ganz glauben, was gestern an den Terminbörsen passiert ist.War es nur ein Traum oder hat der Ölpreis wirklich bei Minus 18,20 Dollar je Barrel notiert? Was ist da abgegangen?

An den Terminbörsen werden Waren und Rohstoffe in Kontrakten gehandelt. Bei dem konkreten Fall handelt es sich um einen Kontrakt, der eine physische Öllieferung für den Monat Mai vorsieht. Dabei handelt es sich um einen Future, also ein unbedingtes Termingeschäft. Die Ware muss also auch wirklich geliefert werden. Es fand sich kein Käufer und der Verkäufer musste dem Käufer sogar Geld dafür bezahlen, dass er ihm den Kontrakt abnimmt. Keine schlechte Sache - oder? Der Käufer bekommt ein paar Barrel Öl und obendrein noch einen Patzen Geld dazu. Aufgrund der aktuellen Situation gibt es ein Überangebot an Öl und eine stark fallende Nachfrage. Dadurch sind die Lagerhäuser gerammelt voll. Die Terminmärkte werden von Contango beherrscht. Das ist wider Erwarten nicht der Name eines Westernhelden. Damit wird ein Marktumfeld beschrieben, in welchem die Ölpreise ansteigen, je weiter ihre physische Auslieferung in der Zukunft liegt. Ein klares Signal für eine besonders schwache Nachfrage und ein Überangebot.

Ich trinke einen Schluck von meinem Espresso. Gut, dass sich 2020 ein paar Gewohnheiten nicht ändern. Plötzlich muss ich schmunzeln, als mir eine Erinnerung aus längst entfernten Tagen in den Sinn kommt. Meine Kinder würden von einer prähistorischen Zeit sprechen. Wir schreiben das Jahr 1999. Ich war ein junger Händler und habe für einen Kunden einen Ölkontrakt gekauft. Ein paar Tage vergingen. An einem Vormittag erhielt ich einen Anruf, der mich leicht in Panik versetzte. Am anderen Ende der Leitung war ein Broker, der mich darüber in Kenntnis setzte, dass die Barrel Öl in Rotterdam eingetroffen wären und auf einem Öltanker auf ihre Abholung warten. Wie bitte? Was soll das denn? Der Fälligkeitstermin ist doch erst in einem Monat. Der Broker klärte mich auf, dass der zugrundeliegende Kontrakt auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Lieferung ermöglichte. Nachdem der Öltanker bereits frühzeitig eingetroffen ist, macht der Verkäufer davon Gebrauch und mein Kontrakt hat bei der Verlosung „gewonnen“. Na bumm. Wo bekomme ich jetzt einen Lagerplatz in Rotterdam her? Zum Glück hilft mir der Broker aus der Patsche. Mit einer kleinen Abschlagszahlung natürlich.

Montag, 20. April: Wie weggewischt?

Heute startet die sechste Woche der Corona-Auszeit. Es fühlt sich aber nicht nach einem typischen Montagmorgen an, wo wir uns als Familie nach einem Wochenende trennen und jeder seine eigenen Wege geht. Die Kinder in die Schule. Meine Frau und ich zur Arbeit. Loslassen und wieder zusammenfinden funktioniert dieser Tage nicht. Neben dem Home-Office und Home-Schooling kommt noch die Herausforderung dazu, die Laune hoch zu halten und einen Lagerkoller zu vermeiden.

An den Börsen ist von Lagerkoller keine Spur. Nachdem die Investoren im März große Volumina aus den Märkten herausgezogen haben, kam es im April zu einer Trendwende und deutlichen Zuflüssen. Das betrifft vor allem auch Risikoinvestments wie Aktien oder High-Yield Anleihen. Es scheint anscheinend wieder die Zeit für den „Risk-On“ Modus gekommen zu sein. Alle anderen Themen wie der globale Abschwung, einbrechende Unternehmensgewinne, massenhafter Anstieg der Arbeitslosigkeit oder die Tatsache, dass viele Unternehmer ums Überleben kämpfen, scheinen wie weggewischt. Europäische Indizes sind rund 20% seit Jahresbeginn im Minus. Ausgenommen der ATX, der rund einen Drittel des Wertes einbüßte. Besser entwickelten sich amerikanische Indizes wie z.B. der S&P 500, der 15% verlor. Der technologielastige Nasdaq 100 Index konnte sich im letzten Monat um 26% erholen und kann damit seit Jahresbeginn sogar ein kleines Plus aufweisen. 2020 ist wirklich anders.

An den Aktienbörsen sind FAAAM-Aktien der große Renner. Damit sind Facebook, Apple, Amazon, Alphabet (Google) und Microsoft gemeint. Diese fünf Unternehmen sind im S&P 500 am stärksten gewichtet und repräsentieren 22% des Gesamtindex. Für die anderen 495 Unternehmen verbleiben 78%. Dadurch ergibt sich eine Gewichtungskonzentration. Während FAAAM-Aktien mit durchschnittlich 4,4% gewichtet werden, wird der verbleibende Rest durchschnittlich mit 0,15% gewichtet. Die Gewichtungskonzentration der Top-5 Titel hat sich damit seit 2015 verdoppelt. Man könnte damit spitz von einer „Scheindiversifikation“ sprechen. Interessantes Detail am Rande. In der Blüte der Internet-Bubble im Jahr 2000 betrug die Gewichtung der Top-5 Titel 18% des Gesamtmarktes. Die Highflyer 2000 waren Microsoft, GE, Cisco, Intel und Walmart. Mit Microsoft gab es damit nur einen „Überlebenden“. Die Karten werden ständig neu gemischt. Und der Gewinner von heute kann der Verlierer von morgen sein.

Sonntag, 19. April: Die Druckerpresse einst und heute

Als Kind und Jugendlicher unterhielt ich mich sehr gerne mit meiner Oma. Sie besaß die Gabe, historische Ereignisse unterhaltsam aus ihrer Wahrnehmung heraus zu beschreiben. Meine Oma wurde 1916 geboren und hat wahrlich einiges erlebt. Dieser Tage verfolgt mich ein Satz aus einer ihrer Erzählungen. „Heute kann man sich um das Geld ein Haus kaufen, morgen vielleicht nur mehr einen Leib Brot.“ Geldentwertung, davor fürchten sich auch 2020 viele Menschen. Meine Oma mag es zugegebenermaßen etwas pointiert formuliert haben, aber die Aussage trifft des Pudels Kern.

Einem Zeitzeugenbericht nach hat ein Café-Hausbesucher zwei Tassen für je 5.000 Mark getrunken. Die Rechnung belief sich allerdings auf 14.000 Mark. Lapidare Begründung des Kellners: Die Preise werden laufend angepasst und gemäß dem Zeitpunkt der Bestellung verrechnet! Die Inflation betrug damals zigtausend Prozent. Nicht pro Jahr, sondern pro Monat! Die Weichen wurden bereits mit dem Ersten Weltkrieg gelegt, als man die Kriegskosten mit dem Anwerfen der Druckerpresse finanzierte. Zudem wurden Anleihen im großen Stil vergeben. Die Staatsschulden schossen von 5 Milliarden auf 156 Milliarden in die Höhe. Die Konsequenz: Zu viel Geld trifft auf zu wenig Ware. Und das führt zwangsläufig zu inflationären Tendenzen. Zu Beginn profitierte man durch die Geldentwertung. Schließlich konnte man „billiger“ exportieren. Das kurbelte die Wirtschaft noch einmal deutlich an. Die ausufernde Verschuldung sorgte aber für zunehmenden Druck.

Die verhängten Reparationszahlungen an die Kriegsgewinner taten das übrige und angerichtet war der gefährliche „Hyperinflationscocktail“. Das Ausland verlor zusehends das Vertrauen. Ende 1922 bekam man für einen Dollar 2.000 Mark, im April 1923 waren es 20.000 Mark und im August über eine Million! Um das auszugleichen, wurde weiter gedruckt! Niemand glaubte mehr an den Wert des Papiergeldes. Was wirklich zählte sind Sachwerte. Das Ganze mündete in einer Währungsreform. Was unterscheidet uns 2020 von damals? Durch die niedrigen Zinsen werden die Staatsbudgets nur bedingt belastet. Notenbanken und Staaten kämpfen Schulter an Schulter gegen die Krise. Und das Wichtigste zum Schluss: Wir vertrauen darauf, dass wir uns mit unserem Geld auch morgen noch etwas kaufen können. Und genau auf diesen Schatz müssen wir besonders achten!

Samstag, 18. April: Die Tage verschwimmen ...

Heute ist Samstag. Wunderbar. Normalerweise wäre es die optimale Zeit für einen Familienausflug. Für mich ist das eine wertvolle Zeit. 2020 ist aber irgendwie anders. Die Tage verschwimmen und es gibt wenig Unterschiede zu einem normalen Wochentag. Ausgenommen natürlich, dass die Börsen zu haben. Es ist an der Zeit, etwas zutiefst Männliches zu tun. Mein Griller, Kohle, Anzünder, meine Terrasse und ich. Evolution pur.

Während ich um die Mittagszeit den Griller anheize, kommt mir die letzte Forbes-Liste der Superreichen in den Sinn. Es gibt weltweit 2.095 Milliardäre. Angeführt wird das Ranking mit einem geschätzten Vermögen von 139 Milliarden US-Dollar von Jeff Bezos, dem Gründer von Amazon. Die letzten zwei Monate waren auch für Superreiche hart. Die 100 reichsten Menschen verloren mehr als 400 Milliarden US-Dollar. Zum erweiterten Kreis der Superreichen gehören Menschen, die mehr als 30 Millionen US-Dollar ihr Eigen nennen können. Das sind weltweit immerhin 500.000 Menschen. In der dritten Kategorie der Reichen werden jene 50 Millionen Menschen angeführt, die über ein Vermögen von mehr als 1 Million US-Dollar verfügen. Als Börsianer interessiert mich, wie die Reichen ihr Vermögen verteilt haben. Man will ja schließlich etwas lernen. Die Asset-Allocation wird von Immobilien (27%) und Aktien (23%) dominiert. Der Anteil von Anleihen (17%), Cash (11%), Private Equity (8%) Gold (3%) oder Kryptowährungen (1%) ist deutlich geringer.

Während ich unsere Würstel umdrehe, kommt mir der Gedanke, dass es offensichtlich deutliche Unterschiede zur Gesamtbevölkerung gibt. Reiche scheuen sich nicht vor einem gewissen Risiko. Mehr als ein Drittel des Portfolios ist in Risikokapital investiert. 10 Millionen oder 12% der Deutschen investieren zumindest einen Teil ihres Vermögens in Aktien oder Aktienfonds. Auch der Österreicher setzt überwiegend auch auf liquide Anlageformen und nimmt dabei selbst negative reale Erträge in Kauf. Das ist kurzfristig betrachtet irrelevant. Der Zinseszins schlägt mit jedem Tag mehr zu und vergrößert damit die Kluft zu den Superreichen. Ein rohes Würstel, das den Weg nicht auf den Griller findet, wird zwar nie anbrennen, aber so richtig genießen werden es auch nur die wenigsten können. Es benötigt seine Zeit, um es zu bräunen. Mit meiner laienhaften Grillkompetenz lege ich mehrere Würstel verteilt auf den Griller. Dann kann ich auch einmal ein kohlrabenschwarzes verkraften, ohne ein Problem mit den hungrigen Mäulern zu bekommen.

