86 Milliarden Euro Hilfszahlungen fließen in den kommenden drei Jahren nach Athen. Im Gegenzug müssen die Griechen drastische Reformen durchziehen. Die ersten Gesetze wurden bereits beschlossen, die Regierungspartei Syriza ist daran zerbrochen. Im September soll es Neuwahlen geben. Bei den Verhandlungen über das dritte Hilfspaket war Bundeskanzler Werner Faymann einer von Tsipras’ Verbündeten. Er zeigte viel Verständnis für die Lage seines griechischen Amtskollegen. Besonders in Bereichen wie dem Pensionssystem oder der Verwaltung, also ausgerechnet dort, wo die Griechen jetzt per Beschluss anpacken müssen, wird auch Österreich von Experten kaum Reformwillen bescheinigt.

Wenig schmeichelhaft kam etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unlängst zum Schluss, dass sich Österreich „seine teure Sause“ auf Dauer nicht wird leisten können. Denn der Pensionsantritt erfolge „noch früher als in Athen“. Der provokante Titel des Zeitungskommentars: „Was Österreich von Griechenland lernen kann.“

Doch taugen die griechischen Reformvorgaben als Blaupause für Österreich? Zusammen mit dem Präsidenten des Fiskalrats, Bernhard Felderer, und Ulrich Schuh von Eco Austria hat die Kleine Zeitung die griechischen Reformvorhaben auf ihre Tauglichkeit für Österreich geprüft.

Mehrwertssteuer

Griechenland musste die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent erhöhen und Vergünstigungen streichen.

IN ÖSTERREICH: Die Erhöhung der 20-prozentigen Mehrwertsteuer in Österreich um nur einen Prozentpunkt würde eine Milliarde Euro an Mehreinnahmen bringen. Zur Gegenfinanzierung der Steuerreform wurden in Österreich die ermäßigten Steuersätze von zehn auf 13 Prozent angehoben. Es gibt aber weiterhin Ausnahmen, die man hinterfragen könnte. Allerdings hat Österreich im OECD-Vergleich bereits jetzt die zweithöchste Abgabenquote.

Pensionen

Griechenland muss das gesetzliche Pensionsantrittsalter bis 2021 auf 67 Jahre erhöhen. Frühpensionierungen gibt es nur mit massiven Abschlägen.

IN ÖSTERREICH: Das faktische Pensionsantrittsalter ist mit 59 Jahren das niedrigste der EU. Ein Spitzenplatz, der laut Felderer für eine Volkswirtschaft „nicht tragbar ist“. Hier sei in den vergangenen Jahren viel zu wenig getan worden. Nur zögerlich wurde die Hacklerregelung beerdigt. Eine Anhebung des faktischen und des gesetzlichen Antrittsalters sei ohne Alternative, meint Felderer. Angesichts der gestiegenen Lebenserwartungen sei das auch durchaus zumutbar, ergänzt Schuh. Fazit der Experten: Werden Reformen weiter hinausgezögert, muss sich Österreich in einigen Jahren möglicherweise ein Beispiel an Griechenland nehmen.

Sozialbereich

Griechenland muss 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (900 Millionen Euro) im Sozialbereich einsparen.

IN ÖSTERREICH: Seit 1995 sind die Kosten im Gesundheitsbereich stets stärker gestiegen als die Wirtschaftsleistung. Alleine um diese Dynamik zu stoppen, muss es Einschnitte geben. Einsparpotenzial ist vorhanden. Nicht jedes Krankenhaus müsse über sämtliche Stationen verfügen, sagt Felderer. Schwerpunktspitäler wären günstiger. Die Qualität der Behandlung könnte durch Spezialisten-Teams sogar verbessert werden. Felderer ist überzeugt: 0,5 Prozent des österreichischen BIP, rund 1,7 Milliarden Euro, würden sich einsparen lassen, „ohne die Versorgung zu verschlechtern.“

Arbeitsmarkt

Die Griechen müssen den Zugang zu Berufen erleichtern. Genannt werden Ingenieure, Notare und Hotelbetreiber. Rezeptfreie Medikamente sollen in Supermärkten verkauft werden dürfen. Die Sonntagsöffnung wird ermöglicht.

IN ÖSTERREICH: In den vergangenen 20 Jahren wurde bereits viel verändert. Berufsfelder wurden liberalisiert, Preisbindungen wurden aufgehoben. Nur der Buchmarkt sei noch reguliert, erklärt Felderer. Ohne EU hätte es diese Reformen allerdings nicht gegeben. Und so gebe es heute noch im Dienstleistungssektor Bereiche, in denen die Gewerbeordnung viel verhindert. Noch gibt es etwa den Gebietsschutz für Rauchfangkehrer. Doch der Europäische Gerichtshof dürfte diese Regelung im Herbst kippen.

Grundsteuer

Griechenland muss sein Grundsteuersystem von Grund auf neu aufsetzen. Im Fokus steht die Bewertung der Immobilien.

IN ÖSTERREICH: Aufgrund des Einheitswerts ist die Grundsteuer eine Abgabe, die jedes Jahr geringer wird. Allerdings ist sie eine der Haupteinnahmequellen der Gemeinden. Den Bürgermeistern wurde eine Reform der Steuer zugesagt. Einfach die Einheitssätze zu erhöhen, würde das Problem wohl nur auf die lange Bank schieben. Laut Felderer brauche es hier eine Strukturänderung.

Privatisierung

Griechenland muss Flughäfen, wichtige Häfen und Energieversorger verkaufen.

IN ÖSTERREICH: Seit der Verstaatlichtenkrise wurden zahlreiche Staatsbetriebe erfolgreich privatisiert. Es gibt nicht mehr viel zu verkaufen. Weitere Privatisierungschritte bei den Stromversorgern könnten laut Schuh durchaus sinnvoll sein. Mit dem Ausbau von Ökostrom und der Einführung intelligenter Netze vollziehe die Branche gerade einen Wandel, der die Staatsbetriebe vor enorme strukturelle und finanzielle Herausforderungen stelle.

Verwaltung

Griechenland muss die Anzahl der Beamten reduzieren und deren Gehälter begrenzen.

IN ÖSTERREICH: Die Verwaltung könnte schlanker sein. Allerdings sei das Kürzen der Beamtengehälter der falsche Ansatz, so die Experten. Schon jetzt sei es schwer, in manchen Bereichen qualifiziertes Personal zu finden. Sparen könnte Österreich bei der Zahl der Staatsbediensteten. „Braucht ein Land mit neun Bundesländern und 2100 Gemeinden wirklich 85 Bezirksverwaltungen?“ Diese Frage wirft Felderer auf.

Steuersystem

Griechenland wird aufgefordert, die Einkommenssteuersätze zu vereinfachen.

IN ÖSTERREICH: Komplexe Steuersysteme erleichtern es, die Zahlung der Abgaben zu umgehen, so der Experten-Befund. Die EU-Kommission empfiehlt möglichst einfache Systeme. Zur Jahrtausendwende wurde das Einkommenssteuersystem etwas vereinfacht. Seitdem gebe es eine Gegenbewegung. Und auch die Steuerreform mache laut Schuh alles noch ein bisschen komplizierter.