Hatten Sie in den vergangenen Monaten einmal das Gefühl, als Wirtschaftskammerpräsident zu jung zu sein?
HARALD MAHRER: Das habe ich mir auch schon als Regierungsmitglied gedacht. Bei meinen ersten EU-Ratssitzungen hatte ich dann schnell das Gefühl: Wie gut, dass ich hier frischen Wind und Zug hineinbekomme!


Wie groß sind die Fußstapfen von Christoph Leitl?
Er hat eine bemerkenswerte Entwicklung für Österreich ermöglicht. Das flößt mir Respekt ein. Nicht das Präsidentenamt als solches, sondern die Aufgabe, für 8,6 Millionen Menschen in Österreich Verantwortung zu tragen. Wirtschaft trägt den Wohlstand für alle. Wir sitzen alle in einem Boot.


Er wurde von der ÖVP öfter im Regen stehen gelassen.
Das würde ich nicht so formulieren, als Mahner ist man halt nicht angenehm. Ich habe mir in Bildungsfragen auch nicht nur Freunde in der ÖVP gemacht. Das war trotzdem wichtig.


Sie wollen die Sozialpartnerschaft zur Zukunftspartnerschaft machen. Darf ich die Frage voranstellen, warum das Verhältnis zuletzt so schlecht geworden ist und woran es sich aus Ihrer Sicht zerschlissen hat?
Ich führe es nicht auf Einzelpersonen zurück. Meine These ist, wenn es aufwärtsgeht, gibt es keine großen Reibungsflächen. Die wechselwirksamen Zugeständnisse stehen dann in nicht so guten Zeiten infrage, werden verteidigt. Das ist nicht österreichspezifisch. Dieser Bruch ist seit einigen Jahren in vielen Ländern zu beobachten. In der Bevölkerung ist ein Gefühl angekommen, dass sich etwas im Großen ändert, die Abhängigkeit von globalen Entwicklungen enorm gestiegen ist. Was wir bisher gesehen haben, ist der Gruß aus der Küche, das mehrgängige Hauptmenü kommt erst. Wenn wir so große Herausforderungen haben wie die globale Verschiebung der Wirtschaftsmacht Richtung Asien, die Digitalisierung, Ressourcenproblematik oder innerösterreichische Herausforderungen wie die Pflege, müssen wir das große Ganze in den Vordergrund stellen.


Was erwarten Sie von den anderen Sozialpartnern?
Offenheit, ohne Vorbehalte aufeinander zuzugehen. Dialogorientierung, so wie sie das von mir auch erwarten können.


Am zu wenigen Reden mangelt es in dieser Republik wohl nicht.
Ich möchte aber Nägel mit Köpfen machen. Es ist ein großes Problem bei uns, wir haben Leute, die viel reden, aber nicht genug Leute, die auch viel machen. Wir müssen vom Reden ins Tun kommen. Ich werde versuchen, viele in unserem Land zu begeistern, dass im Machen und Ergebnisschaffen sehr viel Freude ist und Erfolg, den wir teilen können. Ausprobieren, Risiko nehmen, Neues machen, kreativ sein, das ist der Schatz, den wir heben müssen. Dafür brauchen wir viel mehr Freiräume für alle Bürger. Wir brauchen eine Entziehungskur von der Droge Staat. Ich bin zutiefst staatsskeptisch.


Beim Thema Arbeitszeitflexibilisierung scheiterte die Sozialpartnerschaft bisher. Die Bundesregierung hat damit gedroht, Ihnen das Thema aus der Hand zu nehmen.
Zu einer Lösung zu kommen, ist sehr dringend. Im Vorjahr hat man Wahlinteressen vor die übergeordneten Ziele gestellt. Aber dass es bei den großen Fragen auch ohne Sozialpartner gehen soll, das halte ich zum Teil für eine Scheindebatte.


Darf ich Sie für pragmatisch halten? Was geht, was nicht?
Entscheidend ist, ob das Ergebnis tragfähig ist, Zustände besser werden. Ich bin kein Fan von Tauschhandel wie am Basar.