Freitag, 17. April: Turbulenter Tag, kurze Nacht

Der Tag war turbulent, die Nacht war kurz. Es ist fünf Uhr morgens. Ich stehe auf unserer Terrasse und genieße die kalte Morgenluft. Der morgendliche Espresso ist eine wahre Wohltat. In meinen Gedanken rekapituliere ich nochmals die Ereignisse des gestrigen Handelstages. Es war verdammt viel los. Da wären einmal die US-Arbeitslosenanträge, die die letzten drei Wochen für historische Ausschläge und damit für Aufsehen gesorgt haben. Diesmal waren es „nur“ mehr 5,2 Millionen Menschen, die in der letzten Woche ihren Erstantrag auf Arbeitslosenunterstützung gestellt haben.

Die US Wirtschaft hat damit allein in den letzten vier Wochen 23 Millionen Arbeitsplätze verloren. Das sind mehr Jobs, als in den letzten 10 Jahren geschaffen werden konnten. Argentinien nimmt für einen Börsianer eine besondere Rolle ein. Und damit meine ich jetzt nicht unbedingt als Urlaubsdomizil. Argentinien ging schon öfters pleite. So zum Beispiel auch nach der schwersten Wirtschaftskrise 2001/02. Die meisten Investoren hatten auf 70% ihrer Forderungen verzichtet. Wenn aber nicht alle mitziehen, droht ein jahrelanger Rechtsstreit. Ein wahres Paradies für Hedge-Fonds, die Anleihen am Markt um einen Bruchteil des Forderungswertes aufkaufen, sich gegen die Einigung stemmten und auf eine vollständige Rückzahlung pochten. Insofern hat Argentinien Tradition. Also wenig verwunderlich, dass angesichts der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise Wirtschaftsminister Guzman einen 37,9%igen Schuldenschnitt vorschlägt. Die Investoren haben den Friseursalon bereits betreten, Platz genommen und damit kann der „Hair-Cut“ beginnen. Staatspleiten waren in der Historie absolut nichts Außergewöhnliches.

Die Liste der Länder, die schon einmal eine Pleite erleben mussten, ist lang. Auch Deutschland blieb davon nicht verschont. 1953 handelte der damalige Kanzler Konrad Adenauer mit 20 Staaten das Londoner Schuldenabkommen aus. Aber auch andere große Länder wie England, China, Spanien, Frankreich, Dänemark und Österreich finden sich auf der Liste wieder. Notenbanken halten die Zinsen bewusst tief, aber es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Jahren der eine oder andere Name dazukommt.

Donnerstag, 16. April: Anspannung, Faszination, Nervosität

Die Freude währte nur kurz. Mit einem Tag Verspätung gingen die Aktienmärkte doch noch in die Knie. Die Börsen verzeichneten den stärksten Wochenanstieg seit 1974. Das konnten selbst die größten Optimisten nicht mit dem düsteren Wirtschaftsausblick des IWF in Einklang bringen. Als Börsianer fühlt man sich dieser Tage wie auf einer Achterbahnfahrt im Wiener Prater. Unter lautem Gekreische geht es mal rauf, mal runter. Dabei erlebe ich eine intensive Phase aus Anspannung, Faszination gepaart mit einer Prise Nervosität. Im Unterschied zu einer Achterbahnfahrt ist der Spuk an den Börsen aber nicht schon nach kurzer Zeit wieder vorbei. 2020 ist irgendwie anders.

Die internationalen Fondsmanager sind äußerst vorsichtig und haben die höchsten Cash-Quoten seit dem 11. September 2001. Die Berichtssaison ist im vollen Gange. Die vergangenen beiden Tage standen die großen US-Banken im Fokus. Das Kapitalmarktgeschäft läuft gut. Die Risikovorsorge steigt bei vielen auf das Niveau der Finanzkrise. Kein Wunder, dass Bankaktien deutliche Verluste hinnehmen mussten. Durch den Druck am Arbeitsmarkt mussten bereits 4% der Kreditnehmer ihre Hypothekenzahlungen einstellen. Das Kreditgeschäft ist seit jeher das Kerngeschäft des Bankwesens. Die Ursprünge liegen im 14. Jahrhundert in Florenz. Damals wurde das Bankgeschäft noch von den Häusern Bardi, Peruzi und Acciaiuoli dominiert. Die Medicis waren Devisenhändler und Mitglied der Gilde der Geldverleiher. Sie wurden abwertend „banchieri“ genannt, da sie ihre Geschäfte auf Bänken abwickelten, die hinter - auf der Straße - aufgestellten Tischen standen.

Die erste Medici-Bank wurde 1348 von Vieri di Cambio de‘ Medici gegründet. Damit wurde aus dem Bankerlsitzer ein Bankier. Als sich Edward III., einer von zwei Hauptschuldnern, einfach weigerte, seine Schulden zu begleichen, trieb er die Traditionshäuser in den Ruin. Zu groß war das Klumpenrisiko. Ein Ausfall und alles war dahin. Die Medicis haben aus den Fehlern der Konkurrenz gelernt und setzten auf Risikostreuung. Das war die Geburtsstunde einer Dynastie, die Italien über mehrere Jahrhunderte prägen sollte. Für mich ist Diversifikation noch immer ein wesentlicher Eckpfeiler. Nicht nur für einen Börsianer sondern auch für jeden Unternehmer.

Mittwoch, 15. April: Haare schneiden und Schuldenberge

Heute Morgen. Es ist noch dunkel und kalt. Schlaftrunken reibe ich mir die Augen und gehe ins Bad. Ein Blick in den Spiegel verrät mir, dass irgendetwas nicht normal ist. Ach ja, meine Haare! Die würden dringend einen Haarschnitt benötigen. Eine kurze Recherche und mir ist klar, dass es nicht nur mir so geht. „Selber Haare schneiden“ ist dieser Tage eine sehr beliebte Google-Abfrage. 2020 ist irgendwie anders. Aber irgendwie traue ich mich dann doch nicht drüber. Die Corona-Frisur lasse ich mal lieber aus und warte auf Anfang Mai, bis mein Friseur wieder öffnet. Im Finanzbereich gibt es auch den Begriff des „Hair-Cuts“. Damit ist gemeint, dass nicht 100% der Schulden beglichen werden. Griechische Anleihen mussten beispielsweise im Zuge der letzten Eurokrise einen „Hair-Cut“ hinnehmen. Die Entwicklung der Verschuldung von Staaten, Unternehmen und auch Privaten nimmt durch die Corona-Pandemie schon exponentielle Züge an.

Die Frage ist, wie wir den Schuldenberg in Zukunft abbauen werden. Bleibt zu hoffen, dass den Investoren ein „Hair-Cut“ erspart bleiben wird. An den Finanzmärkten gibt es Skeptiker und Optimisten. Auf der einen Seite Anleiheninvestoren, die für ihr Engagement hohe Risikoaufschläge einfordern und bereits sehr viele Gefahren einpreisen. Auch die Entwicklung des Goldpreises innerhalb der letzten Wochen ist ein Indiz dafür, dass sich Unsicherheit an den Märkten breit macht. Ein interessantes Detail am Rande: Nur mehr 48% des jährlichen Goldbedarfs wird für Schmuck benötigt. Anleger und Investoren (physisch und in Form von ETFs) beanspruchen mittlerweile rund 30% des wertvollen Metalls. Auf der anderen Seite stehen scheinbar unverwüstliche Aktieninvestoren.

Die internationalen Börsen konnten seit Anfang April deutliche Zugewinne verzeichnen. Gestern publizierte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Frühjahrsprognose. Die IWF-Chefökonomin Gita Gopinath sprach sogar von der schlimmsten Rezession seit der Großen Depression. Die Reaktion der Aktienmärkte: deutliche Zugewinne! Da soll sich noch einer auskennen? Für einen Börsianer stellt sich die Frage, ob die Anleihenmärkte oder die Aktienmärkte am Ende des Tages recht behalten werden.

Dienstag, 14. April: An den Börsen lebt die Tradition weiter

Das Osterwochenende ist vorbei. Seit Mitte der 1990er Jahre verbringen meine Frau und ich den Ostersamstag traditionell bei einer Familienfeier. Dort treffen sich rund 25 Leute zur gemeinsamen Osterjause. 2020 ist leider anders. Das wurde mir gerade an diesem Wochenende bewusst. Die Ostereier sind in der eigenen Wohnung schnell gefunden und der Osterschinken schmeckt in so kleinem Rahmen auch nicht wirklich. Die Bedeutung von Tradition und liebgewonnenen Gewohnheiten wird einem anscheinend immer dann so richtig bewusst, wenn sie durchbrochen werden. An den Börsen lebt die Tradition weiter.

Heute publiziert der Internationale Währungsfonds seine traditionelle Frühjahrsprognose. Die Wachstumsprognosen werden deutlich zurückgenommen. Die OECD geht davon aus, dass die Auswirkung der Corona-Pandemie in Industrieländern wie Deutschland oder Frankreich deutlich stärker ausfallen werden, als in Schwellenländern wie Brasilien oder China. Jedes Monat Shutdown kostet rund 2% des BIPs. Im April findet traditionell die Berichtssaison für das erste Quartal 2020 statt. Den Anfang machen JP Morgan und Wells Fargo. Für das erste Quartal wird mit einem Gewinnrückgang von 9% gerechnet. Vor einem Monat ging man noch von einem Gewinnwachstum von 6% aus. Besonders stark werden die Unternehmensgewinne aber erst im zweiten Quartal betroffen sein. Analysten gehen im Konsens davon aus, dass die Gewinne im Vergleich zum Vorjahr um knapp 20% einbrechen werden. Im März ging man noch von einem Gewinnwachstum von 10% aus. Wie schnell sich die Zeiten doch ändern.

Neues gibt es auch vom Energiesektor zu berichten. Die führenden Ölpreisproduzenten haben sich am Osterwochenende auf eine Angebotsverknappung in der Höhe von rund 10% der weltweiten Fördermenge geeinigt. Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte waren allerdings nur von kurzer Dauer. Ein interessantes Detail am Rande: Die Bedeutung des Energiesektors ist in den letzten 10 Jahre signifikant gesunken. Energieunternehmen repräsentierten 2008 noch 16% der S&P 500 Marktkapitalisierung. 2020 beträgt die Gewichtung nur mehr bescheidene 2,7%. Für mich ein Synonym für eine strukturelle Veränderung und dem Niedergang eines Traditionssektors. Als Börsianer liebe ich Traditionen. Insofern freue ich mich auf eine spannende Börsenwoche mit vielen traditionellen Ereignissen.

Montag, 13. April: Der Mensch liebt Vergleiche . . .

Der wirtschaftliche Einbruch infolge des Corona-Shutdowns wird stärker ausfallen als die durch die Lehman-Pleite ausgelöste Finanzkrise 2008. Der Mensch liebt Vergleiche. Auch wenn jede Krise wahrscheinlich ihre eigene Geschichte schreibt.Besonders populär ist es momentan Parallelen zur großen Depression der 1930er Jahre zu ziehen. Auslöser war der 24. Oktober 1929, der als schwarzer Donnerstag in die Börsengeschichte eingehen sollte. Die Spekulationsblase, die in den 1920er Jahren sukzessive an Dynamik gewann, ist geplatzt. Durch die steigenden Aktienkurse fühlten sich die Menschen reich und finanzierten einen Teil ihres Konsums über Kredite.

