45 Prozent der Arbeitnehmer in Österreich sind regelmäßig oder permanent Stress ausgesetzt. 40 Prozent aller Invaliditätspensionen werden durch Stress und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit verursacht. Darauf wies Christa Sedlatschek, Direktorin der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, am Freitag in Wien hin.

Vor allem der Umgang mit schwierigen Kunden, Patienten oder Schülern sowie Zeitdruck führen in Österreich zu erhöhter Stressbelastung. Daher sind in erster Linie serviceorientierte Branchen wie der Gesundheits- und Pflegesektor, öffentlicher Verkehr, Gastgewerbe und Schulen betroffen, wie Sedlatschek unter Berufung auf eine 2013 von ihrer Agentur durchgeführten Meinungsumfrage erläuterte.

Angst vor Jobverlust erhöht Stress

Im EU-Vergleich geht es den Arbeitnehmern in Österreich ebenso wie jenen in Skandinavien aber gut. Die höchsten Belastungswerte zeigten Länder wie Zypern, Griechenland, Slowenien, Portugal und Malta vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise. Dauernde Restrukturierung und die Angst vor dem Jobverlust sowie Zeitdruck wurden als größte Belastungsfaktoren genannt.

In Österreich ist der Schutz der psychischen Gesundheit seit 2013 im Arbeitnehmerschutzgesetz geregelt. "Bei den praktischen Lösungsansätzen hat sich viel getan", meinte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bei dem Pressegespräch anlässlich einer von seinem Ressort und der Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich organisierten Expertentagung zu dem Thema. "Die Wirtschaft muss mitgestalten", erklärte Hundstorfer, "die Forderung allein, länger im Erwerbsleben zu bleiben, reicht nicht."

5000 Betriebe geprüft

Das im Sozialministerium angesiedelte Arbeitsinspektorat mit 310 Inspektoren hat eine Beratungs- und Kontrolloffensive gestartet und im vergangenen Jahr knapp 5.000 Betriebe geprüft, um 60 Prozent mehr als 2012. In 36 Prozent der Fälle sei eine schriftliche Aufforderung an Betriebe erfolgt, Mängel zu beheben, sagte Anna Ritzberger-Moser, die Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Sozialministerium. Ob und wie Unternehmen im Bereich der psychischen Belastungen aktiv sind, hänge eng mit der Unternehmenskultur zusammen. Große Betriebe seien meist weiter als mittlere und kleine. "Die meisten Beanstandungen hat es im Handel, in der Gastronomie und im Sozial- und Gesundheitswesen gegeben", sagte Ritzberger-Moser.

Nur elf Strafanträge

Kommen Betriebe trotz der Beratung und Hilfestellung den gesetzlichen Vorgaben nicht nach, stellt das Arbeitsinspektorat Verwaltungsstrafanträge. Das sei selten nötig, da die Betriebe den Nutzen gesunder Arbeitsplätze für ihren wirtschaftlichen Erfolg erkennen. Seit 2013 wurde erst in elf Fällen ein solcher Antrag gestellt. Die Strafe beträgt durchschnittlich 1.600 Euro. Hinter mangelhafter Umsetzung stecke zumeist keine böse Absicht, sondern mangelhaftes Wissen, sagte Ritzberger-Moser und betonte zugleich: "Wir weigern uns, Beratungsresistenz zu unterstützen."

Bei einer österreichweiten Umfrage der AK Oberösterreich für ihren Arbeitsklima-Index haben 47 Prozent der Arbeitnehmer erklärt, unter Zeitdruck zu leiden, 37 Prozent der Befragten arbeiten nach eigenen Angaben unter ständigem Druck und haben keine Zeit zum Verschnaufen. In den Berufsgruppen führen Lehrer (66 Prozent belastet), medizinische Pflegekräfte (65 Prozent) und Berufsfahrer (64 Prozent) das Stress-Ranking an.

In der EU ist Stress am Arbeitsplatz nach Muskel-Skeletterkrankungen das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Zusammen mit anderen psychosozialen Risiken verursacht er 50 bis 60 Prozent der Krankenstandtage. Stressbedingte direkte und indirekte Kosten betragen - nach unterschiedlichen Berechnungsansätzen - etwa zwei bis fünf Prozent des BIP.