Acht Uhr morgens in der Auszeitgruppe in Leoben. Die Handflächen der Lehrer, Schüler und Schulassistenten klopfen sich beim täglichen Morgenritual die Müdigkeit aus den Körpern. „Das ist sinnlos!“, ruft einer der Schüler, während er seit einigen Wochen dennoch mit seiner linken Hand leicht schmunzelnd gegen das Brustbein schlägt. Die – bei voller Anwesenheit – aktuell sechs Schüler sind zwischen 11 und 14 Jahre alt, ein Mädchen, fünf Burschen. Sie sind an ihren Stammschulen gemeldet, in der Auszeitgruppe (AZG) sind sie, weil sie in der Regelklasse durch ihr Verhalten derzeit nicht beschulbar sind.

Inhalte am Anfang im Hintergrund

Eine Lehrerin, ein Lehrer – der Autor dieser Zeilen – und drei Schulassistenten, die die Schüler auch in ihrem Schulalltag in der Regelklasse unterstützen würden, arbeiten mit ihnen an einer schrittweisen Rückkehr in die normale Klasse. Inhaltliche Pläne, Unterrichtsmaterial, Testvorlagen und Schularbeiten, die aus den eigentlichen Schulen geschickt werden, helfen dabei. Gerade wenn Schüler neu in die Gruppe kommen, stehen die Inhalte erst noch im Hintergrund. In dieser Zeit geht es mehr darum, wie das Verhältnis von Nähe und Distanz zu Lehrern und Mitschülern gelebt wird, was es braucht, um Teil einer Gruppe zu sein, wie man Autoritäten versteht und akzeptiert oder wie man sich besser konzentrieren und einbremsen kann.

Welche Vorurteile nicht stimmen

In der aktuellen Diskussion schwingt oft der Gedanke von durchwegs gewalttätigen, respektlosen Rüpelkindern mit. Diese Sichtweise greift zu kurz, ebenso die Ansicht, es betreffe hauptsächlich Kinder mit Migrationshintergrund. Das ist in dieser Gruppe nicht der Fall. Der pädagogische Kampf mit dem zeitweisen Verhalten der Kinder – Schreien bis Schimpfen, Verweigern, Anwenden von Gewalt oder Garnichtkommen – ist die eine Seite. Gewinnen lässt er sich nur, wenn die Herausforderungen der Kinder miteinbezogen werden.

Entwicklungsstörungen oder traumatische Erlebnisse, die von Trennungen bis zu Gewalt reichen können, erschweren ein angemessenes Handeln oft. In einer kleinen Gruppe kann durch die engere Beziehung und mehr zeitlichen Spielraum gut darauf eingegangen werden. Wie das im Detail funktionieren kann, besprechen Schule, Eltern und Helfer von Sozialarbeitern bis zu Kinder- und Jugendpsychiatern bei regelmäßigen Treffen.

Ein stetes Bergauf gibt es nicht

Ein stetes Bergauf ist das Unterrichten in der AZG nicht. Dass man erfolgreich arbeitet, merkt man in manchen Fällen erst im Vergleich von Monaten. Dinge, die anfangs unmöglich scheinen, sind plötzlich Selbstverständlichkeit. Jeder Schultag, jede Schulwoche nimmt einen mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Anja Temmel, eine der beiden Lehrkräfte in der AZG Leoben, erklärt: „Dass es täglich viele kleine Erfolge gibt – und sei es nur, dass dich ein Schüler nach Monaten das erste Mal nicht anlügt, sondern ehrlich sagt, was er fühlt –, lässt dich diese Aufgabe bewältigen.“ Die Herausforderung, Kindern, die vielfach schon abgeschrieben wurden, noch eine Chance zu geben, lasse sie diesen Job machen. Klar ist: Ob sie diese Chance ergreifen, dafür sind die Schüler am Ende des Tages selbst verantwortlich.

An diesem Schultag hat es recht gut geklappt: Manche können sich für das Erreichen ihrer Tagesziele einen Belohnungspunkt an die Wand kleben – damit erarbeiten sie sich Hausübungsgutscheine oder die Mitbestimmung am nächsten Tagesplan. Ein ähnlicher Erfolg ist, dass jene, die es nicht geschafft haben, das Misslingen akzeptieren, dafür Verantwortung tragen und an einem nächsten Tag zeigen, dass es auch ganz anders geht. Es sind nämlich tolle Kinder.