Es ist eine Wette auf die Zukunft des Autos - befeuert durch heißgelaufene Erwartungen, aber auch die Angriffslust des Underdogs. Tesla zog beim Börsenwert an Volkswagen als größtem Hersteller der Welt vorbei, nachdem der Elektroautobauer an der Wall Street am Mittwoch erstmals die Marke von 100 Milliarden US-Dollar (90 Milliarden Euro) geknackt hatte.

Schon seit Anfang des Jahres ist Tesla mehr wert als die beiden US-Branchenriesen General Motors und Ford zusammen. So eindrucksvoll dies für die Fans des Unternehmens aus Fremont in Kalifornien sein mag: Die reine Börsenbewertung ist oft stark von der wirtschaftlichen Lage einer Firma entkoppelt. Branchenbeobachter Frank Schwope betont etwa, dass der starke Tesla-Kurs zunächst einmal nur eine Momentaufnahme sei. "100 Milliarden sind schon eine starke Hausnummer", räumt der Analyst der NordLB ein. Aber man müsse stets auch die realwirtschaftliche Entwicklung der Firma im Auge behalten.

Realwirtschaft gegen Börsenwert

Tesla war bisher über weite Strecken unprofitabel, die kostspielige Einführung neuer Modelle riss Löcher in die Bilanz. Zwar konnte im dritten Quartal 2019 ein Gewinn erzielt werden - Schwope bezweifelt aber, dass die Geschäftszahlen den Auslöser für den aktuellen Höhenflug gaben: "Der Anleger honoriert ja vor allem Erwartungen." Mit Blick auf die Schwierigkeiten, die Tesla in der Produktion großer Stückzahlen für den Auto-Massenmarkt habe, sei der zwischenzeitliche Börsenwert "doch wohl etwas überzogen". "Ich stehe dem durchaus skeptisch gegenüber", so Schwope. Wertvollster Autobauer an der Börse ist Toyota mit mehr als 200 Milliarden Dollar.

Diess zollt Respekt

Allerdings kann die Forderung nach Augenmaß auch in umgekehrter Richtung greifen: Nur weil Tesla noch nicht dauerhaft ertragreich ist und in Teilen von einem Finanzmarkt-Hype getragen wird, bedeutet das nicht, dass Konkurrenten die Amerikaner auf die leichte Schultern nehmen dürfen. Im Gegenteil. VW-Chef Herbert Diess hat Musk bei mehrfacher Gelegenheit Respekt gezollt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte er: "Wir glauben, dass Tesla eine sehr wichtige Rolle im Wandel (der Autoindustrie) spielt, weil sie ein Wegbereiter sind." Gemeint ist der grundlegende Umbau der Branche vom Autobau zur Integration neuer Technologien wie Vernetzung und E-Mobilität.

Der Sturm geht erst los

Kürzlich hatte Diess schon seinen Managern deutlich ins Gewissen geredet. In einer internen Runde sagte er Mitte Jänner vor Führungskräften: "Der Sturm geht jetzt erst los. (...) Sind wir schon gut genug vorbereitet auf das, was da kommt?" Bezogen auf den steigenden Börsenwert von Tesla meinte der VW-Chef: "Das Auto wird das wichtigste Mobile Device. Wenn wir das sehen, dann verstehen wir auch, warum Tesla aus Sicht der Analysten so wertvoll ist. (...) Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei." Auch Volkswagen solle daher zu einem "digitalen Tech-Konzern" geformt werden.

Im vergangenen Jahr konnte Tesla die Auslieferungen um satte 50 Prozent auf 367.500 Fahrzeuge steigern. Die Grundlage dafür ist das Model 3, das dem Elektroauto-Pionier den Weg aus der Nische in einen breiteren Markt ebnen soll.

300 Millionen Dollar für Musk?

Unterdessen rückt Tesla den deutschen Platzhirschen auch in deren Heimat nahe. In Grünheide bei Berlin soll eine neue "Gigafactory" mit tausenden Jobs entstehen, zur Produktion des Kompakt-SUV Model Y. In den USA soll die Fertigung des Model Y in den kommenden Monaten beginnen - eine Möglichkeit für Musk, zu beweisen, dass Tesla ein neues Fahrzeug auch ohne große Dramen und hohe Kosten in Serie bringen kann.

Musk ist denn auch einer, der von dem hohen Kurs persönlich profitieren kann. Hält sich der Börsenwert sechs Monate lang über der Marke von 100 Milliarden Dollar, kann der Starunternehmer auf eine mehr als 300 Millionen Dollar schwere Tranche aus seinem auf zehn Jahre ausgelegten Vergütungs-Fahrplan hoffen.