• In Deutschland haben Union und SPD bei der Europawahl deutliche Stimmenverluste erlitten.
  • Großer Sieger sind die Grünen, die zur zweitstärksten Kraft aufsteigen und die Sozialdemokraten von dieser Position verdrängen.
  • In vielen europäischen Ländern wie Italien haben rechtspopulistische Parteien Zugewinne verzeichnet.

Ökonomen und Anleger sagten dazu:

Das sagt dazu der Österreicher Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW):

"Der von einigen befürchtete Durchmarsch der Populisten und EU-Kritiker ist nicht eingetreten. Aber die Zugewinne von Populisten in einigen Ländern und die zunehmende Polarisierung in der EU erschweren es, einen konstruktiven Weg nach vorne zu finden. Vor allem die Ergebnisse in Frankreich und Italien sind in dieser Hinsicht beunruhigend. Damit wird es auch schwieriger, den Binnenmarkt zu vollenden und Handelsabkommen mit anderen Ländern und Regionen zu schließen. Dabei ist unser EU-Binnenmarkt das wichtigste Pfund, mit dem wir im globalen Wettbewerb wuchern können. Offene Gesellschaften und offene Grenzen sind Garanten unseres Wohlstands, was viele Menschen offenbar unterschätzen.

Die Risiken für die Stabilität innerhalb der EU und für ihre Wirtschaftskraft nehmen mit dem Wahlergebnis zu. Angesichts der weltwirtschaftlichen Großwetterlage und dem Handelskonflikt der USA mit China und der EU wird die Unsicherheit wachsen. Nun könnte auch die EU zu einem Quell weiterer Unsicherheit werden. Das starke Abschneiden der Brexit-Partei in Großbritannien erschwert die Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs nach dem Rücktritt der Premierministerin zusätzlich. Die Risiken für einen No-Deal-Brexit sind gestiegen. Die EU sollte dennoch alles tun, um dies abzuwenden, und mit Verhandlungsangeboten auf die Briten zugehen.

Was muss die EU jetzt tun?

Um der Destabilisierung entgegen zu wirken, sollte die EU eine Reform auf Grundlage zweier Prinzipien angehen: Erstens sollte sie sich auf Projekte mit echtem europäischen Mehrwert konzentrieren, der in jedem einzelnen Land spürbar werden muss, und sie sollte dabei zu einem gewissen Grad unterschiedliche Integrationsmodelle für einzelne Länder zulassen. Zweitens muss das Subsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt werden. Je mehr die EU Bereiche reguliert, die ebenso gut oder besser in den Mitgliedstaaten geregelt werden, umso höher ist die Gefahr, dass die Kosten-Nutzen-Analyse gegen Europa ausfällt. Wer Europa voranbringen will, muss es, wie ein ins Trudeln geratendes Unternehmen, restrukturieren."

Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement Union Investment:

"Für die europäischen Kapitalmärkte ist das Wahlergebnis Weckruf und Belastung zugleich. Die Anlageregion wird angesichts der anhaltenden Unsicherheiten über den politischen Kurs Europas mit Bewertungsabschlägen gegenüber international vergleichbaren Investments leben müssen. Es droht eine Populisten-Prämie. Diese resultiert daraus, dass im Gegensatz zur Situation in den USA nicht ein populistisch agierender Präsident sondern zahlreiche populistisch agierende Parteien mit zum Teil stark divergierenden und oftmals eher anti-europäischen Motiven agieren. Die Europawahl zeigt: Der Kontinent braucht politische Bewegung und neue Weichenstellungen, soll er wirtschaftlich erfolgreich und damit strategisch attraktiv für Investoren bleiben. Dem EU-Parlament sowie der EU-Kommission kommen dabei Schlüsselrollen zu. Zunehmender Populismus dürfte dabei kein nachhaltiges Erfolgsrezept sein - im Gegenteil."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank:

"Das Ergebnis der Europawahl ist kein Schock, sondern die Fortschreibung bekannter, problematischer Trends. Es wird in der EU noch schwieriger, Mehrheiten zu finden. Das belastet die Handelsgespräche mit den USA, die am Ende wohl Autozölle verhängen werden. Das gute Abschneiden der italienischen Lega wird den Haushaltskonflikt mit der EU verschärfen, und in Deutschland steigt nach den schweren Verlusten für SPD und CDU die Unsicherheit über die Zukunft der schwarz-roten Koalition. Trotzdem reagierte der Devisenmarkt moderat erleichtert, weil die Gewinne der EU-Gegner geringer ausfielen als befürchtet."

Holer Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg Bank:

"Es gibt zwar Gewinne für die Rechten, etwa in Frankreich. Aber sie bleiben im Rahmen der Erwartungen, da sie in einigen Ländern auch vergleichsweise schlecht abgeschnitten haben. Das Image Europas in der Welt dürfte nicht weiter beschädigt werden, auch wenn die europaskeptischen Parteien hinzugewonnen haben. Das ist alles in allem kein Ergebnis, das den Rechten die Möglichkeit gibt, die Politik in Europa nennenswert zu beeinflussen. Die Märkte dürften daher auf das Wahlergebnis nicht groß reagieren.

In Deutschland wird es Fragen geben nach der Zukunft Angela Merkels als Bundeskanzlerin. Auch ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die SPD die Regierung verlässt."