Der Streit mit einem Lieferanten wächst sich für Volkswagen zu einem Desaster aus. Weil ein Zulieferer keine Teile mehr an die Bänder liefert, muss der vom Abgasskandal schwer erschütterte Wolfsburger Konzern insgesamt mehr als 20.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub schicken.

Der Versorgungsstopp eines Zulieferers zwingt die Produktion des Modells Volkswagen-Golf im Wolfsburger Stammwerk des Autobauers für mehrere Tage in die Knie. Laut einer internen Mitteilung hat VW seine Liefer-Partner bereits über die nahende Schließung der Golf-Fertigung vom 20. bis 29. August informiert. Ein VW-Sprecher bestätigte dieses Schreiben am Donnerstag, über das zuerst "bild.de" berichtet hatte.

Kurzarbeit für Tausende

Für Teile der Produktion in den Werken Wolfsburg, Kassel und Zwickau solle Kurzarbeit angemeldet werden, sagte eine Person aus dem Umkreis von VW der Nachrichtenagentur Reuters. Allein im Stammwerk Wolfsburg werde die Ausweitung der Kurzarbeit mehr als 10.000 Beschäftigte betreffen. Details würden derzeit mit der Bundesagentur für Arbeit geklärt, sagte der Insider. Am Donnerstag waren nach VW-Angaben 8000 Mitarbeiter des Passat-Werks in Emden in Kurzarbeit gegangen, weil Zulieferteile fehlen.

"Denkbares Mittel"

Ein VW-Sprecher sagte, Kurzarbeit sei ein denkbares Mittel, um auf den Lieferengpass zu reagieren. Dies sei aber noch nicht entschieden. Hintergrund ist ein Rechtsstreit mit der Wolfsburger Unternehmensgruppe Prevent. Zwei Töchter des Konsortiums haben die Lieferung von Bauteilen an VW eingestellt. Die Engpässe machten dem Konzern auch an der Börse zu schaffen: Die Aktie verlor in einem robusten Umfeld rund ein Prozent.

Der Fall zeigt nach Ansicht von Experten, welche verheerenden Auswirkungen ein Lieferstopp auf die komplexen Produktionsabläufe bei Autobauern haben kann, bei denen Lieferanten direkt an die Bänder liefern. Wenn ein Teil fehlt, weil ein Lieferant ausfällt oder sich sperrt, gerät die ganze Produktion ins Stocken. Bei VW sind es fehlende Sitzbezüge und Getriebegehäuse, die die Wolfsburger von den Prevent-Töchtern Car Trim und ES Automobilguss beziehen.

Passat & Co.

Car Trim aus dem sächsischen Plauen schickt schon seit einiger Zeit keine Sitzbezüge mehr an die VW-Tochter Sitech, die dann die Autositze für VW-Modelle fertigt. Deshalb meldete VW für einen Großteil der Belegschaft in Emden Kurzarbeit an. In dem VW-Werk mit insgesamt gut 9000 Beschäftigten läuft das Mittelklassemodell Passat in verschiedenen Varianten vom Band, darunter auch der CC. Im Schnitt werden dort 1250 Fahrzeuge am Tag produziert. Beim Landgericht Braunschweig hatte Volkswagen vergangene Woche eine Einstweilige Verfügung erwirkt - das Gericht befand, Car Trim müsse wieder liefern. Über diesen Beschluss habe sich das Unternehmen jedoch hinweggesetzt, erklärte VW. Prevent hat Car Trim erst im April übernommen. Im Juni hatte die Chemnitzer Regionalzeitung "Freie Presse" über eine Kündigungswelle bei der sächsischen Firma berichtet.

Weil ein weiteres Unternehmen aus diesem Firmengeflecht, die ES Automobilguss GmbH, die Lieferung für Gussteile für Getriebe an VW eingestellte, kam nun auch das Werk Kassel unter Druck. Dort können laut VW bestimmte Getriebe nicht gefertigt werden, wodurch wiederum Teile der Produktion von Golf und Sportsvan in Wolfsburg beeinträchtigt seien. ES Automobilguss, eine alteingesessene Zulieferfirma aus dem Erzgebirge, äußerte sich nicht. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage, man sei wegen des Rechtsstreits mit VW zur Vertraulichkeit verpflichtet. Car Trim war ebenso wenig für eine Stellungnahme zu erreichen wie ihre Muttergesellschaft Prevent.

Auswirkungen offen

Bei VW in Wolfsburg sind rund 20.000 Mitarbeiter in der Fahrzeugproduktion beschäftigt. Mehr als die Hälfte wäre einem Insider zufolge von der geplanten Kurzarbeit betroffen. In dem größten VW-Werk laufen die Modelle Golf, Sportsvan, Tiguan und Touran vom Band. Analysten befürchten, dass sich der Stillstand auch auf den Gewinn der Marke VW auswirken wird, die ohnehin wegen des laufenden Umbaus und der Abgaskrise derzeit hohe Lasten zu tragen hat.

Grund für den Konflikt mit den Lieferanten ist nach Angaben des Braunschweiger Landgerichts ein gescheitertes Projekt. "Es werden Ansprüche geltend gemacht, die aus einer anderen, letztlich nicht zustande gekommenen Geschichte hergeleitet werden", sagte ein Sprecher. Deswegen halte die Firma ihre Lieferungen zurück. Nähere Angaben zu dem gescheiterten Vorhaben machte das Gericht nicht. Die beklagte Firma Car Trim habe nun die Möglichkeit, Berufung gegen die Einstweilige Verfügung beim Oberlandesgericht einzulegen. Gegen eine weitere Verfügung, in diesem Fall gegen ES Automobilguss, habe das Unternehmen Widerspruch eingelegt. Dieser Fall soll Ende August vor dem Landgericht Braunschweig verhandelt werden.