Österreich wird in den kommenden Monaten von einem Technokratenkabinett verwaltet werden. Reicht das aus Ihrer Sicht aus, oder gibt es Reformen, die nicht so lange anstehen dürfen?
WOLFGANG HESOUN: Die Situation ist, wie sie ist. Aber ich kann mir als Vertreter der Wirtschaft nur wünschen, dass rasch wieder normale Verhältnisse herrschen, dass Minister im Amt sind, die aus der Politik kommen und in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Es liegt einiges an Gesetzesmaterie vor, das wir gerne sehr rasch umgesetzt sähen.

Was zum Beispiel?
Ich halte die Steuerreform in ihrer Gesamtheit für sehr wichtig. Die Übergangsregierung sollte aus meiner Sicht das ganze Paket auf den Weg bringen. Schließlich sollen damit auch mittlere Einkommen entlastet werden, was die Kaufkraft stützen und die schwächelnde Konjunktur stärken könnte. Auch das Außenwirtschaftsgesetz ist uns ein Anliegen. Das Gesetz ist ausverhandelt und gäbe Österreich die Chance, Zukäufe von außereuropäischen Unternehmen in Österreich notfalls zu verhindern. Es ist nicht so, dass wir uns vor Investoren aus Fernost fürchten. Aber die Rahmenbedingungen sind dort doch ganz andere als hier.

Droht der Ausverkauf europäischer Technologieunternehmen an China?
Dabei geht es nicht nur um China. Viele Staaten ermöglichen ihren Unternehmen andere Formen der wirtschaftlichen Unterstützung als Europa. Alle Länder, die das WTO-Abkommen nicht unterschrieben haben und damit als Entwicklungsländer gelten, dürfen ihre Exportprodukte etwa ganz legal subventionieren, um besser in den Markt zu kommen. Wenn aber Staaten wie etwa China das tun, macht uns das wenig Freude. Wir haben bei den Kosten heute Gleichstand mit China erreicht. Die Chinesen produzieren im technologischen Bereich nicht billiger als wir. Aber sie bieten Preise, mit denen wir nicht mitkönnen, weil die Exporte vom Staat subventioniert werden. Da entsteht eine Schieflage, die wir beheben müssen. Ansonsten werden Produktion und technologische Entwicklung aus Europa verschwinden.

Was kann die EU dem Protektionismus aus Washington und dem staatlich gelenkten Kapitalismus Pekings entgegenhalten?
Europa hat in vielen Bereichen nach wie vor einen realen Vorsprung in der Technologie. Wenn es um die Automatisierung der Industrieproduktion geht, sind wir weit vorne. Um das zu erhalten, sollten wir in der Lage sein, unlauteren Wettbewerb von außen zu verhindern. China hat eine lange Liste an Bereichen, wo ausländische Unternehmen nicht hineinkommen. Es geht nicht darum, sich ebenfalls mit Protektionismus abzuschotten, sondern es soll wechselseitig fair sein. Europa und Österreich sollten sich Eingriffsmöglichkeiten schaffen, um zu reagieren, wenn ansonsten Produktionen abwandern.

Seit Freitag läuft der G20-Gipfel. Bestimmendes Thema ist auch dort das Match zwischen den USA und China. Muss sich Europa mit der Rolle als Statist der Weltwirtschaft abfinden?
Addiert man die Wirtschaftsleistung der einzelnen EU-Staaten, sind wir absolut auf Augenhöhe mit den USA und China. Aber wir sind leider nicht in der Lage, unsere Kraft zu bündeln. Darum merkt man von Europa im Konfliktfall zu wenig. Brüssel hat im Grunde nichts, was es den Zoll-Drohungen Donald Trumps entgegensetzen kann. Auch die EU-Staaten, die bei den G20 am Tisch sitzen, vertreten dort meist nur ihre nationalen Interessen und nicht jene Europas. Das ist schade.

Im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften hat Europa ein hohes Maß an Arbeitnehmerrechten. Kann die EU das auch zu ihrem Vorteil nutzen?
Die sozialen Errungenschaften spiegeln sich natürlich in unserer Kostensituation wider. Wir sind nicht die Billigsdorfer und brauchen daher Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass sich auch andere an ähnliche Spielregeln halten. Das kann man über internationale Organisationen versuchen. Oder man denkt darüber nach, die Rahmenbedingungen in der Produktion zum Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen zu machen.

