Für die von der Regierung angekündigte "Anti-Gold-Plating"-Initiative haben Wirtschaft und Industrie Hunderte Beispiele für die Übererfüllung von EU-Mindeststandards gemeldet. Das Justizministerium schließt den Rückbau von Sozial- und Umweltstandards zwar vorsorglich aus. Dennoch finden sich in der vom Verfassungsdienst erstellten Liste mit den 489 Lobbyisten-Vorschlägen zahlreiche einschlägige Schutzbestimmungen. Ein Überblick:

Öffentlich bekannt ist bereits seit Mai, dass die Wirtschaftskammer mit der "Anti-Gold Plating"-Initiative der Regierung das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz lockern möchte. Auch die Industriellenvereinigung hat entsprechende Vorschläge eingereicht. Demnach soll nur noch bestraft werden, wer Mindestlöhne unterschreitet oder Überstunden nicht bezahlt. Wenn ein Unternehmen aber weitere Teile des Entgelts unterschlägt (Urlaubs-und Weihnachtsgeld, Sonntagszuschläge und Nachtzulagen), soll das nicht mehr extra bestraft werden.

Leiharbeit lockern

Außerdem weisen die Wirtschafts-Vertreter darauf hin, dass laut EU-Entsenderichtlinie auch der Mindestlohn unterschritten werden dürfte, wenn ein ausländischer Arbeitnehmer weniger als ein Monat in Österreich tätig ist. Und dass Leiharbeit in Österreich strenger geregelt ist, als laut EU-Vorgabe nötig - etwa bei der Gleichstellung der Leiharbeiter bei Betriebspensionen oder weil Leiharbeiter, wenn zwei verschiedene Kollektivverträge zur Wahl stehen, im Zweifelsfall den höheren Lohn erhalten müssen.

Der Großteil der Vorschläge in der der APA vorliegenden Liste stammt von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Die Wirtschaftskammer ist allerdings bereits zurückgerudert, nachdem am Wochenende bekannt wurde, dass sie auch die fünfte Urlaubswoche als "Gold Plating" eingemeldet hat (EU-Rechtlich vorgeschrieben sind nämlich nur vier Wochen Urlaub). Die Kammer versicherte daraufhin, die fünfte Urlaubswoche keinesfalls abschaffen zu wollen und bezeichnete ihre Vorschläge lediglich als Materialsammlung. Die IV betont, dass sie die Urlaubswoche nicht in ihren Vorschlägen hat.

Ebenfalls von der Wirtschaftskammer eingemeldet wurde der Hinweis, dass die österreichischen Mutterschutzbestimmungen über EU-Mindestvorgaben hinausgehen. Für werdende Mütter erlaubt die EU-Mutterschutzrichtlinie nämlich eine Beendigung des Dienstverhältnisses "im Rahmen einer Massenentlassung". In Österreich wäre das aber nur bei Stilllegung (oder Einschränkung) des Betriebs möglich. Und angesichts der Debatte um den 12-Stunden-Tag interessant: Die IV verweist darauf, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie gar keine tägliche Höchstarbeitszeit vorsieht: "Da die Ruhezeit 11 Stunden pro Tag zu betragen hat, ist eine tägliche Arbeitszeit von 13 Stunden möglich."

Gehaltsunterschiede

Auch dass Betriebe mit mehr als 150 Mitarbeitern Einkommensberichte über die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen erstellen müssen, ist - so die Wirtschaftskammer - in der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie nicht vorgesehen. "Die Erstellung des Berichts sowie die zusätzlichen Beratungen mit der Belegschaft verursachen einen zusätzlichen Aufwand an Kosten und Zeit. Der Wegfall der überschießenden Regelung hätte keine sonstigen Auswirkungen", so die Kammer. Denn dass Einkommensberichte tatsächlich geeignet seien, die Einkommensunterschiede zu verringern, sei wissenschaftlich nicht evident.

Weitere "Gold Plating"-Meldungen von Industrie und Wirtschaft betreffen den Umwelt- und Konsumentenschutz: So beklagt die Industriellenvereinigung das Ziel von 100 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 als "ökonomisch wie politisch fatale Weichenstellung", die Wirtschaftskammer thematisiert das Sponsoring-Verbot für Tabakkonzerne, Vorgaben für Mülldeponien und Verbandsklagen bei Behindertendiskriminierung. Auch die Regeln zur Bekämpfung der Steuerflucht in Steueroasen sind der IV in Österreich zu streng (weil EU-rechtlich nur ein Abzugsverbot von Zinsen vorgesehen ist, nicht von Lizenzgebühren).

Fünfte Urlaubswoche bleibt

Justizminister Josef Moser (ÖVP) hat am Dienstag neuerlich betont, dass sein "Gold-Plating"-Projekt nicht zum Abbau von Sozial- und Umweltstandards führen werde. Insbesondere die Aufweichung von Urlaubs- und Mutterschutzregeln kommt aus Sicht des zuständigen Ministers nicht infrage, weil diese schon vor dem EU-Beitritt bestanden haben, heißt es in einer Aussendung des Ministeriums

"Mit dem Gold Plating Projekt sollen keine nationalen Schutznormen zurückgenommen bzw. keine Sozialstandards (wie z.B. der bestehende Urlaubsanspruch und der Kündigungsschutz im Mutterschutz) gesenkt werden", heißt es in dem mit 9. Juli datierten Brief an die Ressorts: "Ziel ist es, bürokratische Auswüchse im Zusammenhang mit der Übererfüllung von EU-Normen einzudämmen."