1919 betrug das Volumen der Konsumkredite $100 Millionen. 10 Jahre danach stieg es auf $7 Milliarden an. Rund 90 Jahre später dominiert unter Ökonomen die Meinung, dass die Depression nicht auf den Börsencrash, sondern auf eine falsche Notenbankpolitik zurückzuführen ist. Diese erhöhte die Zinsen, was Kredite noch teurer machte und dadurch die Abwärtsdynamik weiter verstärkte. Das Vertrauen in die Wirtschaft schwand. Unternehmen drosselten die Produktion und entließen Arbeiter. Menschen konsumierten weniger. Banken gerieten in Schieflage. Die Menschen verloren auch das Vertrauen in die Banken und wollten ihr Geld beheben. Der sogenannte „Bank Run“ führte schließlich zu einem Zusammenbruch des Bankensystems. Für Unternehmer und Private war es danach schier unmöglich, an Kredite heranzukommen. Eine Abwärtsspirale, die als große Depression in die Geschichte eingehen sollte, nahm ihren Lauf.

Die US-Wirtschaft brach um unglaubliche 50% ein. Die Arbeitslosigkeit stieg von 9% auf 25%. Die Durchschnittslöhne fielen um 60%. Präsident Franklin D. Roosevelt setzte dem „New Deal“ umfangreiche Wirtschafts- und Sozialreformen durch. Es folgte eine Regulierung der Wirtschaft und die Schaffung einer Finanzmarktaufsicht und Bankenregulierung. Die große Depression sollte bis 1941 andauern. 2020 ist anders! Notenbanken und Staaten stemmen sich mit Hilfspaketen vehement gegen die Krise und versuchen dadurch das Schlimmste zu verhindern. Wenn die Shutdown-Phase nur von kurzer Dauer ist, sind die Voraussetzungen gut, den wirtschaftlichen Super-Gau abwenden zu können.

Sonntag, 12. April: Keine geplatzte Blase, doch das Ergebnis ...

2020 mussten die Finanzmärkte herbe Verluste hinnehmen. Im Gegensatz zu vielen Finanzkrisen der Vergangenheit unterscheidet sich die aktuelle Krise fundamental von den bisher gewesenen.

Beginnen wir mit der Mutter aller Krisen. Im 17. Jahrhundert erfreuten sich Tulpen großer Beliebtheit. Weite Teile der Bevölkerung beteiligten sich an der Spekulation. Zwischen Dezember 1636 und März 1637 stieg der Preis um das Zwölffache. An der Spitze entsprach der Preis einer einzigen Tulpenzwiebel dem zehnfachen Wert einer Nobelvilla in Amsterdam. Die Blase platze, weil bei einer Wirtshausaktion kein „angemessener“ Preis erzielt wurde, Investoren dadurch in Panik gerieten und eine Verkaufswelle auslösten.

In den 1920er Jahren war die USA Zentrum des wirtschaftlichen Fortschritts. Effizientere Produktionsabläufe führten zu einem Wirtschaftsboom. Börsenmakler verlangten beim Aktienkauf nur 10% bis 20% des Transaktionswertes. Der Rest konnte auf Pump finanziert werden. Breite Teile der Bevölkerung tummelten sich an der Wall Street. Im Oktober 1929 begannen Aktienkurse aus unerfindlichen Gründen auf einmal zu bröckeln. Panik ergriff die Spekulanten. Der Aktienmarkt verlor binnen kurzer Zeit mehr als 50%. Die Schulden blieben. In der Internet-Blase trieben hohe Gewinnerwartungen den Aktienmarkt in lichte Höhen. Viele Aktienkäufe wurden mit Fremdkapital finanziert. 2000 konnten die hoch bewerteten Unternehmen die hohen Gewinnerwartungen nicht erfüllen. Und das ließ die Blase platzen.

Im September 2008 ging Lehman Brothers pleite. Das löste eine globale Finanzkrise aus. Der Ursprung lag im politischen Vorhaben, dass jeder Amerikaner ein eigenes Haus besitzen sollte. Die Notenbank sorgte für günstige Finanzierungskosten. Ein wesentlicher Grund warum die Immobilienpreise von Käufern stark nach oben getrieben wurden. Die Kredite verblieben nicht auf den Bankbüchern, sondern wurden in Wertpapiere verpackt und an Investoren aus aller Welt verkauft. Steigende Zinsen im August 2007 sorgten für einen Verkaufsdruck, da es vielen hochverschuldeten Käufern schwerfiel, die Kreditraten zu begleichen. Das Resultat: Platzen der Immobilienblase und eine weltweite Finanzkrise.

2020 hat mit den beschriebenen Spekulationsblasen wenig gemein. Auch wenn 2020 keine Blase geplatzt ist, das Ergebnis ist das gleiche. Eine wirtschaftliche Rezession und schmerzhafte Verluste an den Kapitalmärkten.

Samstag, 11. April: Es ist also angerichtet ...

Die Notenbanken und Staaten gehen „All-In“. Die Schatullen werden geöffnet und man versucht unterstützend einzugreifen. Da wären auf der einen Seite die Abnehmer sprich Konsumenten. Diese sind durch den massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit rund um den Globus verunsichert. Auf der anderen Seite aber auch die Unternehmen, die durch den Shutdown mit einem temporären Entzug der Geschäftsgrundlage konfrontiert sind. Und zu guter Letzt wären da noch die Finanzmärkte, die u.a. mit einem Liquiditätsproblem auf der Käuferseite zu kämpfen haben. Alle Adressaten eint ein banger Blick in die Zukunft.

Das Ausmaß der Hilfspakete nimmt historische Ausmaße an. Die G4-Länder und China werden heuer ein zyklusbereinigtes Budgetdefizit von geschätzten 9,2% aufweisen. In der Finanzkrise 2009 waren es „nur“ 6,5%. Hinsichtlich der Regionen gibt es große Divergenzen. Die USA und China fahren mit einem Haushaltsdefizit von 14,6% bzw. 10,7% den aggressivsten Kurs. Im Vergleich dazu ist die Eurozone deutlich „konservativer“ unterwegs. Die Notenbanken planen, die Bilanzsumme weiter auszuweiten und damit den Finanzmärkten Liquidität zur Verfügung zu stellen. Die G4-Zentralbanken haben aktuell eine Bilanzsumme von $18,8 Billionen. Das entspricht 41% des Bruttoinlandsproduktes. Japan verfolgt seit Ende der 1980er einen expansiven Kurs und hat die Notenbankbilanzsumme seither auf 105% des BIPs aufgeblasen. Um die Märkte zu unterstützen, sind weitere Maßnahmen in der Höhe von rd. $7 Billionen geplant. Ein Großteil davon fällt auf die US-Fed ($4 bis $5 Billionen).

Es ist also angerichtet, um in der Krise unterstützend einzugreifen. Ob die Maßnahmen wirken, wird uns erst die Zukunft lehren. Eine große Herausforderung wird es aber auch sein, den Schuldenberg abzutragen und die Notenbankbilanzen wieder zurückzufahren. Ein Grund mehr, warum uns 2020 noch sehr lange in Erinnerung bleiben wird.

Freitag, 10. April: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr ...

Karfreitag ist der Tag der Stille. Still war es an den internationalen Finanzmärkten keineswegs. Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt Fed-Präsident Jerome Powell mit einem billionenschweren Hilfspaket daher. Grund genug, die Aktienkurse wieder nach oben zu treiben. 2020 ist irgendwie anders. Unterstützt wird das auch noch dadurch, dass sich die EU Finanzminister - nach zähem Ringen - nun doch auf ein Corona-Hilfspaket einigen konnten. Soweit ist es einmal angerichtet.

Notenbanken und Staaten sind auf Dauerfeuer. Kein Wunder, denn die realwirtschaftlichen Auswirkungen werden immer offensichtlicher. In den letzten Tagen hat sich die Meinung manifestiert, dass wir den größten wirtschaftlichen Abschwung seit der großen Depression erleben. Die Aktienmärkte konnten sich seit den Tiefstständen im März, der Hilfspakete und rückläufigen COVID-19 Zahlen sei Dank, wieder deutlich erholen. Börsennotierte Unternehmen werden in Bezug auf die Marktkapitalisierung in Large-Caps, Mid-Caps und Small-Caps untergliedert. Die Krise 2020 zeigt: je höher die Marktkapitalisierung, desto geringer die Kursabschläge. Ein internationales Large-Cap-Portfolio verlor rund 13%, ein Small-Cap Portfolio in etwa 25%. Auch branchenseitig sind große Divergenzen zu beobachten. Am schlimmsten gebeutelt wurden Energieunternehmen, die seit Jahresbeginn nahezu -40% an Wert verloren. Dahinter folgen Finanzinstitute mit -27% und Industrieunternehmen, die rund ein Fünftel ihres Börsenwertes einbüßten. Am besten hielten sich Unternehmen aus dem Bereich Gesundheit und IT, die in etwa -5% verloren. Nordamerika steht für Technologie und IT, Europa für die „alte“ Industrie.

Bereits ein Viertel der Marktkapitalisierung von US-Unternehmen entfällt auf den IT-Sektor, in Europa sind es knappe 7%. Es hat den Anschein, dass US-Unternehmen viel veränderungsfreudiger sind und damit die Nase vorne haben. Ziel junger Menschen ist es, ein Unternehmer zu sein. Wer mit seiner Idee scheitert, wird nicht diffamiert. Man versucht es halt einfach noch einmal. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der europäische Aktienmarkt seit mehr als einem Jahrzehnt trotz billiger Bewertung hinterherhinkt. Sind Sie Veränderungen gegenüber aufgeschlossen und auch bereit, Neues zu versuchen? Das ist wahrscheinlich die Fähigkeit, die wir im Rahmen des Wiederaufbaus am meisten benötigen werden.

Donnerstag, 9. April: Spinat und die zweite Seite der Medaille

Am Gründonnerstag ist bei uns traditionell Spinat-Tag. Als Börsianer kann man daher  durchaus erwarten, dass die Ampeln auch an den Börsen auf grün stehen, oder? Heute, an meinem Geburtstag, gibt es eine Riesen-Party. Ich würde Sie, lieber Leser, ja gerne einladen, aber meine Frau und meine zwei Kinder haben schon zugesagt. Jetzt ist leider kein Platz mehr. 2020 ist irgendwie anders. An diesem Tag mache ich mir auch immer Gedanken über die Zukunft. Der Ausblick heuer ist sehr unklar und neblig. Die Corona-Pandemie erfordert, dass wir nicht notwendige soziale Kontakte eindämmen. Das ist medizinisch eine Notwendigkeit, wirtschaftlich betrachtet aber desaströs.

Wir befinden uns mitten im tiefsten Absturz der Nachkriegszeit. Ich stelle mir die Frage, ob wir gerade eine Zeitenwende erleben. Sind die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, persönlichen und sozialen Einschnitte so groß, dass wir künftig von einer Zeit vor und einer Zeit nach Corona sprechen werden? Unser Wohlstand wurde die letzten Jahrzehnte kontinuierlich aufgebaut. Mit dem Ergebnis, dass die Lebensbedingungen 2020 besser sind als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Eine starke Aussage, die ich gerne mit ein paar Beispielen untermauern möchte. Die Lebenserwartung eines neugeborenen Erdenbürgers beträgt heute 72,2 Jahre. 1800 lag der globale Durchschnitt noch bei 29 Jahren. Ein Kind geht heute durchschnittlich 12,7 Jahre in die Schule. Im Jahr 1800 waren es weniger als ein Jahr. Die Sterbewahrscheinlichkeit von Kindern bis zum 5. Lebensjahr beträgt heute 3,9% und schwankt zwischen defacto Null in Industrieländern und max. 12,7% in Somalia. Im Jahr 1800 betrug die Wahrscheinlichkeit noch unglaubliche 43%. Auch wenn 2020 sicher nicht alles rosig ist, könnte ich noch viele weitere positive Beispiele anführen.

