Unser Wohlstand ist so hoch wie nie, Ihr Bild von Gegenwart und Zukunft der Millennials (Jahrgänge 1982 bis 1996) ist düster. Überzeichnen Sie?
LUKAS SUSTALA: Ich möchte ein Bonmot abwandeln: „Die Lage scheint hoffnungslos, aber nicht schlimm.“ Für viele junge Erwachsene haben sich zuletzt mickrige Einkommenszuwächse, aber starke Steigerungen bei Wohnkosten eingestellt. Gerade unsere Sozialsysteme sind davon abhängig, dass es Wachstum gibt. In den letzten 20 Jahren kamen zwei Effekte zusammen: Die konjunkturelle Krise einerseits und andererseits, dass wir, die Millennials, zu spät zur Party gekommen sind – in dem Sinn, dass vom hohen Wachstum durch die demografischen Dividende der Vergangenheit für uns die hohen demografischen Kosten bleiben.

Die Millennials leiden trotz bester Ausbildung unter stagnierenden Einkommen, sollen aber das Pensionssystem einer alternden Gesellschaft finanzieren.
Die Schultern, auf denen dieses System stehen soll, müssten breiter werden. Es müssten die Einkommen der Jungen stark steigen, wir bräuchten mehr Vollzeitbeschäftigung, stabilere Erwerbskarrieren. Derzeit sieht es nicht danach aus.

Ökonom Lukas Sustala
Ökonom Lukas Sustala © Agenda Austria

Wäre die Entwicklung ohne diese bisher größte Krise des 21. Jahrhunderts anders gewesen?
Vor 2008 und in der Krise wurden in Europa auf staatlicher und privater Ebene hohe Schulden gemacht. Und in dieser Phase wurden eher „jetzige statt künftige Pensionsbezieher“ geschützt und Ressourcen von den jüngeren Kohorten hin zu den älteren Kohorten verschoben.

Es kursieren einige unfreundliche Klischees über die Millennials. Welche Werte sind Ihrer Generation wichtig?
Es gibt nicht diese dramatische Wesensveränderung zwischen den jetzigen 25- bis 35-Jährigen und den 25- bis 35-Jährigen vor 30 Jahren. Was sich oftmals geändert hat, sind die Rahmenbedingungen, unter denen sie studieren, arbeiten, Familien gründen. Es gibt heute einige größere Hürden, einen gewissen Lebensstandard aufzubauen.

Sie zitieren einen Banker: „Was früher der Maturant war, ist heute der Master-Absolvent.“ Bildung sei immer notwendiger, aber immer weniger ausreichend. Gibt es einen Ausweg?
Ich glaube, da gibt es nicht wirklich einen Ausweg. Dass junge Menschen heute besser ausgebildet sind, ist ja positiv. Der Bildung kann man gar nicht einen zu großen Wert beimessen. Doch hat sich die Erwartungshaltung verschoben. Früher war der Abschluss eines Studiums ein fixes Eintrittsticket in den Arbeitsmarkt. Wenn man sich heute aber etwa die Jobausschreibung einer großen Bank ansieht, muss man auch programmieren können, mehrere Sprachen sprechen, hat ein bis zwei Masterabschlüsse und idealerweise Berufserfahrung.

Was folgt daraus?
Junge Leute müssen sich damit auseinandersetzen, wohin sie ihre Bildungskarriere führt, was die Fähigkeiten und die Jobs der Zukunft sind. Wir müssen ja nicht nur über das Studium reden, es werden händeringend Fachkräfte in der Industrie und im Handwerk gesucht.

Die Pensionierungswelle wird einen Arbeitskräftemangel auslösen. Das bringt die Millennials doch in eine gute Position.
Das ist ein zentraler Lichtblick, dadurch haben viele Millennials die Chance, in besser bezahlte Positionen aufzurücken. Es bleibt die Frage, wie viele Jobs in Zeiten von Digitalisierung wirklich nachbesetzt werden.

Die Politik kümmert sich lieber um Ältere, weil da mehr Stimmen zu holen sind. Ökonomen fordern, Eltern ein Stimmrecht für ihre Kinder einzuräumen, damit deren Interessen stärker abgebildet werden. Was halten Sie davon?
Ein spannender Vorschlag, den man diskutieren soll. Es ist aber die zweitbeste Lösung. Mir wäre eine Koalition aus Jungen und Junggebliebenen, die sich langfristig orientiert, lieber. Die Debatte um ein Familienwahlrecht zeigt aber, wie wichtig es ist, diese Zukunftsinteressen in den Blick zu nehmen. Eine mögliche „Herrschaft der Alten“ ist eine Gefahr, wenn darauf verzichtet wird, in die Zukunft zu investieren. Das Schlimmste im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung wäre, so zu tun, als könnte man Europa strukturkonservativ verwalten.

Wie viel „junge Politik“ steckt im türkis-grünen Programm?
Es gibt einige gute Punkte rund um das Thema Klimaneutralität 2040 oder die Entlastung des Faktors Arbeit. Wir haben aber in Österreich ein großes Thema mit Reformvorhaben, die eigentlich Altlasten darstellen: Ineffizienz im Föderalismus, das chronisch niedrige Pensionsantrittsalter. Das steht nicht oder nur vage im Programm. Einer der Gründe ist, dass beide Parteien sehen, dass sie wenig zu gewinnen haben, wenn sie etwa aktiv das Pensionsthema angehen. Dieses Kapitel ist sicher das enttäuschendste.

Brauchen wir einen Aufstand der Jungen?
In südeuropäischen Ländern oder im angelsächsischem Raum hat man schon den einen oder anderen Aufstand gesehen. Österreich tut gut daran, alles zu tun, um zu verhindern, dass es einen Aufstand braucht. Es bedarf lauter Stimmen innerhalb des politischen Diskurses, um darauf hinzuweisen, was nötig ist, um das System gerecht für künftige Generationen zu machen.

Das Buch: "Zu spät zur Party. Warum eine ganze Generation den Anschluss verpasst", Verlag Ecowin, 180 Seiten