Nach Ansicht von vida-Chef Roman Hebenstreit sind Lehrlings- und Fachkräftemangel in Österreich nicht existent - sie würden von der Wirtschaft lediglich "herbeigejammert", erklärte der Vorsitzende der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft heute (Dienstag) in einer Aussendung. Tatsächlich gehe es der Wirtschaft darum, mit Hilfe ausländischer Arbeitskräfte die Löhne in Österreich zu drücken.

Gute Unternehmen wie die ÖBB hätten kein Problem, ausreichend Lehrlinge zu finden, meint Hebenstreit. "Wer sein Heil in der Leiharbeit gesucht und seine Beschäftigten schlecht behandelt hat, braucht sich jetzt nicht zu wundern." Politik und Wirtschaft sollten "endlich aufhören, einen Fachkräftemangel herbeizureden, sondern mehr Lehr- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen". Die Gewerkschaft lehnt eine Ausweitung der "Rot-Weiß-Rot-Card" für Lehrlinge aus Drittstaaten ab.

Qualifizierungsmaßnahmen

Gleichzeitig fordert die SPÖ  wegen des Fachkräftemangels eine generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Nachbesserungen beim neuen Arbeitszeitgesetz. Die derzeit fehlenden Arbeitskräfte sollten aus dem Pool der bereits in Österreich lebenden 300.000 Menschen ohne Jobs geschöpft werden, statt zusätzliche Kräfte aus dem Ausland zu holen, sagte SPÖ-Chef Christian Kern beim Forum Alpbach im APA-Interview.

Kern plädiert für entsprechende Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen. Dann ließen sich auch jene 10.000 Stellen nachbesetzen, für die es derzeit keine fachlich geeigneten Kräfte gibt. Die SPÖ pocht zugleich auf bessere Arbeitsbedingungen. "Es muss zu einer Überarbeitung des 60-Stunden-Woche-Arbeitsgesetzes kommen", forderte Kern. Die neuen Arbeitszeitregeln, die künftig auch die Möglichkeit eines 12-Stunden-Tags und einer 60-Stunden-Woche vorsehen, treten am Samstag in Kraft.

Gegen Abschiebung von Lehrlingen

Selbst in der ÖVP regt sich wegen des Facharbeitermangels Widerstand gegen den Regierungskurs. Immer mehr ÖVP-Vertreter schließen sich der Initiative "Ausbildung statt Abschiebung" an und protestierten in der Vorwoche gegen die Abschiebung von Lehrlingen. Nach dem früheren ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner und 54 ÖVP-Bürgermeistern unterstützen nun auch der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas, der frühere EU-Kommissar Franz Fischler sowie der frühere Vizekanzler und VP-Chef Wilhelm Molterer das Anliegen.

"Einerseits wird jeden Tag der Fachkräftemangel beklagt. Andererseits stehen arbeitswillige junge Menschen, die während ihres Asylverfahrens eine Ausbildung zum Facharbeiter erhalten, regelmäßig vor ihrer Abschiebung. Viele greifen sich wegen dieser Widersprüche an den Kopf", findet etwa EU-Delegationsleiter Karas, der die Volkspartei als Spitzenkandidat in die nächste EU-Wahl führen könnte und zudem als nächster EU-Kommissar Österreichs im Gespräch ist. Karas wünscht sich eine gemeinsame europäische Asylpolitik und funktionierende Wege für die legale Zuwanderung. "Dabei müssen wir auf leistungs- und integrationswillige Menschen Rücksicht nehmen und internationales Recht respektieren."

Auch der frühere EU-Kommissar Fischler weist darauf hin, dass Österreich Facharbeiter brauche. Für den früheren Parteichef Molterer ist Bildung die "beste Starthilfe" für junge Menschen. "Egal, ob sie bei uns bleiben können oder in ihre Heimat zurückkehren (müssen). Unsere duale Ausbildung ist dafür besonders geeignet. Daher unterstütze ich diese Initiative", so Molterer.