Es fühlt sich durch die COVID-19 Krise an, als könnten wir etwas verlieren, das uns lieb und teuer ist. Und ein Verlust ist immer schmerzhaft. Aber jede Veränderung hat auch gute Seiten. Die Frage ist nur, welche Seite der Medaille wir betrachten. Abschließen möchte ich mit einem freundlichen Geburtstagsglückwunsch, den ich aus Deutschland erhalten habe: „Ich wünsche dir einen Börsengewinn um die Prozentzahl deines Alters.“ Sehr nobel! In meinem beinahe biblischen Alter wäre das sehr stattlich. Bleibt zu hoffen, dass die Prognose in Erfüllung geht.

Mittwoch, 8. April: Es droht eine wahre Herabstufungswelle

In der Osterwoche sollten unsere Kinder ein paar Tage bei Omi und Opa verbringen. Das ist in COVID-19 Zeiten natürlich hinfällig. Bei uns als Familie herrscht trotz der Osterferien Alltag. Oder zumindest das, was wir seit Mitte März für uns als Alltag definieren, die neue Normalität. Von einer ruhigen Osterwoche kann ich demnach nicht berichten.

An den Börsen ist nach den Kursgewinnen der vergangenen Tage im Gegensatz dazu etwas Ruhe eingekehrt. Die EU-Finanzminister konnten sich trotz eines 16-Stunden-Verhandlungsmarathons nicht auf ein EU-Hilfspaket einigen. Neuer Versuch am Gründonnerstag. Christen feiern an diesem Tag das letzte Abendmahl. Ich hoffe das ist kein schlechtes Omen. Kennen Sie die sogenannten „Fallen Angels“? Unter diesem Begriff werden Unternehmen zusammengefasst, die vom guten Bonitäten-Bereich (Investment-Grade) in den Junk-Bereich (High-Yield) abrutschen. Unternehmen sind in diesem Fall mit deutlich höheren Finanzierungskosten konfrontiert. Kein Wunder, die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls steigt signifikant an. Auf 5-Jahressicht beträgt diese im EUR-Investment-Grade Bereich durchschnittlich 0,9%. Bei High-Yields steigt diese auf 17% - das bedeutet, dass statistisch gesehen jedes sechste Unternehmen die nächsten fünf Jahre nicht überleben wird. Insofern wenig verwunderlich, dass Investoren für High-Yields deutlich höhere Risikoprämien einfordern. Rating-Agenturen sind durch die Corona-Krise gefordert. Es droht eine wahre Herabstufungswelle.

Citigroup und J.P. Morgan erwarten für heuer, dass Anleihen im Ausmaß von mehr als 100 Milliarden Euro „Fallen Angels“ werden. Die letzte Stufe des Investment-Grade-Bereiches ist volumensmäßig vier Mal so groß wie das gesamte High-Yield Segment. Für viele Investoren ist damit auch eine „magische“ Grenze verbunden, da sie aufgrund eigener oder regulativer Vorgaben nur im Investment-Grade Bereich investieren dürfen. Viele stoßen Emittenten, denen eine Herabstufung droht, bereits im Vorfeld ab. Das führt dazu, dass hier bereits ein Verkaufsüberhang entsteht und die Renditeaufschläge konstant steigen. Wenn jetzt große Teile des Investment-Grade Bereiches in den High-Yield Bereich verschoben werden, dünnt sich das investierbare Universum im Investment-Grade Bereich aus. Das stellt institutionelle Investoren vor eine große Herausforderung. Das Geld will schließlich investiert werden. 2020 ist irgendwie anders. Der Kampf um die verbleibenden Investment-Grade-Bonds möge beginnen.

Dienstag, 7. April: Balsam auf die Wunden ...

Die Börsen rund um den Globus sind außer Rand und Band. Mit rückläufigen COVID-19 Zahlen steigt auch die Zuversicht. Das Kursfeuerwerk ist Balsam auf die Wunden gepeinigter Investoren, die harte Wochen hinter sich haben. Dementsprechend mau fiel auch die Fondsbilanz für den März 2020 aus. 98% der Fondskategorien schrieben Verluste und sichere Häfen erwiesen sich als Mangelware. Zu diesem Ergebnis kommt e-fundresearch. Im Durchschnitt verloren die 247 Fondskategorien -11,79%. Lediglich fünf Kategorien konnten ein positives Monatsergebnis verzeichnen.

Am besten schlugen sich US-Dollar Staatsanleihen mit +2,52%, am schlechtesten entwickelten sich brasilianische Aktien mit -38,29%. Auch europäische Staatsanleihen mit -0.79% oder Euro-Geldmarkt Fonds mit -0,32% mussten als vermeintlich sicherer Hafen ein negative Wertentwicklung hinnehmen. Aber mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt. 2020 ist anders! In einem klassischen Bärenmarkt sinken die Renditen von Sicherheitsinvestments, wie z.B. Staatsanleihen. Die Risikoprämien steigen. Das führt zum Beispiel zu höheren Credit Spreads, also Renditeaufschlägen für Unternehmensanleihen. Eine abnehmende Konjunkturdynamik wird auch durch einen Rückgang des Ölpreises widergespiegelt. Also alles nahezu wie aus dem Lehrbuch. Ausgenommen natürlich der Sicherheitsinvestments.

Die negative Wertentwicklung in diesem Bereich ist zu einem großen Teil auf die ausgedünnte Liquiditätssituation zurückzuführen. Die Käuferseite war teilweise wie ausgestorben. Einzig die Notenbanken stellten sich todesmutig dagegen. Die Liquiditätssituation ist immer noch sehr angespannt, aber durch die Maßnahmen der Notenbanken sind bereits Beruhigungstendenzen am Horizont erkennbar.

Montag, 6 April: Befreiende Wirkung des Frühjahrsputzes

Die Börsenwoche beginnt erfreulich. Die europäischen Märkte sind durchwegs im grünen Bereich und im „Risk-On“-Modus. Am Wochenende war bei uns der Frühlingsputz angesagt. Ziel der aufwendigen Aktion ist es, wieder etwas Ordnung in unser Leben zu bringen. Es wird jeder Schrank ausgeräumt und einmal eine Bestandsaufnahme aller Gegenstände gemacht, die wir besitzen. Diese erfreuen sich teilweise regem Gebrauch, teilweise werden sie aber auch einfach nur gehortet.

Der Frühlingsputz hat für mich eine befreiende Wirkung. Alles wird hinterfragt und man richtet sich neu aus. Das erfordert aber auch, dass wir uns von zum Teil auch liebgewonnen Gegenständen trennen müssen. Ähnliches erleben wir 2020 im wirtschaftlichen Kontext. Viele Unternehmen kämpfen um das Überleben und müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ihr Geschäftsmodell in Zukunft tragfähig sein wird. Zum Teil müssen diese adaptiert werden, zum Teil muss man sich von einzelnen Bereichen ganz trennen.

Ähnlich wie in der Finanzkrise, wo z.B. 20% der Unternehmen mit schlechter Bonität (High-Yield) nicht überlebten, wird es einige Unternehmen in naher Zukunft einfach nicht mehr geben. Das ist schmerzhaft, viele Einzelschicksale sind damit verbunden. Es ist auf der anderen Seite aber auch ein bereinigendes Gewitter. In den USA gingen 2008 und 2009 knapp 300 Banken pleite.

Europa wählte den Weg „systemrelevante“ Instituten zu retten und schickte nur wenige Institute in die Insolvenz. Rückblickend führte das zu einer Verschleppung der Probleme, da das Leben unprofitabler Häuser zwangsläufig verlängert wurde. Ich bin absolut dafür, Unternehmen in Form von Hilfspaketen zu unterstützen und über diese schwierige Zeit zu helfen. Eine künstliche Lebensverlängerung von „Zombie-Unternehmen“ macht aus meiner Sicht aber auch keinen Sinn.

Sonntag, 5. April: Eigenes Gesetz zur Investitionskontrolle ...

Den Kursverlusten sei Dank. Wir befinden uns in einem Käufer-Markt. Naja, ob es wirklich billig ist, wird uns erst die Zukunft weisen. Fix ist aber, dass Unternehmensbeteiligungen deutlich günstiger sind als noch vor wenigen Wochen. Das können sich sowohl private aber auch staatliche Investoren zunutze machen. Einer der größten Investoren ist China. In den letzten 10 Jahren haben sich chinesische Unternehmen an mehr als 1.700 europäischen Firmen beteiligt bzw. diese aufgekauft. Der Transaktionswert belief sich auf mehr als 300 Milliarden Euro. Bevorzugt werden Industrie- und Technologieunternehmen sowie strategisch wichtige Infrastrukturen, wie z.B. der Hafen von Triest, gekauft.

300 Milliarden sind eine unglaubliche Summe. Das entspricht in etwa 10% der Marktkapitalisierung der größten 250 Unternehmen Europas, ein Drittel des Börsenwertes der DAX Unternehmen oder dem zehnfachen Wert des ATX. Durch den Kursrutsch können österreichische Unternehmen mit einem Buchwert von 0,7 gekauft werden. Allein das Eigenkapital der Erste Group (ca. 20,5 Mrd.) und Raiffeisen Bank International (ca. 13,8 Mrd.) beträgt mehr als die Marktkapitalisierung des österreichischen Leitindex. Auch die Bewertung von DAX-Unternehmen erscheint sehr günstig, schließlich können viele Unternehmen nahe dem Buchwert gekauft werden. Droht jetzt der Ausverkauf Europas? Um das zu verhindern, hat Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck bereits ein eigenes Investitionskontrollgesetz angekündigt. Durch strategische Unternehmenskäufe kommt es zu einem Know-how-Transfer. Dieser wird zusätzlich durch einen anderen Trend verstärkt. Die USA ist das Zentrum vieler führender Wissenschaftler und das beliebteste Studienland für knapp eine Million ausländischer Studenten. Weltweit gibt es 5,1 Millionen „Auslands-Studenten“. 40% der Studenten kommen aus der Region Asien und Pazifik, lediglich 12% aus Westeuropa.

Mit 865 Tsd. „Auslands-Studenten“ hat China neben Indien (300 Tsd.) den mit Abstand größten Anteil. Mehr als ein Fünftel der im Ausland Studierenden kommen damit aus diesen beiden Ländern. China denkt strategisch und in langen Zyklen. Auch durch diese Maßnahme ist es gewährleistet, dass der Wissenstransfer aus den alten Industrienationen auch in den kommenden Jahren nicht ins Stocken geraten wird.

Samstag, 4. April: Eine schöne Vision ...

Es ist Samstag, aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Zu sehr verschwimmen die Tage im Frühjahr 2020. Die Börsen sind heute geschlossen, die Nachrichtenflut geht aber munter weiter. An Ruhe und Entspannung ist daher nicht zu denken. Zu sehr zieht mich der Corona-Virus in seinen Bann. Heute Vormittag sitze ich erstmals in meinem Liegestuhl auf unserer Terrasse. Die warmen Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht. Es ist eine Wohltat und ein Kontrast zu den stürmischen Zeiten auf den Finanzmärkten. Ruhe wird erst wieder einkehren, wenn der Corona-Virus besiegt wird oder zumindest der Höhepunkt überschritten ist. Das Epizentrum hat sich von Europa in die USA verlagert. Die Herausforderungen sind aber dies- und jenseits des Atlantiks die gleichen.

