Einen Tag nach den Lockerungsbeschlüssen der Europäischen Zentralbank (EZB) melden sich die Kritiker unter den Währungshütern zu Wort. Die Notenbank-Chefs der Niederlande und Österreichs erklärten am Freitag, dass sie die neuen Maßnahmen skeptisch sehen oder gar ablehnen. Die EZB hatte unter anderem eine Erhöhung der Strafzinsen gekoppelt mit Erleichterungen für Geldhäuser beschlossen.

Zudem sollen die umstrittenen Anleihenkäufe wieder aufgenommen werden. Ab November sollen pro Monat neue Zukäufe im Volumen von 20 Milliarden Euro hinzukommen. Sie sollen erst gestoppt werden, wenn die EZB kurz vor einer Zinserhöhung steht.

Österreichs neuer Notenbank-Chef Robert Holzmann meldete Zweifel an. Auf die Frage, ob andere und auch er dachten, dass die Beschlüsse vielleicht ein Fehler gewesen seien, sagte er Bloomberg TV: "Ich bin mir sicher, dass diese Idee einigen Leuten durch den Kopf ging. Mir ging sie definitiv durch den Kopf." Insidern zufolge war EZB-Präsident Mario Draghi mit dem Vorschlag zur erneuten Auflage der Anleihenkäufe in der Zinssitzung auf starke Opposition gestoßen. Laut Holzmann waren Zweifel an der Wirksamkeit des Pakets ein Hauptgrund für den Widerstand.

"Wirtschaftliche Lage nicht wirklich schlecht"

Holzmann drückte zugleich seine Hoffnung auf geldpolitische Änderungen in der Zukunft aus. "Ich hoffe, wir sind nicht festgelegt. Ich hoffe, es gibt Spielraum, über den wir in Zukunft diskutieren." So sei es etwa an der Zeit, dass sich die EZB von ihren Negativzinsen verabschiede. Einige EZB-Räte seien schon jetzt der Meinung gewesen, dass ein noch niedrigerer Einlagenzins der falsche Weg sei.

Auch der deutsche Bundesbank-Chef Jens Weidmann hat die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) zur weiteren Lockerung der Geldpolitik scharf kritisiert. "Ein so weitreichendes Paket wäre nicht nötig gewesen", sagte Weidmann der "Bild"-Zeitung (Samstagsausgabe). EZB-Chef Mario Draghi sei aus seiner Sicht "über das Ziel hinausgeschossen". Schließlich sei "die wirtschaftliche Lage nicht wirklich schlecht".

"Nebenwirkungen nehmen zu"

Durch die neuen Anleihekäufe würden die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik "absehbar in Frage gestellt", kritisierte Weidmann. Mit dieser Position sei er innerhalb des EZB-Rates "nicht allein".

Mit dem Beschluss, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen, werde es für die EZB immer schwerer, aus dieser Politik auszusteigen, sagte der Bundesbank-Präsident weiter. "Die Nebenwirkungen und Finanzstabilitäts-Risiken der sehr expansiven Geldpolitik nehmen zu, je länger sie dauert."

Auf die Frage nach den Folgen der EZB-Entscheidung für Sparer und Immobilienkäufer erklärte Weidmann: "Für die Bevölkerung heißt das: Wer bauen will, bekommt vielleicht günstigere Kredite. Sparer dagegen sind schlechter dran." Zudem werde es schwerer, für das Alter vorzusorgen, ohne mehr Risiko einzugehen. "Das spüren Pensionsfonds und Lebensversicherer besonders." Die EZB müsse "darauf achten, dass das, was sie tut, die Menschen nicht zutiefst verunsichert", riet er. "Dazu gehört auch, dass die Menschen sich darauf verlassen können, dass das Geld seinen Wert behält."

