Die ÖGK wird mit 1. Jänner Realität. Sie sind deren Obmann – ist die neue Kasse in allen Bereichen auf Plan?
MATTHIAS KRENN: Wir sind startklar. Einige Mitarbeiter sind über Silvester auf Bereitschaft, damit der Betrieb einwandfrei erfolgt. Das Einzige, was die Versicherten spüren sollen, ist, dass die neue Gesundheitskasse funktioniert. Es ist beachtlich, was die über 700 Mitarbeiter der Kerntruppe dieses Megaprojekts in vielen Überstunden erreicht haben. Man hat uns von vielen Seite nicht zugetraut, dass wir diese Umstellung schaffen.

Welche großen Brocken kommen jetzt noch auf die ÖGK zu?
Mit Beginn des Echtbetriebs am 1. 1. 2020 gilt es die Voraussetzung zu schaffen, dass Reformschritte gut und zügig umgesetzt werden. Vor allem die weitere Harmonisierung.

Werden alle Leistungen für Versicherte dem jeweils höchsten GKK-Niveau angeglichen?
Ob alles immer auf dem höchsten Niveau stattfinden kann, muss ich unbeantwortet lassen. Aber wir versuchen, das Bestmögliche zu schaffen. Und schauen Sie auf die Beschlüsse letzter Woche: Vom Krankengeld bis zu den Heilbehelfen haben wir schon jetzt vieles umgesetzt - früher als geplant.

Auch um vielen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Ja, natürlich. Ein paar Unterschiede gibt es ja trotzdem noch zwischen den neun Gebietskrankenkassen, die sich über Jahrzehnte unterschiedlich entwickelt haben. Die Leistungsunterschiede bleiben vorerst aufrecht, bis diese angeglichen sind.

Es steckt also noch einiges an alter GKK in der neuen ÖGK?
Ja, es gibt unterschiedliche Vertragsvereinbarungen. Auch mit den Ärzten. Sobald diese Verträge ablaufen, werden wir diese in ein gemeinsames Konstrukt gießen. Der Prozess für österreichweit einheitliche Standards soll bis 2024 abgeschlossen sein.

In den Ländern müssen noch Landesstellen-Ausschüsse konstituiert werden?
Ja. Die bisherigen Direktoren werden Leiter der Landesstellen. Dort, wo es aufrechte Vertragsverhältnisse mit bisherigen Direktoren gibt, bleiben diese bis zum Ablauf aufrecht. In bestehende Verträge wird nicht eingegriffen. Die Selbstverwaltung wird künftig bundesweit gesteuert, die Länderinteressen bleiben gewahrt. Insgesamt waren bisher knapp 2000 Funktionäre tätig, in Zukunft sind es nur mehr knapp 500.

Im Schlagabtausch mit den Arbeitnehmervertretern wurde viel Porzellan zerschlagen. Wie wollen Sie die Scherben wieder kitten?
Eine Gesprächsbasis hat es auch während der gesamten neun Monate der Überleitung gegeben. Trotz unterschiedlicher Sichtweisen ist es gelungen, den Dialog aufrecht zu erhalten. Es wird auch in Zukunft konstruktiv miteinander gesprochen werden – wir haben ein gemeinsames Ziel, die bestmögliche Versorgung unserer Versicherten.

Haben Sie Sorge, dass Türkis-Grün die Reform der Sozialversicherung wieder umkrempelt?
Was die Struktur betrifft, glaube ich das nicht, letztendlich leben wir in der Selbstverwaltung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der führende Regierungspartner die Reform über Bord wirft. Sie war für die ÖVP, wie für die FPÖ, ein Leuchtturmprojekt.

Wird die ÖGK Partner die Verhandlungsmacht spüren lassen?
Das ist die falsche Diktion. Natürlich haben wir mehr Verhandlungsgewicht, aber es gilt das Motto „leben und leben lassen“. Wir müssen andere Synergien nutzen, um Mittel freizubekommen – im IT-Bereich, in einer effizienteren Verwaltung und im natürlichen Abgang – alle Mittel, die eingespart werden, sollen in verbesserte Leistungen fließen.

Sie starten mit einem Defizit-Rucksack von 175 Millionen Euro – ist nächste Sparpaket aufgelegt?
Im Budget, das wir für 2020 und auf Basis der Einmeldungen der bisherigen Gebietskrankenkassen veranschlagt haben, sind Synergie- und Einsparungspotenziale nicht enthalten. Es ist eine Herausforderung, aber auch die Chance, dass wir die Einsparungspotenziale, die wir formuliert haben, in die Umsetzung bringen: in der Beschaffung, der gemeinsamen Verwaltung, im Personalbereich.

Bis wann wollen Sie das Budget wieder stabilisieren?
Die Chancen stehen gut, dass es schon 2020 weniger als 175 Millionen Euro sein werden. Wir wollen lieber positiv überraschen. Wir sehen ein negatives Bilanzergebnis auch als Chance, dieses in bundesweiter Steuerung abzuarbeiten. Bis wann das gelingt, kann ich nicht sagen, gleichzeitig wollen wir ja auch Verbesserungen finanzieren. Wirtschaftliches Ziel muss es immer sein, mittelfristig ausgeglichen zu budgetieren.

Wann wird es so weit sein?
Ich kann keine Jahreszahl fixieren, das muss erst im Detail gerechnet werden.

Befürchtete Selbstbehalte bleiben ausgeschlossen?
Selbstbehalte für Versicherte waren zu keinem Zeitpunkt ein Thema. Mich wundert aber die Forderung der Gewerkschaft, die der trägerübergreifenden Harmonisierung das Wort redet. Dort, wo die hinschielen, gibt es Selbstbehalte bis zu 20 Prozent. Die wird es in der ÖGK nicht geben.

Das Höchstgericht gab der neuen Gesundheitskasse grundsätzlich grünes Licht, sah aber auch einige nicht verfassungskonforme Regelungen.
Wichtigste Entscheidung war die Bestätigung der Parität. Dass etwa die monatliche Beitragsgrundlagenprüfung bei der Kasse bleibt, ist ok. Es gibt auch Schlimmeres als dass es doch keine Eignungstests für Funktionäre geben soll. Aber die große Linie steht und damit steht auch die Reform. Es macht mich persönlich stolz, dass es gelungen ist, das gewaltige Reformprojekt zum Leben zu bringen – ein historischer Moment.

Mit der Debatte um die Verschärfung des Krankenstandes löste man viel Verunsicherung aus – war das notwendig?
Für uns waren die kolportierten Verschärfungen kein Thema. Das ist vom Wirtschaftsbund gekommen und war mit mir nicht abgestimmt. Ich habe das verhindern können.

Verschärfungen sind vom Tisch?
Ich habe sichergestellt, dass wir in der ersten Jahreshälfte die Krankenstandsordnung evaluieren. Wir werden versuchen, eine vernünftige Lösung zu finden. Eines will ich nicht: Dass, wie bei der Registrierkassenverordnung, eine Berufsgruppe – damals waren es Unternehmer – unter Generalverdacht gestellt wird. Man darf nun nicht die gesamten Versicherten unter Generalverdacht stellen, sondern muss Missbrauch verhindern. Wir müssen auch noch stärker frühzeitig durch präventive Maßnahmen Gesundheitsförderung betreiben.

Verbringen Sie Weihnachten in Wien oder in Bad Kleinkirchheim?
Wien ist für heuer abgeschlossen, zwischen den Feiertagen haben sich aber einige zu Gesprächen angekündigt, die führen wir in Bad Kleinkirchheim. Ich werde jetzt versuchen, wieder runterzukommen.