Der wirtschaftliche Shutdown bringt Unternehmen an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Die Bilanzen schauen (noch) gut aus, es sind genügend Liquiditätsreserven vorhanden. Aber für wie lange werden diese reichen? Es ist davon auszugehen, dass vielen Unternehmen die aktuelle Krise nicht überleben werden. Dieser Problematik vor Augen versuchen Staaten und Notenbanken mit enormen Hilfspaketen in historischem Ausmaß der wirtschaftlichen Vollbremsung entgegenzuwirken. Das führt zu einer massiven Ausweitung der Geldmenge und zu einer ausufernden Verschuldung.

Die Existenzsorgen betreffen aber auch Arbeitnehmer. Viele befinden sich in Kurzarbeit oder haben bereits ihren Job verloren. Das führt zu erheblichen Einkommenseinbußen und zu einem düsteren Zukunftsausblick. Das ist nicht unbedingt ein Cocktail, der zu Investitionen anregt. Und damit meine ich sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen.

Um wieder in den „Normalzustand“ zu kommen braucht es Vertrauen. Wenn wir dieses als Gesellschaft wieder zurückgewinnen, schaut die Zukunft wieder rosiger aus. Damit gewinnt auch die wirtschaftliche Dynamik wieder an Schwung. Das wiederum stärkt das Vertrauen. Und ehe wir uns versehen, befinden wir uns in einem Aufwärtstrend und können den Wiederaufbau ambitioniert in Angriff nehmen. Es liegt an der Politik, den Unternehmen aber auch an jedem einzelnen von uns. Wir haben damit unsere Zukunft selbst in der Hand! Eine schöne Vision, meinen Sie nicht auch?

Freitag, 3. April: Diese Zahl raubt mir den Schlaf

Heute endet meine dritte Home-Office Woche. Es ist für uns als Familie eine schöne und anstrengende Zeit zugleich. Meine Frau und ich arbeiten in unserer Wohnküche. Auf unserem Esstisch nimmt auch häufig unsere neunjährige Tochter Platz, um die Schulaufgaben zu erledigen. Unser elfjähriger Sohn hat unser Arbeitszimmer okkupiert, um sein Lernprogramm online durchzunehmen.  Die Tage sind sehr intensiv und sehr lange. Die letzten Wochen verbringe ich viel Zeit mit telefonieren. Mit einem Fingerzeig meiner Tochter werde ich dafür auf die Terrasse verbannt. Ich telefoniere zu laut, da kann sich ja keiner konzentrieren.

So wie uns geht es vielen anderen auch. Der Corona-Virus wütet. Wichtig ist im ersten Schritt der Krisenbewältigung natürlich der gesundheitliche Aspekt. Das ist klar. Danach gilt es, den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu bewerkstelligen. Ein zentrales Thema ist der brutale Anstieg der Arbeitslosigkeit rund um den Globus. Vor einer Woche war ich noch schockiert darüber, dass die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA auf 3,31 Millionen angestiegen sind. Vor wenigen Wochen lagen diese noch in etwa bei 200 Tausend. Diese Woche wurde noch eins draufgesetzt. Die Erstanträge sind diese Woche auf unfassbare 6,65 Millionen gestiegen. Das entspricht rund dem 10fachen historischen Höchstwert der Vor-Corona-Ära. 

In den vergangenen zwei Wochen haben knapp 10 Millionen Menschen ihren Job verloren. Berücksichtigt man das, wird die Arbeitslosenquote von 3,5% auf über 10% ansteigen. Unfassbar! Gestählt durch mehr als zwei Jahrzehnte Finanzmarkterfahrung dachte ich, ich bin krisenresistent. Irrtum! Die Zahl von 10 Millionen raubte mir diese Nacht den Schlaf. Die Erstanträge auf Arbeitslosigkeit sind ein Frühindikator. Sie deuten auf einen dramatischen Wirtschaftseinbruch der größten Volkswirtschaft der Welt hin. Wir erleben Entwicklungen, die in einer „normalen“ Rezession Monate oder Quartale benötigen, innerhalb von wenigen Wochen. 2020 ist irgendwie anders. Das untermauert auch der amerikanische Aktienmarkt, der trotz der Horrormeldungen am Arbeitsmarkt deutliche Zugewinne verzeichnen konnte.

Donnerstag, 2. April: Euphorie und Ernüchterung ...

Die Angst vor dem Corona-Virus ist wieder am Börsenparkett zurück. Nach den jüngsten Kursgewinnen ist die Euphorie wieder der Ernüchterung gewichen. An den Finanzmärkten geht es einmal rauf, dann wieder runter. Das sind wir mittlerweile schon gewohnt. So intensiv wie 2020 hat man es in der Börsengeschichte aber noch nie erlebt.

Mit dem Ausbruch der Corona Krise kollabierten die Aktienmärkte in atemberaubender Geschwindigkeit. Wenn Aktienkurse 20% unter den Höchstständen notieren, spricht man von einem Bärenmarkt. Der Dow Jones benötigte 2020 lediglich 16 Tage – das war so schnell wie noch nie in seiner mehr als 120-jährigen Geschichte. Der bisher schnellste Kursverfall datiert im Jahr 1896 mit 36 Tagen. Auch die sogenannte „Recovery“, also die Erholung von den Tiefstständen, ist einzigartig. Der typische Kursanstieg in der frühen Phase eines Erholungszyklus beträgt rund 5%. Dieses Mal waren es unglaubliche 15%. 2020 ist irgendwie anders! Nach einem Bärenmarkt dauert es bei einem globalen Aktienportfolio im Schnitt rund 15 Monate, um die Kursverluste aufzuholen. Eine breite und globale Streuung macht sich bezahlt. Ein USA- oder Europa-Portfolio benötigt rund 5 Monate länger.

Ein Investor in Randmärkten musste mehr als drei Jahre warten und damit noch mehr Geduld aufbringen. Die großen Profite erzielt man in der ersten Phase der Trendwende. Ein internationales Aktienportfolio legte im ersten Jahr durchschnittlich um 35% zu. 14% davon alleine im ersten Monat. Zu diesem Zeitpunkt sind wahrscheinlich nur die wenigsten investiert. Zu sehr ist man noch in der Schockstarre oder mit dem Wunden lecken beschäftigt. So ein Aktionär hat es wahrlich nicht leicht. Schon gar nicht im Jahr 2020! Meiner Beobachtung nach sind jene Investoren am langfristig erfolgreichsten, die ihre Risikoneigung klar definieren, bewusst Risiken eingehen und ihre Strategie konsequent in allen Marktphasen durchziehen.

Mittwoch, 1. April: Wetten auf fallende Kurse

Im Regelfall setzen Investoren auf steigende Kurse. Sie können aber auch anders. So wie zum Beispiel der weltgrößte Hedgefonds Bridgewater Associates, der 14 Milliarden Euro darauf gesetzt hat, dass die Talfahrt an den europäischen Börsen weitergeht. Die österreichische FMA hat mittlerweile spekulative Leerverkäufe verboten. Ebenso wie die Aufsicht in Italien, Frankreich, Belgien und Spanien. Bei einem Leerverkauf oder einer Short-Position verkauft man einen Vermögenswert, ohne diesen aktuell zu besitzen. Der Verkäufer spekuliert darauf, dass die Kurse fallen und der Vermögenswert billiger nachgekauft werden kann. Wenn zu viele Spekulanten ein Wertpapier oder sogar einen gesamten Markt „shorten“, entsteht ein Verkaufsüberhang. Das wirkt wie ein Brandbeschleuniger, der zu erheblichen Risiken führen kann. George Soros wettete 1992 gegen das britische Pfund. Diese Spekulation brachte Soros einen Milliardengewinn, brachte aber Großbritannien an den Rand des Abgrunds.

An der Börse Wien kam es nach dem Inkrafttreten des Spekulationsverbotes zu einem sogenannten Short-Squeeze. Bei einem Short-Squeeze werden die Short-Positionen geschlossen, indem der Vermögenswert gekauft wird. Und das löst genau den gegenteiligen Effekt aus. Durch den Käuferüberhang werden die Kurse wieder nach oben getrieben. Der globale Derivatemarkt wird auf zumindest 700 Billionen US-Dollar geschätzt. Das entspricht in etwa dem 10fachen Wert aller börsennotierten Aktien. Bei aller Kritik sollten wir aber auch eines bedenken: Derivate müssen nicht zwingend schlecht sein! Abschließend noch ein kurzer Blick zu den Börsen. An den Aktienmärkten geht es wieder Richtung Süden. Sorgen bereiten vor allem die steigenden Corona-Fallzahlen in den USA.

Dienstag, 31. März: Käufer und Verkäufer 

Es ist spätabends. Die Luft ist kühl und die Straßen sind menschenleer. Auch wenn an den Finanzmärkten etwas Ruhe eingekehrt ist, schadet es nicht, sich noch ein bisschen die Füße zu vertreten. Auf meinem Spaziergang komme ich bei einer Baustelle eines Mehrfamilienhauses vorbei. Es sieht so aus, als würde auch hier alles still stehen. Wen wundert es dieser Tage. Der Käufer und der Verkäufer einer Wohneinheit haben ein klassisches Termingeschäft gemacht. In der Börsensprache spricht man von einem Over-the-Counter (OTC) Geschäft.

Das Geschäft wird außerbörslich zwischen zwei Handelspartnern abgeschlossen. Der Käufer und der Verkäufer der Wohneinheit haben im Vorfeld bereits einen Kaufpreis und einen zumindest groben Fertigstellungstermin vereinbart. Der Käufer hat zum Vertragsabschluss ein „Lufthaus“ gekauft. In der Finanzwelt spricht man von einer Long-Position. Der Verkäufer wiederum hat ein Haus verkauft, das er noch nicht einmal gebaut hat. Er ist sozusagen „Haus-Short“. Der Käufer und der Verkäufer haben durch dieses Geschäft Planungssicherheit. Auf meinem nächtlichen Rundgang komme ich auch an einem Weizenfeld vorbei. Es ist so unglaublich still heute. Eine Tonne kostet gegenwärtig 195 Euro. Weizen ist nach Mais das weltweit am häufigsten angebaute Getreide. Der Preis orientiert sich stark an globalen und politischen Faktoren. Innerhalb der letzten 12 Monate schwankte der Kurs zwischen 153 Euro und 196 Euro pro Tonne.

Für einen großen Bauern kann es sinnvoll sein, sich den Weizenpreis bereits im Frühjahr nach dem Anbau durch ein Termingeschäft zu fixieren. Aber mein Bauer ist dafür vermutlich zu klein. Optionen, Derivate oder Termingeschäfte werden oft mit Spekulation verbunden. Auch wenn ich es für problematisch und unethisch halte, dass manche Investoren Nahrungsmittel als Spielball für ihre Geschäfte verwenden, ist es für manche Wirtschaftstreibende aber wichtig auf solche Instrumente zugreifen zu können. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl auch hier in der Mitte.

Montag, 30. März: Wie der Teufel das Weihwasser ...

Corona-Bonds lösen Eurobonds ab. Schon in der Eurokrise gab es Überlegungen, gemeinsame Anleihen zu begeben. DieFronten haben sich verhärtet. Auf der einen Seite stehen die Befürworter, also jene Staaten, für die sich durch eine Finanzierung über Corona-Bonds Zinseinsparungen in Milliardenhöhe ergeben. Italien beispielsweise muss für eine 10-jährige Laufzeit gegenwärtig 1,4% berappen. Investoren zahlen Deutschland im Gegensatz dazu sogar einen Budget-Zuschuss von 0,5%, um ihr Geld in Bundesanleihen parken zu dürfen. Das ergibt eine Zinsdifferenz von rund 1,9%. Italiens Schuldenberg ist mittlerweile auf 2,3 Billionen Euro angewachsen. Tendenz stark steigend.