"Schwer zu stoppende Abwärtsspirale"

Die Maßnahmen, vor allem der Neustart der Anleihenkäufe, passten nicht zum aktuellen Konjunkturumfeld und es gebe gute Gründe, dessen Wirksamkeit zu bezweifeln, erklärte der niederländische Notenbankchef Klaas Knot. Die Wirtschaft im Euroraum sei voll ausgelastet, zudem stiegen die Löhne. Die Finanzierungsbedingungen für Verbraucher, Unternehmen und Regierungen seien sehr günstig. Dagegen gibt es Knot zufolge bereits Anzeichen für verzerrte Kurse an den Finanzmärkten und eine überhöhte Risikobereitschaft im Immobilienmarkt.

Aus Sicht von Knot gibt es weder die Gefahr einer Deflation - einer schwer zu stoppenden Abwärtsspirale aus Preisen, Löhnen und Investitionen - noch Anzeichen für eine Rezession im gesamten Euroraum. Zwar bereite Sorge, dass die Inflation unter der Zielmarke der Notenbank liege. Daraus folge aber nicht, dass der Neustart eines Instruments mit so großer Tragweite wie die Anleihenkäufe angemessen sei.

Bündel an Maßnahmen geschnürt

Die EZB hatte am Donnerstag unter anderem die Strafzinsen für Banken auf 0,5 Prozent von 0,4 Prozent angehoben, wenn diese überschüssige Gelder bei der Notenbank horten. Zugleich kündigten die Währungshüter aber eine Staffelung an, sodass ein Teil der Überschussliquidität der Banken von den Strafzinsen ausgenommen wird. Die Zentralbank hat aber nicht nur an der Zinsschraube gedreht. Auch die erst Ende 2018 gestoppten umstrittenen Anleihenkäufe sollen wieder aufgenommen werden. Ab November sollen pro Monat neue Zukäufe im Umfang von 20 Mrd. Euro hinzukommen. Die Käufe sollen erst dann gestoppt werden, wenn die EZB kurz vor einer Zinserhöhung steht.

"Falsches Signal"

Heimische Ökonomen haben die geldpolitischen Entscheidungen der EZB in Reaktionen auf Twitter unterschiedlich beurteilt. Für IHS-Chef Martin Kocher ist die Wiederaufnahme des Anleihenkaufprogramms ohne Enddatum ein "falsches Signal". Die Forward Guidance mache aber "angesichts der Lage Sinn", schrieb Kocher.

Unter Forward Guidance versteht man Kommentare einer Notenbank zur längerfristigen Ausrichtung der Geldpolitik. Dies soll den Märkten Orientierung über die nächsten geldpolitischen Schritte geben. Im aktualisierten Ausblick von gestern gab die EZB bekannt, ihre Schlüsselzinsen solange auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau halten zu wollen, bis das Inflationsziel von knapp zwei Prozent in Reichweite gelangt ist. Bisher stellten die Währungshüter bis Mitte 2020 stabile oder niedrigere Schlüsselsätze in Aussicht.

"Fehlende fiskalische Impulse"

Bis die Inflation wieder anzieht, könnte es aber laut den aktuellen Prognosen der EZB noch dauern. Denn für das laufende Jahr senkten die EZB-Ökonomen ihre Schätzung auf 1,2 (bisher 1,3) Prozent. Für 2020 wird ein Anstieg der Verbraucherpreise von 1,0 (bisher 1,4) Prozent erwartet, für 2021 von 1,5 (bisher 1,6) Prozent. Auch beim Wachstum sind die Währungshüter nun etwas pessimistischer. Für die Eurozone erwarten sie in diesem Jahr ein Wachstum um 1,1 (zuvor: 1,2) und für 2020 um 1,2 (zuvor: 1,4) Prozent.

"Auch wenn ich selbst die negativen Zinsen für einen Fehler halte, die wahren Fehler liegen bei den fehlenden fiskalischen Impulsen und nicht bei der EZB", kommentierte Bank Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer die EZB-Entscheidungen auf Twitter.

Bei permanent negativen Zinsen gebe es für "Regierungen keinen Grund für eine langfristige Strukturreform ihrer Haushalte", so RBI-Chefökonom Peter Brezinschek. Die über BIP-Wachstum sprudelnden Einnahmen - etwa in Deutschland, Österreich - seien für monetäre Sozialtransfers und nicht für öffentliche Investitionen verwendet worden.