Zwei Abstürze des meistverkauften Flugzeugtyps 737 Max innerhalb weniger Monate haben den US-Luftfahrtriesen Boeing in eine schwere Krise gestürzt. Doch nicht nur die Geschäfte des Konzerns leiden stark unter den im Zuge der Unglücksfälle weltweit verhängten Flugverboten für die Modellserie. Auch für die US-Wirtschaft insgesamt ist das Debakel eine deutliche Belastung.

Die Probleme der 737 Max haben das Wachstum bereits in Mitleidenschaft gezogen und könnten die Konjunktur noch stärker bremsen, warnen Experten. An Boeing hängen zahlreiche Zulieferer, Airlines und andere Unternehmen, die die Schwäche des Flugzeugbauers zu spüren bekommen.

0,25 Prozent weniger Wachstum

"Die Startverbote für Boeings 737 Max haben im zweiten Quartal auf die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen sowie auf die Exporte durchgeschlagen - und das aufs Jahr hochgerechnete Wirtschaftswachstum um 0,25 Prozentpunkte gedrückt", heißt es in einer Studie des Ökonomen Michael Pearce vom Analysehaus Capital Economics. Die Konjunktur der weltgrößten Volkswirtschaft verlor von Anfang April bis Ende Juni stark an Schwung: Die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts sank im Vergleich zum Vorquartal von 3,1 auf 2,1 Prozent, wie eine erste Schätzung des Handelsministeriums ergab.

Als Hauptbremsklotz der US-Wirtschaft sehen Analysten zwar andere Faktoren wie die von Präsident Donald Trump angezettelten Zollkonflikte mit Handelspartnern wie China und der EU. Doch Boeings Rolle ist ebenfalls nicht zu unterschätzen, wie auch Experte Daniel Silver von der US-Bank JPMorgan schon betonte. Der Airbus-Rivale hatte im April zunächst mit einer Drosselung der 737-Max-Produktion um 20 Prozent auf 42 Maschinen pro Monat auf die weltweiten Flugverbote reagiert. Doch das könnte erst der Anfang gewesen sein.

Boeing-Chef Dennis Muilenburg sagte jüngst bereits, sollte eine Wiederzulassung der Krisenjets länger als geplant dauern, könnte die Fertigung weiter gekürzt oder sogar komplett ausgesetzt werden. "Wenn die Produktion weiter zurückgefahren wird, dürfte dies im dritten Quartal erneut ähnlich stark aufs US-Wachstum durchschlagen", warnt Experte Pearce von Capital Economics. Boeing rechnet zwar weiter damit, dass die 737 Max im Schlussquartal wieder in Betrieb geht. Doch diese Prognose scheint optimistisch. Zuletzt stellten Aufseher neue Probleme fest - weitere Verzögerungen gelten als wahrscheinlich.

Export-Minus

Laut Analyst Pearce hat die Boeing-Krise die US-Wirtschaft bereits erheblich belastet. So führte der wegen der Flugverbote verhängte 737-Max-Auslieferungsstopp seiner Studie nach zum Beispiel dazu, dass der US-Export von Verkehrsflugzeugen im zweiten Quartal um aufs Jahr hochgerechnete 18 Mrd. Dollar (rund 16 Mrd. Euro) zurückging. Das erkläre fast den kompletten Rückgang der Warenausfuhren um 23 Mrd. Dollar. Auch den für die Wirtschaftsleistung wichtigen Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen habe Boeings Misere einen herben Dämpfer verpasst.

Stark betroffen von Boeings Problemen sind auch etliche andere Unternehmen: Da sind die Fluggesellschaften, die zu Boeings wichtigsten Kunden zählen. American Airlines etwa erwartet, dass das 737-Max-Startverbot in diesem Jahr rund 400 Mio. Dollar vor Steuern an Sonderkosten verursacht. Dem ohnehin schon kriselnden US-Industriekonzern General Electric (GE), der mit einem Partner die Antriebe für die 737 Max herstellt, sind im ersten Halbjahr Einnahmen von rund 600 Mio. Dollar entgangen. Bis Jahresende könnten weitere bis zu 800 Mio. Dollar hinzukommen, schätzt GE.

Für Hoffnung sorgt ein Blick auf Boeings prall gefülltes Auftragsbuch. Der US-Konzern, den Erzrivale Airbus aufgrund der aktuellen Krise dieses Jahr erstmals seit langem wieder als weltgrößten Flugzeugbauer überholen dürfte, hat mehr als 4.000 Bestellungen für die 737 Max. Seit dem zweiten Absturz im März ist nur eine große Order hinzugekommen, doch Stornierungen fallen Kunden schwer, weil der Flugzeugmarkt außer Airbus kaum Alternativen bietet und die Europäer auf Jahre ausgebucht sind. Bei einer Wiederzulassung der 737 Max hätte Boeing also allen Anlass, die Produktion rasch wieder hochzufahren - und der US-Wirtschaft so einen Schub zu geben.