Es macht einen riesigen Unterschied aus, auf welche Art und Weise neue Schulden finanziert werden. Für 100 Milliarden Euro Neuverschuldung wird Italiens Budget gegenwärtig mit 1,4 Milliarden belastet. Unterstellt man, dass sich die Verzinsung über Corona-Bonds an jener Deutschlands orientiert, würde Italien sogar 500 Millionen Euro „verdienen“. Das Gesamtpotenzial, also wenn Italien die gesamten 2,3 Billionen über Corona-Bonds finanzieren würde, liegt bei über 40 Milliarden Euro. Und das pro Jahr! In Zeiten von Hilfspaketen und einer ausufernden Staatsverschuldung erscheint das durchaus attraktiv. Auf der anderen Seite stehen aber jene Staaten wie Österreich oder die Niederlande, die eine abwehrende Haltung an den Tag legen. Schließlich bedeuten Corona-Bonds auch eine solidarische Haftung. Und das scheuen diese Staaten wie der Teufel das Weihwasser.

Der Kapitalmarkt hat darüber hinaus auch eine Regulierungsfunktion, die damit außer Kraft gesetzt wird. Wenn die Staatsfinanzen nicht in Ordnung sind, sind höhere Schulden zu berappen. Corona-Bonds nehmen damit Staaten den Reformdruck. 2020 ist irgendwie anders. Was bleibt ist ein bebender Streit innerhalb der EU.

Sonntag, 29. März: Unser Geschäft - kaum wieder zu erkennen

Wir befinden uns seit zwei Wochen in Quarantäne. Gestern war meine Frau das erste Mal seit zwei Wochen wieder einmal Lebensmittel einkaufen. In Krisenzeiten ist das normalerweise Männersache. Unser Geschäft, dem wir seit Jahren die Treue halten, ist nicht mehr wieder zu erkennen. Die Menschen sind verunsichert, die Stimmung ist getrübt und die Kassiererin sitzt hinter einer Plexiglasscheibe. Vorsicht ist dieser Tage von essentieller Bedeutung. Zu groß ist die Ansteckungsgefahr. Meine Frau konnte es kaum glauben. In unserem Lebensmittelgeschäft wurde der Wandel deutlich sichtbar.

Sonntag, meinem Reflexionstag, möchte ich daher einmal ganz bewusst positiven Dingen widmen. Denn Negatives prasselt dieser Tage ohnehin genug auf uns ein. An den Finanzmärkten haben die unglaublichen Stimulationsprogramme der Notenbanken und Staaten für Beruhigung gesorgt. Die Liquidität ist durch die Stützungskäufe der Notenbanken zurückgekehrt und die Märkte konnten sich von den Tiefstständen bereits wieder deutlich erholen. Toilettenpapierproduzenten können sich die Hände reiben. In den letzten Wochen hat sich ihr Absatz um 700 Prozent erhöht und die Geschäfte kommen nur schwer mit dem Auffüllen der Regale hinterher. Inzwischen gelten 90% Chinas als infektionsfrei und der Betrieb wird langsam aber sicher wieder aufgenommen.

Es ist bereits sehr viel Negatives  in den Märkten eingepreist. Investoren konnten diese Woche DAX-Unternehmen mit einem Preis unter ihrem bilanziellen Buchwert erwerben. Das war zuletzt in der Blütephase der Eurokrise 2011, der Finanzkrise 2009 und am Boden der Internetblase der Fall. Für Unternehmensanleihen bekommt man hohe Risikoaufschläge. Im Bereich der schlechteren Schuldner preist der Markt bereits ein, dass 44% der Unternehmen die nächsten 5 Jahre nicht überleben werden. In der Finanzkrise lagen die Ausfälle bei 20%. Ob das alles ausreicht, um das Tal der Tränen hinter uns zu lassen, wage ich mich aber nicht zu behaupten. Aber was weiß ich schon, 2020 ist schließlich anders!

Samstag, 28. März: Am Ende des Tages beschenken wir uns selbst

Alles Gute kommt von oben. Wenn man als Bürger Geld vom Staat ohne Gegenleistung bekommt, spricht man von Helikoptergeld. Dabei handelt es sich aber keineswegs um flatternde Geldscheine, die von Notenbankern aus einem Hubschrauber geworfen werden. Der Begriff wurde 1969 vom US-Ökonom Milton Friedman kreiert, um den Studenten die Ausweitung der Geldmenge durch Zentralbanken zu veranschaulichen. Im Rahmen der Coronakrise werden außergewöhnliche Wege beschritten. In Hongkong wurde bereits im Februar 1.200 Dollar für jeden Bürger locker gemacht. Die Steuererleichterungen sollen Menschen helfen, Einkommensausfälle abzufedern und durch Ankurbelung des Privatkonsums den Arbeitsmarkt zu entlasten. Auch Amerikaner sollen einen Teil des 2,2-Billionen Dollar Hilfsprogramms in Form eines 1.200 Dollar Konsumschecks, für Kinder gibt es nochmals 500 Dollar extra, in den kommenden Wochen in ihren Briefkästen finden.

Der Erfolg der Aktion hängt im wesentlichen davon ab, ob das Geld auch wirklich wieder ausgegeben wird. Andernfalls verpufft das wirtschaftliche Stimulationsprogramm. Ausschlaggebend für den Erfolg ist vor allem der Grad der Verunsicherung. Je höher diese ist, desto eher werden Menschen die Geldgeschenke des Staates sparen. Auch dem Sozialsystem eines Landes kommt eine große Bedeutung zu.

Wenn man bei einer Arbeitslosigkeit vom sozialen Netz aufgefangen wird, wird das Geld eher gehortet. Das ist in vielen Ländern Europas der Fall. Anders in den USA. Hier verfügen 53% der Haushalte über keinen Notgroschen. Besonders stark ausgeprägt ist es im unteren Einkommenssegment (78% bei einem Jahreseinkommen < $20.000). Aber auch ein Viertel der Gutverdiener (> $150.000) verfügen über keine Reserven. Wenn die Einnahmequellen bei einem Jobverlust versiegen, wird das Geldgeschenk mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder den Weg in den Wirtschaftskreislauf finden. Bedenken sollten wir auch, dass Geldgeschenke eigentlich keine Geschenke sind. Am Ende des Tages beschenken wir uns selbst.

Freitag, 27. März: Nadelstreifanzug gegen Jogginghose getauscht

Da soll sich einer auskennen. Die Nacht war kurz. Zu sehr hat mich der gestrige Handelstag in seinen Bann gezogen. Ein kleiner Rückblick: Die Börsianer blicken gespannt auf ihre Bildschirme. Die Erstanträge zur Arbeitslosenrate werden in wenigen Minuten veröffentlicht. Die Prognosen waren düster. Volkswirte gingen von 1,5 Millionen neuen Arbeitslosen aus. 2020 wurden Woche für Woche zwischen 200.000 und 250.000 Neuanträge gestellt. Nur noch wenige Minuten. Der Markt schwankt nervös hin und her. Ein paar Trader versuchen sich bereits im Vorfeld zu positionieren. Das ist aber nichts weiter als eine Zockerei. Die Börsianer haben den Nadelstreifanzug und die genagelten Schuhe gegen eine bequeme Jogginghose und Hausschlapfen getauscht.

2020 ist irgendwie anders. Nur noch ein paar Sekunden. Die Anspannung und Nervosität ist selbst im Home-Office spürbar. Ich spüre ein Kribbeln im Magen und Unsicherheit in mir aufsteigen. Die Zeit scheint sich endlos zu strecken. Dann kommt endlich der entscheidende Moment und eine Zahl läuft über den Ticker: 3.328.000! Wie bitte? Das ist viel schlechter als die ohnehin schon düsteren Erwartungen. Panik steigt in mir auf. Das gibt’s ja gar nicht! Das muss ein Druckfehler sein!?

Der bisherige historische Höchstwert des seit 1967 veröffentlichten Indikators lag bei 695.000. Das hat gesessen! Gebannt schaue ich auf den Bildschirm. Unfassbar! Der Markt steigt kontinuierlich an. Der amerikanische S&P 500 beendet den Tag am Höchststand mit einem Plus von über 6%. Allein 7 Milliarden werden in der Schlussauktion gehandelt. Große Pensionskassen decken sich wieder mit Aktien ein. Die globalen Hilfspakete der Notenbanken belaufen sich auf mehr als 6,5 Billionen US-Dollar. Die fiskalpolitischen Impulse der G4-Staaten und China auf 2,8 Billionen US-Dollar. Es wird aus allen Rohren geschossen. Und das beeindruckt Investoren mehr als eine schlechte Arbeitsmarktkennzahl aus den USA!

Donnerstag, 26. März: Quasi über Nacht zusammengebrochen

Gestern Abend hat es bei uns zu schneien begonnen. Als ich heute Morgen aus dem Fenster blickte, erwartete mich eine wunderschöne Winterlandschaft. Naja, vielleicht ist das etwas übertrieben, wenn man sich an die schneereichen Winter der 1980er Jahre zurüerinnert, aber diese Zeiten scheinen längst vorüber.

Auch wenn der Blick auf die Winterlandschaft durchaus erfreulich ist, gehen mir schöne Erlebnisse mit meiner Familie aus dem Sommerurlaub durch den Kopf. Sonne, Strand und Meer! Ach, wäre das in diesen rauen Tagen nicht herrlich? Jede Medaille hat aber bekanntlich zwei Seiten. Der englische Begriff BEACH steht für Strand. Viele Menschen assoziieren damit schöne Erinnerungen. Konträr verhält es sich aber für einen Börsianer. Dieser zuckt bei dem Begriff zusammen, die Knie schlottern und ein flaues Gefühl macht sich in der Magengegend breit. Warum denn das? Unter dem Begriff BEACH werden von der Finanzwirtschaft dieser Tage Unternehmen der Branchen Reisebüros (Booking), Unterhaltung (Entertainment), Fluglinien (Airlines), Kreuzfahrtschiffe (Cruises) und Hotels zusammengefasst. Wie kreativ! 2020 ist das ein gefährlicher Mix, schließlich werden unter dem Synonym die am schwersten getroffenen Branchen zusammengefasst. Wenig verwunderlich, dass diese Aktien die größten Kursverluste hinnehmen mussten. Das Geschäftsmodell ist quasi über Nacht zusammengebrochen.

Eine Verbesserung der Lage ist zu Zeiten des Corona-Virus nicht in Sicht. Bei der Kreativität der Finanzbranche würde es  mich nicht wundern, wenn bald die ersten BEACH-Finanzprodukte aufgelegt werden. Noch ein kurzer Blick auf die Märkte. Nach den Kursgewinnen der letzten Tage eröffneten die europäischen Börsen negativ. Nach dem starken Anstieg ist das keine allzugroße Überraschung.

Mittwoch, 25. März: Kampf zwischen Bullen und Bären

Ein Börsianer fühlt sich dieser Tage wie eine Flipperkugel. Es ist ein ständiges hin und her und man hat nicht das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Ein typisches Zeichen einer Krise. Gefangen in der Flut an auf mich einprasselnden Informationen, ist es alles andere als einfach, einen Überblick zu behalten. 2020 ist irgendwie anders. Heute bin ich bereits um halb fünf aufgestanden, da ich nicht mehr schlafen konnte. Der Kampf zwischen den Bullen und den Bären zieht mich in seinen Bann.

