Ihr Hemd beinhaltet zufällig Ihnen vertraute Zellstofffasern – also Lenzing-Produkte?
STEFAN DOBOCZKY: Ja, eine Baumwoll-Lyocell-Mischung.

Wie wird ein Baum zum Hemd?
Salopp gesagt: Ein Baum besteht aus Zellstoff und einem Kleber, dem Lignin. Der Zellstoff hat denselben molekularen Aufbau wie die Baumwolle.

63 Prozent aller Kunstfasern werden aus Erdöl hergestellt. Nur sechs Prozent aus holzbasierten Zellulosefasern. Sie treten aus der Nische gegen die CO2-Liga an?
Die gesamte Textilindustrie als größter Anwender nutzt jährlich 106 Millionen Tonnen Fasern. Damit gibt es sehr viele ökologische Themen. Denn die gesamte Industrie hat eigentlich kein Recycling-Kozept wie Stahl oder Papier. Irgendwann landet alles auf dem Müll oder im Meer als Mikroplastik. Zwei Drittel sind Fasern aus Erdöl. Polyesterfasern brauchen 500 Jahre, bis sie abgebaut sind. Das andere Drittel sind Naturfasern. Ich sehe von Weitem, dass Sie ein Baumwollhemd tragen, das braucht rund 2500 Liter Wasser zur Herstellung. Das ist Faktor 20 beim Wasser und Faktor 4 gegenüber holzbasierten Naturfasern. Wir sind mit unseren Produkten in dieser Zeit perfekt aufgestellt.
Mit Ihren Werken in Lenzing Heiligenkreuz, Tschechien, England, USA, China und Indonesien sind Sie mitten im Klimathema.
Ja, wir sind weltweit aktiv und haben das Thema Nachhaltigkeit und Klima zu unserem Alleinstellungsmerkmal gemacht.

Dass Sie ihr nächstes Werk für eine Milliarde in Thailand errichten, geht auch in diese Richtung?
Für uns ist Asien als Drehscheibe im Textilgeschäft mit 70 Prozent Weltanteil der Hauptgeschäftsplatz. Das Lyocell, das wir in Thailand produzieren werden, ist kowhow-intensiv, deshalb sind wir zurückhaltend nach China zu gehen. Thailand hat Freihandel mit China, Indien und den Asean-Ländern.

Da weichen Sie auch dem Handelsstreit Trump gegen Xi aus?
Wir entschieden bereits vor eineinhalb Jahren, den Bau eines Werkes, das wir in Alabama errichten wollten, zu stoppen. Wir zahlen von den USA nach China 25 Prozent Zoll.

Werk in Brasilien

Jetzt planen Sie – während dort der Regenwald brennt – ein Werk in Brasilien. Wie passt das?
Das muss man differenzieren. Brasilien ist groß. Wir planen mehrere Flugstunden vom Amazonas entfernt. Unseren Eukalyptus-Nutzwald dort muss man sich wie ein Zuckerrohrfeld vorstellen. Die Bauern bauen entweder Soja an, Kaffee oder Eukalyptusbäume. Die sind nach sechs Jahren 30 Meter hoch und erntereif.

Es sind jedoch Monokulturen.
Man hat dort Monokulturen, aber die Böden wurden durch Selbstgeneration sehr in Balance gehalten. Unsere Holzpolitik ist sehr stringent, wir haben eine FSC-zertifizierte Plantage und sind damit nachhaltig.

Nachhaltige Textilien

Ihre Marke Tencel findet man von der Jeans bis zu Dessous, aber auch mit weiten Transportwegen.
Die weiten Transportwege sind in der Textilindustrie heute ein unausweichliches Faktum. Ein komplexes Thema mit einer Faser, die zum Spinner geht, zum Stricker, Weber, Färber. Da sind viele Industrien involviert.

Ein T-Shirt kostet dann trotzdem oft nur zwei Euro. Verrückt!? Lenzing verdient aber gut daran.
In einem T-Shirt mit 100 Gramm hat unser Faseranteil einen Wert von 15 Cent. Mit einer nachhaltig guten Faser vielleicht 20 Cent. Es gibt aber mehr T-Shirts um 20 Euro. Fünf Cent mehr für T-Shirts mit holzbasierten Zellfasern können Ozeane entlasten. Es kann doch nicht sein, dass unsere Meere so behandelt werden. So machen wir mit unseren Marken und Innovationen Pionierarbeit. Die Lenzing ist auch deshalb sehr erfolgreich, weil wir uns Spezialitäten zugewandt haben.

Die Klimaziele für Ihre Werke sind ambitioniert: 50 Prozent CO2-Reduktion bis 2030. Wie viel müssen Sie dafür investieren?
Wir werden dafür über 100 Millionen Euro in die Hand nehmen. Bis 2050 soll die Lenzing AG klimaneutral sein. Lenzing ist eine Industrie wie eine Raffinerie, daher ist das wirklich ambitioniert.

Am Heimmarkt ist genug Holz?
Wir sind in Österreich größter Einkäufer bei Buchenholz, in Tschechien bei Fichte, teilweise aus Slowakei, Slowenien, Bayern. In Albanien unterstützen wir Aufforstung, weil Wald für uns ein emotionales Thema ist.

Mit 6800 Mitarbeitern setze die Lenzing AG 2018 rund 2,2 Milliarden Euro um und erwirtschaftete 382 Millionen Euro Ebitda. Wie finanzieren Sie die neuen Werke?
Die Bilanz der Lenzing ist heute sehr gesund, mit weit über 50 Prozent Eigenkapitalquote. Die Finanzverschuldung liegt mit etwas über 300 Millionen Euro gerade einmal beim Ebitda. Für Thailand und Brasilien sprechen wir von über 1,5 Milliarden Euro in drei, vier Jahren. Das sind dicke Bretter. Die Bilanz gibt das her, die Fremdkapitalmöglichkeiten werden wir ausschöpfen, langfristig wird es unser Schwungrad antreiben.

Erwartung an Regierung

Wie trifft Sie die weltweite Konjunkturabschwächung?
Die makroökonomische Situation ist herausfordernd. Wir spüren Nervosität in der Textilindustrie wegen der Handelskonflikte. Wir sind aber gut aufgestellt und auch heuer zuversichtlich. 2020 wird für die gesamte Wirtschaft nicht einfach.


Erwartung an die - vielleicht türkis-grüne - neue Regierung?
Ich habe keine politische Präferenz. Uns ist wichtig, dass der Industriestandort gestärkt wird bei Bildung und Infrastruktur. Österreich muss in der Klimapolitik weiterarbeiten. Da haben wir als Land viel zu bieten.

Dass die B&C-Holding ein Eindringen des Investors Michael Tojner abwehrte, stärkt Stabilität bei Lenzing, Semperit und AMAG?
Die B&C ist unser Haupteigentümer und wir schätzen die langfristige Orientierung. Sie ist ein sehr verlässlicher Aktionär und mich freut es sehr, dass sich daran nichts ändert.

Zur Person

Stefan Doboczky (51) stammt aus Klagenfurt, studierte Chemie in Wien, Finanz in London und Management in Lausanne. 17 Jahre Karriere beim Chemiekonzern DSN, zunächst in ehemaliger Chemie Linz später in China, 2011 in Holland im Konzernvorstand.

Seit Juni 2015 ist er Vorstandsvorsitzender der Lenzing AG in Linz. Der Faserhersteller erzielte 2018 mit 6800 Mitarbeitern rund 2,2 Millionen Euro Umsatz und ein Ergebnis (Ebitda) von 382 Millionen Euro.