Gerade die Basar-Tauschgeschäfte haben die Sozialpartnerschaft ausgemacht.
Das ist ihr so ausgelegt worden. Es gab viele kluge Lösungen wie etwa die Kurzarbeitsregelungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Da gab es keine Tauschgeschäfte. Ich bin bereit, mit Sachargumenten die beste Lösung zu erringen. Was ich ablehne, ist Polemik, Populismus um der Parteipolitik willen. Als ich die Spots von der Arbeiterkammer Oberösterreich gesehen habe, in denen ein fiktiver Unternehmer völlig unreflektiert in menschenverachtender Weise gezeigt wurde, da habe ich alle Zustände bekommen. Das war wirklich unterste Schublade. So etwas muss unter unserer Würde sein. Gegen solche Darstellungen trete ich entschieden auf.


Sie ärgern sich aber auch über eine aktuelle Aktion der AK.
Da gibt es einen Fragebogen, mit dem zum Teil in die Betriebe gegangen wird, auch in Filialen, wo es keine Chefs gibt. Auf dem steht: „Sollen der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche auch künftig die Ausnahme bleiben und sämtliche Zustände erhalten bleiben?“ Was ist das für eine Suggestivfrage! Das ist doch wider besseres Wissen. Niemand plant regelmäßig 12-Stunden-Tage oder 60-Stunden-Wochen. Da wird suggeriert: Achtung, Achtung, das kommt. Das ist ärgste Gräuelpropaganda.


Dann werden Sie mit der neuen AK-Präsidentin Renate Anderl schon bald aneinanderkrachen.
Das hoffe ich nicht. Das ist ja geplant worden, bevor sie in Amt und Würden war. Ich hoffe, so etwas hört auf.


Was macht Sie optimistisch, dass es besser werden kann?
Wir treten als neue Führungsgeneration an, von mir bekommen alle Vorschusslorbeeren. Ich freue mich wirklich sehr auf die ersten gemeinsamen Termine. Die sehr gut funktionierende Tarifpartnerschaft mit über 650 Kollektivverträgen ist ein solides Fundament. Ich würde den Tisch, an dem wir sitzen, gern vergrößern. Wenn es eine echte und breite Zukunftspartnerschaft sein soll, bin ich der Meinung, sollten wir bei den großen Themen auch andere Gruppen, etwa NGOs oder Wissenschaftler, dazunehmen. Die besten Köpfe im Wettbewerb der besten Ideen zusammenzubringen, da kann man eigentlich nicht dagegen sein. Ich habe immer gesagt, binden wir mehr Leute ein. Das hat nie viele interessiert. Was ich nicht verstehe.


Klingt wie nach alter Ehe, aber wehe es kommt ein Neuer dazu.
Ich sehe Sozialpartnerschaft nicht wie eine Ehe an, schon gar nicht als Zwangsehe. Jede Form einer Partnerschaft, ob zwischen Menschen oder Institutionen, braucht im Sinne einer gemeinsamen Weiterentwicklung Schritte, bei denen man sich hinterfragt, neu definiert, aber dabei auch bestimmte Dinge außer Streit stellt.


Was sollte außer Streit stehen?
Das ist gemeinsam zu überlegen und zu priorisieren. In der Liste ganz oben stehen natürlich sichere Arbeitsplätze, die Zukunft der Bildung. Die wirtschaftliche Transformation in den nächsten zehn bis 15 Jahren, die Digitalisierung, ist sicher die größte Aufgabe, verbunden mit den größten Chancen.


Als Freitagmittag in Wien die 1,6-Milliarden-Investition von Infineon in Villach bekannt gegeben wurde, erwähnte der Vorstand explizit die höhere Forschungsförderung als Standortbonus. Die geht auf Ihr Konto. Sind Sie stolz?
Dass meine Maßnahme dazu beigetragen hat, freut mich natürlich. Die Investition löst rundherum weitere Investitionen von bis zu drei Milliarden aus und schafft Tausende Jobs.


Vor Ihrem Amtsantritt waren Sie fünf Monate „weg“. Die Essenz dieser Zeit?
In den vielen Gesprächen mit Unternehmern war ein Schlüsselthema immer die Qualifikation der Menschen. Deshalb ist für mich Gebot der Stunde, die duale Ausbildung zu einer trialen Ausbildung zu entwickeln. Wir werden ein neues Bildungsnetzwerk, Leuchttürme im ganzen Land schaffen, wo wir digitale Kompetenzen vermitteln mit 11.000 Funktionären, echten Unternehmensvertretern. Dafür werden wir in den nächsten Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag investieren. Wir verfügen über Rücklagen, schichten intern um. Es kommt jetzt eine Zeit, wo es notwendig ist, zu investieren.