Auch wenn der Blick aus dem Fenster heute Morgen eher an einen grauen Novembertag erinnert, bin ich in Hochstimmung. Der Bulle, mein persönlicher Favorit, konnte seinem ewigen Kontrahenten einen harten Schlag versetzen. Der amerikanische Dow Jones Index konnte den größten Tagesgewinn seit 1933 verzeichnen. Wow, das ist mal eine Ansage! Der Bär wurde jetzt nicht im klassischem Sinne ausgeknockt, aber für alle Bullenfans ist das nach schweren Treffern, die man in den vergangen Tagen einstecken musste, einmal ein Lichtblick.

Ausschlaggebend war vor allem die Hoffnung auf ein gigantisches US-Hilfspaket mit historischem Ausmaß. Die Republikaner und Demokraten haben sich nach langem Ringen auf ein Zwei-Billion-Dollar Konjunkturpaket geeinigt, welches bereits heute vom Senat beschlossen wurde. Die formale Bestätigung des Parlaments fehlt jedoch noch. Der Dow Jones Index wurde von Charles Dow und Edward Jones erstmals im Jahre 1896 berechnet. Er repräsentiert die 30 größten US Unternehmen und ist der älteste noch bestehende Aktienindex Amerikas.

Vier Handelstage seit dem 12. März 2020 haben es in die ewige Bestenliste der 124jährigen Geschichte des Dow Jones geschafft. Zwei aufseiten der Bullen, zwei auf Seiten der Bären! Es ist ein ausgeglichener Kampf und so wie ich die beiden Kontrahenten kenne, wird es noch einige Zeit dauern, bis einer endgültig das Handtuch wirft.

Dienstag, 24. März: Auf eine harte Probe gestellt

Im Osten geht die Sonne auf. Die asiatischen Märkte sind tiefgrün und sorgen damit auch für ein freundliches Erwachen der europäischen Börsen. Am Vormittag schaute die Börsenwelt gebannt auf den Ticker, als der Einkaufsmanagerindex für den Euroraum veröffentlicht wurde. Die Stimmung ist auf ein Rekordtief gefallen und damit schlechter als zu Zeiten der Finanzkrise.

Anlass genug, um mich nochmals mit Charles Darwins „Survival of the Fittest“ im Sinne der Evolutionstheorie zu beschäftigen. Der Homo Sapiens hat sich evolutionär deshalb durchgesetzt, weil er sich an wechselnde Bedingungen anpassen konnte. Ausschließlich die Wendigkeit, mit jeder Situation zurechtzukommen, sichert das Überleben einer Art nachhaltig. Der Tyranosaurus Rex ist tot. Der Mensch beherrscht den Planeten. Anpassungsfähigkeit schlägt Stärke. Dieser Tage werden wir auf eine harte Probe gestellt. Wir müssen mit den sich überschlagenden Ereignissen zurechtkommen und uns an die neue Situation anpassen. Nur so können wir unser Überleben sichern. Unternehmen haben bereits darauf reagiert.

Der Luxuskonzern Louis Vuitton beispielsweise produziert in seinen Parfum- und Kosmetikfabriken in Frankreich mittlerweile große Mengen an Desinfektionsmitteln. Auch die Finanzierungsabteilungen der Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen. Mussten Unternehmen mit guter Bonität bis vor wenigen Wochen für Finanzierungen noch einen Aufschlag von 1% zahlen, hat sich seither die Risikoprämie mehr als verdreifacht. Im Bereich der Ramschanleihen ist bereits ein Risikoaufschlag von 9% fällig.

Die Unternehmen haben aber aus den Fehlern der Finanzkrise gelernt. Damals mussten viele die Segel streichen, da sie über keine Geldreserven verfügten und sich nur zu horrenden Risikoprämien refinanzieren konnten. 2020 ist anders. Die Geldspeicher sind prall gefüllt. Die größten US-Unternehmen haben Cash-Reserven von rund 4 Billionen US-Dollar. Das entspricht in etwas 20% der Marktkapitalisierung. Das sollte doch etwas den Druck herausnehmen.

Montag, 23. März: Selbst Darwin würde sich die Augen reiben

Das Wochenende, welches weltweit rund eine Milliarden Menschen in Quarantäne verbrachten, hatten wir bitter nötig. Die Finanzmärkte waren geschlossen und es blieb Zeit, die überschlagenden Ereignisse der letzten Wochen zu verarbeiten. Montag Morgens, ich trinke bereits meinen zweiten Espresso, während ich am Küchentisch sitze und die wichtigsten Nachrichten überfliege. Es geht gleich richtig los, aber mittlerweile habe auch ich mich an die Geschwindigkeit angepasst. „Survival of the Fittest“ im Jahr 2020. Wahrscheinlich hätte sich selbst Charles Darwin wohl verwundert die Augen gerieben. Heute scheint der Tag der Prognosen zu sein. Die Investmentbank Morgan Stanley reduziert die Wachstumsrate für die US-Wirtschaft deutlich. Im zweiten Quartal wird mit einem Wirtschaftseinbruch von 30% gerechnet. James Bullard, Präsident der Federal Reserve Bank St. Louis geht sogar von einem 50%igen BIP-Rückgang in Kombination mit einer 30%igen Arbeitslosigkeit aus. Unfassbar! Wenn sich die Lage stabilisiert, haben wir eine Chance, zumindest einen Teil des Einbruchs im 3. Quartal wieder aufzuholen.

Wie viel genau das sein wird, kann man aber heute noch unmöglich prognostizieren. Auch Deutschlands renommiertes IFO Institut meldet sich zu Wort. Laut ihren Berechnungen können sich die Kosten der Corona-Pandemie auf bis zu 730 Milliarden Euro belaufen. Das entspricht etwas mehr als 20% der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Positives gibt es aus China zu berichten. Laut dem Internationalen Währungsfonds wurde in den meisten Unternehmen die Arbeit wieder aufgenommen und die Wirtschaft beginnt sich langsam wieder zu normalisieren. Bevor die Fed am frühen Nachmittag die nächste Geld-Salve abfeuerte und damit die Märkte zwischenzeitlich beruhigte, mussten die internationalen Aktienmärkte Kursverluste hinnehmen. Alle Aktienmärkte? Nein, eine kleine Börse in Wien konnte dem Trend trotzen!

Sonntag, 22. März: ... das ist in der Geschichte einzigartig ...

Sonntag ist für mich der Tag der Entschleunigung. Es ist mir zur liebgewonnenen Gewohnheit geworden, die Woche noch einmal Revue passieren zu lassen und meine Gedanken zu ordnen. Diese Woche war definitiv außergewöhnlich. Wir befinden uns in einer Notlage. Die Corona Pandemie stürzt die gesamte Welt in eine Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzkrise. Es wurde der Reset-Knopf gedrückt und wir wissen noch nicht, wie lange das System braucht, um wieder hochzufahren. Vieles hängt davon ab, wie schnell wir die Pandemie in den Griff bekommen. Soweit einmal der Blick zurück.

Obwohl Prognosen in Tagen wie diesen sehr schwierig, wenn nicht zu sagen unseriös sind, möchte ich meinen Fokus zumindest doch auch ein bisschen in die Zukunft richten. Als Wasserstandsmelder ziehe ich den Aktienmarkt zurate. Dieser repräsentiert für mich - trotz Übertreibungen in die eine oder in die andere Richtung - die Realität. In einem Bullenmarkt steigen die Kurse und sowohl der Status-Quo als auch der Ausblick wird von den Investoren positiv eingeschätzt.

Befinden wir uns in einem Bärenmarkt, werden die Wertpapierkurse mit einem Abschlag von zumindest 20% von den Höchstständen gehandelt. Die Lage wird von den Investoren negativ beurteilt. In der Finanzkrise 2008 haben amerikanische Aktien (S&P 500) 57% an Wert verloren. Es dauerte 1.022 Tage, bis die Kursverluste wieder aufgeholt werden konnten. Die Corona-Krise wird in die Börsengeschichte eingehen. Es dauerte nur 16 Handelstage, bis wir in einen Bärenmarkt eingetreten sind und damit Kursverluste von mehr als 20% hinnehmen mussten. Das ist in der Geschichte einzigartig. Selbst beim Börsencrash im Oktober 1929 dauerte es 30 Tage. Ich wage es aber zu bezweifeln, dass wir in diesem Umfeld auch die historisch schnellste Erholungsphase erleben werden. Aber das erwartet in diesem Umfeld auch niemand. 2020 ist schließlich einfach anders.

Samstag, 21. März: Die Währung heißt Vertrauen

An Samstagvormittagen liebe ich es eigentlich, auf unserem Bauernmarkt einkaufen zu gehen. Hier erlebt man Wirtschaft hautnah. Viele Produkte, die auf den Ständen angeboten werden, durchlaufen einen langen Produktionsprozess. Gutgelaunte Händler bieten Kunden ihre Waren an, scherzen und verbreiten eine positive Stimmung.

Man spürt die Energie, man spürt das Leben und normalerweise ziehe ich mit einem prall gefüllten Einkaufskorb von dannen. Was macht den Bauernmarkt so besonders? Im Fokus stehen nachhaltige und biologisch hochwertige Produkte. Und dafür bin ich durchaus bereit, auch etwas mehr für meine Einkäufe zu bezahlen. Als Besucher des Marktes vertraue ich dem Anbieter. Schließlich kann ich unmöglich nachvollziehen, ob sich die Produktqualität auch wirklich mit meinen Erwartungen deckt. Auf den Bauernmärkten heißt die Währung Vertrauen. Vertrauen ist für mich die neue Form der Nachhaltigkeit.

Wir haben eine ereignisreiche Woche hinter uns. Wir befinden uns im Krisenmodus. Staaten, Unternehmen und auch jeder einzelne von uns ist gezwungen, Verantwortung zu übernehmen. Um nach der Krise auch wieder durchstarten zu können, ist es wichtig, dass wir uns in der Krise auch so verhalten, dass wir uns auch nach der Krise noch in die Augen schauen können. Das betrifft sowohl einzelne Länder, Unternehmen aber im Endeffekt jeden einzelnen von uns.

Führungskräfte von großen, börsennotierten Unternehmen kaufen nach dem Kursrutsch der letzten Tage massiv Aktien des eigenen Unternehmens. Damit setzen sie ein wertvolles Zeichen. Ein Zeichen für Aktionäre aber auch die eigenen Mitarbeiter und Geschäftspartner. Wer kauft schließlich in diesen Tagen Aktien, wenn er nicht vom Unternehmen überzeugt ist? Es ist wichtig, unseren wertvollsten Schatz zu hüten. Denn ohne Vertrauen funktioniert es nicht. Weder auf dem Bauernmarkt, in unserem sozialen Umfeld, in Unternehmen noch in sonst irgendeinem Bereich des Lebens.

Freitag, 20 März: Welt in Zahlen gefangen

Nach den herben Kursverlusten ist an den Börsen etwas Ruhe eingekehrt. Momentan scheint die Welt in Zahlen gefangen zu sein. Alles dreht sich um die Anzahl von Corona-Fällen, Covid-19-Wachstumsraten oder um astronomische Summen der von Staaten oder Notenbanken verabschiedeten Hilfspakete.

Ein Umfeld, in dem sich ein Zahlenmensch wie ich eigentlich ganz wohlfühlen müsste. Als Börsianer ist es schließlich meine Profession, mich mit den Indizes dieser Welt zu beschäftigen oder auch eigene zu berechnen. Aber 2020 ist irgendwie anders. Es ist spätabends, meine Kinder sind bereits im Bett. Ich stehe auf unserer Terrasse, um nach einem anstrengenden Tag noch ein bisschen runterzukommen.