Also eine Art Europe-First-Klausel, die für Staatsaufträge gelten soll?
Ich kann mir nicht auf der einen Seite wünschen, dass die Industrieproduktion in Europa stark bleibt und auf der anderen Seite von extern alles unwidersprochen zulassen. Also nicht Europe First, sondern Vergleichbarkeit der Marktzugänge.

Was heißt das konkret in Bezug auf den Bahnsektor? Da drängt China ja massiv nach Europa.
Das ist der Punkt. Der Staat muss sich als Hauptauftraggeber der Bahnindustrie überlegen, ob er die eigenen Unternehmen gefährden will, weil weiterhin Produkte importiert werden dürfen, die nicht unter den gleichen Bedingungen erzeugt worden sind. Das Außenwirtschaftsgesetz würde hier Abhilfe schaffen und preisliche Diskriminierung verhindern.

Aber wenn die Westbahn einen Zug aus China kaufen will, könnte sie es auch dann tun, oder?
Nicht, wenn es ein Regulativ gibt, das anderes vorsieht. Und genau das wünschen wir uns von der jetzigen Regierung. Mehrkosten braucht man dabei nicht zu befürchten, denn gerade der Mobilitätsbereich ist ein sehr spezifischer Markt, bei dem auch die einkaufenden Bahnen wissen, was ein Zug kosten kann und darf.

Nach den Wahlen werden die Grünen wohl im Nationalrat und vielleicht sogar in der Regierung sitzen. Kommt es so weit, wird es im Umweltbereich Änderungen geben, die auch Sie betreffen.
Ich glaube, dass die Industrie schon viele Maßnahmen gesetzt hat, um so CO2-sparend wie möglich zu agieren. Aber Klimaschutz wird ein Thema sein. Alle Unternehmen, mit denen ich rede, stellen sich darauf ein.

Siemens ist auch im Erneuerbaren-Bereich stark vertreten. Ist Ihnen die Steuerreform der alten Regierung „öko“ genug?
Natürlich wäre eine langfristige Planbarkeit im Umweltsektor gut. Aber wir haben in Deutschland gesehen, wie schnell es in die falsche Richtung gehen kann. Die Idee, mit Gewalt Einspeisetarife für Ökostrom einzuführen, hat viel ökonomischen Schaden angerichtet. Wichtiger als die Erzeugung ist aus meiner Sicht der effiziente Einsatz der Energie – Stichwort Smart City. Wenn ich intelligente, vernetzte Städte baue, erspare ich mir neue Kraftwerke komplett. Energie ist neben der Industrie der zweite wesentliche Bereich der Digitalisierung.

Digitalisierung soll zum großen Standortvorteil Europas werden. Aber wie geht das zusammen mit der fehlenden Offenheit gegenüber disruptiven Technologien? Bestes Beispiel ist die „Lex Uber“, wo dieselben Politiker, die stets Digitalisierung einfordern, einen digitalen Konkurrenten der eingesessenen Taxibranche einfach ausgeschaltet haben.
Die Digitalisierung ist eine Veränderung, die man nicht mit Regularien des Bewahrens lösen kann. Ich bin generell der Ansicht, dass man irgendwann überlegen sollte, ob all jene Maßnahmen, die in der Vergangenheit zum Schutz der Mitarbeiter entwickelt wurden, in der heutigen Realität noch ihren Sinn erfüllen. Oft werden die heutigen Rahmenbedingungen damit nicht mehr abgebildet, auch die Gewerkschaft hat sich hier nicht ausreichend weiterentwickelt. Der Schutz der Mitarbeiter ist mir sehr wichtig, aber die Weltuntergangsstimmung rund um die Flexibilisierung der Arbeitszeit war für mich nicht nachvollziehbar. Die meisten Industriebetriebe und auch wir bei Siemens haben dies beispielsweise schon vor Jahren im Einklang mit Belegschaftsvertretern und Arbeitnehmern eingeführt, weil wir das in der Praxis schlicht brauchen.

Das Interview wurde von den Bundesländerzeitungen und „Die Presse“ geführt. Für die Kleine Zeitung stellte Claudia Haase die Fragen.