Eine Zahl will und will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. 95.500 – grundsätzlich eine unbedeutende Zahl, wenn damit nicht die Not von so vielen Menschen beziffert werden würde. In Österreich leben 8,7 Millionen Menschen. Von diesen gingen 4,3 Millionen einer Erwerbstätigkeit nach. Im Jahresdurchschnitt waren 2019 etwas mehr als 200.000 Menschen arbeitslos. So weit einmal die Fakten. Mit den Neuanmeldungen dieser Woche ist die Anzahl der Arbeitslosenmeldungen um mehr als 45 Prozent angestiegen. Österreich ist ein Dienstleistungsland, schließlich sind mehr als 70 Prozent diesem Bereich zuzuordnen. Nach dem Shutdown sind diese Branchen besonders stark betroffen. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zahl der Arbeitslosen weiter ansteigen wird.

Ein weiterer wichtiger Arbeitgeber ist die Industrie, die mehr als ein Viertel der Österreicher beschäftigt. Auch hier stehen die Zeichen auf Sturm. Unter diesem Blickwinkel wird klar, warum die Regierung am Mittwoch ein 38-Milliarden-Euro-Hilfspaket verabschiedet hat. Whatever it takes! Wann, wenn nicht jetzt?

Donnerstag, 19. März: ... trotz optimistischer Grundeinstellung ...

Heute ist Donnerstag, der dritte Tag in der Isolation. Meine Frau müht sich in der Wohnküche mit unseren Kindern ab und versucht, die Stimmung - trotz der angespannten Situation - hoch zu halten. Als engagierte aber ungeübte Lehrkraft für einen 11-jährigen und eine 9-jährige hat man es trotz des verspäteten Schulbeginns nicht gerade einfach. Ich sitze in meinem kleinen Zimmer und lasse in meinen Gedanken den gestrigen Tag Revue passieren.

Unsere große Welt ist plötzlich sehr klein geworden. Staaten machen die Grenzen dicht, Regierungen und Notenbanken verabschieden Hilfspakete in Milliardenhöhe, Regionen werden unter Quarantäne gestellt und das Leben vieler Familien ist auf die eigenen vier Wände beschränkt. Die internationalen Aktienmärkte mussten am Mittwoch wieder deutliche Kursabschläge hinnehmen. Aber auch Sicherheitsinvestments müssen dieser Tage Federn lassen. Die Rendite einer 10jährigen österreichischen Staatsanleihe ist binnen weniger Tage von -0,5% auf +0,3% gestiegen. Das bedeutet für Investoren einen Kursverlust von -7%. Der Kurs der 100jährigen österreichischen Bundesanleihe verlor in diesem Umfeld sogar 30% an Wert und damit annähernd soviel wie ein Aktieninvestment. Die Liquidität hat sich trotz der Notenbankeninterventionen aus dem Markt verabschiedet. Wir erleben täglich hohe Kursausschläge – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. In der Krise heißt es reagieren. Die größten Fehler werden in guten und nicht in schlechten Zeiten gemacht.

Dementsprechend wichtig ist es, das danach im Fokus zu haben, um nach der Krise möglichst schnell wieder in die Gänge zu kommen. Das mag jetzt vielleicht etwas anmaßend klingen, schließlich ist ein Ende der Krise - trotz optimistischer Grundeinstellung - noch nicht absehbar. Ich bin aber überzeugt, dass die Gewinner von morgen in der Krise geboren werden.

Mittwoch, 18. März: "Langsam gewöhne ich mich an meine neue Welt"

Es war nur ein kurzes Durchschnaufen, die Aktienmärkte drehten nach den Rekordverlusten zu Wochenbeginn am Dienstag vielerorts ins Plus, um gestern wieder abzustürzen. Der Ölpreis fällt auf den tiefsten Stand seit 2003 – ein weiterer Vorbote für den Wirtschaftseinbruch. Langsam gewöhne ich mich an meine neue Welt. Wie so viele andere auch, bin ich im Krisenmodus angekommen. Die Welt wird systematisch heruntergefahren. Von 100 auf de facto null sozusagen. Wirtschaftlich erleben wir einen Schockzustand. Normalerweise sind typische Auslöser einer Finanzkrise eine Spekulationsblase, unvorsichtige Kreditvergaben oder ein riesiger Schuldenberg. 2020 ist irgendwie anders.

Der aktuelle Schock trifft die Realwirtschaft. Und das sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite. Der letzte Angebotsschock liegt mit der Ölkrise der 1970er-Jahre schon lange zurück. 2020 erleben wir eine Vollbremsung. Geschäfte sperren (vorübergehend) zu. Unternehmen wird damit die Geschäftsgrundlage bis auf Weiteres entzogen. Viele Arbeitnehmer fürchten um ihre Jobs. Meinem Gefühl nach ist der Ernst der Lage bei den Entscheidungsträgern durchaus angekommen. Aber wie können Staaten oder Notenbanken stimulierend eingreifen? Die Zentralbanken der Welt haben seit Anfang März die Leitzinsen 37 (!) Mal gesenkt. Darüber hinaus stellen sie den Finanzmärkten Liquidität zur Verfügung, indem sie gegen den Trend kontinuierlich Wertpapiere kaufen.

Auch von staatlicher Seite werden rund um den Globus massive Unterstützungspakete geschnürt. Der US-Finanzminister kündigt an, die Wirtschaft mit einem Paket von 850 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Österreich stockt auf bis zu 38 Milliarden Euro auf. Die EU verspricht jede verfügbare Hilfe. So weit ist einmal alles angerichtet. Jetzt heißt es vorerst einmal abwarten und Ruhe bewahren.

Dienstag, 17. März: "Mein erster Tag in der Isolation"

Heute ist Dienstag. Mein erster Tag in der Isolation der eigenen vier Wände. Für uns als Familie bringt das, wie für so viele andere auch, neue Herausforderungen. Meine Frau, die seit gestern Überstunden abbaut, lernt mit unseren Kindern für die Schule. Ich schotte mich im Nebenzimmer etwas ab und versuche konzentriert, meine Aufgaben abzuarbeiten. Diese Tage telefoniere ich außergewöhnlich viel, schließlich ist auch eine Menge aufzuarbeiten. Gestern haben die Aktienindizes in den USA Rekordverluste hinnehmen müssen.

Für die technologielastige Nasdaq war es mit einem Minus von 12,3% sogar der größte Tagesverlust der Geschichte. Mehr noch als am Black-Monday 1987.  Die Märkte sind von der Liquiditätsseite her völlig ausgedünnt. Es gibt nur mehr wenige, die sich mit Kaufaufträgen gegen den Trend stellen. In diesem Zusammenhang kommt mir die alte Börsenweisheit „Never catch a falling knife“ in den Sinn. Das betrifft nicht nur Aktien sondern auch andere Assetklassen wie Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen. Cash ist dieser Tage King. Im Anleihenbereich hat sich die Spannweite zwischen Kauf- und Verkaufskursen innerhalb der letzten Wochen stark ausgeweitet. Jeder Verkäufer muss damit mit vergleichsweise hohen Kursabschlägen rechnen.

In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter Fondsmanagern hat sich das Sentiment innerhalb der letzten Wochen von sehr positiv auf extrem negativ gewandelt. Blöderweise aber erst nach dem Kursrutsch an den Börsen. Die Finanzwelt befindet sich im „Risk-Off-Modus“. Irgendwie schwer vorstellbar, dass die Welt vor drei Wochen noch in Ordnung war.

Montag, 16. März: "Das Gemetzel geht weiter"

Das Wochenende über haben sich die Ereignisse überschlagen. Eine Krisensitzung jagt die nächste und mittlerweile sind selbst Finanzexperten „ausgewiesene“ Virologen. Die USA erklären den nationalen Notstand, Österreich vollzieht den Shutdown und Deutschland macht die Grenzen dicht. Vor nicht einmal einer Woche war das völlig unvorstellbar. In der Wirtschaftswissenschaft spricht man von einem schwarzen Schwan.

Das ist ein Synonym für ein Ereignis, welches es eigentlich gar nicht geben dürfte. Und genau in so einem befinden wir uns dieser Tage. Regierungen schnüren Maßnahmenpakete und Notenbanken versuchen, mit Finanzspritzen unterstützend einzugreifen. Ich habe das Gefühl, dass man sich dem Ernst der Lage durchaus bewusst ist und im Zweifelsfall noch nachlegen wird. Die Auswirkungen kann jedoch niemand seriös prognostizieren. Fix ist nur, dass die gegenwärtige Krise massive Auswirkungen auch auf unser Leben danach haben wird. Und damit sind viele Bereiche wie z. B. Wirtschaft, Kultur oder Gesellschaft betroffen.

Am Montag ging das Gemetzel an den Kapitalmärkten trotz der eingeleiteten Gegenmaßnahmen weiter. Die Aktienkurse notieren im tiefroten Bereich. Ganz egal ob dies- oder jenseits des Atlantiks. Das führt auch dazu, dass viele Risikolimite gerissen wurden. Die Angst ist auch am Börsenparkett spürbar. Das führt zu weiteren Verkaufsdruck und damit zu fallenden Kursen. Überraschenderweise mussten auch vermeintliche Sicherheitsinvestments wie Gold deutlich Federn lassen. Wir erleben gerade außergewöhnliche Tage. 2020 ist anders. Selbst für einen krisenresistenten Börsianer.

Samstag, 14. März: "Weder Gier noch Angst sind gute Ratgeber"

Seit 1998 lässt mich die Faszination für die Finanzmärkte nicht mehr los. Als junger Fondsmanager erlebte ich bereits die Internetblase hautnah mit, die im März 2000 ihren Höhepunkt fand. Damals führten irrational hohe Erwartungen zu irrational hohen Bewertungen und im Anschluss zu einem dreijährigen Bärenmarkt. Im September 2008 sorgten die Lehman-Pleite und die darauffolgende Finanzkrise für herbe Kursverluste. Ein halbes Jahr später war der Tiefpunkt erreicht.

Danach erlebten wir den längsten Bullenmarkt der Börsengeschichte. Im Gegensatz zur Internetblase oder der Finanzmarktkrise ist die heutige Börsenkrise anders. Die Ereignisse dieser Woche haben zu herben Kurseinbrüchen geführt. Der amerikanische Aktienmarkt (S&P 500) musste am Donnerstag den höchsten Tagesverlust seit 1987 hinnehmen. Das Tempo ist sehr rasant. Seit dem Höchststand am 19. Februar verloren wir 27 Prozent. 2000 benötigte der Bärenmarkt für vergleichbare Kursverluste ein ganzes Jahr. 2008 einen Monat und 2020 nicht einmal mehr diesen einen Monat. In einem durchschnittlichen Bärenmarkt verlieren Investoren zwischen 25 und 30 Prozent. 2020 ist irgendwie anders. Jetzt heißt es Wunden lecken und einen kühlen Kopf bewahren.

In meinem Berufsleben habe ich schmerzhaft gelernt, dass Krisen dazugehören. Emotionen, egal ob Gier oder auch Angst, sind keine guten Ratgeber. Auch wenn niemand seriös die Zukunft prophezeien kann, möchte ich diese Zeilen positiv beenden. Die größten Kursgewinne erzielten Börsianer, nachdem sie das Tal der Tränen durchschritten haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es auch diesmal so sein wird.